Ist Justitia eine Frau? Als sich der ‹Deutsche Juristinnenbund› (djb) 1998 im Rahmen seiner Schriftenreihe diese Frage stellt und dabei zu dem Ergebnis kommt, dass für die DDR gesprochen dem zuzustimmen ist, liegt der Fall der Mauer bereits neun, die Wiedervereinigung annähernd acht Jahre zurück, sodass der Zugang zu den Archiven bereits gewährleistet ist. Das Autorenkollektiv fasst zusammen, dass »die sowjetisch geprägte DDR-Justiz […] der kommunistischen deutschen Diktatur ein weibliches Antlitz verschafft [hat].« Ähnlich drückt sich Gunilla-Friederike Budde aus. In ihrer Monographie ‹Frauen der Intelligenz› geht sie davon aus, dass die »nicht nur klassen-, sondern auch geschlechtsspezifische Neubesetzung der Justiz in der DDR zu einem der wenigen gelungenen Teilversuche im Gesamtexperiment gesellschaftlicher Umgestaltung [gehört]. […] Im Unterschied zu den Hochschulen, Universitäten und Akademien der DDR […] schien die Ostdeutsche Justiz Schauplatz einer weiblichen Erfolgsgeschichte [zu sein].« War dem tatsächlich so?
Inhalt
1 ist Justitia eine Frau?
2 was ist Erfolg?
3 Der lange weg nach ostberiin
4 marxismus-ieninismus
5 weiblich - sozialistisch - intelligent
6 | Fazit
7 Quellen- und Literaturverzeichnis
8 Anhang
1 Ist Justitia eine Frau?
Als sich der <Deutsche Juristinnenbund> (djb) 1998 im Rahmen seiner Schriftenreihe diese Frage stellt und dabei zu dem Ergebnis kommt, dass für die DDR gesprochen dem zuzustimmen ist, liegt der Fall der Mauer bereits neun, die Wiedervereinigung annähernd acht Jahre zurück, sodass der Zugang zu den Archiven bereits gewährleistet ist. Das Autorenkollektiv fasst zusammen, dass »die sowjetisch geprägte DDR-Justiz [...] der kommunistischen deutschen Diktatur ein weibliches Antlitz verschafft [hat].«1 Ähnlich drückt sich Gunilla-Friederike Budde aus. In ihrer Monographie <Frauen der Intelligenz> geht sie davon aus, dass die »nicht nur klassen-, sondern auch geschlechtsspezifische Neubesetzung der Justiz in der DDR zu einem der wenigen gelungenen Teilversuche im Gesamtexperiment gesellschaftlicher Umgestaltung [gehört]. [...] Im Unterschied zu den Hochschulen, Universitäten und Akademien der DDR [...] schien die Ostdeutsche Justiz Schauplatz einer weiblichen Erfolgsgeschichte [zu sein]2.«
Diese Beurteilung bedarf aus guten Gründen einer genauen Untersuchung. So mutet es seltsam an, dass ausgerechnet das seit Jahrhunderten von Männern dominierte Berufsfeld <Justiz> diese Sonderrolle ausfüllen sollte. Noch 1921 votierten schließlich auf dem deutschen Richtertag annähernd 98% der Vertreter gegen die Zulassung von Frauen zu den juristischen Prüfungen - mit Begründungen obendrein, die keineswegs gut gealtert sind: Haupthindernis für die erforderliche «richterliche Objektivität> sei »die seelische Eigen- art«3 der Frau. Die »Natur des Mannes« ließe es, nach Meinung der hohen Herren, nicht zu, dass er »unter den Willen« einer Frau geriete. Ein Nimbus des »unweiblichen«4, so drückt sich Gunilla-Friederike Budde treffend aus, haftete dem Beruf des Juristen an. Wie lässt sich dieser Wandel erklären?
Um die Frage zu beantworten, ob die »Ostdeutsche Justiz Schauplatz einer weiblichen Erfolgsgeschichte«5 war, gilt es zuerst einmal den Begriff des <Erfolgs> näher zu definieren und für diesen Kontext fruchtbar zu machen. Denn was ist schon <Erfolg>?
Zweitens soll die Geschichte der rechtswissenschaftlichen Frauenemanzipation kurz von ihren Anfängen bis zur bedingungslosen Kapitulation 1945 nachgezeichnet werden, um auf diese Weise die Ausgangslage aufzuzeigen, unter denen sich das Eigengewächs Deutsche Demokratische Republik ab 1949 entfalten durfte.
Drittens gilt es zu verstehen, auf welche Weise ab 1945 die Rädchen des SBZ/DDR- Rechtswesens ineinandergriffen. Hierbei steht weniger die Frage im Vordergrund, ob und wie Justitia ab 1946 am Rockschoß der SED hing, sondern viel eher wie die Personalpolitik aussah, was sich hinter dem marxistisch-leninistischen Rechts- und Geschlechterver- ständnis verbarg und welche Organisationsprinzipien der Rechtsprechung unterlagen.
Sind auch diese Fragen geklärt, bietet es sich viertens an, die Rolle der <Frau> oder präziser der <Richterin> im System der SED zu analysieren. Richterin ist schließlich nicht gleich Richterin. Wie genau emanzipierten sich Juristinnen östlich der innerdeutschen Grenze im Kontext von Staat und Gesellschaft? Rechtfertigen die Umstände schlussendlich jenes Urteil, wonach »die Ostdeutsche Justiz Schauplatz einer weiblichen Erfolgsgeschichte [gewesen war]«6 ?
2 Was ist Erfolg?
Als die DDR 1990 ihr Ende fand, wurden von den 1479 Bewerbungen der DDR-Juristen (Richter und Staatsanwälte) 821 in den Dienst der Bundesrepublik übernommen, das entspricht einer Quote von annähernd 55%. Schlüsselt man nun diese Zahlen nach Geschlecht und Profession auf, so ergibt sich ein faszinierendes Bild. Nicht die Richter stellten die meisten Anträge, sondern mit annähernd 54% die Richterinnen.7 Das Ge- schlechterverhältnis überrascht nur bedingt. Nicht wenige DDR-Juristen beendeten aus unterschiedlichsten Gründen nach 1989 ihre Karriere und hatten sich daher gar nicht erst auf Übernahme beworben. Dementsprechend relativieren sich die Zahlen, zieht man die Statistik über die DDR Richterwahlen 1989 zu Rate. Von den 331 in diesem Jahr gewählten Richtern waren 150 Frauen (45,3%). Durchaus eine beeindruckende Quote, nicht nur im Vergleich mit den annähernd 18% der Bundesrepublik8, sondern auch zu heute (49,08% im Jahr 2022)9. Vergleicht man die Zahlen, kann man also ohne Zweifel von einem Misserfolg für die Bundesrepublik sprechen und ebenso von einem Erfolg für die DDR. Aber war es auch ein Erfolg für die Emanzipation und die einzelne Frau? Ist eine hohe Frauenquote in der Beschäftigung gleichzusetzen mit einem hohen Grad an Emanzipation? Diese Frage ist ebenso wichtig wie die folgende: Stand Frauen auf der Karriereleiter der Weg bis in die Führungspositionen offen - oder stellten sie lediglich das Personal für Kreis- und Bezirksgerichte?
