Der absolute Film als avantgardistische Bewegung des frühen 20. Jahrhunderts befreite den Film von der rein dokumentarischen Wirklichkeitsabbildung und erhob ihn zu einer eigenständigen Kunstform. Inspiriert von musikalischen Prinzipien und Strukturen wie Kontrapunkt, Nachahmung und Umkehrung, wurde der Film als „Malerei mit Zeit“, „Augenmusik“ oder „Lichttonsinfonie“ beschrieben. Die Verbindung von Musik und bildender Kunst, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts an Bedeutung gewann, fand im Medium Film eine neue Dimension, da die zeitliche Struktur der Musik auf visuelle Medien übertragen werden konnte.
Diese Arbeit untersucht die Entwicklung und Bedeutung des absoluten Films, seine programmatischen Schriften und die Beziehung zwischen Musik, Malerei und Film. Dabei wird aufgezeigt, wie technologische Innovationen und gesellschaftliche Strömungen die Entfaltung des absoluten Films ermöglichten und welche Rolle die Ästhetik der Zeit und der Bewegung für diese neue Kunstform spielte.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Definitionen
3. Musik und Film - Absoluter Film
3.1 1910 bis 1930
3.2 1930 bis 1940
3.3 1940 bis 1960
3.4 1960 bis 1980
3.5 ab 1980
4. Zusammenfassung
5. Quellen
1. Einleitung
Der absolute Film - „so bezeichneten die Zeitgenossen einen von der Mechanik der Wirklichkeitsabbildung befreiten Film. [...] [Er] führt mitten hinein in die avantgardistischen Strömungen des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts“ (Kiening/Adolf, 2012, 5), in die Verschmelzung verschiedener Künste und ein Experimentieren des Denkens im medialen Kontext (Graf/Scheunemann, 2007). Der absolute Film wurde mit vielen musikalischen Begriffen bezeichnet, wie zum Beispiel „Malerei mit Zeit“, „Bewegkunst“, „Augenmusik“, „Lichttonsinfonie“ oder „zeiträumliche Eurhythmie“ (Arfini, 2013). In den programmatischen Schriften seiner Pioniere wird er oft als eine neue Kunstform von bewegten Bildern über die Zeit hinweg beschrieben, organisiert nach den formalen Prinzipien der Musik. Es ist wohlbekannt, dass die Beziehung zwischen Musik und bildender Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr wichtig wurde (Arfini, 2013; Rainer, 2009; Anders, 2020): Viele Maler begannen Anspielungen auf musikalische Strukturen in ihrer Arbeit zu verwenden, wie das Prinzip des Kontrapunkts und seiner Mittel: Nachahmung und Umkehrung von Form und Farbe (Arfini, 2013; Rainer, 2009). Doch mit der neuen Technologie des Kinos konnte die Zeit - als Hauptdimension der Musik - auf die Malerei übertragen werden, wodurch ein enormes Entwicklungspotenzial entstand und der absolute Film sich immer mehr in der Gesellschaft entfaltete (Kiening/Adolf, 2012).
2. Definitionen
Doch was macht den absoluten Film überhaupt so absolut? Vielerorts wird der absolute Film auch als abstrakter Film verstanden. Daher wird im Folgenden abstrakt und absolut im Bezug auf Film synonym verwendet. Der Begriff der Abstraktion bezeichnet zumeist den Prozess des Weglassens von Einzelheiten und das Überführen auf etwas Allgemeineres oder Einfacheres (Mauthner, 1980). Dabei wird sich losgelöst von der Gegenständlichkeit bis zum Verlust jeglicher Konkretion1. Eben diese Abstraktion lässt sich bestens bei Werken des absoluten Films beobachten: Sei es Ruttmanns gemalte und handkolorierte Animationsfilme mit sich bewegenden Formen und Farben oder Eggelings scheinbar wahllos herumirrende Figuren in schwarz-weiß (Rainer, 2009; Cowan, 2014, Elder, 2008).
