Am 5. April 2019 entscheidet das Schweizer Bundesgericht mit BGE 145 II 153, dass Homosexuelle durch den Diskriminierungsschutz «aufgrund des Geschlechts» im Gleichstellungsgesetz nicht geschützt sind. Rund ein Jahr später, am 15. Juni 2020, entscheidet der US-amerikanische Supreme Court das Gegenteil in Bezug auf den Diskriminierungsschutz «because of sex» im Civil Rights Act. In dieser Seminararbeit wird der Frage auf den Grund gegangen, warum diese zwei höchsten Gerichte beim praktisch gleichen Problem zu entgegengesetzten Ergebnissen gelangen und was das mit ihrem Verständnis von «Geschlecht» zu tun hat.
Zentral für die unterschiedlichen Ergebnisse ist dabei, dass der Supreme Court von einem Schutz des Individuums ausgeht, der jede Ungleichbehandlung, die irgendeinen natürlich kausalen Zusammenhang zum Geschlecht der betroffenen Person hat, verbietet. Dem gegenüber steht das Verständnis des Bundesgerichts, das davon ausgeht, dass es beim Gleichstellungsgesetz um die tatsächliche – das heisst hierarchische – Gleichstellung zweier Geschlechtsgruppen geht. Nach bundesgerichtlichem Verständnis ist deswegen ein Individuum nicht geschützt, solange insgesamt Angehörige beider Geschlechter für das die gleichen – aber je nach Geschlecht umgekehrten – Erwartungen verletzende Verhalten gleich stark diskriminiert werden (in diesem Fall die Erwartung, sexuell vom anderen als dem eigenen Geschlecht angezogen zu sein).
Das Bundesgericht stützt sich bei diesem Verständnis vor allem auf eine historische Auslegung. In dieser Arbeit wird entsprechend auch untersucht, inwiefern es in der Botschaft des Bundesrats und in der Parlamentsdebatte zum Gleichstellungsgesetz tatsächlich nur um eine hierarchische Gleichstellung von Frau und Mann ging oder inwiefern stattdessen auch bei einer historischen Auslegung der Schutz des Individuums vor Erwartungen aufgrund ihres Geschlechts ins Gleichstellungsgesetz interpretiert werden kann. Daneben wird der Frage nachgegangen, wie das Urteil des Bundesgerichts im Verhältnis zu einem sozialwissenschaftlichen Verständnis von Geschlecht steht und was das Urteil für Fälle der Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität bedeutet.
Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Was bedeutet «Geschlecht»?
2.1 Sex, Gender, Desire und Doing Gender
2.2 Kritische Geschlechtertheorie im (Antidiskriminierungs-)Recht
3. Diskriminierungsschutz in der Schweiz
3.1 Völkerrecht
3.2 Verfassungsrecht
3.3 Gesetzesrecht
4. BGE 145 II 153: Ausschluss der sexuellen Orientierung
4.1 Das Urteil
4.2 Was versteht das Bundesgericht unter Geschlecht?
4.3 Bedeutung für Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität
4.4 Hierarchische Gleichstellung: Keine Berufung auf Geschlechts Nonkonformität?
4.5 Trotzdem Klagesubjekt Frau und Mann - was wollte der Gesetzgeber nun?
4.5.1 Botschaft zum Gleichstellungsgesetz
4.5.2 Parlamentsdebatte
5. Bostock v. Clayton County: Einschluss von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität
5.1 Das Urteil
5.2 Die Unterschiede
6. Schluss
Literaturverzeichnis
Zitierweise: Die nachstehenden Werke werden mit den Nachnamen der Autor_innen sowie mit den Seitenzahlen oder den Randnoten zitiert.
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abkürzungsverzeichnis
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
«But I do not know how to state my crime. My crime, in some odd way, is in being a man.»[1] James Baldwin
1. Einleitung
In der Schweiz sieht Art. 3 GlG vor, dass Arbeitnehmer_innen2 nicht «aufgrund ihres Geschlechts» diskriminiert werden dürfen. Ähnlich lautet Art. 2000e-2 lit. a Ziff. 1 des 42. Titels3 des U.S.C. des Bundesrechts der USA, der es verbietet «to discriminate against any individual with respect to his (...) sex». In beiden Ländern musste sich das höchste Gericht kürzlich mit der Frage auseinandersetzen, ob diese Antidiskriminierungsnormen auch vor einer Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung4 schützen. In den USA bestand zusätzlich die Frage, ob auch ein Schutz vor Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität5 eingeschlossen ist. Das Schweizerische Bundesgericht verneinte mit BGE 145 II 153 am 5. April 2019 den Einschluss der sexuellen Orientierung. Rund ein Jahr später, am 15. Juni 2020, entschied der US-amerikanische Supreme Court im Fall Bostock v. Clayton County das Gegenteil und bejahte beide Fragen.6
Wie können zwei Gerichte beim praktisch gleichen Wortlaut des Gesetzes zu einem gegenteiligen Ergebnis kommen? Dafür gibt es zwei naheliegende Gründe: Erstens unterschiedliche Traditionen und Auffassungen dazu, wie Gesetzestexte auszulegen sind. Und zweitens unterschiedliche Verständnisse davon, was die Wörter Geschlecht beziehungsweise sex bedeuten. Diesen beiden Fragen möchte ich in dieser Arbeit nachforschen, um einerseits zu klären, wie ein gleicher Wortlaut so unterschiedlich interpretiert werden kann und andererseits, um herauszufinden, was das mit dem Verständnis von Geschlecht - von Gerichten und Gesetzgeber - zu tun hat. Dabei wird sich herausstellen, dass das Verständnis von Geschlecht an sich weniger relevant für die Beantwortung der Frage ist als die Verständnisse von Gleichstellung und Diskriminierungsschutz.
Wenn das Bundesgericht klären muss, was unter einem bestimmten Wort zu verstehen ist, so denkt es grundsätzlich nicht philosophisch oder sozialwissenschaftlich über die Bedeutung des Wortes nach. Neben der Frage der grammatikalischen Auslegung - für die das Verständnis des Wortes beziehungsweise des ganzen Artikels in seiner wörtlichen Bedeutung im Zentrum steht - sind nach dem Methodenpluralismus folgende Fragen gleich relevant: Die Frage danach, was der historische Gesetzgeber wollte, die Frage danach, was Sinn und Zweck des Gesetzes ist und die Frage danach, wie das Wort oder der diskutierte Artikel in der Systematik des entsprechenden Gesetzes einerseits und der gesamten Rechtsordnung andererseits zu verstehen sind. Doch auch bei diesen drei letztgenannten Auslegungsmethoden - der historischen, der teleologischen und der systematischen - spielen die Verständnisse von Geschlecht, Gleichstellung und Diskriminierungsschutz eine grosse Rolle. Was hatte der historische Gesetzgeber für ein Verständnis davon? Welche Diskriminierungsformen, die einen Zusammenhang mit Geschlecht aufweisen, sind beim Zweck, eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu verhindern, noch eingeschlossen? Geht es beim Zweck um eine hierarchische Gleichstellung zweier - und nur zweier - Geschlechter oder um den Schutz und die Selbstbestimmung von Individuen?
In dieser Arbeit steht der Schweizer Entscheid im Vordergrund und der Entscheid des Supreme Courts dient als Gegenstück, um aufzuzeigen, wie anders ausgelegt werden könnte und wie Geschlecht, Diskriminierungsschutz und Gleichstellung anders verstanden werden könnten, als dies das Bundesgericht tut. Nicht Teil dieser Arbeit ist es hingegen, auf die Unterschiede der beiden Rechtsordnungen detailliert einzugehen. Die Rechtsordnung der USA wird nicht genauer untersucht. Im Fokus soll nicht ein juristischer Rechtsvergleich stehen. Stattdessen dient Bostock v. Clayton County dazu, BGE 145 II 153 besser zu verstehen und dessen Schwächen zu analysieren.
Auch die Frage der Intergeschlechtlichkeit soll hier explizit nicht behandelt werden. Einerseits, weil die Anwendung des Diskriminierungsschutzes aufgrund des Geschlechts darauf wenig umstritten ist, andererseits, weil dies nochmals neue Fragen aufwerfen würde, deren Beantwortung der Rahmen dieser Arbeit nicht zulässt. Auch nicht genauer behandelt werden in dieser Arbeit schliesslich Fälle vor anderen internationalen Gerichten. Es sei deshalb hier nur kurz auf einige Urteile mit Relevanz für die Schweiz hingewiesen. Ähnlich wie das Bundesgericht entschied der EuGH im Fall Grant v. South-West Trains 7 , gestand aber gleichzeitig in P v. S Transpersonen Schutz zu, jedoch indem er sie als eigene Geschlechtskategorie betrachtete.8 Ähnlich wie der Supreme Court entschied das United Nations Human Rights Committee im Fall Toonen v. Australia in Bezug auf UNO-Pakt II.9 Der EGMR wiederum lässt die Frage nach dem Einschluss von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität bei einer Diskriminierung wegen des Geschlechts unbeantwortet, da Art. 14 EMRK sowieso offen formuliert ist, beziehungsweise indem er eine Benachteiligung als Eingriff in Art. 8 und nicht als Diskriminierung nach Art. 14 EMRK wertet.10
Um einen theoretischen Hintergrund für die Analyse der Urteile zu haben, werde ich zuerst diskutieren, was Geschlecht bedeutet. Neben den wichtigsten Konzepten aus den (sozialwissenschaftlichen) Gender Studies werde ich dazu auch Konzepte aus den Legal Gender Studies diskutieren. Anschliessend gebe ich einen Überblick über den Diskriminierungsschutz in der Schweiz. Mit diesem Hintergrund werde ich danach den Bundesgerichtsentscheid detailliert analysieren. Dabei werde ich insbesondere die Botschaft - Kapitel 4.4 - und die Debatte der Bundesversammlung - Kapitel 4.5 - zum Gleichstellungsgesetz genau untersuchen. In Kapitel 5 schliesslich wird Bostock v. Clayton County herangezogen, um aufzuzeigen, wie das Urteil anders hätte ausfallen können. In jedem Teil der Arbeit werde ich immer auch die Verständnisse von Geschlecht, Diskriminierungsschutz und Gleichstellung, die zugrunde liegen, thematisieren.
Ziel dieser Arbeit ist es erstens BGE 145 II 153 umfassend zu analysieren und insbesondere mit den historischen Materialien kritisch zu überprüfen, zweitens mit Bostock v. Clayton County zu vergleichen und drittens ein möglichst verständliches und kohärentes Konzept zur Verknüpfung von Geschlecht und sexueller Orientierung in Bezug auf das Antidiskriminierungsrecht zu geben.