Festzustellen sei an dieser Stelle, dass ein Urteil über den <Erfolg> nicht nur anhand der Zahlen getroffen werden sollte, es gilt daher Ursachenforschung zu betreiben. Doch zunächst ein Blick zurück zu den Wurzeln.
3 Der lange Weg nach Ostberlin
Die Entwicklung hin zur Gleichstellung der Frau - ob beruflich, wirtschaftlich, rechtlich oder politisch - war und ist ein langwieriger und noch nicht vollständig abgeschlossener Prozess. Bezogen auf die Justiz war der Vorgang geprägt von einer Vielzahl kleiner - man ist geneigt zu sagen: hart erkämpfter - Errungenschaften, welche die im 19. Jahrhundert vorherrschende Ansicht infrage stellten, wonach der Frau als »dem Mann geistig Unter- legenen«10 der Zugang zur intellektuellen Ausbildung verwehrt bleiben sollte. Der Besuch des Gymnasiums war Mädchen ebenso versagt wie die Zulassung der zum Studium nötigen Reifeprüfung. Dieses entscheidende Defizit in der persönlichen Bildung von jungen Mädchen zu beseitigen - der zentralen Ausgangsbedingung für eine starke, weibliche Intelligenz - war stets eines der wichtigsten Anliegen der Frauenbewegung.
Unter anderem Helene Lange und Hedwig Kettler brachten während der letzten Jahre des 19. Jahrhunderts die ersten erfolgreichen Absolventinnen des Abiturs hervor, und auch wenn den jungen Frauen das Studium an deutschen Universitäten noch verboten war, so war es doch möglich, mit behördlicher Genehmigung, als Gasthörerin Vorlesungen zu besuchen oder im Ausland (so beispielsweise in Zürich) zu studieren. Schließlich öffneten sich 1900 bis 1907 auch für Frauen die deutschen Universitäten. Zu dieser Zeit durfte die Welt auch ihre ersten Rechtsanwältinnen bestaunen, wenn auch noch nicht in Deutschland. Dort berechtigte das Studium der Rechtswissenschaft zunächst nur zur Promotion; das erste und zweite Staatsexamen blieb Frauen noch immer verwehrt. Erstmals 1912 gestattete es das Königreich Bayern seinen Frauen den Zugang zum ersten Staatsexamen. Das Rechtsreferendariat und damit das zweite Staatsexamen - die Voraussetzung für die Qualifikation zum Richteramt - blieb den Frauen jedoch weiter verschlossen. Die entscheidende Wende im Kampf um die Zulassung zum zweiten Staatsexamen brachte die Weimarer Republik: die Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts für Frauen und die Zulassung »entsprechend ihrer Befähigung und ihren Leistungen zu den öffentlichen Ämtern«11, bescherte den Frauen entgegen tiefgreifender gesellschaftlicher Widerstände schlussendlich den Zugang zur Rechtsanwaltschaft und zum Richteramt.
Die Gleichstellungsbemühungen erlitten jedoch nach dem Ende der Weimarer Republik sukzessive schwerste Rückschläge. Das nationalsozialistische Frauenbild entsprach einer patriarchalen Geschlechterordnung in welcher das Konzept der Volljuristin, insbesondere wenn diese jüdischstämmig war, keinen Platz hatte. Die Justiz, so hieß es, sei allein Angelegenheit der Männer. Die nationalsozialistischen Rassegesetze verdrängten in der Folge sowohl Juristinnen im Staatsdienst, als auch die weibliche Anwaltschaft aus ihren Stellungen. Auch der zweite Weltkrieg änderte an dieser Maxime nicht viel. Frauen war es höchstens gestattet, in der Verwaltung zu arbeiten, und das auch nur aufgrund des eminenten Personalmangels. Es ist festzuhalten: so vielversprechend und hart erkämpft die ersten Schritte der emanzipierten Juristin auch war, so tief war der Fall während der Jahre 1933 bis 1945.12
4 Marxismus-Leninismus
»Zum erstenmal seit 1933, seit das Naziregime entsprechend seiner überheblichen <männlichen> Ideologie die Frau ausnahmslos aus den verantwortlichen öffentlichen Aemtern herausdrängte, saß gestern eine Frau am Richtertisch. Es war Frau Tracinski, die Vorsitzende der 26. Kammer des Arbeitsgerichts Berlin. Die Tatsache, daß hier ein weiblicher Richter amtierte, darf als ein Beweis dafür angesehen werden, daß heute die Frau gleichberechtigt neben dem Mann im öffentlichen Leben steht. [...] So dürfen wir überzeugt sein, daß sich das neue Arbeitsgericht sehr bald seinen Ruf zurückerwerben wird, den es zur Nazizeit so gründlich eingebüßt hat.«13
- Berliner Zeitung, 1946
Wie der Phönix aus der Asche vollzog sich mit der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 die Wiedergeburt Justitias in den Besatzungszonen. Man war sich unter den Alliierten einig, dass das Rechtswesen - im Besonderen aber die Rechtsprechung - zur Schaffung und Aufrechterhaltung des nazionalsozialistischen Regimes von außerordend- licher Bedeutung gewesen war und es daher einer grundlegenden Reform bedurfte. Wie aber sollte diese aussehen?
