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Hausarbeit (Hauptseminar), 2010
26 Seiten, Note: 1,3
1. Einleitung
2. Gesprächsanalyse
2.1 Kategorien der Gesprächsanalyse und ihre Bedeutung im Film
2.1.1 Sprecherwechsel
2.1.2 Gliederungssignale und back-channel-behaviour
2.1.3 Paarcharakter
2.1.4 Maxime nach Grice
2.1.5 Implikaturen
2.1.6 Sprechakte und Hörverstehensakte
2.2 Kriterien zur Analyse von Gesprächen im Film
3. Analyse der Filmsequenzen
3.1 Eine kurze Inhaltsangabe
3.2 Wer ist Hagrid? – Analyse der ersten Szene
3.3 Professor Snape – Analyse der zweiten Szene
3.4 Woher wisst ihr von Fluffy? – Analyse der dritten Szene
4. Fazit
Literaturverzeichnis
Die Fähigkeit zu Denken und diese Gedanken verbal ausdrücken zu können unterscheidet uns von anderen Lebewesen enorm: dies ist es, was uns zum Menschen macht.
„Wenn der Mensch [nun also] durch seine Sprachfähigkeit erst zum Menschen wird, dann bedeutet diese Sprachfähigkeit zugleich, dass der Mensch mit anderen Menschen in ein Gemeinsames und das heißt: in ein Gespräch eintreten kann.“[1]
Das Gemeinsame ist der Grundstein unserer Existenz, nämlich die Möglichkeit sich mit anderen zu verständigen und auszutauschen. Da wir dies auf diverse Arten tun können, gibt es hier einigen Forschungsbedarf. So nimmt die Gesprächsanalyse einen nicht unerheblichen Teil der Linguistik ein.
In dieser Hausarbeit stellt die Gesprächsanalyse die Grundlage für einige interessante Überlegungen: Warum gelingen uns die allermeisten Gespräche im privaten wie im beruflichen Sektor? Was sind die Gründe dafür, dass eine Kommunikation manchmal scheitert? Nach welchen Regeln führen wir Gespräche mit unseren Mitmenschen? Und wie verhält es sich mit diesen Fragen bei inszenierten Gesprächen, beispielsweise im Film?
Denn auch wenn solcherlei Gespräche auf den ersten Blick wie ‚echte, natürliche’ Gespräche wirken, bemerkt man beim genauen Zuschauen und –hören etwas Fremdartiges: Beispielsweise erklärt in „Illuminati“, dem Film zu Dan Bown’s bekanntem Roman, ein Bischof einem anderen Bischof welche Aufgaben ein Camerlengo hat. Auf den ersten Blick erscheint dieses Gespräch als höchst interessant, da dies einem Großteil der Zuschauer vorher sicher nicht bekannt war. Denkt man jedoch etwas länger darüber nach, erkennt man schnell eine Absurdität: ein Mitglied des Klerus erklärt einem anderen Mitglied des Klerus die Aufgaben eines dritten Mitglieds des Klerus. Das Problem bei solchen Filmgesprächen ist, dass dem Zuschauer auf der einen Seite Informationen übermittelt werden müssen, diese Informationsweitergabe auf der anderen Seite jedoch in einen realistischen, logischen Zusammenhang gestellt werden muss. Da ein Drehbuchautor diesem Zwiespalt nicht immer entkommen oder ihn zumindest geschickt umgehen kann, treffen wir häufig auf Filmszenen, die befremdlich wirken.
Filmgespräche sind aber noch aus einem anderen Grund höchst interessant: auch wenn Filmgespräche generell nur gespielt werden, ist es trotzdem das Ziel des Films, den Zuschauer in eine andere Realität zu entführen. Deshalb ist es wichtig, dass sich der Zuschauer nicht ständig darüber bewusst ist, dass der Film nur ein Film ist. Der Zuschauer soll soweit mitgerissen werden, dass er die Realität einen Moment lang ausblendet und den Film als real ansieht. Auch hierzu sind Konversationen ein wichtiges Instrument.
Wie also diese beiden Ziele im Film verwirklicht werden, möchte ich an ausgewählten Filmszenen analysieren und beurteilen. Hierzu definiere ich einige grundlegende Merkmale, die zur Gesprächsanalyse nötig sind und erkläre dann, welche Bedeutung die einzelnen Merkmale für Gespräche im Film haben. Anschließend werde ich einen Kriterienkatalog zur Analyse von Gesprächen im Film zusammenstellen und mit Hilfe dieser Kriterien verschiedene Szenen aus dem Film „Harry Potter und der Stein der Weisen“[2] untersuchen. Im Fazit werde ich abschließend herausarbeiten, was das Besondere an Gesprächen im Film ist.