«[A]lthough courts could clearly see that aggressive women were not necessarily lesbians, they had a harder time deconstructing the conflation that lead to the conclusion that all effeminate men are gay.”11
2. Was bedeutet «Geschlecht»?
Wie das obige Zitat von Julie Greenberg zeigt, lässt sich die Frage, was Geschlecht bedeutet, gar nicht so einfach beantworten. In unserem Alltagsverständnis ist die Antwort leicht: Bei Geschlecht scheint es sich in erster Linie um eine biologische Gegebenheit zu handeln. Um körperliche Unterschiede, vor allem definiert über die Rolle bei der Zeugung von Kindern. Aber was ist ein verweiblichter Mann? Wie kann ein Mann gleichzeitig Mann und weiblich sein? Ist hier von seinem Körper die Rede? Und warum hat das etwas mit seiner sexuellen Orientierung - der Frage, von welchem Geschlecht er sich angezogen fühlt - zu tun? Der Online-Übersetzer dict.cc gibt neben verweiblicht auch folgende Übersetzungen für effeminate an: verweichlicht, weibisch oder unmännlich. Diese Adjektive beschreiben nicht einen biologischen Zustand, sondern Verhaltensweisen, vielleicht das äussere Erscheinungsbild. Es ergibt sich also klar: Geschlecht ist nicht nur etwas Biologisches. Es hat gleichzeitig auch sehr viel mit sozialen Vorstellungen zu tun.
2.1 Sex, Gender, Desire und Doing Gender
Die Sozialwissenschaften setzen sich mit der Frage nach der Bedeutung von Geschlecht intensiv auseinander. Seit der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts wird der Begriff Geschlecht aufgeteilt in biologisches und soziales Geschlecht beziehungsweise in Sex und Gender.12 Bereits SIMONE DE BEAUVOIR schrieb: «Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es»13. Sie verstand Geschlecht also nicht nur als etwas Biologisches sondern auch als etwas, das im Zuge der Sozialisation anerzogen wird. Erving Goffman betont die kulturelle Dimension von Geschlecht und spricht von einem - nicht natürlich gegebenem - Arrangement.14 Das bedeutet, dass Geschlecht oder unsere Vorstellung davon «ein historisches, gesellschaftlich-kulturelles Produkt»15 sind. Candace West und Don H. Zimmerman beschreiben Geschlecht als etwas, das durch ein Tun entsteht und sprechen von «doing gender as an ongoing activity embedded in everyday interaction»16. Geschlecht in seiner sozialen Dimension kann also auch als eine Darstellung beschrieben werden.17 Die Beziehung zwischen biologischem und sozialem Geschlecht beschreiben sie als wechselseitig - eine klare Trennung ist nicht möglich.18 Während das soziale Geschlecht - Rollen, Darstellungen, Erwartungen oder Zuschreibungen - aufgrund des biologischen Geschlechts entsteht beziehungsweise zugeordnet wird, ist das, was wir unter dem biologischen Geschlecht verstehen und die Zuordnung zu einem biologischen Geschlecht ein Produkt einer sozialen Übereinkunft.19 Es ist also nicht nur das soziale Geschlecht vom biologischen abhängig, auch unsere Vorstellung des biologischen Geschlechts - beziehungsweise unsere Kategorisierung davon - ist ein Produkt sozialer Normen.
Auch Judith Butler beschreibt Geschlecht in seiner sozialen Dimension als ein Tun. Geschlecht entstehe demnach erst durch einen performativen Akt.20 Unser Geschlechter- system beschreibt sie als heterosexuelle Matrix: Die Gesellschaft erwarte von ihren Mitgliedern, dass biologisches Geschlecht - der Körper - und soziales Geschlecht - das heisst Identität und Darstellung - übereinstimmen und sich das Begehren (desire) - die sexuelle Orientierung - auf das entgegengesetzte Geschlecht richtet. Sie spricht von Zwangsheterosexualität[21].22 Um das Eingangszitat wieder aufzugreifen: Aus der heterosexuellen Matrix fällt ein homosexueller, männlicher Mann - das heisst ein biologischer Mann, der sich auch als Mann gibt und wahrgenommen wird - genauso heraus wie ein heterosexueller, effeminierter Mann - das heisst ein biologischer Mann, der sich nicht (vollständig) als Mann gibt oder zumindest nicht so wahrgenommen wird.
Unsere sexuelle Orientierung ist logisch von unserem Geschlecht abhängig. Sexuelle Orientierung ist zusammengesetzt aus dem Geschlecht einer Person und dem Geschlecht oder den Geschlechtern, die sie begehrt. Die Kategorien, die wir benutzen, lassen sich nicht denken, sie existieren nicht, ohne dass die Trägerin ein Geschlecht hat.23 Nach dem Gesagten kann geschlossen werden, dass sexuelle Orientierung Teil von Geschlecht ist.24 Die Norm der Heterosexualität ist Teil der sozialen Dimension von Geschlecht. Wer sich nicht heterosexuell gibt, performt sein Geschlecht nicht so, wie sozial erwartet. Für Transgeschlechtlichkeit gilt das Gleiche. Hier scheint dies aber intuitiver verständlich zu sein, wie die Tatsache zeigt, dass Transgeschlechtlichkeit viel eher miteingeschlossen wird, wenn es um Schutz vor Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geht.25 Nicht überraschend ist darum auch, dass die Travestie vor allem in der LGB(T)-Szene so verbreitet ist: Wer nicht heterosexuell ist, erfüllt die Erwartungen ans eigene Geschlecht nicht und hat oft weniger Hemmungen, die Geschlechtervorstellungen auch in anderen Bereichen in Frage zu stellen.26 Darum stehen sich das LGB und das T auch so nahe.
2.2 Kritische Geschlechtertheorie im (Antidiskriminierungs-) Recht
In den Rechtswissenschaften wurden diese geisteswissenschaftlichen Ansätze verschiedentlich aufgenommen. Julie Greenberg und Eva Kocher vertreten die Ansicht, dass eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts auch immer dann bejaht werden muss, wenn die Benachteiligung darauf abzielt, dass sich jemand nicht Gender-konform verhält - also dann, wenn Stereotype nicht erfüllt werden.27 Davon eingeschlossen sind damit auch Diskriminierungen von LGBT-Personen, da sie die sozialen Erwartungen, die aufgrund ihres Geschlechts an sie gerichtet werden, nicht erfüllen.28 Andrea BÜCHLER und Michelle Cottier verlangen entsprechend, Geschlecht auch im Recht nicht nur biologisch zu verstehen, sondern Geschlecht als soziale Zuschreibung zu verstehen.29 Laura Adamietz schliesslich schlägt vor, Geschlecht als Erwartung zu verstehen. Eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts müsste dann bejaht werden, wenn die Benachteiligung in einer Enttäuschung von Erwartungen aufgrund des Geschlechts gründet.30
Während die obigen Ausführungen zum Verständnis von Geschlecht bei der Interpretation von Diskriminierungsschutz-Normen aufgrund des Geschlechts helfen können, gibt es auch rechtspolitische Vorschläge, die die Diskussion um den Einschluss von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität hinfällig machen würden. Die Vorschläge müssten allerdings erst vom Gesetzgeber umgesetzt werden. Diese Stimmen kritisieren einen Gruppismus im Antidiskriminierungsrecht. Vorgeschlagen wird, Diskriminierungsschutzrecht generell nicht mehr auf Gruppen zu beziehen, das heisst ohne Kategorien zu gestalten. Stattdessen soll das Herrschaftsverhältnis, das es aufzulösen gilt, benannt werden. Statt Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu verbieten, würde es dann zum Beispiel darum gehen, (hetero)sexistische Diskriminierung zu verbieten. Damit könnte eine Essentialisierung verhindert werden und die Bekämpfung von einschränkenden sozialen Strukturen würde explizit in den Vordergrund treten.31 Entsprechend steht auch der Vorschlag im Raum, die Kategorie Geschlecht rechtlich vollständig abzuschaffen.32
Kritisiert werden muss schliesslich auch der Binarismus, also die binäre Einteilung in Mann und Frau im Recht. Nach dem Gesagten lässt sich schliessen, dass die soziale Komponente von Geschlecht zufällig, veränderbar und individuell ist. Aber auch nur biologisch betrachtet ist die binäre Einteilung in Mann und Frau fragwürdig - biologische Kriterien können uneindeutig sein.33 Aufgrund des beschränkten Umfangs dieser Arbeit wird diese Frage hier aber nicht weiterbehandelt.
3. Diskriminierungsschutz in der Schweiz
Diskriminierungsschutz gibt es in der Schweiz auf unterschiedliche Arten und aus unterschiedlichen Rechtsquellen. Vergleicht man die verschiedenen Bestimmungen im Völker-, Verfassungs- und Gesetzesrecht beziehungsweise Grundrechte, Arbeits- und Strafrecht, dann scheint eine Systematik zu fehlen. Vielmehr macht der Diskriminierungsschutz den Eindruck eines gesetzgeberischen Flickwerks. Im Folgenden gebe ich einen kurzen, unvollständigen Überblick, wobei der Fokus auf Geschlecht liegen wird.
Zuvor jedoch noch eine Bemerkung: Beim Diskriminierungsschutz wird unterschieden zwischen Merkmalen, bei denen der Schutz asymmetrisch greift und solchen, bei denen er symmetrisch greift. Asymmetrisch bedeutet, dass der Schutz einseitig für aktuell oder historisch gesehen besonders benachteiligte oder entwürdigte Gruppen greift. In Bezug auf Geschlecht würde das zum Beispiel bedeuten, dass er für Frauen greift, für Männer aber nicht. Symmetrisch bedeutet, dass der Schutz für alle gilt, also auch für Angehörige der Gruppe, die aktuell und historisch gesehen generell - hierarchisch - bessergestellt ist.34 Der Schutz vor Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist meistens symmetrisch. Es können sich sowohl im Rahmen der BV als auch des GlGs sowohl Frauen als auch Männer darauf berufen.35
3.1 Völkerrecht
Auf völkerrechtlicher Ebene ist die Schweiz mehrere Verträge eingegangen, die Bestimmungen enthalten, die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbieten. Zu nennen sind insbesondere Art. 14 EMRK, der die Diskriminierung wegen des Geschlechts untersagt, und UNO-Pakt II, der in verschiedenen Bestimmungen die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbietet.36 Durch beide Verträge ist die Diskriminierung allerdings nur innerhalb des Geltungsbereichs der von ihnen garantierten Grundrechte un- tersagt.37
Das CEDAW-Übereinkommen richtet sich spezifisch gegen die Diskriminierung von Frauen, ist also asymmetrisch ausgerichtet. Gleichzeitig wird in Art. 5 des Übereinkommens aber auch deutlich thematisiert, dass die Grundproblematik in «sozialen und kulturellen Verhaltensmustern», «Vorurteilen» und «stereotypen Rollenverteilung[en]» besteht.38
3.2 Verfassungsrecht
In der Bundesverfassung ist der Diskriminierungsschutz als Grundrecht in Art. 8 Abs. 2 BV allgemein festgehalten und in Abs. 3 nochmals in Bezug auf die Gleichstellung von Mann und Frau konkretisiert. Neben Geschlecht ist in Abs. 2 auch explizit die Lebensform als verpöntes Anknüpfungsmerkmal für eine Ungleichbehandlung genannt. Die nament- lich -Formulierung weist darauf hin, dass der Katalog nicht abschliessend ist.39 Eine Diskriminierung nach Art. 8 Abs. 2 BV stellt laut Bundesgericht dar:
«eine qualifizierte Ungleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Situationen [...], indem sie eine Benachteiligung von Menschen bewirkt, die als Herabwürdigung oder Ausgrenzung einzustufen ist, weil sie an Unterscheidungsmerkmalen anknüpft, die einen wesentlichen und nicht oder nur schwer aufgebbaren Bestandteil der Identität der betroffenen Personen ausmachen.»40
Obwohl in der französischen und der italienischen Fassung nur von sexe/sesso und nicht auch von genre/genere die Rede ist - was dafür sprechen würde, den deutschen Begriff Geschlecht nur als biologisches Geschlecht zu verstehen -, geht die Lehre zum Teil explizit davon aus, dass Geschlecht als verpöntes Merkmal auch in seiner sozialen Dimension erfasst ist.41 Umso mehr erstaunt es deshalb, nimmt die herrschende Lehre trotzdem an, dass sexuelle Orientierung unter den Begriff der Lebensform falle, während Geschlechtsidentität unter den Begriff Geschlecht fallen soll.42 Nach dem in Kapitel 2 Gesagten scheint das aus geschlechtertheoretischer Perspektive fragwürdig. Wer die Erwartungen an die eigene sexuelle Orientierung enttäuscht, enttäuscht Erwartungen wegen des Geschlechts. Die sexuelle Orientierung beziehungsweise gesellschaftliche Erwartungen daran sind Teil des sozialen Konstrukts Geschlecht. In diesem Sinn ist es fragwürdig eine Ungleichbehandlung von Transpersonen und Homosexuellen zu vertre- ten.43
3.3 Gesetzesrecht
Zwar kann man sich auch im Rahmen des Persönlichkeitsschutzes auf Diskriminierung berufen.44 Einen speziellen arbeitsrechtlichen Diskriminierungsschutz gibt es aber nur bei Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts durch das GlG. Art. 3 GlG statuiert ein Diskriminierungsverbot für Arbeitnehmer_innen. Das GlG stellt Opfer von Diskriminierung besser, insbesondere durch die Beweislasterleichterung nach Art. 6.45 Interessant ist, dass hier im Gegensatz zu Art. 8 BV in der Lehre die Ansicht stärker vertreten ist, dass Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung auch unter Diskriminierung aufgrund des Geschlechts falle.46 Das könnte damit zusammenhängen, dass es sich bei den Au- tor_innen zum GlG tendenziell eher um Expert_innen in diesem Bereich handeln dürfte und diese Autor_innen auch eher aus (queer-)feministischen Kreisen stammen.