Absolute Filme sind Paradeexemplare für sehr frühe Animationsfilme. Durch unterschiedliche Verfahren (damals vor allem durch handbemalte Schablonen (Arfini, 2013) und Schattenwürfe (Cowan, 2008) werden unbelebte Objekte im animierten Bewegtbild zum Leben erweckt (Bruckner, 2021).
3. Musik und Film - Absoluter Film
3.1 1910 bis 1930
Die allerersten Experimente waren die kurzen handgemalten Filme der italienischen Futuristen Bruno Corra (1892-1976) und Arnaldo Ginna (1890-1982), auch bekannt als die Brüder Bruno und Arnaldo Ginanni Corradini. Sie malten direkt auf den Filmstreifen. In seiner Schrift Musica cromatica hatte Corra die Idee eines accordo di colori (Farbakkord) ausgearbeitet und das erste filmische Experiment der Brüder im Jahr 1911 beschrieben2 (Corradini, 1912). Jedoch ist weder eines dieser frühen Experimente erhalten noch ist die Aufführung eines abstrakten Films aus dieser Zeit dokumentiert (Rainer, 2009), aber anhand von Corras Beschreibungen kann argumentiert werden, dass ihr Hauptziel eine Art synästhetische Übersetzung war (Arfini, 2013).
Die gesicherte Geschichte des abstrakten Films beginnt mit Walter Ruttmanns Lichtspiel Opus 1, welches am 21. April 1921 in Berlin uraufgeführt wurde (Rainer, 2009; Cowan, 2014). Ruttmann war ein erfolgreicher sowohl gegenständlicher als auch abstrakter Maler und musizierte als Amateur, bevor er sich für die Realisierung seiner angestrebten Malerei mit Zeit mit den Möglichkeiten der Filmtechnik auseinandersetzte (Hein/Herzogenrath, 1977): „Eine Kunst für das Auge die sich von der Malerei dadurch unterscheidet dass sie sich zeitlich abspielt (wie Musik) und dass der Schwerpunkt des Künstlerischen nicht (wie im Bild) in der Reduktion eines (realen oder formalen) Vorgangs auf einem Moment liegt, sondern gerade in der zeitlichen Entwicklung des Formalen.“ (Kiening/Adolf, 2012, 52) Das Werk besteht aus Tausenden Gemälden, welche geteilt, reproduziert und auf dem Film handkoloriert wurden. Auf der Leinwand sieht man verschiedene, sich bewegende monochrome Formen3, aggressive, in das Bild hineinstoßende Dreiecke und wie suchende Lichtkegel wirkende Kreise und Zylinder - „es scheint ein Kampf der Formen stattzufinden.“ (Rainer, 2009, 25).
Begleitet wird Lichtspiel Opus 1 von einem konkret dafür komponierten Stück. Ruttmanns Freund Max Butting verfasste Opus 23 für ein Streichquintett, um die dramatischen Ansätze des Films zu erzielen, welche ohne die Musik weniger ausgeprägt wirken würden. Obwohl der Film auch ohne Ton eine gewisse Wirkung erzeugt, unterstützt und prägt die Musik die Wahrnehmung signifikant und es entsteht ein perfekt aufeinander abgestimmtes Gesamtwerk. Die Partitur für Streichquintett enthält die farbigen Bilder des Films mit Angaben zu Wiederholungen und Änderungen (Rainer, 2009; Arfini, 2013), um den Musikern das synchronisierte Spielen mit der Filmprojektion zu ermöglichen. Der Film, der über zehn Minuten dauert, ist wie ein Musikstück mit drei Sätzen strukturiert. In jedem dieser Sätze kann eine thematische Arbeit mit kontrastierenden Themen und ihren Variationen beobachtet werden.