4.1 Rechtsverständnis
Rechtsstaatlich, Unabhängig, Freiheitsbetont - so stellt man sich für gewöhnlich eine unter bürgerlich-liberalen Prinzipien geborene Justiz vor, wie sie später in der Bundesrepublik Anwendung fand. Dieser demokratische Idealstaat definiert sich in seinem Kern durch die Teilung der Gewalten. Der sozialistische Staat hingegen, ebenso wie sein Rechtswesen, betont stets seine Einheitlichkeit. Wenn jener marxistische <Klassenantagonismus> erst einmal nachhaltig durchbrochen und Arbeiter wie Bauern das Volk bestimmen, so definiert sich das Volk in seiner Homogenität durch den Staat selbst und seinem nach dem Pyramidenschema aufgebauten Apparat, mit einer - respektive der - Partei an der Spitze.14
»Man soll beherzigen, dass es ein alter revolutionärer und demokratischer Grundsatz ist, dass man einen Staat dann umwandelt, wenn man zwei Dinge in der Hand hat: Die Polizei und die Justiz. Die Polizei hat man in der Hand, die Justiz noch nicht. Dass wir sie in die Hand bekommen, sollte unser Ziel sein.«15
- Ernst Melsheimer (SED)
In diesem System kommt nun dem Rechtswesen eine durchaus gesondere Rolle zugute. War die Justiz zuvor als <Waffe> des <Klassengegners> empfunden worden, befanden sich die Kommunisten in der sowjetischen Besatzungszone 1945 erstmals in der Lage, Recht und Gesetz nach ihren politischen Vorstellungen auszukleiden. Die Justiz war keine unabhängige Gewalt, sondern ein Instrument der gesellschaftlichen Transformation. Sozusagen ein <Hebel> zur Errichtung des Sozialismus.16 Das Recht »staatlicher Ausdruck der Interessen und des politischen Willens der Arbeiterklasse.«17
Umso wichtiger war es daher sicherzustellen, dass das Personal ihr Amt zuverlässig »zum Wohle des werktätigen Volkes und ihres sozialistischen Staates«18 ausübt. Unter anderem für diesen Zweck bedurfte es eines neuen und auf die noch junge DDR zugeschnittenen Gerichtsverfassungsgesetzes, sozusagen der verfassungsrechtlichen Grundlage der Gerichtsbarkeit. Im <Gesetz über die Verfassung der Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik vom 2. Oktober 1952 wurde in 72 Paragraphen dafür Sorge getragen. Die Rechtssprechung soll hierbei »der Deutschen Demokratischen Republik [...], dem Aufbau des Sozialismus, der Einheit Deutschlands und dem Frieden [dienen].«19 Die Richter sind »in ihrer Rechtsprechung unabhängig und nur der Verfassung und dem Gesetz unterworfen.«20 Die Voraussetzung für die Tätigkeit ist »der Erwerb einer juristischen Ausbildung auf einer dazu bestimmten Ausbildungsstätte.«21 Die Rechtssprechung wird hierbei in Straf- und Zivilverfahren22 ausgeübt »durch das Oberste Gericht [.], die Bezirksgerichte und die Kreisgerichte«23, jeweils besetzt mit einem Direktor, der erforderlichen Anzahl von (Ober-)Richtern und im Falle des OG unter anderem mit Präsident und Vizepräsident.24 Als Leitungsorgan dient ab 1974 das Ministeriums der Justiz (MdJ), der Ersatz für die aufgelösten Justizverwaltungsstellen.25 Diesem fiel unter anderem die Personalpolitik - sogenannte Kaderpolitik - anheim.26 Es galt: Wer »Richter werden und bleiben wollte, war auf das Wohlwollen der SED angewiesen [.]«.27 Ein Richter war nur unabhängig, solange er »in Durchsetzung der objektiven Gesetzmäßigkeiten die der Politik der marxistisch-leninistischen Partei und der sozialistischen Staatsmacht, seine Rechtsprechung zu einer planmäßigen, gesellschaftlich gestaltenden Kraft macht.«28
Bis zur Wiedervereinigung wurde die Rechtssprechung der DDR immer wieder durch Gesetze, Erlasse und Statuten angepasst, respektive das Gerichtsverfassungsgesetz geändert, sodass sich die Strukturen nur mit gewisser Schwierigkeit nachvollziehen lassen. Die Tendenz ist jedoch eindeutig: Nach dem Aufbau der zentralstaatlichen Justiz galt es, Auf- sichts- und Kontrollmechanismen zu schaffen und eine klar geordnete Hierarchie unter der Leitung des Ministeriums der Justiz aufzubauen, als das zu jeder Zeit die SED ihren Einfluss geltend machen konnte. Wie Walther Ulbricht sagte, »es muss demokratisch aussehen, aber wir [SED] müssen alles in der Hand haben.«29
Selbstverständlich gab es auch in der DDR nicht wenige Fälle von gewöhnlicher Kriminalität, welche auch wie gewöhnliche Fälle strafrechtlich verhandelt und entschieden wurden, nicht selten mit großem Engagement der beteiligten Staatsdiener. Oder Streitigkeiten, welche zivilrechtlich gelöst werden konnten. Allerdings gab es auch sogenannte <Schauprozesse>, wie der Prozess gegen die Deutsche Conti-Gas-Gesellschaft 1949, der als <Dessauer Schauprozess> in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Ziel und Ergebnis waren in diesem exakt vorgegeben, der Prozess selbst diente lediglich dazu die Enteignung volkswirtschaftlich bedeutsamer Betriebe zu rechtfertigen.30
4.2 Geschlechterverständnis
»Der erste Klassengegensatz-«, so schreibt Friedrich Engels, »[.] fällt zusammen mit der Entwicklung des Antagonismus von Mann und Weib in der Einzelehe, und die erste Klassenunterdrückung mit der des weiblichen Geschlechts durch das männliche.«31 Das Patriarchat ist nach seiner Auffassung ein Verhältnis der Klassenherrschaft, dass nur revolutionär überwunden werden kann. Die Emanzipation der Frau ist nur möglich, »sobald [sich] diese auf großem, gesellschaftlichem Maßstab an der Produktion [...] beteiligen kann, und die häusliche Arbeit sie nur noch in unbedeutendem Maß in Anspruch nimmt.«32 Auf Grundlage dieser Theorie war die Gleichberechtigung der Frau in der DDR staatlichen Lenkungsprozessen unterworfen; eine hohe weibliche Erwerbstätigkeit wurde für gewünscht erklärt.33 So hieß es in der Verfassung von 1949, dass »Mann und Frau [...] gleichberechtigt [sind]«34, sowie »Mann und Frau, Erwachsener und Jugendlicher [...] bei gleicher Arbeit das Recht auf gleichen Lohn [haben].35 Gesetze und Bestimmungen, die die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Familie beeinträchtigen, [seien] auf- gehoben.«36
Frauen war es also möglich, ihr eigenes Geld zu verdienen, wirtschaftlich unabhängig zu werden und auch <Männerberufe> zu ergreifen. Gleichsam wurde von ihnen aber erwartet, nicht nur voll berufstätig zu sein, sondern auch den Haushalt zu meistern, ihren Kindern eine »liebevolle Mutter-« und ihrem Mann eine zwar »beruflich gleichberechtigte, aber dennoch fürsorgliche Ehefrau« zu sein. Um dies zu gewährleisten, setzte die SED während der 70er eine Reihe von sozialpolitischen Maßnahmen um; so beispielsweise Kinderkrippen, -gärten und -horte.37 Gleichberechtigung in der DDR hieß - so fasst Anna Kaminsky zusammen - Arbeiten wie die Männer.38 Fragt man sich in der Folge ob es ihnen frei stand, sich gegen dieses gesellschaftliche Leitbild zu stellen und einen anderen Lebensweg einzuschlagen, so zeigt sich ein komplexes Bild. Diese - als »Heimchen am Herd« oder auch »Schmarotzerinnen« beschimpften - Frauen, wurden »propagandistisch an den Pranger gestellt«.39 Und nicht nur das: Ab dem 6. April 1968 wurde die <Pflicht zur Arbeit> in der DDR-Verfassung verankert. »Das Recht auf Arbeit und die Pflicht zur Arbeit bilden [danach] eine Einheit.«40
Ist es daher überhaupt angebracht, von erfolgreicher Emanzipation zu sprechen, wo der Ausdruck doch in sich eine erfolgreiche Eigenständigkeit voraussetzt und damit die Möglichkeit freie Entscheidungen zu treffen? Wenn man bedenkt, dass »Menschen, die sich aus <Arbeitsscheu> einer geregelten Arbeit entzögen, [...] mit Arbeitserziehung bzw. Freiheitsentzug von zwei bis fünf Jahren bestraft werden«41 konnten, fällt einem dies doch ziemlich schwer. Nimmt man die moderne freiheitsbasierte Vorstellung der weiblichen Emanzipation als Grundlage, ist eine hohe Frauenquote in der Beschäftigung jedenfalls nicht gleichzusetzen mit einem hohen Grad an Emanzipation.