Beim strafrechtlichen Diskriminierungsschutz wiederum ist das Geschlecht nicht erwähnt. Art. 261bis StGB nennt ausschliesslich Rasse, Ethnie, Religion und, seit dem 1. Juli 202047, sexuelle Orientierung. Verpönt sind also öffentliche rassistische und homofeindliche Aufrufe zu Hass oder Diskriminierung, nicht aber beispielsweise generell sexistische - und damit insbesondere auch frauen- oder transfeindliche - oder auch behindertenfeindliche Aufrufe. Neben Art. 261bis StGB können bei Hassdelikten auch andere Bestimmungen des StGB zur Anwendung kommen, wobei die diskriminierende Intention ein verschärfendes Element in der Strafzumessung nach Art. 47 StGB darstellt.48
4. BGE 145 II 153: Ausschluss der sexuellen Orientierung
In BGE 145 II 153 musste sich das Bundesgericht zum ersten Mal mit der Frage auseinandersetzen, ob sich eine Person, die wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert wird, auf Art. 3 des GlGs berufen kann. Das Urteil wurde bereits mehrfach, ausschliesslich kritisch bis deutlich ablehnend, diskutiert.49 50 Im Folgenden erfolgt zuerst eine Zusammenfassung des Urteils, wobei inzident eine Würdigung unter Einbezug der Lehrmeinungen stattfindet. Anschliessend werden die grösseren Fragen, die durch das Urteil aufgeworfen werden und in der Lehre noch nicht ausführlich behandelt wurden diskutiert: Das Verständnis des Bundesgerichts von Geschlecht in Kapitel 4.2, die Bedeutung des Urteils für Diskriminierung wegen der Geschlechtsidentität in Kapitel 4.3, die Bedeutung für Diskriminierung aufgrund von Geschlechts-Nonkonformität in Kapitel 4.4 und in Kapitel 4.5 schliesslich die Frage, welches Verständnis der Gesetzgeber in Botschaft und Parlamentsdebatte zum Ausdruck brachte.
4.1 Das Urteil
Der Beschwerdeführer machte geltend, er habe eine Anstellung als Zeitmilitär wegen seiner sexuellen Orientierung nicht erhalten und könne sich darum auf Art. 3 GlG, der eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts untersagt, berufen. Die Berufung aufs GlG ist relevant, weil der Gesetzgeber mit Art. 34 Abs. 2 BPG eine Beschwerdemöglichkeit für abgewiesene Bewerber_innen für Stellen in der Bundesverwaltung explizit ausgeschlossen hat - dieser Ausschluss gilt jedoch nicht für GlG-Beschwerden.50 Hier bietet das GlG also eine deutliche Besserstellung für Opfer von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.
Das Bundesgericht führte eine relativ umfassende grammatikalische, historische, teleologische und systematische Auslegung durch. Gerade den grammatikalischen Teil begründet es jedoch leider nie wirklich. Vergleichsweise gut fundiert sind dafür die Ausführungen zur teleologischen und insbesondere zur historischen Auslegung. In Bezug auf den Zweck weist das Bundesgericht auf Art. 1 GlG hin, der den Zweck der Förderung der tatsächlichen Gleichstellung von Frau und Mann für das GlG statuiert.51 Auch in der Botschaft sei ausgeführt worden, dass es um die Umsetzung des heutigen Art. 8 Abs. 3 BV gehe, der die tatsächliche Gleichstellung von Frau und Mann als Ziel festhält.52 Zudem wurde in der Botschaft sogar explizit erwähnt, dass die sexuelle Orientierung ein Kriterium sein könne - wenn dadurch ein Geschlecht im Vergleich zum anderen Geschlecht benachteiligt wird.53 Auch in der parlamentarischen Debatte sei wiederholt gesagt worden, dass es um die Förderung der tatsächlichen Gleichstellung gehe.54
Zur Systematik hält das Bundesgericht fest, dass bei Art. 8 Abs. 2 BV die herrschende Lehre und Praxis die sexuelle Orientierung der Lebensform zuordne.55 Das mag zwar stimmen, aber genau der vorliegende Fall hätte Anlass zur Überprüfung dieser Praxis gegeben. Statt zu begründen, beschränkt sich das Bundesgericht darauf, auf die bisherige Praxis hinzuweisen.56 Ausserdem wurde der Begriff der Lebensform erst 1999 mit der neuen BV eingeführt. Dem Gesetzgeber von 1995 kann diese Unterscheidung also nicht unterstellt werden. Entsprechend ist die Idee des Bundesgerichts, mit der Einführung des Partnerschaftsgesetz hätte auch das GlG abgeändert werden müssen, um einen Schutz für Homosexuelle einzuführen, abwegig.57
Auch wenn nach Ansicht des Bundesgerichts alle Auslegungsmethoden zum selben Ergebnis führen, kann somit gesagt werden, dass vor allem eine historische Auslegung und dann im Rahmen des Willens des Gesetzgebers auch eine teleologische Auslegung das Ergebnis des Bundesgerichts vertretbar machen. Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass ein Einschluss der sexuellen Orientierung dem Willen des Gesetzgebers widersprechen würde und der Zweck des GIGs in der tatsächlichen Gleichstellung - also nach seinem Verständnis einer Hierarchiefrage zwischen zwei Gruppen - liege. Gleichzeitig hält es bezüglich grammatikalischer Auslegung auch fest, dass eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung sich nicht auf deren Geschlechtszugehörigkeit stütze.58 Das Bundesgericht schreibt:
«Die [...] Argumentation, wonach sich Homosexuelle entgegen den gesellschaftlichen Erwartungen an ihr Geschlecht verhielten, weshalb eine entsprechende Diskriminierung als solche des Geschlechts aufzufassen sei, trifft auf homosexuelle Frauen und homosexuelle Männer gleichermassen zu und ist daher nicht geschlechtsspezifisch im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GlG.»59
Diese letzte Feststellung ist für sich allein genommen überraschend. Wenn ein Mann dafür benachteiligt wird, dass er auf Männer steht, hat das sehr viel mit seinem Geschlecht zu tun. Wenn ein Mann diskriminiert wird, weil er auf Männer steht, dann ist das zwar nicht eine formale Diskriminierung aller Männer, wie in dem Fall, bei dem ein Mann einen Lehrauftrag nicht erhält, weil es eine Frauenquote gibt.60 Es findet aber eine Anknüpfung an sein Geschlecht statt. Wäre er kein Mann, würde ihm sein auf Männer bezogenes Begehren nicht von seiner Arbeitgeberin zur Last gelegt. Der Fall ist somit analog zu einem Fall, bei dem eine Frau nicht angestellt wird, weil sie Kinder hat.61 In beiden Fällen ist nicht das Geschlecht an sich das Problem, sondern die Verknüpfung von Geschlecht und einer zweiten Eigenschaft. In beiden Fällen geht es darum, dass das Geschlecht mit einem weiteren Faktor verbunden wird, wie das in Art. 3 Abs. 1 2. Teilsatz GlG in Bezug auf die familiäre Situation explizit pönalisiert wird. Der Gesetzgeber zeigt mit dieser expliziten Pönalisierung eigentlich sogar, dass er Geschlecht als Erwartung versteht, da er sich spezifisch Gedanken dazu gemacht hat, mit welchen problematischen Erwartungen - zum Beispiel der Erwartung, dass sich die Frau (überwiegend) um die Kinder kümmert - Frauen konfrontiert werden könnten.
Bei einer strikt grammatikalischen Auslegung müsste die Anwendung von Art. 3 GlG bei Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung also bejaht werden. Was die beiden Fälle unterscheidet ist jedoch, dass im Fall der Diskriminierung von homosexuellen Männern und Frauen keine hierarchische Ungleichstellung zwischen den beiden Geschlechtsgruppen gegeben ist, während das im Falle der Benachteiligung von Müttern gegenüber Vätern der Fall ist. Keine hierarchische Ungleichstellung gäbe es aber auch im Falle der Mütter, würden beispielsweise dafür Männer ohne Kinder nicht angestellt, weil die Jobs für «Ernährer» gedacht sind.
Im von historischer und teleologischer Auslegung vorgegebenen Rahmen scheint die grammatikalische Auslegung des Bundesgerichts aber trotzdem zumindest zulässig zu sein. Der Text lässt sich rein wörtlich mit einer historischen Auslegung, wonach es nur darum geht, eine hierarchische Ungleichstellung zwischen den zwei Gruppen Mann und Frau aufzuheben, vereinbaren.