Aber Ruttmann war auch einer der ersten experimentellen Filmemacher, der sich in die Produktwerbung wagte (Cowan, 2014), weshalb er aufgrund seiner kunstgewerblichen Arbeit in der Kritik stand (Goergen, 1989). Werbung sollte jedoch weiterhin einen bedeutenden Teil von Ruttmanns Werk in den 1920er Jahren ausmachen, darunter mindestens sechs animierte Produktwerbungen zwischen 1922 und 1927. Gesehen vor dem Hintergrund der Debatten über Ruttmanns Formalismus, ist das Besondere an seinen animierten Werbeanzeigen die Art und Weise, wie sie scheinbar zwischen „abstraktem ,absolutem’ Formalismus und bezeichnender Referenzialität“ (Cowan, 2014, 29) schweben. Sie bewegen sich ständig zwischen abstrakten, elementaren Formen und erkennbaren Objekten hin und her und verdeutlichen somit die fließende Grenze zwischen beiden. In Ruttmanns Werbeanzeigen aus dieser Zeit finden sich präzise Wiederholungen der Formen, die in seinen Opus-Filmen wirksam sind, jedoch verwandeln sich diese Formen nun in identifizierbare Gesichter, Körper und Objekte. Ruttmanns Formen zeigen sich also als maßgebliche Komponente der zeitgenössischen Kunst- und Werbewahrnehmung und haben das Konzept des absoluten Films stark geprägt.
Ab 1923 wurden die Rhythmus-Filme von Hans Richter (1888-1976) unter verschiedenen Titeln gezeigt (Rainer, 2009). Er wandte sich 1917 vom Expressionismus ab und entschied sich dafür, „völlig objektiv und logisch zu malen, [...] nach Prinzipien, ähnlich denen in der Musik, mit langen und kurzen Notenwerten" (Arfini, 2013, 214). In Zürich traf er den Komponisten und Musikwissenschaftler Ferruccio Busoni und studierte bei ihm Kontrapunkt4, was ihn erkennen ließ, dass seine Experimente mit positiven und negativen Formen den Prinzipien des musikalischen Kontrapunkts entsprechen könnten. Ebenfalls sehr wichtig in Richters Karriere war ein Treffen in Zürich mit dem Maler und Pianisten Viking Eggeling (1880-1925). Die beiden teilten den Zweck, eine formal allgemein verständliche Sprache („universelle Sprache") zu finden, und begannen bald darauf zusammenzuarbeiten (Graf/Scheunemann, 2007). Sie erstellten Zeichenstudien auf langen Papierstreifen, um ein Thema in verschiedenen Schritten zu entwickeln, ähnlich wie in der Musik (Arfini, 2013, Rainer, 2009). Später begann Richter mit der Arbeit an seinem allerersten Animationsfilm, Rhythmus 21 (1921), und gleichzeitig produzierte Eggeling seine Symphonie Diagonale, die als musikalische Sonatenform strukturiert war und im Mai 1925 öffentlich in Berlin uraufgeführt wurde. Die musikalischen Prinzipien, die die Filme organisieren, werden von Richter selbst erklärt:
„Im musikalischen Kontrapunkt fanden [Eggeling und ich] ein Prinzip, das unserer Philosophie entsprach: Jede Aktion ruft eine entsprechende Reaktion hervor. So fanden wir im kontrapunktischen Fugensatz das passende System, eine dynamische und polare Anordnung gegensätzlicher Energien, und in diesem Modell sahen wir ein Bild des Lebens selbst; das eine wächst, das andere schwindet, in einer kreativen Verbindung von Kontrast und Analogie.“ (Turvey, 2003, 31f)
Eggeling verstand sein Werk als eine visuelle Komposition, realisierte sie daher bewusst stumm und orientierte sich hinsichtlich des Ablaufs der Formen an kompositorischen Prinzipien. Das Gegenspiel der Figuren wurde als Kontrapunkt verstanden, ihre Abfolge und Veränderungen in der Zeit als Rhythmus. Eggeling ging von der Vorstellung einer universell gültigen abstrakten Formensprache aus und verwendete eine Handvoll Grundmuster, die im Laufe des Kurzfilms erweitert und variiert werden (Elder, 2008; Rainer, 2009). Richter behauptete, dass die Form von Rhythmus 21 der Gestalt von Gefühlen folgte, eine Vorstellung, die sich auf die Idee bezieht, dass künstlerische Formen die virtuelle Gestalt von Emotionen haben. Richters Ziel, der Form von Gefühlen zu folgen, bedeutete auch, die Zeit des Films vollständig in den Bereich der Gegenwart zu bringen:
„Dieser Film gibt der Erinnerung nichts, woran sie sich festhalten kann. Dem ,Gefühl‘ ausgeliefert und darauf beschränkt, dem Rhythmus gemäß dem aufeinanderfolgenden Auf und Ab des Atems und des Herzschlags zu folgen, bekommen wir ein Gefühl dafür, was Fühlen und Wahrnehmen wirklich bedeutet: ein Prozess - eine Bewegung. Diese Bewegung[1] mit ihrer eigenen organischen Struktur ist nicht an die Kraft der Assoziation [...] gebunden, auch nicht an Gefühle des Mitleids [...], noch tatsächlich an Jnhalt' überhaupt, sondern folgt stattdessen ihren eigenen unausweichlichen mechanischen Gesetzen.“ (Graf/Scheunemann, 2007, 13)
Der schwedische Maler Eggeling setzte mit seiner Symphonie Diagonale einen der eindrücklichsten Meilensteine der Geschichte des absoluten Films. Seine künstlerische Arbeit führt ihn von der Malerei, „von dem Sichvertiefen in ihre Elemente und Gesetzhaftigkeiten zum absoluten Film, als der Erfüllung des in der bildenden Kunst entstandenen Willens zu reiner und raumzeitlich-rhythmischer Gestaltung“ (Kiening/Adolf, 2012, 170). 1917 erfuhr er von der Dada Bewegung. Obwohl er ihre anti-künstlerische Abneigung nicht teilte, empfand er die dadaistische Idee als befreiend und arbeitete ab 1918 bereits an Ideen zur Orchestrierung von Linien, die schließlich Teil der allgemeinen Theorie der Malerei werden sollten, einer Theorie, auf die er als Generalbass der Malerei verwies (Graf/Scheunemann, 2007). Bald darauf nahm Eggeling diese Ideen in seinem Film Horizontal-Vertikales Orchester (1923) auf, welcher durch vertikale und horizontale Vektoren organisiert war (Elder, 2008). Diese Mittel beruhten auf Prinzipien, die denen des Kontrapunkts in der Musik ähnlich sind und ein Spiel von Kontrasten und Analogien schaffen (Kiening/Adolf, 2012). Aus der Erkenntnis dieses „psycho-mechanischen Bewegung spendenden Vorgangs [zwischen Kontrast (polare Gegensätze und Analogien (polare Verwandtschaft)] leiten sich in grundsätzlicher Weise seine Prinzipien einer neuen Optik ab, - einer malerischen, künstlerischen, menschlichen“ (Kiening/Adolf, 2012, 171), welche er später in seiner Diagonalsymphonie auf diagonalen Vektoren (Elder, 2008) erneut verarbeitet:
„In seinem Film "Symphonie Diagonale" bewegen sich Figuren entlang alternativer diagonaler Linien, die den Bildschirm von oben links nach unten rechts und von oben rechts nach unten links kreuzen. Gleichzeitig scheinen sie sich in der Tiefe von der Oberfläche des Bildschirms zu einem imaginären fliehenden Punkt in seiner Mitte zu bewegen, so wie Richters Quadrate, und wieder zurück. Schließlich entwickeln sich Eggelings Formen in geraden und kunstvoll geschwungenen Linien, während sie ihre diagonalen und auftauchenden-fliehenden Bewegungen verfolgen. Die Musikalität von , Symphonie Diagonale' ergibt sich aus ihrer umfassenden Verwendung von wechselseitigen Bewegungen. Eine Ausarbeitung entlang einer diagonalen Achse wird gespiegelt ... durch ihre Trennung an einem anderen Ende; eine Bewegung in den Bildschirm hinein geht einer Bewegung aus ihm heraus voraus.“ (Elder, 2008, 445)
An diesen ersten Werken lassen sich bereits wesentliche Elemente des abstrakten Films aufzeigen: Alle drei Schöpfer waren bildende Künstler und verstanden ihre Werke auch als Malerei mit Zeit (Hein/Herzogenrath, 1977). Der Beziehungsgrad zwischen Formen in ihrer zeitlichen Entwicklung standen im Fokus im Zusammenspiel mit Prinzipien der Musik.