5 Weiblich - Sozialistisch - Intelligent
Die Juristin gehörte in der DDR zur gesellschaftlichen Elite und war nach offiziellem Sprachgebrauch - daran gibt es keinen Zweifel - ein Teil der sozialistischen Intelligenz>.
Schon zweifelhafter ist die <Juristin> selbst, respektive die allumfassende Verwendung des Begriffes. Denn wie sich bei genauerer Analyse herausstellt, lässt sich zwischen 1949 und 1989 ein Gefälle zwischen den Generationen ausmachen.42
5.1 Volksrichter
Geboren zur Zeit des Kaisers oder der Weimarer Republik, gehörten die »Aktivistinnen der ersten Stunde«43 zur Generation des rigorosen Umbruchs. Ihre Identität ist eng verbunden mit der deutschen Arbeiterbewegung - geprägt von einem »traditionelle[n], pro- pagandistisch-orthodox[en] Bild von Kapitalismus und Imperialismus«44, geprägt auch von einem tief verwurzelten Antifaschismus nach dem Ende des zweiten Weltkrieges.
Der Sowjetischen Militäradministration war es 1945 wichtigstes Anliegen, im Rahmen der <Entnazifizierung> konsequent die Entlassungen der nationalsozialistisch belasteten Juristen herbeizuführen. Nicht zuletzt nach dem SMAD-Befehl Nr. 4945, bedeutete eine Mitgliedschaft in der NSDAP ausnahmslos der Ausschluss aus dem juristischen Dienst.46 Einhergehend mit dem Aufbau einer gänzlich neuen und hierarchisch-zentralistischen Justiz hatte dieses Prozedere nun aber zur Folge, dass sich eine ausgeprägte Richternot bemerkbar machte.47 Doch ein erfolgreiches Studium der Rechtswissenschaften braucht seine Zeit. Um das Problem kurzfristig anzugehen, hieß es daher bereits 1945 in einer Verfügung, dass »auf Anregung der Sowjetischen Militärverwaltung [...] wegen des Mangels an Richtern ein Lehrgang eingerichtet werden [soll], mit dem geeignete Kräfte [Juristische Laien] aus allen Kreisen der Bevölkerung, Männer und Frauen, zu Richtern herangebildet werden.«48 Bereits im Mai 1945 wurden für diesen Zweck insbesondere Arbeiter und Angestellte während zweier Monate juristisch geschult und als »Richter im Soforteinsatz« an die Gerichte geschickt.49 Darunter befanden sich 25 bis 30 Frauen, unter anderem Dorothea Stolzenburg am Amtsgericht Stralsund.50 Die Maßnahme vollbrachte jedoch keine Wunder - die eklatanten Lücken in der Personaldecke gerieten zunehmend außer Kontrolle. Um diesem Problem erfolgreich entgegenzuwirken, wurden sogenannte <Volksrichterkurse> eingeführt, welche noch vor Gründung der DDR die ersten Frauen nach »sowjetischem Vorbild«51 52 für den Beruf der Richterin vorbereiteten. Frauen aus ganz unterschiedlicher gesellschaftlicher Herkunft, »[.] von der ungelernten Fabrikarbeiterin bis zur Abiturientin [...].«52 Und doch vereinte die Teilnehmer etwas: Annähernd 80% waren Mitglieder der SED, der Frauenanteil betrug immerhin 25% bis 30%.53
Aufbau und Inhalt dieser Kurse war Stoff langwieriger Debatten; nicht zuletzt aus der Tatsache heraus, dass beides an den politischen Vorstellungen der Partei ausgerichtet war und daher insbesondere der inhaltliche Aspekt mit den Jahren immer weiter ins Hintertreffen geriet54. Unabhängig jedoch der Eignung dieser als Schmalspur- oder Galopp- juristen>55 diffamierten Richter aus der Kaderschmiede der SED sollte man nicht davon ausgehen, dass sie lediglich Pflaster für die Wunde waren. Ursprünglich ausgebildet um Lücken in der Personaldecke zu schließen, prägten sie bald die erste Generation von Juristen und Juristinnen, stellten 1950 annähernd 61% der Belegschaft und besetzten an Kreis- und Bezirksgerichten, ja selbst am OG, teils wichtige Positionen. Diese Zahlen sind jedoch nicht nach Geschlecht aufgeschlüsselt. Stand auch Frauen die Karriereleiter offen? Diese Frage verschieben wir auf 5.3.
5.2 Studenten
Durch die <Gnade der späten Geburt>, wie es Helmut Kohl einst so treffend ausdrückte, galt die während des Nationalsozialismus geborene Generation auch in der SBZ/DDR als weithin unbelastet. Diese Juristen der Zukunft? wuchsen an der Seite ihres Landes auf, erlebten und lebten während der 50er und 60er Jahre den selbstbewussten Aufbau der <neuen Ordnung> und besetzten bald einen nicht unbedeutenden Anteil wichtiger Kaderpositionen. Im allgemeinen parteiloyal und arriviert, waren sowohl angehende Juristen als auch Juristinnen die ersten, welche von der völligen Umstrukturierung des rechtswissenschaftlichen Studiums profitierten56 57, sich auf diese Weise akademisch qualifizieren und den Titel des <Diplom-Juristen>57 erhielten.