Im Folgenden wird der Begriff der hierarchischen Gleichstellung für die Auffassung des Bundesgerichts benutzt. Dieses legt mit seiner Auffassung, dass eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung nicht geschlechtsspezifisch sei, nahe, dass es nur eine Diskriminierung gibt, wenn ein Geschlecht hierarchisch schlechter gestellt wird als das andere. Hierarchisch darum, weil es nötig ist, dass ein Geschlecht als ganze Gruppe im Vergleich zum anderen Geschlecht als ganze Gruppe benachteiligt wird. So bedeutet die Auffassung des Bundesgerichts für unseren Fall grundsätzlich: Frauen dürfen dafür benachteiligt werden, dass sie auf Frauen stehen, solange auch Männer für homosexuelles Begehren - also das die gleichen Erwartungen enttäuschende Verhalten mit umgekehrten Vorzeichen - benachteiligt werden. Werden aber nur Frauen für ihre Homosexualität benachteiligt, dann werden bei der Gruppe der Frauen unter dem Strich mehr Personen benachteiligt, weswegen eine geschlechtsspezifische Diskriminierung bejaht werden muss - es ist eine hierarchische Ungleichstellung gegeben. Wenn jedoch Angehörige des einen Geschlechts eine Möglichkeit nicht haben, die Angehörige des anderen Geschlechts haben, dafür aber Angehörige des anderen Geschlechts mit umgekehrten Vorzeichen genau gleich benachteiligt werden, dann ist das nach Auffassung des Bundesgerichts mit dem Diskriminierungsschutz des GlGs vereinbar. Ob das dem Zweck des GlGs und dem Willen des Gesetzgebers entspricht, scheint zumindest fraglich.
4.2 Was versteht das Bundesgericht unter Geschlecht?
Leider thematisiert das Bundesgericht nie explizit, ob der Begriff Geschlecht nur Sex oder auch Gender meint. Implizit geht es aber mit der Vorinstanz davon aus, dass Geschlecht nur im Sinne von biologischem Geschlecht zu verstehen ist.62 Denn sonst liesse sich die Auffassung, eine Diskriminierung sei nur dann gegeben, wenn eine Gruppe generell schlechter gestellt ist als die andere, gar nicht vertreten. Würde bei einem Diskriminierungsverbot Geschlecht im Sinne von sozialem Geschlecht verstanden, dann müsste deswegen auch bejaht werden, dass es eben einen individuellen Schutz vor sozialen Erwartungen gibt und nicht nur einen gruppenbezogenen hierarchischen Schutz. Denn wenn der Gesetzestext soziales Geschlecht meinen würde, dann könnte es gar nicht um eine hierarchische Gleichstellung zweier Gruppen gehen, da das soziale Geschlecht individuell unterschiedlich ist.
Wie bei Art. 8 BV kann auch bei Art. 3 GlG mit einem Sprachvergleich davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber nur Sex meinte.63 Insofern scheint das implizite Verständnis des Bundesgerichts naheliegend. Tatsächlich spricht aber auch dieses Verständnis nicht dagegen, eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei einer Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung - oder wegen einer anderen Art der Enttäuschung von sozialen Erwartungen aufgrund des biologischen Geschlechts - zu bejahen.
Erstaunlich ist darum die Tatsache, dass das Bundesgericht explizit keinen Zusammenhang zwischen biologischem Geschlecht und sexueller Orientierung sieht und stattdessen festhält: «Erfolgt eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung [...], stützt sich diese gerade nicht auf die Geschlechtszugehörigkeit als Kriterium».64 Obwohl es das in Kapitel 2 beschriebene sozialwissenschaftliche Verständnis von Geschlecht erwähnt, fehlt im Urteil eine Diskussion der Begriffe Geschlecht und sexuelle Orientie- rung.65
Die Interpretation des Bundesgerichts geht in sich zwar auf. Aus der Sicht der hierarchischen Gleichstellung von zwei Geschlechtsgruppen geht es tatsächlich nicht um die Geschlechtszugehörigkeit, wenn Gender-bender[66] aus beiden Gruppen gleich stark benachteiligt werden. Trotzdem wäre es wünschenswert gewesen, hätte sich das Bundesgericht mit dieser Problematik explizit auseinandergesetzt. Stattdessen ist das Urteil - zumindest in Bezug auf die grammatikalische Auslegung - tatsächlich vor allem ein Aufeinanderreihen von unterschiedlichen Lehrmeinungen. Eine Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Begriffs Geschlecht und vor allem dem Zusammenhang zwischen biologischem und sozialem Geschlecht und der dazugehörigen Zwangsheterosexualität fehlt.
4.3 Bedeutung für Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität
In seinem Urteil spricht das Bundesgericht die Frage, ob sich Transpersonen bei einer Diskriminierung aufgrund ihres Trans-Seins auf das GlG berufen können, nicht, beziehungsweise nur indirekt über das Zitieren von Lehrmeinungen, an. Nach den Ausführungen in BGE 145 II 153 wäre es jedoch inkonsequent, bei Transpersonen plötzlich anders zu entscheiden als bei Homosexuellen. Auch Transpersonen sind wie Homosexuelle rechtlich immer und biologisch je nach individueller Situation und Blickwinkel auch einigermassen klar einem Geschlecht zuordenbar. Werden sie beispielsweise benachteiligt, weil es einer Arbeitgeberin nicht gefällt, dass sie die sozialen Erwartungen, die an Angehörige ihres biologischen Geschlechts gestellt werden, nicht erfüllen, weil sie körperlich in ihrem rechtlichen und identifizierten Geschlecht nicht wie von der Arbeitgeberin gewünscht passen oder weil sie offen kommunizieren, dass sie sich ihrem biologischen Geschlecht nicht zugehörig fühlen, dann werden sie wie Homosexuelle benachteiligt, weil sie Erwartungen aufgrund ihres Geschlechts enttäuschen. Sofern die Arbeitgeberin eine Transidentität aber bei Transfrauen und -männern - und allenfalls Personen, die sich keiner Kategorie zuordnen lassen wollen - genau gleich missfällt, kann nach Auffassung des Bundesgerichts keine Diskriminierung nach Art. 3 GlG vorliegen, weil es dort nur um die hierarchische Gleichstellung zwischen Mann und Frau gehe.67
Offener ist die Frage, was das Urteil für Inter*-Personen bedeutet. Betrachtet man sie - was naheliegend ist - als eigene biologische Geschlechtskategorie, dann wäre es eine ziemlich krasse Missachtung des Wortlauts von Art. 3 GlG, ihnen keinen Schutz zu gewähren. Gleich liesse sich auch für Transpersonen argumentieren, wenn diese biologisch nicht klar einem Geschlecht zuordenbar sind. Auch hier muss aber festgehalten werden, dass das Bundesgericht mit seiner Abstellung auf den historischen Willen des Gesetzgebers und den daraus resultierenden Zweck der hierarchischen Gleichstellung von Mann und Frau wenig Raum für andere Interpretationen lässt.
Das ist jedoch alles sehr unsicher. Rechtsprechung ist oft nicht logisch und kohärent, sondern stattdessen zum Teil an Mehrheitsmeinungen in der Lehre68 oder politischen Realitäten orientiert und immer von den Richter_innen abhängig.69 Und Recht muss auch darum nicht logisch sein, weil der Gesetzgeber sich widersprüchlich und inkohärent verhalten darf. Im vorliegenden Fall sprechen jedoch keine Gesetzgebungsmaterialien für eine Ungleichbehandlung von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität.70 So oder so zeigt sich an dieser Frage, dass Binarismus und Gruppismus im Antidiskriminierungsrecht viele Probleme aufwerfen, gleichzeitig aber nicht wirklich zu Problemlösungen beitragen.
4.4 Hierarchische Gleichstellung: Keine Berufung auf Geschlechts-Nonkonformität?
Aus dem Urteil ergibt sich eine weitere, sehr ähnliche Frage: Sind (auch Cis-Hetero-)Per- sonen geschützt, wenn sie benachteiligt werden, weil sie sich nicht geschlechtskonform verhalten? Wird beispielsweise eine Frau geschützt, der eine Stelle verweigert wird, weil sie «zu männlich» ist?71 Konsequenterweise müsste das Bundesgericht auch hier verneinen, sofern gleichzeitig auch «zu weibliche» Männer abgelehnt werden.
In keinem der online zugänglichen deutsch- und französischsprachigen Entscheide mit Bezug zu Art. 3 GlG, ob publiziert oder nicht publiziert, wurde vom potenziellen Diskriminierungsopfer vorgebracht, es sei diskriminiert worden, weil es die Erwartungen an seine Geschlechterrolle oder -darstellung nicht erfülle - also «zu männlich» oder «zu weiblich» sei.72 In den meisten der 24 publizierten Entscheide geht es um eine schlechtere Bezahlung von typischen Frauenberufen im Vergleich zu geschlechtsneutralen oder männlich konnotierten Berufen mit ähnlicher Ausbildung im öffentlichen Sektor73 oder um individuelle Diskriminierung in Bezug auf Entlöhnung oder Beförderung, wobei Fragen der Beweislast und -führung dominieren74. In beiden Fallgruppen dominieren Fragen danach, wie der Sachverhalt abzuklären ist und wie beispielsweise Arbeitswert, Positionen oder Ausbildungen objektiv bewertet werden können. Bei zwei weiteren Leitentscheiden geht es um die Vermittlungsfähigkeit von arbeitslosen Schwangeren75 und bei einem um die Zulässigkeit der Bevorzugung von Frauen für Lehrämter76.77
Dass es keine solche Fälle gibt, ist überraschend. In den USA greift in so einem Fall bereits seit 1989 der Diskriminierungsschutz because of sex.78 Im Fall Hopkins v. Price Waterhouse wurde eine Frau geschützt, der die Beförderung wegen ihres als unweiblich geltenden Verhaltens verweigert wurde.79
Die Frage, ob dieser Schutz auch in der Schweiz gegeben wäre, ist damit grundsätzlich zwar weiterhin offen. Nach BGE 145 II 153 ist aber eine Bejahung durch das Bundesgericht - zumindest ohne Korrektur dieses Entscheides - unwahrscheinlich. Auch hier wäre es inkonsequent, plötzlich anders zu entscheiden, können doch auch Männer dafür benachteiligt werden, dass sie «zu weiblich» sind. Es ist wahrscheinlich, dass einer Arbeitgeberin geschlechts-nonkonformes Verhalten bei beiden Geschlechtern gleich missfällt. Das heisst: Wenn beispielsweise eine Frau nicht befördert wird, weil sie nicht viel Wert auf ihr Äusseres legt, kann sie keine Diskriminierung geltend machen, solange sie nicht beispielsweise aufzeigt, dass Männer, die sich schminken, besser behandelt werden.
Ob das wirklich im Sinne des Gesetzgebers war, erscheint zumindest fragwürdig. Intuitiv würden wohl die meisten davon ausgehen, dass solche Fälle vom Schutz eingeschlossen sind. Gleichzeitig würden intuitiv wohl viele sagen, dass sexuelle Orientierung nicht eingeschlossen ist, weil diese als eigene, vom Geschlecht unabhängige Eigenschaft wahrgenommen wird. Für ein Gericht sollten aber nicht intuitive Eingebungen und Alltagsverständnisse entscheidend sein, sondern Logik und Kohärenz.
