Wohlverstanden habe ich ihn von jeher als den Urheber, nicht nur des
leidenschaftlichsten Gesanges, auch des gehobenen Gefühles seiner Mitwelt empfunden. Es ist folgenreich, eine einzige ‚kleine Stadt’ singend zu machen: in meinem so benannten Roman tut es der Dirigent Enrico Dorlenghi. Der Maestro Puccini hat es für eine Welt getan.
Giacomo Puccini ist bekannt als einer der bedeutendsten Komponisten in der Nachfolge Verdis, der es versteht, mit stimmungsvoller Atmosphäre, emotional ausdrucksstarken Arien und farbig vielfältigen Orchesterklängen einen großen Eindruck in der italienischen Oper zu hinterlassen. Durch neue Mittel gelingt es ihm, sich von
romantisch-fantastischen Ansätzen zu distanzieren, einen für ihn stereotypen Stil zu finden und eine eigene Tonsprache zu schaffen: „Im Mittelpunkt seiner Opern steht immer die Gesangslinie, die er vor allen Dingen in den Frauenrollen edel und strahlend
gestaltet.“ Außerdem werden „Spannung und dichte Atmosphäre [ ] durch die Anwendung von Leit- und Erinnerungsmotiven erzielt.“ Heinrich Mann verspürt für seine Musik eine große Faszination, die erstmals im November 1900 bei einer zufälligen Begegnung entflammt, und welche sich ihm als unvergessliches Datum einprägt:
Mir war nichts bewußt, als ich [...] auf der hinteren Plattform einer langsamen Pferdebahn von Florenz bergan nach Fiesole fuhr. Ich fuhr oder ging dort alle Tage, dieses Mal spielte am Weg ein Leierkasten [...], der mich mit dem Maestro Puccini bekannt machte. [...] Die wenigen Takte, die ein Wind mir zutrug, veranlaßten mich, von meinem Tram abzuspringen. Ich stand und ließ mich entzücken.
Dieses Gefühl der Entzückung vermag nicht nur die Begeisterung für eine sinnlich geprägte Melodik auszulösen, sondern gleichermaßen die Inspiration für ein neues Romankonzept zu sein. Überträgt Puccini nach Ansicht Manns sowohl Leidenschaft als auch ein gehobenes Gefühl auf seine Mitwelt, scheint der deutsche Schriftsteller diese beiden Motive auf ein komprimiertes Wirkungsfeld zu projizieren: auf eine überschaubar italienische Gemeinschaft, die 1909 unter dem Titel Die kleine Stadt für seine Leserschaft zugänglich wird.[...]
Inhaltsverzeichnis
- I. EINFÜHRUNG
- II. FÄUSTE, KEHLEN, BEINE – DIE KLEINE STADT: EIN SCHAUSPIEL?
- 1. Als noch Langeweile und wenig Bewegung den Ort beherrscht: Ausgangssituation und szenisch-dramatische Grundlagen für ein kleines Welttheater.
- 2. Ein komisches Spiel im komödiantischen Spieltrieb
- 2.1 Semantische Komödie und komische Katharsis.
- 2.2 Ars comica - die Kunst der sprachkomischen Kombination und Variation
- III. OPERA IN MUSICA: DIE KLEINE STADT ALS MUSIKALISCHES WERK?
- 1. Vivere d'aria e d'amore.
- 2. Chorische Interaktionen
- 3. Vom adagio zum staccato
- IV. SCHLUSSBEMERKUNG
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht Heinrich Manns Roman „Die kleine Stadt“ in Hinblick auf seine möglichen Verbindungen zu einer Oper. Dabei werden die musikalischen Elemente des Textes sowie die szenischen Aspekte analysiert.
- Die Rolle von Musik und Gesang im Roman
- Die dramatisierte Struktur der Handlung
- Die Einbindung von Komik und Satire
- Der Einfluss von Giacomo Puccini auf Manns Werk
- Die Darstellung von Gemeinschaft und Individuum im Kontext der italienischen Kultur
Zusammenfassung der Kapitel
Kapitel I: Einleitung
Dieses Kapitel beleuchtet die Entstehungsidee des Romans „Die kleine Stadt“ und den Einfluss des italienischen Komponisten Giacomo Puccini auf Heinrich Mann. Die Begegnung mit Puccinis Musik führte Mann zur Inspiration für seine Geschichte, die er als ein „komprimiertes Wirkungsfeld“ für Leidenschaft und gehobenes Gefühl beschreibt.
Kapitel II: Fäuste, Kehlen, Beine – Die kleine Stadt: Ein Schauspiel?
Dieses Kapitel analysiert die szenische Struktur und den komödiantischen Spieltrieb im Roman. Die Analyse der Sprache, der Dialoge und der Charaktere zeigt, dass Mann Elemente des Theaters und der Oper in seinen Roman integriert.
Kapitel III: Opera in musica: Die kleine Stadt als musikalisches Werk?
Dieses Kapitel befasst sich mit der Frage, inwieweit „Die kleine Stadt“ als ein musikalisches Werk betrachtet werden kann. Es untersucht die Rolle von Musik und Gesang im Roman, die Interaktion der Figuren und die Verwendung musikalischer Elemente wie Melodik, Rhythmus und Harmonie.
Schlüsselwörter
Heinrich Mann, Die kleine Stadt, Giacomo Puccini, Oper, Musik, Schauspiel, Komödie, Italien, Gemeinschaft, Individuum, Sprache, Szene, Satire, Dramaturgie, Melodik, Rhythmus, Harmonie
- Arbeit zitieren
- Sonja van Eys (Autor:in), 2007, Heinrich Manns "Die kleine Stadt" - Ein Roman als "opera in musica"?, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/161736