Die Themen Tod und Trauer setzt man gewöhnlich nicht in Verbindung mit Kindern. Die meisten Menschen vermeiden dies eher mit der Begründung, Kinder könnten Tod und Trauer nicht verstehen, weil sie viel zu jung sind und von diesen Themen ferngehalten werden sollten. Doch das ist falsch.
Tod und Trauer sind Themen für alle Menschen, nicht nur für diejenigen, die gerade einen schweren Verlust erlitten haben. Denn wie wir alle mit Tod und Trauer umgehen, entscheidet darüber, wie wir unser Leben führen und begreifen. Dies gilt für Erwachsene genauso wie für Kinder.
Ich möchte in dieser Arbeit zunächst einen kurzen Überblick über die Bedeutung und Sicht von Tod und Trauer in der Soziologie geben. Im Folgenden werden die Todesvorstellungen und das Trauerverhalten von Kindern und Jugendlichen jeglicher Altersstufe vorgestellt, um zu verdeutlichen, wie viel anders als Erwachsene Kinder den Tod sehen und definieren.
Danach werden Trauerverhalten und Reaktionen von Kindern nach bestimmten Todesfällen erläutert, nach dem Tod eines Haustieres, eines Verwandten, eines Freundes, Tod von Geschwistern, Tod eines Elternteils oder mehrerer Familienmitglieder. Unter dem Kapitel Trauerprozess und Bewältigungshilfen werde ich zunächst den Weg des Trauerprozesses beschreiben, dann auf einige Bewältigungshilfen für Kinder im Trauerprozess hinweisen, missverständliche Äußerungen als Antworten auf Kinderfragen analysieren und zum Schluss darauf eingehen, wie man Kinder in solchen Krisensituationen trösten kann.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Tod und Trauer aus soziologischer Sicht
3. Todesvorstellungen und Trauerverhalten von Kindern und Jugendlichen
4. Tod des Haustieres
5. Tod eines Verwandten
6. Tod eines Freundes
7. Tod von Geschwistern
8. Tod eines Elternteils oder der Eltern
9. Tod der ganzen Familie
10. Trauerprozess und Bewältigungshilfen
10.1 Der Weg des Trauerprozesses
10.2 Bewältigungshilfen für Kinder im Trauerprozess
10.3 Kinderfragen nach dem Tod ehrlich beantworten – Missverständliche Äußerungen
10.4 Kinder trösten statt vertrösten – Worte finden
11. Schlussbemerkung
12. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Themen Tod und Trauer setzt man gewöhnlich nicht in Verbindung mit Kindern. Die meisten Menschen vermeiden dies eher mit der Begründung, Kinder könnten Tod und Trauer nicht verstehen, weil sie viel zu jung sind und von diesen Themen ferngehalten werden sollten. Doch das ist falsch.
Tod und Trauer sind Themen für alle Menschen, nicht nur für diejenigen, die gerade einen schweren Verlust erlitten haben. Denn wie wir alle mit Tod und Trauer umgehen, entscheidet darüber, wie wir unser Leben führen und begreifen.
Die meisten Menschen laufen vor der Existenz des Todes davon. Sie wollen nicht mit ihm in Berührung kommen, denn dann können sie so tun, als ob es ihn nicht gebe, als ob sie niemals mit ihm belastet werden könnten, können weiterleben wie bisher. Der Tod wird aus dem Leben ausgegrenzt, obwohl er doch ein Teil des Lebens ist. Gerade das Leben bekommt durch ihn eine andere Bedeutung. Bekannt ist, dass Menschen, die von Schicksalsschlägen getroffen wurden, bewusster leben. Die Erfahrung des Todes macht das Leben noch wertvoller. Man spürt intensiver, verliert die Oberflächlichkeit, wird sich einer neuen Tiefe bewusst. Der Tod kann bewirken, dass man das Leben aus einer neuen Perspektive betrachtet.