Da Studienplätze stets nur nach aktuellem Bedarf vergeben wurden, war es den Zulassungskommissionen möglich, eine Auswahl streng nach Eignung und Gesinnung zu tätigen;58 nicht ohne Grund verpflichtete man sich als angehender Student schriftlich, auf Kontakte in den <Westen> zu verzichten.59 Absolute Linientreue war aber nicht nur Voraussetzung, sondern musste auch gelebt werden. Abberufungsverfahren gegen Richter und Richterinnen waren keine Seltenheit und geschahen für gewöhnlich aus politischen Gründen.
»Entweder du machst es so, wie sie es wollen, und glaubst, es ist vielleicht doch richtig, oder du verläßt den Beruf, hast dein Studium umsonst gemacht und fängst wieder von vorne an. Und deine Familie ist ja auch noch da.«60
- Rudi Beckert (Oberrichter am OG)
Etwas anders stellten sich die Ausgangsbedingungen der jüngsten Generation(en) dar. Geboren, aufgewachsen und sozialisiert in der DDR, war ihr Staat für sie alltäglich und die Verantwortung, Beruf und Familie zu vereinbaren, selbstverständlich. Es wurde, sowohl von offizieller als auch inoffizieller Seite, von ihnen erwartet, das System kommentarlos anzunehmen und zu verinnerlichen. Eine neue Generation wuchs heran. Es war die letzte, die noch in der DDR ausgebildet werden sollte.61
Was die Beschäftigung der Frauen 1989 betrifft, so zeigen die Zahlen ein eindeutiges Bild. Wie bereits angesprochen, hielt sich die Frauenquote erstaunlich hoch (45,3%), doch zeigt uns die Statistik nicht, wie viele dieser Frauen sich in Führungspositionen befanden. Wie wohl von offiziellen Daten nicht anders zu erwarten, wird auf die soziale Herkunft Wert gelegt (67,7% Arbeiter, nur 8,5% Intelligenz), wichtige Kriterien waren außerdem die Parteizugehörigkeit (96,4% SED) und die altersmäßige Zusammensetzung.62 Und doch ist gerade für die Frage des <Erfolgs> das Aufschlüsseln der Zahlen nach jeweiliger Position von entscheidender Bedeutung. Es lohnt sich daher einmal näher hinzusehen.
5.3 Karrierefrauen
Karrierefrauen waren im keine Seltenheit in der DDR. Herta Schellbach ist ein Beispiel, die nach ihrer Tätigkeit in Merseburg und Halle schließlich am obersten Gericht landete; oder Luise Kroll, Direktorin des Amtsgerichts Genthin und spätere Rechtsanwältin; oder Edith Wegener, einst Teilnehmerin am dritten Volksricherlehrgang und spätere Landrichterin für Zivil- und Strafrecht.63 Es sind zu viele, als dass man sie alle auflisten könnte. Diese Hausarbeit beschränkt sich auf eine ganz bestimmte Biographie - wohl eine der beeindruckensten der gesamten DDR. Einst oberste Richterin des Staates und erste Justizministerin der Welt, war Hilde Benjamin über Grenzen hinweg die Symbolfigur der marxistisch-leninistischen Justiz. Ihr Werdegang war keineswegs Prototyp für DDR-Juristinnen, doch eignet sich ihre Biographie wie kaum eine zweite um die Umstände für Frauen im Extrem nachzuzeichnen: Geboren im Jahre 1902 als Helene Marie Hildegard Lange, verlebte Hilde Benjamin eine bürgerliche Kindheit in Berlin.64 Als fleißig und zielbewusst geltend, schloss sie 1918 das Lyzeum ab, Gymnasium und Abitur folgten bald darauf. 1921 entschied sich die politisch interessierte, linksorientierte Neunzehnjährige für das Studium der Rechtswissenschaften und legte drei Jahre später die erste juristische Staatsprüfung ab. Sie studierte zu jener Zeit, in der es Mädchen zwar erstmals erlaubt war zu studieren, doch nur gegen den Widerstand einer männerdominierten Studenten- und Dozentenwelt.65
Im April 1929 dann eröffnete die junge Rechtsanwältin ihre eigene und schon bald sehr erfolgreiche Kanzlei.66 Der Aufstieg Hitlers jedoch änderte ihr Leben und das ihres Mannes grundsätzlich. Sie erhielt Berufsverbot, er wurde festgenommen und starb schließlich im Konzentrationslager.67 Mit dem Ende des Krieges begann Hilde Benjamins Karriere. Vom sowjetischen Kommandanten erhielt sie 1945 den Auftrag, das Gericht im Bezirk Steglitz-Lichterfelde neu zu organisieren, sie selbst fungierte als Staatsanwältin.68 Als die bereits erwähnte Richternot allzu offenkundig wurde, war es Hilde Benjamin, die von der Militärverwaltung mit der Ausarbeitung des Ausbildungskonzeptes der <Volksrichter> beauftragt wurde. Es war ihr vielleicht wichtigstes Anliegen, die »Restauration der alten, privilegierten Richter- und Staatsanwaltschaft, der alten bürgerlichen Justiz zu verhindern.«69
1949 dann gipfelte ihre Karriere - pünktlich zur Gründung der DDR - in der Ernennung zur Vizepräsidentin und Vorsitzenden Richterin des Ersten Strafsenats des Obersten Gerichts, in deren Funktion sie neben einer Vielzahl von alltäglichen Verfahren auch so manchen Schauprozess verhandelte.70 Daraufhin wurde sie im Jahr 1953 als erste Frau zur Ministerin der Justiz ernannt, einen Posten, den sie erfolgreich bis 1967 verteidigte.71 In den verbleibenden Jahrzehnten bis zu ihrem Tod nur wenige Monate vor dem Fall der Mauer lehrte sie an der Akademie für Staat und Recht.72
In all den Jahren ihres Schaffens fiel Hilde Benjamin vor allem durch ihre Förderung von Frauen auf. Ihrem Einsatz ist es zu verdanken, dass es Frauen theoretisch wie praktisch möglich war, die Volksrichterlehrgänge erfolgreich abzuschließen. Ihr war es stets ein Anliegen, der vielschichtigen Diskriminierung entgegenzuwirken. Wo es möglich war, lancierte sie Frauen auch in Führungspositionen. Sie war, so fasst es Gunilla-Friederike Budde zusammen, die »Fürsprecherinnen der Frauen der Intelligenz«73.