Wenn von Humboldt sagt: „Es liegt aber in dem ursprünglichen Wesen der Sprache ein unabänderlicher Dualismus, und die Möglichkeit des Sprechens selbst wird durch Anrede und Erwiderung bedingt“[3], erkennt er damit den Paarcharakter von Gesprächen als das, was die Basis des Gesprächs ist, nämlich der Wechsel zwischen Frage und Antwort und der damit verbundene Sprecherwechsel. Natürlich geschieht verbale Kommunikation nicht völlig willkürlich, sondern nach bestimmten Regeln, an die sich die Gesprächspartner – meist intuitiv – halten.[4]
So ist zu erklären, dass Gespräche zwischen zwei oder mehr Personen funktionieren, ohne dass es einen Moderator gibt oder eine Instanz, die das Einhalten der Regeln überwacht. Dass diese Regeln wie schon erwähnt zumeist intuitiv eingehalten werden, zeigt, dass sie eine konventionelle Bedeutung für die Gesprächspartner haben, welche die Regeln so verinnerlicht haben, dass sie sie naturgemäß befolgen. Im Film ist dies anders, hier sind die Regeln, nach denen kommuniziert wird, vorgegeben. Eine besondere Herausforderung für den Drehbuchautor ist hierbei allerdings, genau dies nicht erkennen zu lassen, sodass die Gespräche so natürlich und intuitiv erscheinen wie alltägliche Gespräche. Was dies nun also für Regeln sind und wieso und auf welche Weise sie eingehalten oder - den Film betreffend - inszeniert werden, ist Gegenstand des folgenden Abschnitts.
Um ein Gespräch zu analysieren haben Henne/Rehbock die Ebenen eines Gesprächs aufgegliedert und die folgenden verschiedenen Analysekategorien entwickelt:
1. Makroebene
1.1 Gesprächseröffnung
1.2 Gesprächsbeendigung
1.3 Gesprächsmitte
1.4 Gesprächsränder
2. Mittlere Ebene
2.1 Gesprächsschritt, im Folgenden als turn bezeichnet
2.2 Sprecher-Wechsel, auch turn-taking
2.3 Gesprächssequenz
2.4 Sprechakt / Hörverstehensakt
2.5 Gliederungssignale
2.6 back-channel-behaviour
3. Mikroebene[5]
Da für mein Thema das, was neben, vor und nach dem eigentlich Gesagten geschieht, am wichtigsten ist, werde ich meine Analyse hauptsächlich auf die mittlere Ebene der Analysekategorien stützen.
Als erstes gehe ich auf das ein, was ein Gespräch von einem Monolog oder einem Vortrag unterscheidet, nämlich den Sprecherwechsel. Während ein turn (das, was jeder tut, wenn er an der Reihe ist) nur die Sprechhandlung ist, die der Sprecher vollzieht, ist es bedeutend, durch den Sprecherwechsel erstmals eindeutig entscheiden zu können, dass ein Gespräch vorliegt. Gerade bei Gesprächen im Film ist es an manchen Stellen enorm wichtig, dem Zuschauer zu signalisieren: „Hier findet ein Gespräch statt“, da der Monolog im Film häufig genutzt wird, während andere Personen zugegen sind. Dies ist eine Besonderheit, mit der wir im Alltag höchst selten konfrontiert werden. Im Regelfall kann man davon ausgehen, dass zwei Personen ein Gespräch führen und nicht nur einer spricht. Da „der offenkundigste Aspekt eines Gesprächs“[6] der Sprecherwechsel ist, weil er dem Gespräch eine Struktur gibt, ist dies der erste Anhaltspunkt für eine Gesprächsanalyse.
Wie für Gespräche insgesamt ist auch der Sprecherwechsel reguliert, denn ohne Regeln würden entweder alle Gesprächsteilnehmer gleichzeitig reden, oder niemand würde sprechen. So gibt es verschiedene Möglichkeiten des Sprecherwechsels. Die erste und am häufigsten genutzte Möglichkeit ist die Selbstselektion. Hierbei lautet die von Gesprächsteilnehmern intuitiv befolgte Regel: Der, der zuerst spricht, hat das Wort, aber er muss das Ende des Satzes des vorangegangenen Sprechers abwarten[7]. Wenn wir nicht gerade besonders aufgebracht sind, gebietet uns schon die Höflichkeit, die Regel einzuhalten. Doch oft wird diese Regel eben nicht genau eingehalten, beispielsweise, wenn jemand schon anfängt zu sprechen, bevor der andere seinen Satz noch nicht beendet hat. Dies kann dadurch geschehen, dass der neue Sprecher einfach den Satz für den vorigen Sprecher beendet und dann etwas Neues sagt oder wenn das Ende des vorangegangenen Satzes für den neuen Sprecher nicht mehr wichtig war, da es vielleicht nur noch einmal eine Verstärkung des zuvor Gesagten war und der vorherige Sprecher deshalb die Unterbrechung duldet.
Natürlich gibt es auch den Fall, dass das Gesagte sehr wohl für den ersten Sprecher wichtig war und er sich deshalb das Wort zurückerkämpft. Dies kann er, indem er lauter spricht, um den anderen zu übertönen, seinen unterbrochenen Redeteil wiederholt, bis der Unterbrechende schweigt, gestikuliert um den Unterbrechenden nonverbal zurückzudrängen oder die Unterbrechung thematisiert und so das Wort zurückerlangt[8]. Während wir im ersten Fall nicht von einem gescheiterten Gespräch sprechen würden, würden wir den zweiten Fall wohl doch als misslungen betrachten. Ebenso zum scheitern verurteilt wäre ein Gespräch, in dem kein neuer Sprecher selbstselektiv den Sprecherwechsel vollzieht und alle Gesprächspartner schweigen, nachdem ein Sprecher seinen turn beendet hat.