Aber müssen wir erst durch einen schweren Schicksalsschlag begreifen, wie wertvoll das Leben ist? Sollte man nicht lieber dem Tod den wichtigen Platz im Leben geben, der uns wieder zu einem bewussten Wissen um die eigene Sterblichkeit führt? Schon Martin Luther King sagte: „In dem Moment, in dem ihr die Furcht vor dem Tod überwindet, seid ihr frei.“ Doch dafür muss der Tod erst wieder Teil unseres Lebens werden.
Der Tod und die Trauer sind aus unserem heutigen Leben verbannt worden, weil das Sterben zur Krankheit gemacht wurde und nicht mehr als Teil des Lebens angenommen wird. Es geschieht anonym und am liebsten von allen ignoriert im Krankenhaus oder Pflegeheim.
Tod verkommt zum Tabu, weil die Menschen nicht mehr damit in Berührung kommen und deshalb nicht mehr wissen, wie sie damit umgehen sollen. Dadurch wird auch Trauer zu etwas, was keinen Platz mehr in unserer Welt findet. Doch auch Trauer gehört zum Leben dazu. Sie ist die Antwort der Menschen auf Abschied, Trennung und vor allem auf Verluste. Trauer tut weh, aber sie ist der Weg, den der Mensch gehen muss, um wieder weiterleben zu können.
Dies betrifft nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder. Gerade für Kinder sind Verluste unbegreiflich und unfassbar schmerzhaft. Damit Kinder daran nicht zugrundegehen, brauchen sie jemanden, der sie in ihrer Trauer begreift, ihre Gefühle ernst nimmt und mit ihnen den Weg der Trauer geht. Gerade Kinder haben ein Recht auf Trauer. Sie müssen trauern dürfen, um ihr Leben weiterleben zu können. Erwachsenen reden sich jedoch leicht ein, dass Kinder nicht begreifen, was geschieht und schnell vergessen. Sie möchten die Kinder schützen, schützen durch ihre Ignoranz jedoch eher sich selbst vor unbequemen Fragen und tiefer Verzweiflung, denen sie nicht begegnen können.
Ich möchte in dieser Arbeit zunächst einen kurzen Überblick über die Bedeutung und Sicht von Tod und Trauer in der Soziologie geben.
Im Folgenden werden die Todesvorstellungen und das Trauerverhalten von Kindern und Jugendlichen jeglicher Altersstufe vorgestellt, um zu verdeutlichen, wie viel anders als Erwachsene Kinder den Tod sehen und definieren.
Danach werden Trauerverhalten und Reaktionen von Kindern nach bestimmten Todesfällen erläutert, Tod eines Haustieres, eines Verwandten, eines Freundes, Tod von Geschwistern, Tod eines Elternteils oder der Eltern und Tod der ganzen Familie.
Unter dem Kapitel Trauerprozess und Bewältigungshilfen werde ich zunächst den Weg des Trauerprozesses beschreiben, dann auf einige Bewältigungshilfen für Kinder im Trauerprozess eingehen, missverständliche Äußerungen als Antworten auf Kinderfragen analysieren und zum Schluss darauf eingehen, wie man Kinder in solchen Krisensituationen trösten kann.
2. Tod und Trauer aus soziologischer Sicht
Tod und Trauer sind keine individuellen, sondern soziale Ereignisse. Der Umgang mit Tod und Trauer spiegelt gesellschaftliche Vorstellungen und Normen wider.
Verschiedene Entwicklungen haben dazu geführt, dass der einzelne Mensch dem Tod heute sehr viel seltener und sehr viel später als früher begegnet. Seuchen und Krankheiten sind dank medizinischem Fortschritt eingedämmt, die Kindersterblichkeit hat sich rapide verringert. Die Lebenserwartung des Menschen steigt, der Tod wird immer weiter hinausgezögert.
Durch den Strukturwandel der Familie wird der Ort des Sterbens verlagert, Tod ist nicht mehr im Alltag integriert, er findet fast ausschließlich in Institutionen statt.
Dies führt dazu, dass gerade Kinder nicht mehr hautnah mit dem Tod konfrontiert werden, so dass er für sie nur noch eine abstrakte Begrifflichkeit und keine soziale Realität mehr ist.