Und doch, ob Kultur, Wirtschaft oder Wissenschaft, nur wenige Frauen erlangten Zugang zu mittleren oder höheren Funktionen.74 Dieser Missstand zeigte sich besonders deutlich, bezieht man die politische Komponente in die Gleichung mit ein. Frauen waren auf jeder Ebene unterrepräsentiert, ob sie nun Mitglied der SED waren oder nicht. Zwischen 1949 und 1990 kletterte die Quote in der Volkskammer nicht ein einziges Mal höher als 35% und das bei einem generellen Durchschnitt von unter 30%75. Schlimmer noch sieht es bei den politischen Gremien aus. Lediglich vier Frauen wurde während all dieser Jahre ein Ministeramt zuteil, in Zentralkomitee und Politbüro sah die Quote ähnlich aus. Selbst bei Posten wie dem Amt des Bürgermeisters gingen Frauen zumeist leer aus.76 Wie war das bei Richtern?
Veröffentlicht im Jahre 1976, erörtert Hiltrud Kamin in einem Beitrag für die Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft (DDR) recht ausführlich die Entwicklung der Frau in der Justiz. Sie ist der Meinung, dass bereits »zum Zeitpunkt der Gründung der DDR bis zur Errichtung der Bezirks- und Kreisgerichte [...] Juristinnen, darunter Volksrichterinnen, leitende Funktionen in den Land- und auch Oberlandesgerichten sowie den Justizministerien der Länder«77 einnahmen. In der Folge erörtert sie kurz und prägnant den Lebensweg einer ganze Reihe Frauen in ebenjenen Positionen, doch nennt sie bis 1964 keine Zahlen. Für Anfang dieses Jahres schließlich führt sie zwei Frauen als Direktoren und sechs Frauen als stellvertretende Direktoren von Bezirksgerichten auf. An den Kreisgerichten betrug die Quote für weibliche Direktoren 20%, respektive 34% bei stellvertretenden Direktorinnen.78 Die generelle Frauenquote am Kreisgericht betrug annähernd 43%, bei den Inspekteuren der Bezirksgerichte jedoch nur 13%.79 Bei den betroffenen Frauen - so führt Kamin auf - entstand »zwangsläufig der Eindruck, daß beim Einsatz [...] in leitende[n] Funktionen höhere Anforderungen gestellt und besonders hervorragende Leistungen gefordert wurden.«80
All die Vorurteile über die <weibliche Eigenart> der früheren Jahrzehnte, die spezifisch weiblichen Rollenzuschreibungen, lebten auch in der DDR fort. Frauen wurden ins Ehe-, Vormundschafts- und Familienrecht abgeschoben, was einer Karriere an höheren Gerichten stets im Wege stand und häufig zulasten der professionellen Beurteilung ging.81
Auch für die Justiz wird also deutlich: Je höher die Position, desto kleiner der Anteil der Frauen, so jedenfalls in den 60ern. Und auch in den 70ern und schließlich ebenfalls während der 80er Jahre änderte sich an der Situation nur kaum etwas. 1979 stellten Frauen 23,2% der Direktoren an Kreisgerichten, ein Anstieg von 3,2% gegenüber 1964. 1989 betrug diese Quote immerhin annähernd 38%. Von den Richtern des Obersten Gerichts waren 1986 allerdings lediglich 27% Frauen.82 Die Quote wirkt vielleicht hoch gegenüber den annähernd 4% an Westdeutschen Verfassungsgerichten im selben Jahr83, dennoch entspricht sie keineswegs dem sozialistischen Ideal.
6 Fazit
Die sowjetisch geprägte DDR-Justiz> hat der «kommunistischen deutschen Diktatur> tatsächlich ein <weibliches Antlitz> verschafft, dieser Aussage des <djb> ist ohne Zweifel zuzustimmen. Und auch die <klassen- und geschlechtsspezifische Neubesetzung der Justiz>, wie sich Gunilla-Friederike Budde ausdrückt, hat sich <im Gesamtexperiment gesellschaftlicher Umgestaltung> durchaus bewährt. Das ausgerechnet dem stets von Männern dominierten Berufsfeld <Justiz> dieser Akt in Richtung Gleichberechtigung von Mann und Frau gelungen ist, mag an der sozialistischen Idee gelegen haben, an entschlossenen Persönlichkeiten wie Hilde Benjamin, doch auch und vor allem aufgrund der Tatsache, dass die Justiz von entscheidender Bedeutung für die Umgestaltung des Staates gewesen war, Mittel zum Zweck sozusagen und dennoch zur gleichen Zeit ein nationales wie internationales Aushängeschild.
So hoch die Quoten für die Beschäftigung der Frauen auch waren, die Umstände rechtfertigen das Urteil dennoch nur zum Teil, wonach <die ostdeutsche Justiz Schauplatz einer weiblichen Erfolgsgeschichte> gewesen war. Erfolgreiche Emanzipation lässt sich nicht auf Zahlen herunterbrechen. Sie erfordert nicht nur ein breites Feld an Betätigungsmöglichkeiten, sondern auch die Freiheit für die Frau sich im Zweifel gegen das vorgesehene Modell zu entscheiden. Und vor allem bedarf erfolgreiche Emanzipation, dass keinerlei staatlicher Zwang von außen anliegt oder gar Druck von der Gesellschaft aus. Weiterhin, dass unabhängig von Position und Funktion einer Richterin zu jedem Zeitpunkt die gleichen Pflichten, aber auch die gleichen Möglichkeiten offenstehen wie dem Richter.
Die sozialistische Bilderbuchkarriere Hilde Benjamins beweist eindrucksvoll, welche Möglichkeiten sich für linientreue Frauen der ersten Stunde ergaben. Ihr Beispiel ist jedoch nicht viel mehr als die Spitze eines Eisberges, gut sichtbar für alle. Unsichtbar dagegen ist das gewaltige Konstrukt unter der Wasseroberfläche: Auch in der DDR wurde an alten Vorurteilen und Rollenbildern festgehalten. Frauen, die sich gegen einen Beruf entschieden, wurde das Leben schwer gemacht. Und von Gleichberechtigung in Führungspositionen kann auch in der DDR keine Rede sein.
<Erfolg> impliziert den Abschluss eines Prozesses, des Prozesses der absoluten Gleichberechtigung von Mann und Frau. Dieser Prozess jedoch - unabhängig von all den fortschrittlichen Ansätzen in Staat und Gesellschaft - war auch in der DDR zu keinem Zeitpunkt abgeschlossen.
7 Quellen- und Literaturverzeichnis
7.1 Quellen
Bundesamt für Justiz (Hrsg.): Richterstatistik 2022 [https://www.bundesjustizamt.de/Sha- redDocs/Downloads/DE/Justizstatistiken/Richterstatistik_2022.pdf?__blob=publica- tionFile&v=4], zuletzt abgerufen am 30.03.2025.
Sammlung von Zeitungsauszügen zu »Frauen in Männerberufen«, in: SAPMO-BA-DY30/ IV 2/17/25.