Tatsächlich könnte man mit der Argumentation des Bundesgerichts sogar noch weitergehen. Wenn ein Unternehmen Bewerbungen von Frauen, die sich als Mechanikerinnen bewerben, genau gleich ablehnt wie solche von Männern, die sich als Sekretär bewerben, dann werden beide Gruppen gleich stark benachteiligt.80 Oder vielleicht ein wenig naheliegender: Ein Betrieb stellt Frauen nicht Vollzeit ein, Männer nicht Teilzeit. Nach Auffassung des Bundesgerichts wäre dann keine Diskriminierung gegeben, weil hierarchisch gesehen beide gleich gut, beziehungsweise schlecht, gestellt sind. Die Benachteiligung ist gleich, sie hat einfach umgekehrte Vorzeichen: beiden Geschlechtern wird mit überkommenen Rollenbildern entgegengetreten, wobei jeweils die umgekehrte Erwartung an Frauen und Männer herangetragen wird. Das wäre dann aber definitiv nicht mehr im Sinne des Gesetzgebers. Zugestanden werden muss allerdings, dass insofern ein Unterschied besteht, als in diesen Beispielen direkt auf das Geschlecht abgestellt wird, während in den anderen diskutierten Beispielen das Geschlecht in Verbindung mit einer zweiten Eigenschaft steht.
«Gleichstellung der Geschlechter/Gleichstellung von
Frauen und Männern (in sozialer Hinsicht): Situation, in der alle Menschen ihre persönlichen Fähigkeiten frei entwickeln und freie Entscheidungen treffen können, ohne durch strikte geschlechtsspezifische Rollen eingeschränkt zu werden [...]» 8
4.5 Trotzdem Klagesubjekt Frau und Mann - was wollte der Gesetzgeber nun?
Schliesslich gibt es einen grossen Widerspruch im Urteil, der allerdings bereits vom Gesetzgeber angelegt sein könnte. Zwar liesse sich sehr gut vertreten, dass das Ziel der Gleichstellung der Geschlechter eine Bekämpfung von sozialen Erwartungen aufgrund des Geschlechts beinhalten muss und diese entsprechend allen zugutekommt - so denn auch das Verständnis im obigen Zitat aus einem von der Europäischen Kommission herausgegebenem Glossar. Nach dem in Kapitel 2 Gesagten scheint dies sogar die kohärentere Auffassung zu sein. Der Auffassung des Bundesgerichts entspricht dies aber nicht. Dieses legt mit seiner Auffassung, dass eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung nicht geschlechtsspezifisch sei, nahe, dass es nur eine Diskriminierung gibt, wenn ein Geschlecht hierarchisch schlechter gestellt wird als das andere und nicht bereits dann, wenn ein Individuum aufgrund geschlechtsspezifischer Rollenerwartungen in seiner Freiheit eingeschränkt wird.81 82
Wenn es aber um hierarchische Gleichstellung geht, dann könnte wohl niemand verneinen, dass es darum geht, Frauen auf das Niveau der Männer anzuheben.83 Trotzdem können sich auch Männer auf Art. 3 GlG berufen.84 Wie geht das auf? Im Folgenden werden die historischen Materialien genau analysiert, um zu klären, was der Gesetzgeber wollte. Ging es ihm tatsächlich nur um eine hierarchische Gleichstellung? War ihm nicht bewusst, dass auch die Bekämpfung von gesellschaftlichen Normen nötig ist, um eine Situation zu schaffen, in der «alle Menschen ihre persönlichen Fähigkeiten frei entwickeln und freie Entscheidungen treffen können, ohne durch strikte geschlechtsspezifische Rollen eingeschränkt zu werden»85 ? Oder war das überhaupt nicht das Ziel? Und wenn ihm das nicht bewusst war oder es nicht das Ziel war: Warum wollte er trotzdem auch Männern einen Anspruch einräumen?
Im Folgenden geht es zuerst um das Verständnis von Geschlecht und Gleichstellung, das in der Botschaft des Bundesrates zum Gleichstellungsgesetz impliziert wurde und dann im zweiten Teil um das Verständnis, das die Parlamentarier_innen in der Debatte zum Gleichstellungsgesetz vertraten.
4.5.1 Botschaft zum Gleichstellungsgesetz
Aus der Botschaft zum Gleichstellungsgesetz geht hervor, dass es dem Bundesrat vor allem um die «Diskriminierungen [...], deren Opfer Frauen im Berufsleben sind»86 und um «die Verbesserung der Situation der Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen»87 ging. Alles in den Ausführungen zur «Notwendigkeit eines Gesetzes über die Gleichstellung» deutet darauf hin, dass es um die einseitige Herstellung einer hierarchischen Gleichstellung zwischen Frau und Mann ging. Diese Tatsache spricht für die Auffassung des Bundesgerichts.
Offensichtlich war der Bundesrat dabei aber auch der Überzerugung, dass unsere Vorstellungen von Geschlecht zu einem grossen Teil sozial geprägt sind, denn sonst hätte er das Problem weder erkannt noch für mit einem Gesetz lösbar gehalten. Er wies denn auch mehrmals explizit darauf hin, dass die Ungleichheit beispielsweise in Bezug auf den Lohn in Stereotypen und Rollenbildern verwurzelt ist:
«Man stellt auch fest, dass Frauen bei gleicher Qualifikation häufig einem Arbeitsplatz zugeteilt werden, der gegenüber jenem der Männer leichte Unterschiede aufweist. Die Gründe dafür sind Eigenschaften, die als spezifisch weiblich betrachtet werden, etwa die «Monotonieresistenz», die manuelle Geschicklichkeit oder die stärkere soziale Orientierung. Diese Qualitäten, die bei einer Frau als naturgegeben betrachtet werden, zählen bei der Entlöhnung wenig oder gar nicht. Dieses Phänomen trägt dazu bei, weibliche Berufskategorien mit tiefem Lohnniveau zu schaffen.»88
Weiter wurden die geschlechtsspezifische Sozialisation und die sozialen Rollen, in die Kinder damit gedrückt werden, problematisiert:
«Die Geschlechts-Stereotype sind jedoch nicht nur den Unternehmen anzulasten, sie werden auch von den Frauen von frühester Kindheit an verinnerlicht. Die Auswirkungen der Wünsche der Familie bei der Berufswahl und der unterschiedlichen Behandlung von Mädchen und Knaben in der Schule dürfen nicht unterschätzt werden. Die Schulbücher mit den darin enthaltenen Klischees und die Einstellung der Lehrkräfte, die dazu neigen, Knaben mehr Beachtung zu schenken als Mädchen, haben prägenden Einfluss.»89
Der Bundesrat war also, wie auch unzählige andere Stellen in der Botschaft zeigen, durchaus der Überzeugung, dass es soziale Vorurteile und Erwartungen sind, gegen die es anzukämpfen gilt. Genauso war ihm bewusst, dass viele Eigenschaften, die als natürlich gelten, in Wahrheit sozial konstruiert sind.90 Die Erkenntnis, dass Stereotype das grundlegende Problem sind, bringt den Bundesrat jedoch nicht dazu, explizit den nächsten Schritt zu machen, indem er deshalb Gleichstellungspolitik und -recht - wie im Glossar der Europäischen Kommission - als Mittel zur Auflösung dieser Stereotypen und zur Befreiung der Individuen von ebendiesen sehen würde. Die Betrachtungsweise der Botschaft bleibt auch durchgehend binär und heteronormativ. Gleichzeitig weist aber auch nichts in der Botschaft darauf hin, dass der Bundesrat diesen nächsten Schritt ablehnen würde. Die Interpretation des Bundesgerichts von Gleichstellung als Prozess zur Erreichung hierarchischer Gleichheit zwischen den zwei Geschlechtsgruppen Mann und Frau ist somit nicht zwingend. Es würde durchaus der in der Botschaft gemachten Problematisierung von gesellschaftlichen Zwängen und damit dem historischen Willen und dem daraus gelesenen Zweck entsprechen, Gleichstellung, wie im Eingangszitat von Kapitel 4.5, als Mittel zur Befreiung des Individuums von gesellschaftlichen Zwängen zu begreifen. Gleichzeitig muss man aber auch zugeben, dass die Interpretation des Bundesgerichts, wonach es dem historischen Gesetzgeber um eine hierarchische Gleichstellung ging, trotzdem zulässig scheint.
In der Botschaft wird zwar, wie im Gesetz ebenfalls, davon ausgegangen, dass sich auch Männer auf das GlG berufen können. Es finden sich aber keine Äusserungen dazu, warum das so sein soll, was nach den unzähligen Aussagen dazu, dass es um eine Besserstellung der Frau geht, verwundert. Spannend ist hingegen eine Stelle, wo explizit darauf hingewiesen wird, dass Frauen und Männer unter sozialen Erwartungen mit umgekehrten Vorzeichen leiden:
«Ein anderer wichtiger Faktor der Diskriminierung ist die Verteilung der Hausarbeit und der Kindererziehung zwischen den Geschlechtern. Die Rollenverteilung innerhalb des Haushaltes ist nach wie vor so, dass Hausarbeit und Erziehung die Domäne der Frau bilden und die Karriere des Mannes den Vorrang behält. Männer, die die Rollenverteilung ändern möchten, sehen sich mit den gleichen Schwierigkeiten wie Frauen konfrontiert.91
Hier findet sich also implizit die Annahme, dass soziale Normen, die bei beiden Geschlechtern zu Einschränkungen führen können, trotz diesen Schwierigkeiten für beide Seiten als Diskriminierung gesehen werden können. Das spricht gegen ein nur hierarchisches Verständnis des Gleichstellungsgesetzes. Dass der Gesetzgeber nur binär und heteronormativ dachte und sich über andere Konstellationen gar keine Gedanken machte, ändert daran nichts. Das Gleichstellungsgesetz ist kein Gesetz nur für Cis-Heterosexuelle.
4.5.2 Parlamentsdebatte
Für die Parlamentsdebatte lassen sich ähnliche Aussagen treffen. Einerseits schien es vor allem92 um eine hierarchische Besserstellung der Frauen zu gehen.93 CVP-Nationalrat Joseph Iten verstand das GlG «als Kampfansage gegen die Diskriminierung der Frauen und als Kampfansage gegen die Diskriminierung durch Männer»94. CVP-Nationalrat Dominique Ducret sprach vom «cause des femmes»95.