3.2 1930 bis 1940
Die Tradition des deutschen abstrakten Films wurde von Oskar Fischinger (1900-1967) fortgeführt. Der junge Maler und Geigenspieler besuchte im April 1921 die Premiere von Ruttmanns Lichtspiel Opus 1 in Frankfurt und bewunderte es so sehr, dass er bald darauf versuchte, Ruttmanns Experimente auf neue Weise nachzuahmen5. Unter seinen interessantesten Werken, die darauf abzielten, die Beziehung zwischen musikalischer und visueller formaler Organisation zu erforschen, sind die vierzehn Studien - zwölf vollständige Filme und zwei Fragmente - die zwischen 1929 und 1934 entstanden sind. Er begann an Animationsfilmen zu arbeiten, indem er Zeichnungen mit Kohle auf weißem Papier anfertigte und sie mit positiver/negativer Inversion filmte. Die Studie Nr. 1 war ein stummer Film (Arfini, 2013), Studie Nr. 2 wiederum ist der wahrscheinlich erste Vorläufer des Musikvideos mit Verweis auf eine im Handel erhältliche Schallplatte während des Abspanns (Rainer, 2009). Dabei verstand Fischinger seine Arbeiten allerdings nicht als eine Illustration der Musik, sondern als Transportmittel seiner abstrakten Kunst. Die neue Technologie des Soundtracks forderte eine strengere synästhetische Beziehung zwischen bewegten Bildern und Musik. Fischinger versuchte, eine „visuelle Musik“ zu schaffen, die aus formalen und synästhetischen Gesichtspunkten perfekt mit der synchronisierten Musik übereinstimmte (Arfini, 2013). Aus dieser Überzeugung, dass Töne und Formen fundamentale Beziehungen zueinander haben und die abstrakten Figuren den Mustern der optischen Tonspur ähnelten, begann Fischinger 1932 mit Experimenten zu Tönende Ornamente. Er arbeitete daran, systematisch Töne durch abstrakte Zeichnungen und Ornamente auf der Lichttonspur des Films herzustellen (Rainer, 2009). Dass Ornamente komplexe Töne ergeben, sobald man sie mit dem Lichtspalt einer Fotozelle abtastet, konnte er durch verschiedene Versuche feststellen. „Der Ton wird [...] beim Film durch eine Umwandlung von Schallwellen in Lichtschwankungen am Rande des Films aufgezeichnet. Diese so aufgezeichneten Kurven ähneln komplizierten Ornamentbildern.“ (Kiening/Adolf, 2012, 314) Sie erscheinen als unterschiedlich hohe weite Zacken und feine Striche, welche im Wechsel auf dem Streifen erscheinen6. Fischinger erhoffte sich von diesem Verfahren nicht nur eine Einheit von Bild und Musik, sondern auch eine neue Möglichkeit der Klangsynthese für Komponisten, was wiederum an dem Fakt scheiterte, dass die Klänge nach zeitgenössischem Verständnis vielmehr als Geräusch anstelle von kompositorischer Musik identifiziert wurden. Dafür prägt das Verfahren aber die spätere Entwicklung der elektronischen und Neuen Musik (Rainer, 2009): Nach seiner Einwanderung nach Los Angeles im Jahr 1936 brachte Fischinger sowohl das theoretische als auch das technische Wissen einer weitgehend als visuelle Musik definierten Praxis mit sich und legte damit den Grundstein für ästhetische Diskussionen über die Beziehung zwischen Klang und Bild. Fischingers Vorstellung des „ Spirit inside each Object“ wurde durch seine Forschungen zur Klangphonographie im Film