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch 1986 für die Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1986.
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch 1989 für die Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1989.
Volkskammer der DDR: Gesetz über die Verfassung der Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik vom 2. Oktober 1952 [https://www.verfassungen.de/ddr/gerichts- verfassungsgesetz52.htm], zuletzt abgerufen am 30.03.2025.
Volkskammer der DDR: Gesetz über die Verfassung der Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik vom 17. April 1963 [https://www.verfassungen.de/ddr/gerichts- verfassungsgesetz63.htm], zuletzt abgerufen am 30.03.2025.
Volkskammer der DDR (Provisorisch): Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1949 [https://www.verfassungen.de/ddr/verf49.htm], zuletzt abgerufen am 30.03.2025.
7.2 Literatur
Baer, Andrea: Rechtsquellen der DDR - Steuerung auf der normativ-symbolischen Ebene, in: Rottleuthner, Hubert (Hrsg.): Steuerung der Justiz in der DDR, Köln 1994.
Brentzel, Marianne: Die Machtfrau. Hilde Benjamin 1902-1989, Berlin 1997.
Budde, Gunilla-Friederike: Frauen der Intelligenz. Akademikerinnen in der DDR 1945 bis 1975, Göttingen 2003.
Bundesministerium der Justiz (Hrsg.): Im Namen des Volkes? Über die Justiz im Staat der SED. Katalog, Leipzig 1994.
Deutscher Juristinnenbund e.V. (Hrsg.): Juristinnen in Deutschland, Baden-Baden 31998.
Engels, Friedrich: Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats, Zürich 1884.
Fricke, Karl Wilhelm: Politik und Justiz in der DDR, Köln 21990.
Geißler, Rainer: Die Sozialstruktur Deutschlands. Ein Studienbuch zur Entwicklung im geteilten und vereinten Deutschland, Opladen 1992.
Herbst, Andreas / Ranke, Winfried / Winkler, Jürgen (Hrsg.): So funktionierte die DDR. Lexikon der Funktionäre, Reinbek bei Hamburg 1994.
Heydemann, Günther: Die Innenpolitik der DDR, München 2003.
Kamin, Hiltrud: Zur Entwicklung der Frauen in der Justiz der Deutschen Demokratischen Republik, Potsdam-Babelsberg 1976.
Kaminsky, Anna: Frauen in der DDR, Berlin [2]2017.
Lochen, Hans-Hermann: »Nachwuchskader« - zur Auswahl und Ausbildung von Juristen in der DDR, in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Im Namen des Volkes? Wissenschaftlicher Begleitband., Leipzig 1994.
Mollnau, Karl A. (Hrsg.): Rechtshandbuch für den Bürger, Ostberlin 1986.
Pfannkuch, Julia: Volksrichterausbildung in Sachsen 1945-1950, Frankfurt am Main 1993.
Rottleuthner, Hubert: Zur Steuerung der Justiz in der DDR, in: ders. (Hrsg.): Steuerung der Justiz in der DDR, Köln 1994.
8 Anhang
8.1 Berliner Zeitung vom 10. Juli 1946
Titel: Frau Vorsitzende hat das Wort84
Untertitel: Zum erstenmal: ein weiblicher Richter
Text: Zum erstenmal seit 1933, seit das Naziregime entsprechend seiner überheblichen »männlichen« Ideologie die Frau ausnahmslos aus den verantwortlichen öffentlichen Aemtern herausdrängte, saß gestern eine Frau am Richtertisch. Es war Frau Tracinski, die Vorsitzende der 26. Kammer des Arbeitsgerichts Berlin. Die Tatsache, daß hier ein weiblicher Richter amtierte, darf als ein Beweis dafür angesehen werden, daß heute die Frau gleichberechtigt neben dem Mann im öffentlichen Leben steht. [Absatz] Die streitigen Verhandlungen vor der 26. Kammer hatten die Frage der Berechtigung fristloser Entlassungen zum Gegenstand. [Absatz] Viele Umstände sprachen gegen den Kläger, einen jungen Mann, der unter dem dringenden Verdacht des Diebstahls entlassen worden war. Daß doch noch ein für ihn günstiger Vergleich zustande kam, hat er wohl ausschließlich dem Geschick zu verdanken, mit dem die Vorsitzende die Voraussetzungen dafür herausarbeitete. [Absatz] Ein Fahrer und ein Beifahrer eines großen Fuhrunternehmens hatten durch grobe Fahrlässigkeit den Diebstahl eines LKW-Anhängers möglich gemacht und ferner einem Kunden ihrer Firma übel mitgespielt, indem sie ihn nach Dahme in der Mark mitnahmen, dort aber zurückließen, als er sich nicht rechtzeitig zur Abfahrtszeit einstellte. Die Berechtigung der fristlosen Entlassung mußte das Gericht anerkennen, doch erhielten die Kläger das Recht auf eine Vergütung eines ihnen durch bereits geleistete Arbeit zustehenden Urlaubs zugesprochen. [Absatz] Bei der Klage eines Kellners gegen die Inhaberin einer Gastwirtschaft auf nachträgliche Entlohnung seiner neben der Kellnerarbeit geleisteten Dienste als Hausdiener drohte der Beklagten wiederholt das Temperament durchzugehen. Mit ihrer sehr bestimmten Sachlichkeit und ihrem leichten, verständnisvollen Humor ließ die Vorsitzende jedoch keine erregten Szenen aufkommen. Nach sehr gründlicher Prüfung der Sachlage erhielt der Kläger den rückständigen Lohn und die Beklagte eine Forderung über zuviel gezahlte Versicherung zuerkannt. [Absatz] Auffällig war die Gewissenhaftigkeit und nie erlahmende Geduld, mit der sich das Gericht um die Klärung des jeweiligen Sachverhalts bemühte und — erfolgreich bemühte. Das gilt übrigens nicht nur für die Verhandlungen der Frau Tracinski, sondern für alle Arbeitsgerichtsverhandlungen, denen wir bisher beiwohnten. [Absatz] So dürfen wir überzeugt sein, daß so das neue Arbeitsgericht sehr bald seinen Ruf zurückerwerben wird, den es zur Nazizeit eingebüßt hat. [Gezeichnet] Procontra
8.2 SMAD-Befehl Nummer 49
Befehl Nr. 49
des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradministration und Oberkommandierenden der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland.85
Vom 4. September 1945
Zwecks Beseitigung der nicht aufeinander abgestimmten Tätigkeit des deutschen Ge- richtsapparates in der von Sowjet-Truppen besetzten Zone befehle ich:
1. Das System der deutschen Gerichte in allen Provinzen ist in Übereinstimmung mit der Gesetzgebung, wie sie zum 1. Januar 1933 existierte, zu reorganisieren. In den Provinzen ist folgendes Gerichtssystem festzusetzen: Rayon-Gerichte (Amtsgerichte) nach Zahl der Rayons, Bezirksgerichte (Landgerichte) und Oberlandesgerichte.