Andererseits wurde dabei auch explizit thematisiert, dass gesellschaftliche Stereotype das Problem sind:
«C’est le sexisme ordinaire si souvent et copieusement dénoncé, celui qui, quotidiennement, par les images, les stéréotypes, la publicité et tout notre environnement culturel, fait des femmes des êtres que l’on infériorise.»96
FDP-Nationalrat Bernard Comby nahm dabei sogar explizit Bezug auf Simone de BeauVOIrS’ konstruktivistischen Ausführungen und sprach davon, dass es darum geht, «[de] combattre ces stéréotypes»97 - und weiter davon, man müsse die Mentalitäten und Verhaltensweisen verändern. Ähnliches vertrat auch GPS-Nationalrätin Rosmarie Bär: «Endziel sind die Selbstbestimmung und die Selbstentfaltung aller Menschen unabhängig vom Geschlecht.»98 LPS-Nationalrat Jean-François Leuba wies darauf hin, dass es um das Individuum gehe:
«C’est l’individu qui nous intéresse, et non le sexe considéré comme signe d’appartenance à un groupe. [...] Cette liberté ne peut s’exercer que si l’on supprime les obstacles qui empêchent la réalisation des potentialités de chacun, quel que soit son sexe.»99
Der letzte Satz ist zwar deutlich darauf bezogen, dass es darum geht, unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Geschlechtsgruppe jeder Art von Arbeit nachgehen zu können, er zeigt aber gleichzeitig auch, dass dahinter grundsätzlich die Idee liegt, dass sich jede_r generell frei vom Geschlecht entfalten können soll. Spannend ist an dieser Stelle ausserdem der wiederkehrende Bezug zum Vorbild USA100, wo das Gesetz stärker den individuellen Schutz und weniger die Gleichstellung von Gruppen betont.101 Bundesrat Arnold Koller schliesslich sprach von der «Freiheit der Frauen, sich selbst zu sein»102 - was einerseits zeigt, dass es ihm vor allem um Frauen ging, andererseits aber genauso zeigt, dass es eben um individuelle Selbstentfaltung ging. Entsprechend der Systematik des Gesetzes, das symmetrisch gehalten ist, lässt sich das Postulat der individuellen Selbstentfaltung auf Männer übertragen. Schliesslich zeigt auch ein Zitat von FDP-Stän- derat René Rhinow sehr schön, dass es um eine freie, individuelle Selbstentfaltung, unabhängig vom Geschlecht gehen sollte:
«Das Gleichstellungsgesetz soll deshalb mit dazu beitragen, dass immer mehr Menschen, vor allem Frauen, aber auch Männer, die Vielfalt möglicher Lebensformen, die Chancen der individuellen Lebensgestaltung nach unterschiedlichen Vorstellung[en] und Idealen, nutzen können.»103
Auch die Debatte in National- und Ständerat war binär und heteronormativ geprägt. Im Gegensatz zur Botschaft wurde hier aber mehrmals darauf Bezug genommen, dass das Gesetz auch Männern Ansprüche einräumt. Die beiden SP-Nationalrätinnen Barbara Haering Binder und Angeline Fankhauser betonten die Möglichkeiten und die Befreiung, die Gleichstellung auch für Männer bedeutet104, während GPS-Nationalrätin Leni Robert darauf hinwies, dass auch Männer vom Gleichstellungsgesetz profitierten105.106
Aus der Debatte lässt sich also beides herauslesen: Einerseits das Streben nach hierarchischer Gleichstellung und zu diesem Zweck einer Besserstellung der Frauen. Andererseits aber genauso die Einsicht, dass soziale Normen das Problem sind und das Bedürfnis, den Menschen eine individuelle, freie und selbstbestimmte Entfaltung ihrer Persönlichkeit, unabhängig von ihrem Geschlecht, zu ermöglichen.107 Das Verständnis der Par- lamentarier_innen war dabei nicht unbedingt unterschiedlich oder inkohärent: Offensichtlich machten sie sich einfach schlicht keine Gedanken darüber - oder sprachen zumindest nicht darüber -, was mit Fällen ist, wo Personen aufgrund ihres Geschlechts in Verbindung mit einem nicht-geschlechtskonformen Verhalten benachteiligt werden. In diesem Sinne scheint die Interpretation des Bundesgerichts, dass es um eine hierarchische Gleichstellung gehe, also zwar durchaus möglich. Gleichzeitig ist sie aber auch enger als notwendig. Mindestens genauso gut liesse sich aufgrund der Materialien ein Gleichstellungsverständnis vertreten, wie es beispielsweise im Eingangszitat aus dem Glossar der Europäischen Kommission zutage tritt. Insbesondere die Tatsache, dass das Gesetz symmetrisch ausgestaltet ist, sich also trotz der Betonung der hierarchischen Besserstellung von Frauen auch Männer auf das Gleichstellungsgesetz berufen können, spricht gegen das enge Verständnis des Bundesgerichts.
5. Bostock v. Clayton County: Einschluss von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität Dass auch eine andere Auslegung möglich ist, zeigte der Supreme Court in seinem Urteil Bostock v. Clayton County. Im Folgenden wird zuerst eine kurze Zusammenfassung gegeben und dann analysiert, warum der Supreme Court zum gegenteiligen Schluss kam wie das Bundesgericht.
5.1 Das Urteil
Der Supreme Court entschied im Urteil Bostock v. Clayton County gleichzeitig noch über zwei weitere Fälle. In zwei der drei Fällen ging es um schwule Männer, in einem um eine Transfrau - allen wurde wegen ihres Outings gekündigt.108
Bereits die Zusammenlegung der Fälle zeigt, was der Supreme Court für ein Verständnis von Geschlecht hat. Er versteht unter Geschlecht nicht grundsätzlich etwas anderes als das Bundesgericht.109 Im U.S.C. ist ausdrücklich die Diskriminierung because of sex ver- boten110, also aufgrund des biologischen Geschlechts. Der Supreme Court beachtet aber den Zusammenhang, den unsere Gesellschaft zwischen biologischem und sozialem Geschlecht macht und damit die Erwartungen, die aufgrund des biologischen Geschlechts sozial aufgestellt werden. Er geht davon aus, dass die Erwartungen an die Geschlechtsidentität, die Geschlechtsdarstellung und die Ausrichtung des Begehrens in gleichem Masse soziale Erwartungen aufgrund des biologischen Geschlechts sind. Insofern ist denn auch die - beim Supreme Court ausschliesslich111 - grammatikalische Auslegung viel ausführlicher erklärt.
Entscheidend für das Urteil ist ein einfacher logischer Schluss: Ist das Geschlecht einer entlassenen Angestellten natürlich kausal für die Kündigung, dann liegt eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vor. Ist es das nicht, dann nicht. Dabei spiele es keine Rolle, ob das Geschlecht für sich allein den Ausschlag gibt, oder ob das Geschlecht von der Arbeitgeberin nur zusammen mit einer weiteren Eigenschaft oder einem weiteren Verhalten, das bei einem anderen Geschlecht nicht beanstandet würde, zur Kündigung führt. In beiden Fällen ist das Geschlecht kausal für die Benachteiligung - es stellt eine conditio sine qua non dar. Da diese Bedingung bei einer Diskriminierung wegen Homosexualität oder wegen einer Transidentität erfüllt ist, liegt eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vor.112
5.2 Die Unterschiede
Entscheidend dafür, dass der Supreme Court zum gegenteiligen Schluss wie das Bundesgericht kommt, sind drei Punkte. Erstens interpretiert der Supreme Court Gesetzestexte viel stärker grammatikalisch, mit dem Textualism:113
«But the limits of the drafters’ imagination supply no reason to ignore the law’s demands. When the express terms of a statute give us one answer and extratextual considerations suggest another, it’s no contest. Only the written word is the law, and all persons are entitled to its bene- fit. » 114
Das Bundesgericht legt zwar eigentlich auch grammatikalisch aus. Im vorliegenden Fall fehlt aber eine ernsthafte grammatikalische Begründung. Eine Auseinandersetzung mit dem vom Supreme Court vertretenen Verständnis fehlt vollkommen. Insofern kann gesagt werden, dass die unterschiedlichen Ergebnisse darin gründen, dass der Supreme Court nur mit seiner Methode des Textualism auslegt, beim hier behandelten Bundesgerichts-Fall aber vor allem eine historische Auslegung entscheidend ist.
Zweitens ist das Verbot, aufgrund des Geschlechts zu diskriminieren, im U.S.C. in einen umfassenden Schutz des Individuums vor Diskriminierung eingebettet. Die anwendbare Norm verbietet denn auch Diskriminierung gegenüber «any individual [...] because of such individual's race, color, religion, sex, or national origin». Entsprechend kommt der Supreme Court zum Schluss, dass es nicht um den Schutz von Gruppen als Ganzes vor Diskriminierung gehe, sondern um den Schutz von einzelnen Individuen.115 Anders die Norm, um die es im Urteil des Bundesgerichts geht: Dort wird der individuelle Schutz nicht explizit betont und der Diskriminierungsschutz ist eingebettet in ein Gesetz, bei dem eine hierarchische Gleichstellung gut als Zweck angenommen werden kann.
Interessant ist hier jedoch auch ein weiterer Punkt in der Argumentation des Supreme Courts. Dieser hält fest, der Kongress hätte beispielsweise die Formulierung «it shall be an unlawful employment practice to prefer one sex to the other in hiring, firing, or the terms or conditions of employment”116 wählen können oder ganz allgemein «’sexist policies’ against women as a class»117 verbieten können, hätte er keinen individuellen Schutz gewollt. Dies ergänzt die Argumentation in Kapitel 4.5.2 in fine: Auch die Bundesversammlung hätte den Schutz anders formulieren können, gar nur auf Frauen beschränken können - hat sie aber nicht.
Die Ausführungen des Supreme Courts zeigen ausserdem noch einen weiteren Widerspruch in BGE 145 II 153 auf: Mit dem Schutz vor sexueller Belästigung nach Art. 4 GlG wird auch in der Schweiz explizit das Individuum geschützt, auch darauf können sich Männer berufen. In diesem Zusammenhang würde das Bundesgericht wohl nicht auf die Idee kommen, zu sagen, es sei keine Diskriminierung gegeben, wenn in einem Betrieb Angehörige beider Geschlechter gleichermassen sexuell belästigt werden.118
Drittens schliesslich gab es beim Supreme Court frühere Urteile, die das jetzige Urteil zur logischen Folge machten, während das Bundesgericht völlig neu entscheiden konnte.119 Der Supreme Court konnte gar nicht anders urteilen, ohne in seiner Rechtsprechung an Kohärenz einzubüssen. Er hatte bereits mit Hopkins v. Price Waterhouse entschieden, dass eine Benachteiligung wegen nicht geschlechtskonformen Verhaltens - das heisst wegen der Kombination von Geschlecht und bestimmten Eigenschaften oder Verhaltensweisen, die beim anderen Geschlecht kein Problem wären - eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt.120
«So that's the dissenter's hope: that they are writing not for today, but for tomorrow.» Notorious RBG
6. Schluss
Bei der Frage, ob sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität im Begriff Geschlecht als Objekt der Diskriminierung mitgemeint sind, geht es im Grunde um die Frage, ob es bei der Norm nur darum geht, hierarchische Gleichstellung zwischen (binären) Geschlechtsgruppen herzustellen, oder ob es auch darum geht, dem Individuum eine freie, selbstbestimmte Entfaltung, unabhängig von seinem biologischen Geschlecht und damit auch unabhängig von der Erfüllung sozialer Erwartungen, zu ermöglichen.
Generell könnte man Diskriminierungsfälle aufgrund des Geschlechts in drei Arten von Fällen einteilen. Erstens Fälle, bei denen die Angehörigen eines Geschlechts direkt aufgrund ihres biologischen Geschlechts diskriminiert werden; so zum Beispiel, wenn Frauen generell weniger Lohn erhalten.121 Zweitens Fälle, bei denen Angehörige eines Geschlechts aufgrund eines bestimmten Verhaltens benachteiligt werden im Vergleich zu Personen mit dem gleichen Geschlecht ohne dieses Verhalten und Personen anderen Geschlechts. Das ist beispielsweise gegeben, wenn Mütter nicht angestellt werden, weil die Arbeitgeberin die Vorstellung hat, dass diese sich um ihre Kinder kümmern müssen, gleichzeitig aber sowohl Väter als auch Männer und Frauen ohne Kinder angestellt wer- den.122 Drittens Fälle, in denen Angehörige beider Geschlechter gleich stark für nichtgeschlechtskonformes Verhalten, das heisst ein Auseinanderfallen von biologischem und sozialem Geschlecht, gegenüber sich konform verhaltenden Personen benachteiligt werden - in diese Kategorie fallen die Fälle der Diskriminierung von LGBT-Personen, aber auch von Cis-Hetero-Personen, die sich nicht geschlechtsrollen-konform verhal- ten.123 Als vierte Kategorie könnte schliesslich noch die Diskriminierung von Inter*- oder anderen Personen genannt werden, die gar nicht in ein binäres Geschlechtersystem passen.124 Daneben sind auch weitere Fälle denkbar, die sich anhand dieser Kategorisierung nicht klar einteilen lassen.