inspiriert. Auf dem Tonband einer Tonaufnahme erscheint eine klare visuelle Darstellung der Struktur von Schallwellen; die visuelle Natur dieses Phänomens inspirierte zahlreiche Theorien, die Fischingers ähnlich sind, über die indexikalische Beziehung zwischen Klang und Bild und deren Auswirkungen auf eine zusammengesetzte visuelle Musik (Brougher, 2005). Solche technologischen Innovationen ermöglichten es Komponisten wie beispielsweise John Cage, neue Methoden zur zeitlichen Organisation von Klang in einer haptischen visuellen Schnittstelle zu erkunden. Damit legte Fischinger einen großen Meilenstein für einen „Übergang zur elektrischen Musik der Zukunft“ (Brown, 2012, 85) und schuf eine Inspiration und kreative Stütze von zeitgenössischen Künstlern.
Mit dem Ende der Goldenen Zwanziger endete auf dem europäischen Festland die erste Blüte des experimentellen und damit auch des abstrakten Films. Der gebürtige Neuseeländer Len Lye wurde in den 30er Jahren ein früher Pionier des künstlerischen Experimental- und Farbfilms. Seine Filme beruhten erstmals nicht auf der traditionellen europäischen Malerei (Rainer, 2009), sondern auf samoanischen Motiven (Horrocks, 2015). Das besondere an seiner Arbeit war, dass er stets ohne Kamera und den photographischen Prozess auskam. In A Colour Box (1935) malte Lye abstrakte Motive direkt auf den Film (Rainer, 2009). In späteren Werken verwendete er eine große Bandbreite verschiedener Verfahren, um abstrakte Muster zu erzeugen: Abkratzen der Beschichtung des Filmmaterials, Arbeit mit Farbstoffen, Schablonen, Spritzpistolen, Filzstiften, Briefmarken, Kämmen und chirurgischen Instrumenten (Horrocks, 2015). Seine Methode etablierte sich seither als „handmade, direct oder cameraless film“ (Rainer, 2015, 20). In den USA galt Mary Ellen Bute als Pionierin des amerikanischen Animationsfilms. Sie war eine der ersten experimentellen Filmemacherinnen und Schöpferin einiger der ersten elektronisch erzeugten Film-Bilder (Moen, 2019). Ihre Spezialität war visuelle Musik; während ihrer Arbeit in New York City schuf Bute ab 1934 mehr als zwölf gegenstandslose Filme (Rainer, 2009). Viele davon wurden in herkömmlichen kommerziellen Kinos als Vorfilme eingesetzt. Wie auch Fischinger synchronisierte sie die Bilder zu populärer Musik, wobei ihr eigentliches Ziel darin bestand, „durch den Einsatz von Strukturanalogien, also durch die Übertragung musikalischer Kompositionsprinzipien auf die Organisation bildnerischer Elemente, eine visuelle Musik hervorzubringen“ (Rainer, 2009, 20). Dafür argumentierte Bute mit den wichtigen Trends in der Malerei, die sich der Abstraktion und dem Dynamismus zuwendeten, und dass sie glaubte, dass Kunst kinetischer sein sollte. Hierbei sah sie in der Musik die Lösung. Allerdings behauptete sie, dass es keine Beziehung zwischen Musik und visuellen Formen gab. Somit kam sie zu dem Schluss, dass musikalische Komposition nützliche Lehren für die Schaffung kinetischer Kunstformen mit Licht bieten konnte, aber nicht determinierend sein sollte. Sie wollte neue Kunstformen schaffen, anstatt bestehende Kunstformen zu erweitern (Horrocks, 2015).