2. Dem Direktor der zentralen deutschen Justizverwaltung, die Reorganisation der deutschen Gerichte in der sowjetischen Zone zum 1. Oktober d. J. durchzuführen. Die Chefs der SMA der Provinzen haben der zentralen deutschen Justizverwaltung die erforderliche Unterstützung bei dieser Arbeit zu gewähren.
3. Bei Durchführung der Reorganisation des Gerichtssystems sind sämtliche früheren Mitglieder der NSDAP aus dem Apparat der Gerichte und der Staatsanwaltschaft zu entfernen, ebenso die Personen, welche an der Strafpolitik unter dem Hitler-Regime unmittelbar teilgenommen haben.
4. Die Kontrolle über die Durchführung des vorliegenden Befehles übertrage ich dem Chef der Rechtsabteilung der SMAD, Karasseew.
Der oberste Chef der Sowjetischen Militäradministration und Oberkommandierende der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland
Marschall der Sowjetunion G. Shukow
Das Mitglied des Kriegsrates der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland Generalleutnant F. Bokow
Der Chef des Stabes der Sowjetischen Militärdaministration in Deutschland Generaloberst W. Kurasow
8.3 Statistische Übersicht über die Richterwahlen 1981 und 1986
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
8.4 Zusammensetzung der Volkskammer
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
8.5 Anteil der Frauen an Funktionen Ende 1966
Abb. in Leseprobe nicht enthalten868788
[...]
1 Deutscher Juristinnenbund e.V. 1998, S. 41.
2 Budde 2003, S 199.
3 Ebd., S. 200.
4 Ebd., S. 199.
5 Deutscher Juristinnenbund e.V. 1998, S. 41.
6 Budde 2003, S 199.
7 Deutscher Juristinnenbund e.V. 1998, S. 42.
8 Statistisches Bundesamt 1989, S. 321.
9 Bundesamt für Justiz (Hrsg.): Richterstatistik 2022, [https://www.bundesjustizamt.de/SharedDocs/Down- loads/DE/Justizstatistiken/Richterstatistik_2022.pdf?__blob=publicationFile&v=4], zuletzt abgerufen am 30.03.2025.
10 Deutscher Juristinnenbund e.V. 1998, S. 11.
11 Ebd., S. 20.
12 Ebd., S. 24-30.
13 Siehe Anhang 1.
14 Rottleuthner 1994, S. 18.
15 Ebd., S. 21.
16 Ebd., S. 19-23.
17 Mollnau 1986, S. 29.
18 Volkskammer der DDR: Gesetz über die Verfassung der Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik vom 17. April 1963 [https://www.verfassungen.de/ddr/gerichtsverfassungsgesetz63.htm], zuletzt abgerufen am 30.03.2025, §46.
19 Volkskammer der DDR: Gesetz über die Verfassung der Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik vom 2. Oktober 1952 [https://www.verfassungen.de/ddr/gerichtsverfassungsgesetz52.htm], zuletzt abgerufen am 30.03.2025, §2.
20 Ebd., §5.
21 Ebd., §11.
22 Ebd., §3.
23 Ebd., §1.
24 Ebd., §53-69.
25 Baer 1994, S. 82-84.
26 Bundesministerium der Justiz 1994, S. 37.
27 Ebd., S. 143.
28 Lochen 1994, S. 123.
29 Bundesministerium der Justiz 1994, S. 15.
30 Brentzel 1997, S. 173.
31 Engels 1884, S. 68.
32 Ebd., S. 68.
33 Deutscher Juristinnenbund e.V. 1998, S. 45.
34 Volkskammer der DDR (Provisorisch): Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Okto- ber 1949 [https://www.verfassungen.de/ddr/verf49.htm], zuletzt abgerufen am 30.03.2025, Artikel 7.
35 Ebd., Artikel 18.
36 Ebd., Artikel 30.
37 Heydemann 2003, S. 97.
38 Kaminsky 2017, S. 11-12.
39 Ebd., S. 15.
40 Ebd., S. 96.
41 Ebd., S. 96-98.
42 Deutscher Juristinnenbund e.V. 1998, S 47-49.
43 Ebd., S 48.
44 Ebd., S. 49.
45 Siehe Anhang 2.
46 Rottleuthner 1994, S. 10-12
47 Budde 2003, S. 201-203
48 Pfannkuch 1993, S. 10.
49 Deutscher Juristinnenbund e.V. 1998, S. 50.
50 Kamin 1976, S. 15.
51 Budde 2003, Seite 202.
52 Pfannkuch 1993, S. 176.
53 Deutscher Juristinnenbund e.V. 1998, S. 50.
54 Pfannkuch 1993, S. 139-141.
55 Ebd., S. 139.
56 Deutscher Juristinnenbund e.V. 1998, S. 51-53.
57 Bundesministerium der Justiz 1994, S.145.
58 Ebd., S 143.
59 Ebd., S. 145.
60 Ebd., S. 169.
61 Deutscher Juristinnenbund e.V. 1998, S. 54.
62 Siehe Anhang 3
63 Kamin 1976, S. 16.
64 Brentzel 1997, S. 13-20.
65 Ebd., S. 21-32.
66 Ebd., S. 36-38.
67 Ebd., S. 58-83.
68 Ebd., S. 125-129.
69 Ebd., S. 145.
70 Ebd., S. 171-173.
71 Ebd., S. 239.
72 Herbst 1994, S. 32-33.
73 Budde 2003, S. 210.
74 Geißler 1992, S. 245-247.
75 Siehe Anhang 4.
76 Kaminsky 2017, S. 61-68.
77 Kamin 1976, S. 37.
78 Siehe Anhang 5.
79 Kamin 1976, S. 66-68.
80 Ebd., S. 67.
81 Budde 2003, S. 217-224.
82 Deutscher Juristinnenbund e.V. 1998, S. 41.
83 Statistisches Bundesamt 1986, S. 328.
84 Sammlung von Zeitungsauszügen zu »Frauen in Männerberufen«, in: SAPMO-BA-DY30/IV 2/17/25
85 Fricke 1979, S. 30-31
86 Bundesministerium der Justiz 1994, S. 152.
87 Kaminsky 2017, S. 65.
88 Kamin 1976, S. 71.
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- Lukas Kaiser (Autor:in), 2025, Die Justiz als DDR-Erfolgsgeschichte? Zur Geschlechtergeschichte der DDR, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1582638