Eine weitere Möglichkeit des Sprecherwechsels ist die, dass der Gegenwärtige den Nächsten bestimmt. Hierbei wird der turn durch Namen nennen oder Gesten wie Kopfnicken an den nächsten Sprecher übergeben. Da solch eine Zuordnung eindeutig ist, sollten auf diese Weise jegliche Probleme vermieden werden. Für institutionalisierte Gespräche gibt es noch die folgende dritte Möglichkeit des Sprecherwechsels: der Gesprächsleiter wählt den Nächsten.[9] Auch hier ist die Gefahr eines gescheiterten Gesprächs wie in der zweiten Möglichkeit höchst gering.
Wenn es nun also verwunderlich ist, dass die häufigste Art, einen Sprecherwechsel zu vollziehen die der Selbstselektion ist, da diese das größte Risiko mit sich bringt, drängt sich die Frage auf, warum wir diese Möglichkeit dann am häufigsten nutzen und warum sie in den allermeisten Fällen trotzdem funktioniert. Bei Gesprächen im Film kommt stets noch eine weitere Frage hinzu: Die Frage nach den Gründen des Drehbuchautors, eben diese Art von Sprecherwechsel zu nutzen. Anhand der später folgenden Beispielanalyse von Filmszenen aus „Harry Potter und der Stein der Weisen“ werde ich diesen Fragen genauer auf den Grund gehen und die jeweilige Wahl des Drehbuchautors erklären.
Um die Frage nach den Gründen für einen gelungenen Sprecherwechsel weiter zu verfolgen bietet sich die nähere Betrachtung von Gliederungssignalen an. Denn Gliederungspartikel wie „ne, nich, nicht, nicht wahr, wa, gell, ja, woll“[10] etc. untermauern das Gesagte, wodurch sie ebenfalls den turn gliedern und den Sprecherwechsel einleiten. Auch wenn diese Partikel auf den ersten Blick als eher überflüssig erscheinen, sind wir doch auf sie angewiesen, denn sie gliedern nicht nur den turn, sondern zeigen dem Hörer auch, was dem Sprecher als besonders wichtig erscheint. Außerdem sind sie ein Zeichen für das Natürliche an Gesprächen, da sich jeder Sprecher in einem Gespräch gerne der Gliederungssignale bedient, um den Gesprächsschritt nicht nur für den Hörer, sondern auch für sich selbst zu strukturieren, Wichtiges zu untermauern, eine Pause machen zu können, bevor man einen neuen Punkt anspricht oder dem Gesprächspartner das Wort zu übergeben. Gliederungssignale sind also wesentlich vielfältiger als sie auf Anhieb erscheinen. Im Film sind Gliederungssignale ein schwieriges Thema. So wie es uns in der Literatur schwer fällt, ein Gespräch zu lesen, welches Gliederungspartikel beinhaltet, so ist es auch in Filmgesprächen: Wir stocken, wenn wir einen Charakter übermäßig häufig Gliederungspartikel benutzen hören, da wir so sehr daran gewöhnt sind, flüssig gegliederte Sprache zu hören und zu lesen, dass wir das Natürliche am Gebrauch dieser Partikel nicht bemerken. Aus diesem Grund wird es also für den Drehbuchautor schwer, ein Gespräch natürlich aber gleichzeitig auch professionell wirken zu lassen.
Ähnlich wie bei Gliederungssignalen verhält es sich auf der Hörerseite mit dem back-channel-behaviour. Hier ist es allerdings der Hörer, der den turn dadurch gliedert, dass er dem Sprecher eine Rückmeldung zum Gesagten gibt. Diese Rückmeldungen bekommt der Sprecher, während er spricht und er wird dadurch nicht unterbrochen. Es gibt zwei wesentliche Arten von back-channel-behaviour:
[...]
[1] Henne, Helmut, Helmut Rehbock: Einführung in die Gesprächsanalyse. 4. Auflage, Berlin; New York: de Gruyter 2001, S. 1
[2] Chris Columbus: Harry Potter und der Stein der Weisen, DVD, 146 min., USA und Großbritannien: 2004.
[3] Wilhelm von Humboldt, zitiert nach Henne/Rehbock 2001, S. 6
[4] Vgl. Henne/Rehbock 2001, S. 2
[5] Henne/Rehbock 2001, S. 14
[6] Henne/Rehbock 2001, S. 2
[7] Vgl. Henne/Rehbock 2001, S. 17
[8] Vgl. Linke, Angelika, Markus Nussbaumer, Paul R. Portmann: Studienbuch Linguistik. 5. Auflage, Tübingen: Niemeyer 2004, S. 304
[9] Vgl. Henne/Rehbock, S. 17
[10] Henne/Rehbock 2001, S. 20