Von daher kann ein Verhalten gegenüber dem Tod nur in unzureichender Form gelernt werden. Tod und Trauer sind nicht ins Leben integriert und können so auch nicht bewusst erlebt und bewältigt werden. Sie haben den Charakter von Katastrophen, denen vor allem Kinder hilflos ausgeliefert sind. Deshalb werden in neueren Forschungen der Soziologie Forderungen nach einer sinnvollen Sterbeerziehung laut, die den Kindern nahe bringen soll, Tod und Trauer nicht als Störfaktoren anzusehen, sondern als normaler Bestandteil des Lebens.
3. Todesvorstellungen und Trauerverhalten von Kindern und Jugendlichen
Die Vorstellung des Todes und das Trauerverhalten entwickeln sich in jeder Altersstufe anders. Das Verständnis der Kinder und Jugendlichen hängt von ihrem aktuellen Entwicklungsstand, ihren Erfahrungen mit dem Tod und vor allem von dem Verhalten der ihnen bekannten Erwachsenen zum Thema Tod ab. Die folgenden Altersangaben sind daher nur als Anhaltspunkte zu verstehen.
Kleinkinder bis 3 Jahre
Kinder in dieser Altersstufe sind in ihrer Existenz noch total von den Eltern abhängig. Sie haben keine Vorstellung vom Tod, sondern erleben Trauer bei Trennungen. Der Tod ist somit eine Trennung. Da Kleinkinder noch kein deutliches Zeitempfinden haben, kann schon durch eine kurze, vorübergehende Trennung Trauerverhalten ausgelöst werden.
Kleinkinder haben also große Angst vor dem Fortgehen der Bezugspersonen. Kehren diese nach kurzer Zeit zurück, gibt das Kind das Trauerverhalten sofort auf. Ist dies jedoch beim Tod einer Bezugsperson nicht möglich, so reagieren Kleinkinder nach einer Zeit des Protestes, des Wehrens gegen den Verlust, mit stiller Verzweiflung und Traurigkeit. Nach längerer Zeit verhält sich das Kind gleichgültig, es hat die Hoffnung aufgegeben, seine Bezugspersonen wieder zurück zu bekommen. Es findet also ein Ablösungsprozess statt.
Kleinkinder zeigen aber auch Trauerverhalten, wenn nicht mehr auf sie eingegangen wird. Sind die Eltern also z.B. nach dem Tod eines Geschwisterkindes so mit ihrer eigenen Trauer beschäftigt, dass sie sich um das Kleinkind nicht kümmern können, reagiert das Kind mit Passivität und tiefer Traurigkeit.
Vorschulkinder von 3 – 6 Jahren
Kinder beginnen ein eigenes Ich zu entwickeln. Sie begreifen auch, dass es so etwas wie ein Nicht – Sein gibt. Tot sein heißt für sie einfach „Weg-sein“. Wer weg ist, kann auch irgendwann wieder kommen. Kinder haben in diesem Alter noch keine deutliche Zeitvorstellung und können nicht begreifen, dass der Tod ewig ist. Für sie ist er nur ein vorübergehender Zustand, tot sein ist nur etwas weniger lebendig. Oft stellen Kinder sich auch vor, dass der Tote noch Hunger hat oder frieren könnte.
Vorschulkinder glauben noch, dass ihre Wünsche wahr werden, wenn sie nur fest genug wünschen. Deshalb entwickeln sie gerade in dieser Altersstufe leicht Schuldgefühle beim Tod einer Bezugsperson. Es könnte ja sein, dass sie böse auf sie waren und sie weggewünscht haben. Gerade dann brauchen Kinder die ausdrückliche Versicherung, dass sie nicht durch Dinge, die sie sich im Zorn gewünscht haben, schuld am Tod sind.
Vorschulkinder wissen, dass Menschen sterben können. In erster Linie sterben in ihrer Vorstellung aber nur alte Menschen oder Menschen, die sehr böse waren. Tod wird also auch als Strafe begriffen. Kinder dieser Altersstufe können sich jedoch nicht vorstellen, dass sie selber einmal sterben müssen:
„Große Leute sterben,
Onkel, Großpapa.