Die Auffassung der hierarchischen Gleichstellung - jene des Bundesgerichts - führt zu einem Schutz in den ersten zwei Fallgruppen und verwehrt ihn in der dritten. Jene des Supreme Courts gewährt allen drei Fallgruppen Schutz. Spannend ist dabei vor allem folgende Erkenntnis: Die Frage, ob im Gesetzestext von biologischem oder sozialem Geschlecht die Rede ist, beziehungsweise was das Gericht darunter versteht, ist gar nicht so relevant. Zwar müsste, wenn explizit von sozialem Geschlecht die Rede wäre, der Schutz des Individuums in seiner freien, selbstbestimmten Entfaltung im Vordergrund stehen, während beim biologischen Geschlecht auch nur ein hierarchischer, gruppenbezogener Schutz interpretiert werden kann. Aber auch wenn vom biologischen Geschlecht die Rede ist, ist trotzdem ein individueller Schutz und das Zusammendenken von biologischem und sozialen Geschlecht - und darin beinhaltet sexueller Orientierung - naheliegend, wie der Supreme Court sehr schön aufgewiesen hat und wie auch die historischen Materialien zum Gleichstellungsgesetz aufzeigen.
Wie in dieser Arbeit aufgezeigt wurde, müssen, egal welches Verständnis vertreten wird und egal ob der Begriff Geschlecht im Gesetz nur biologisch oder auch sozial zu verstehen ist, soziale Zusammenhänge wie Erwartungen, Zuschreibungen und Rollenbilder dabei immer mitberücksichtigt werden. Anders lässt sich das Problem - ob hierarchische Gleichstellung zwischen zwei Gruppen oder freie individuelle Entfaltung - gar nicht angehen. Insofern spricht denn auch eine teleologische Auslegung gegen die Auffassung des Bundesgerichts: Selbst wenn es nur darum gehen würde, Frauen besserzustellen, ist das nur möglich, wenn Stereotype und andere soziale Normen aufgelöst werden. Für diesen Zweck am förderlichsten wäre es aber, wenn jedes Individuum gegen alle sozialen Erwartungen aufgrund seines Geschlechts geschützt würde. Denn: Lässt sich hierarchische Gleichstellung überhaupt ohne eine Auflösung oder zumindest Abschwächung von sozialen Normen erreichen? Schliesslich sind es unsere Vorstellungen beziehungsweise die soziale Ordnung, die zu einer hierarchischen Ungleichheit führen. Dann müssten aber auch Zwänge, die mit umgekehrten Vorzeichen beide Geschlechter treffen, pönalisiert werden.
Sexuelle Orientierung lässt sich nicht ohne Geschlecht denken. Sie ist logisch abhängig vom Geschlecht der Person, die eine gewisse Orientierung hat. Diskriminiert man wegen der Orientierung, dann diskriminiert man wegen dem Geschlecht in Verbindung mit einer anderen Eigenschaft oder einem Verhalten (das Begehren eines bestimmten Geschlechts), das als nicht konform empfunden wird. Eine Auseinandersetzung mit diesem Verständnis fehlt in BGE 145 II 153.
Und schliesslich scheint selbst die historische Auslegung des Bundesgerichts fragwürdig. Unzählige Voten von Bundesparlamentarier_innen aus allen das GlG befürwortenden Parteien weisen darauf hin, dass es ihnen um eine freie, selbstbestimmte Entfaltung des Individuums, unabhängig vom Geschlecht, und um die Bekämpfung von Stereotypen ging.
[...]
1 David in «Giovanni’s room» von James Baldwin, S. 69, Reprint, London 2001 [1956].
2 In dieser Arbeit wird grundsätzlich mit dem Gender_Gap gegendert. Bei etablierten, nicht direkt personenbezogenen Begriffen wie beispielsweise «der Gesetzgeber» wird ausnahmsweise nicht gegendert. Wo der Gender_Gap sich nicht einfach benutzen lässt, wird zum Ausgleich nur die weibliche Form verwendet.
3 Amerikanische Schreibweise: 42 U.S.C. §2000e-2(a)(1). Das Gesetzesrecht der USA findet sich in einer systematischen Sammlung, dem U.S.C. - diese ist unterteilt in unterschiedliche Titel - hier befinden wir uns im «Title 42 - The Public Health and Welfare» - die jeweils ihre eigene Artikel-Nummerierung haben (sections). 2000e-2 ist die Nummer des hier relevanten Artikels. Er befindet sich im «Subchapter VI - Equal Employment Opportunities» des «Chapter 21 - Civil Rights». Der U.S.C. ist online abrufbar unter https://uscode.house.gov.
4 Zum Begriff der sexuellen Orientierung siehe Adamietz, S. 25 ff. Im Folgenden wird meistens von Homosexualität gesprochen, weil es auch bei Bi- oder Pansexualität das homosexuelle Begehren ist, das zu Ablehnung führt. Bi- oder Pansexualität kann aber immer mitgedacht werden.
5 Siehe Adamietz, S. 29 ff.
6 Bostock v. Clayton County, 590 U.S. __ (2020), noch nicht publiziert. Der Entscheid ist online abrufbar unter https://www.supremecourt.gov/opinions/19pdf/17-1618_hfci.pdf (zuletzt abgerufen am 21.02.2020). 590 ist die Nummer des Buchs (Volume), in dem der Entscheid publiziert werden wird; da er noch nicht offiziell publiziert wurde, fehlt hier die Seitenzahl, bei der der Entscheid beginnt. Im Folgenden zitiere ich mit Entscheidnamen und der Seitenzahl des vorgenannten PDFs.
7 Lisa Grant v. South-West Trains Ltd., Case C-249/96, 17.02.1998, EuGHE I 1998, S. 621; vgl. KOCHER, S. 391 f.
8 P v. S and Cornwall County Council, Case C-13/94, 30.04.1996, EuGHE 1996, S. 2143; vgl. KOCHER, S. 393, zu Recht kritisiert sie die Inkohärenz zwischen den beiden Fällen und die unklare Argumentation. Tatsächlich ist unklar, ob P v. S auch einen Schutz für Transpersonen, die den Körper nicht angleichen, bedeutet oder für Cispersonen, die sich nicht geschlechtskonform verhalten. Würde das Gericht dort gleich urteilen, dann müsste man sich fragen, warum denn Homosexuelle nicht auch «ein eigenes Geschlecht» darstellen.
9 Toonen v. Australia, Nr. 488/1992, E. 6.11 und 8.7. Die Schweiz hat das entsprechende 1. Zusatzprotokoll zum UNO-Pakt II nicht unterzeichnet.
10 Adamietz, S. 50 ff.
11 Greenberg, S. 46.
12 Adamietz, S. 24; Maihofer, S. 19.
13 De Beauvoir, S. 334.
14 Goffman, insb. S. 134.
15 Maihofer, S. 19.
16 West/ZIMMERMAN, S. 130.
17 Ebd., S. 129.
18 West/ZIMMERMAN, S. 126; gleich Butler, S. 24; Goffman, S. 128, spricht von institutioneller Reflexivität; Maihofer, S. 21, 86 ff.
19 West/ZIMMERMAN, insb. S. 127.
20 Butler, insb. S. 49, 200 ff.
21 In Zeiten der Einführung der Ehe für alle und in denen Outings bereits an Oberstufen zum Alltag gehören, mag dieser Begriff langsam die Gefahr beinhalten, übertrieben zu wirken. Trotzdem beschreibt er treffend, worum es geht: Wer nicht heterosexuell ist bzw. sich nicht heterosexuell gibt, läuft Gefahr, benachteiligt oder sonst abgewertet zu werden - auch wenn die Chance, dass sich dieses Potenzial realisiert, heute kleiner ist als noch 1991.
22 Butler, insb. S. 38 f., 45 f; vgl. Greenberg, S. 43 f.; Hotz, S. 12.
23 Eine Ausnahme stellt der neuere Begriff der Pansexualität dar. Eine pansexuelle Person drückt damit aus, dass ihr das Geschlecht egal ist. Gleichzeitig ist der Begriff auch stark politisch aufgeladen, weil er das binäre Geschlechtssystem angreift. Aus diesem Grund definieren sich denn auch Personen, die sich geschlechtlich nicht binär definieren, oft als pansexuell. Der Begriff weist also in eine Richtung, wo Geschlecht und damit auch sexuelle Orientierung keine Rolle mehr spielen. Momentan sind wir noch nicht so weit. Auch bei nicht-binären Personen sieht man schön, dass sexuelle Orientierung sich nicht ohne Geschlecht denken lässt: Wie drückt eine nicht-binäre Person aus, dass sie auf Frauen steht?
24 Vgl. Hotz, S. 12.
25 Vgl. Kapitel 3.2.
26 Vgl. BUTLER, S. 200 ff.
27 Greenberg, S. 43 ff.; Kocher, S. 401 f.
28 Vgl. Greenberg, S. 40.
29 BÜCHLER/COTTIER, S. 415.
30 Adamietz, S. 250 ff., insb. 271.
31 Baer, insb. S. 18; Liebscher et al., S. 211 ff.; Kocher, S. 400.
32 BÜCHLER/COTTIER, S. 418; Hotz, S. 4.
33 Adamietz, S. 41 ff.; Studer/COPUR, N. 148; West/ZIMMERMAN, S. 127, 131 f.; vgl. Lautmann.
34 Waldmann, N. 50.
35 BV: Kiener/KÄLIN/WYTTENBACH, N. 85; MÜLLER/SCHEFER, S. 737; Waldmann, N. 97; statt vieler BGE 123 I 56; kritisch Bigler-EGGENBERGER/KÄGI-DIENER, N. 101. GlG: explizite Nennung beider Geschlechter in den einschlägigen Artikeln; MÜLLER/SCHEFER, S. 739; Ueberschlag, N. 37; BGE 133 II 257.
36 Vgl. Bigler-EGGENBERGER/KÄGI-DIENER, N. 89; Hotz, S. 13; PÄRLI, N. 113 f.
37 MÜLLER/SCHEFER, S. 680.
38 Vgl. Bigler-EGGENBERGER/KÄGI-DIENER, N. 89; Hotz, S. 14; Lempen/SHEYBANI, S. 89.
39 Vgl. Kiener/KÄLIN/WYTTENBACH, N. 16; PÄRLI, N. 138; Waldmann, N. 65.
40 BGE 139 I 169 E. 7.2.1, S. 174; vgl. Waldmann, N. 60 ff.
41 Waldmann, N. 71; vgl. Bigler-EGGENBERGER/KÄGI-DIENER, N. 92, 102; MÜLLER/SCHEFER, S. 686, Schweizer, N. 69.
42 Kiener/KÄLIN/WYTTENBACH, N. 24; MÜLLER/SCHEFER, S. 729 ff., 737; Ziegler/BUENO, N. 48; Waldmann, N. 71, 77, 85, sieht die tatsächlich gelebte gleichgeschlechtliche Partnerschaft als Teil der Lebensform, die sexuelle Orientierung hingegen als zusätzliches, nicht explizit genanntes verpöntes Merkmal; a.M. Schweizer, N. 70, der die sexuelle Orientierung bei Geschlecht erfasst sieht; vgl. BGE 145 II 153 E. 4.3.6, S. 161; Hotz, S. 12 f.
43 Treffend dazu, warum Transidentität unter Diskriminierung aufgrund des Geschlechts fällt Studer/CO- pur, N. 189: «so liegen potenzielle Geschlechterdiskriminierungen vor, wenn ‘Männer’ wegen typisch weiblicher Eigenschaften oder ‘Frauen’ wegen typisch männlicher Eigenschaften ungleich behandelt werden». Beim «richtigen» Begehren handelt es sich genauso um typisch männliche und weibliche Eigenschaften.
44 PÄRLI/STUDER, N. 330.
45 Vgl. PÄRLI/STUDER, N. 384 ff.
46 Vgl. Freivogel, N. 17; Lempen, N. 4; siehe BGE 143 II 153 E. 4.4.1, S. 163 f., für weitere Hinweise.
47 AS 2020 S. 1609.
48 NAGUIB, N. 1148 ff., 1157 ff.
49 Geiser, S. 1190; Hotz, S. 10 f.; Lempen/SHEYBANI, S. 90; Ograbek/SHEYBANI, S. 410, 412 f.; Sattiva Spring; Steffanini, S. 189 ff.; Tschentscher, S. 670 f., allerdings ungenau. Sattiva Spring, S. 12, weist auf das Problem der Intersektionalität hin. Im vorliegenden Entscheid ist aber genau das nicht das Problem. Das Bundesgericht anerkennt explizit, dass sich der Beschwerdeführer auf das Gleichstellungsgesetz berufen könnte, würden homosexuelle Männer im Vergleich zu homosexuellen Frauen überhaupt, stärker oder anders diskriminiert, auch wenn alle anderen Männer nicht diskriminiert werden (BGE 145 II 153 E. 4.5.2, S. 166 f.; E. 4.1, S. 158; E. 4.4.2, S. 164 f.). Ein rechtliches Problem, wie wir es bei Crenshaw beschrieben haben, existiert somit nicht. Vorliegend geht es nicht um eine multidimensionale Diskriminierung, sondern es geht um eine eindimensionale Diskriminierung aufgrund von Homosexualität.
50 Art. 83 lit. g BGG, Art. 13 Abs. 2 i.V.m. Art. 5 Abs. 2 GlG; BGE 145 II 153 E. 1.3, S. 155.
51 BGE 145 II 153 E. 4.3.3, S. 160.
52 Vgl. Kapitel 3.2 Abs. 1.
53 Vgl. BBl 1993 I S. 1297.
54 BGE 145 II 153 E. 4.3.4, S. 160; vgl. Kapitel 4.5.2.
55 Ebd. E. 4.3.6, S. 161; irritierend ist an dieser Stelle die Formulierung «(...) sexuelle Präferenz zu Gunsten des einen oder des anderen Geschlechts oder gar beider Geschlechter» - es scheint, als wäre Bi- bzw. Pansexualität dann doch ein wenig viel für das Bundesgericht.
56 So wäre ein ähnliches Verständnis wie bei Waldmann (Fn. 42), wonach die gelebte Partnerschaft der Lebensform, die Orientierung an sich aber dem Geschlecht zugeordnet würde, auch mit dem historischen Willen des Gesetzgebers (vgl. AB 1998 N S. 169 Votum Vermot) vereinbar.
57 BGE 145 II 153 E. 4.3.6, S. 162 f.; vgl. Sattiva Spring, S. 11. Dagegen waren die Abänderungen beim OR eben nötig, weil in den einschlägigen Artikel nur von Ehe(gatt_innen) die Rede war.
58 Ebd. E. 4.5.1, S. 166.
59 Ebd. E. 4.5.2, S. 166 f.
60 Vgl. BGE 131 II 361.
61 So explizit in Art. 3 Abs. 1 Teilsatz 2 GlG; vgl. Phillips v. Martin Marietta Corp., 400 U.S. 542 (1971); vgl. Greenberg, S. 42.
62 BGE 145 II 153 E. 4.5.1, S. 166.
63 Siehe Kapitel 3.2.
64 BGE 145 II 153 E. 4.5.1, S. 166.
65 Ebd. E. 4.4.1, S. 163 f.
66 Also Personen, die die Erwartungen ans soziale Geschlecht enttäuschen, vgl. Greenberg.
67 Das gleiche Ergebnis hätten wir, würden wir nicht an das identifizierte, sondern das (ursprüngliche) biologische Geschlecht anknüpfen.
68 Vgl. Art. 1 ZGB.
69 Vgl. Kramer, S. 54 ff. Gerade die in BGE 145 II 153 urteilende I. sozialrechtliche Abteilung steht denn auch oft in der Kritik, politisch (rechts) zu sein; vgl. von Bresinski; Kunz.
70 Vgl. Kapitel 4.5 - die Materialen sind völlig binär und heteronormativ, es fanden sich überhaupt keine Aussagen dazu.
71 Zu Recht dafür sprechen sich noch vor BGE 145 II 153 Studer/COPUR, N. 189, aus, siehe Fn. 43.
72 Auch Lempen/VOLODER, S. 22, sprechen in ihrer Untersuchung von allen Bundesgerichtsurteilen mit Bezug zum GlG zwischen 2004 und 2019 keine Fälle von Geschlechtsnonkonformität an.
73 Statt vieler: BGE 124 I 223 (Kindergärtner_innen); BGE 136 II 393 (Pflegefachkräfte); BGE 143 II 366 (Primarlehrer_innen).
74 Statt vieler: BGE 125 III 368 (Lohndiskriminierung); BGE 130 III 145 (Beförderung).
75 BGE 143 V 168; BGE 146 V 210.
76 BGE 131 II 361.
77 Für eine umfassende Auswertung siehe Lempen/VOLODER, insb. S. 24 f.
78 Art. 2000e-2 lit. a Ziff. 1 des 42. Titels des U.S.C.
79 Hopkins v. Price Waterhouse, 490 U.S. 228 (1989); vgl. Greenberg, S. 45 f.
80 Vgl. Bostock v. Clayton County (Fn. 6), S. 22 f.
81 Europäische Kommission, 100 Begriffe aus der Gleichstellungspolitik - Glossar der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern, Luxemburg 1998, S. 33.
82 Vgl. Kapitel 4.1 in fine.
83 Vgl. Elisabeth Joris, die schreibt: «die Gleichstellung zielt auf eine Verbesserung der Stellung der Frau».
84 Und diese profitierten denn anfänglich auch mehrheitlich davon, vgl. Bigler-EGGENBERGER/KÄGI-DIENER; N. 101.
85 Siehe Fn. 81.
86 BBl 1993 I S. 1251.
87 Ebd. S. 1266.
88 Ebd. S. 1258.
89 Ebd. S. 1260.
90 Ebd. S. 1267: «Der Wert, der einer Arbeit zugeschrieben wird, variiert entscheidend, je nachdem ob es sich um eine ‘weibliche’ oder um eine ‘männliche’ Tätigkeit handelt. So werden die meisten Arbeiten, die traditionellerweise von Frauen verrichtet werden, als nicht oder wenig qualifiziert betrachtet und entsprechend entlöhnt. In Wirklichkeit werden Kenntnisse und Qualitäten, die diese Arbeiten erfordern, häufig als naturgegebene Eigenschaften von Frauen angesehen und nicht als besondere Anforderungen und Qualifikationen, die es verdienen, bei der Entlöhnung berücksichtigt zu werden.»
91 Ebd. S. 1261.
92 Nicht beachtet werden konnten leider die wenigen italienischen Voten.
93 Statt vieler: AB 1994 N S. 228 ff. Voten Stamm und Comby (Kommissionssprecher_innen); AB 1994 S S. 808 Votum Meier (Kommissionssprecherin).
94 AB 1994 N S. 234.
95 Ebd. S. 257.
96 Ebd. S. 229 Votum Comby.
97 Ebd.
98 Ebd. S. 236.
99 Ebd. S. 243.
100 Statt vieler: AB N 1994 S. 234 Votum Poncet.
101 Vgl. Kapitel 5.
102 AB S 1994 S. 809, Kommissionssprecherin Josi Meier zitiert (unterstützend) Bundesrat Arnold Koller aus unbekannter Quelle.
103 Ebd. S. 811.
104 AB N 1994 S. 239.
105 Ebd. S. 504.
106 Der APS-Nationalrat Jürg Scherrer war der Meinung, die Berufung von Männern auf Diskriminierung werde schon bald nötig sein - wohl in einem hierarchischen, asymmetrischen Sinn verstanden, ebd. S. 237.
107 So verstehen denn auch MÜLLER/SCHEFER, S. 687, Anti-Diskriminierungsrecht: «In längerfristiger Perspektive sollen sie zudem verhindern, dass gesellschaftliches Denken in überkommenen Kategorien und stereotypen Rollenzuteilungen weiterhin gepflegt wird.»
108 Bostock v. Clayton County, S. 2 f. (Fn. 6).
109 Tatsächlich hält er die Frage für irrelevant und geht darum von biologischem Geschlecht aus, Bostock v. Clayton County (Fn. 6), S. 5.
110 Art. 2000e-2 lit. a Ziff. 1 des 42. Titels des U.S.C.
111 Bostock v. Clayton County (Fn. 6), S. 4.
112 Ebd., S. 6 f.
113 Vgl. Shear.
114 Bostock v. Clayton County (Fn. 6), S. 2.
115 Ebd., S. 7 f.
116 Ebd., S. 8.
117 Ebd.
118 Vgl. Ebd.
119 Vgl. Kapitel 4.4.
120 Hopkins v. Price Waterhouse, 490 U.S. 228 (1989); vgl. Greenberg, S. 45 f.
121 Siehe Fn. 73 und 74.
122 Phillips v. Martin Marietta Corp., 400 U.S. 542 (1971); vgl. GREENBERG, S. 42; in Bostock v. Clayton County, S. 12 f. dient der Fall jedoch trotzdem zu Recht als Argument für die Bejahung einer Diskriminierung, auch dann, wenn beide Geschlechter gleich stark von einer Ungleichbehandlung betroffen sind, einfach mit umgekehrten Vorzeichen.
123 Vgl. Greenberg, insb. S. 48.
124 Wobei man sie aber auch - was sehr sinnvoll scheint - einfach unter die erste Gruppe nehmen könnte. Zum Problem des Dilemmas der Reproduktion des Binären im Antidiskriminierungsrecht vgl. Kocher, S. 386 f.
- Quote paper
- Elias Studer (Author), 2021, Sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität als Teil des Diskriminierungsschutzes "Aufgrund des Geschlechts", Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1571236