Aber ich, ich bleibe
Immer, immer da.“[1]
Grundschulkinder von 6 – 10 Jahren
Im Grundschulalter wird der Tod oft personifiziert gesehen. Kinder stellen ihn sich als Sensenmann oder Knochengerippe vor.
Sie fangen an, den Tod zu begreifen. Sie verstehen, dass der Tod nicht nur eine Modifikation des Lebens ist, sondern etwas ganz anderes. Daher versuchen sie alles darüber herauszufinden, stellen Fragen und interessieren sich für Friedhöfe und Beerdigungen. Der Tod ist für sie immer noch ein Rätsel. Was passiert mit einem Toten? Kann ein Toter noch fühlen?
Kinder dieser Altersstufe wissen, dass auch sie irgendwann sterben müssen. Durch dieses Wissen um die eigene Sterblichkeit können Ängste entstehen, die sich vorwiegend darum drehen, die Eltern zu verlieren.
Schulkinder von 10 – 13 Jahren
Kinder verstehen in dieser Altersstufe die Bedeutung und die Funktion des Todes. Sie begreifen, dass der Tod etwas Endgültiges ist. Vordergründig versuchen sie Nüchternheit und Sachlichkeit dem Tod gegenüber vorzutäuschen. Sie sind an den biologischen Vorgängen des Sterbens interessiert, möchten wissen, wie der Körper des Toten sich verändert und denken darüber nach, was mit der Seele nach dem Tod passiert.
Der Tod ist immer noch unheimlich, aber dennoch faszinierend. Kinder werden gerade in diesem Altersabschnitt von Gruselgeschichten gefesselt, Mutproben bestehen daraus, um Mitternacht über den Friedhof zu schleichen.
Jugendliche von 13 bis 18 Jahren
Jugendliche können zwischen Leben und Tod unterscheiden, zwischen eigenem Ich und der Umwelt differenzieren. Jugendliche können die Endgültigkeit und die weitreichende, unausweichliche, emotionale Bedeutung des Todes erkennen. Alle wesentlichen Denkmuster, die auch die Erwachsenen haben, sind ihnen in der Regel zugänglich.
Gerade in der Pubertät entwickeln Jugendliche ihre eigene Identität. Dazu gehört auch die Frage nach dem Sinn des Lebens. Doch mit den Eltern werden solche Dinge nicht diskutiert. Die Jugendlichen befinden sich mitten im Ablösungsprozess vom Elternhaus, sie müssen ihren Weg alleine finden und dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit den Eltern.
Stirbt ein Elternteil oder Geschwisterkind in dieser Zeit, wird der notwendige Ablösungsprozess oft abgebrochen. Der zurückgebliebene Elternteil braucht plötzlich Hilfe, der Jugendliche nimmt sich zurück und „vertagt“ seine Loslösung.
In der Auseinandersetzung mit dem Tod spielt bei Jugendlichen auch der Suizid eine große Rolle. Aufgrund der Wechselwirkung zwischen den Anforderungen der Erwachsenenwelt und den heftigen Gefühlsschwankungen der Jugendlichen ist er in diesem Alter eine sehr häufige Todesursache. Sie fühlen sich einsam, sind verzweifelt und können den Sinn und den Wert des Lebens nicht sehen. Oft spielen auch Bestrafungsphantasien den Eltern gegenüber eine Rolle oder der häufig auftretende, von morbider Faszination geprägte, Nachfolgewunsch und Totenkult bekannter (Jugend-) Idole wie beispielsweise im Falle Jim Morrisons oder Curt Cobains.
[...]
[1] Hesse, Hermann; Die Gedichte. Frankfurt/M.; Suhrkamp, 2002
- Arbeit zitieren
- Kristina Niemann (Autor:in), 2002, Wenn Kinder trauern – Trauerarbeit und Bewältigungshilfen, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/16262