3.3 1940 bis 1960
Ähnliche Ideen einer musikalischen Strukturierung verfolgte der Maler Dwinell Grant in seinen filmischen Experimenten der 1940er Jahre. Der amerikanische bildende Künstler war für seine wegweisenden Beiträge auf dem Gebiet des Kunstfilms bekannt. Zwischen 1938 und 1949 drehte Grant mehrere experimentelle Filme, darunter die animierte Produktion Contrathemis (Mecklenburg, 1989) und fünf Compositions, in welchen er sich der Ausdehnung der abstrakten Komposition in Zeit und Bewegung, sowie der Erprobung eines visuellen Kontrapunktes widmete (Rainer, 2009), wie es auch schon seine Vorgänger des abstrakten Films getan hatten. Einer von Grants interessantesten und wichtigsten Filmen ist der abstrakte Stummfilm Color Sequence (1943), der ausschließlich aus reinen Vollfarbbildern besteht, die verblassen, mutieren und flackern. Er schuf den Film als Forschung zu Farbrhythmen und Wahrnehmungsphänomenen (Mecklenburg, 1989). Damit revolutionierte Grant das Filmgeschehen: „Zum einen ist es der erste Film, der mit reinen, monochromatischen Flächen arbeitet und somit im einzelnen Kader (Filmbild) die höchstmögliche Abstraktionsstufe erreicht. Zum anderen kann Color Sequence damit als erster Flicker -Film angesehen werden.“ (Rainer, 2009) Ebenfalls revolutionär für abstrakte Animationen zeigten sich die Whitney Brüder John und James. 1943 und 1944 experimentierten sie in fünf Filmetüden mit modernistischen Formen und einem eigenen Apparat, der mittels Schlagpendel direkt auf die Filmtonspur schrieb. Zu den so entstandenen analogen elektronischen Bleeps und Bits bewegen sich in farbig wechselndem Gegenlicht Schablonen im Raum. Ihre Schatten verändern ihre geometrische Gestalt (Moritz, 1996). So schufen die Brüder eine revolutionäre Technik der audio-visuellen Musik, indem sie nicht nur eine übergreifende Struktur auf grundlegenden musikalischen Formen anlegten, sondern diese direkt in Bild und Ton umsetzten, „womit sie nicht nur ein Äquivalent zur visuellen Gestaltung schufen, sondern auch Entwicklungen der elektronischen Musik vorwegnahmen“ (Rainer, 2009, 21). Zwischen 1950 und 1955 arbeitete James schließlich daran, Yantra zu erschaffen. Der Film wurde komplett von Hand produziert. Indem er Rastermuster in 13 x 18 cm großen Karten mit einer Nadel einstach, konnte er durch diese Nadellöcher auf andere 13 x 18 cm große Karten malen, um Bilder von reicher Komplexität zu erzeugen und dem fertigen Werk eine sehr dynamische und fließende Bewegung zu verleihen (Moritz, 1996): Es entstanden nicht nur geometrische Formen wie zuvor, sondern auch Mandela-ähnliche Transformationen und Variationen. Der Film wurde zunächst als stummer Film veröffentlicht, erhielt später aber noch einen Soundtrack, als Jordan Belson ihn mit einem Ausschnitt aus Henk Badings Cain and Abel synchronisierte (Moritz, 2996). Die damit aufkommenden „mystischen und spirituellen Konzepte“ (Rainer, 2009, 21) verbreiteten sich an der Westküste der USA und erlangten großes Interesse. In der gleichen Zeit malte beispielsweise auch Bebop-Fanat Harry Smith mehrere ehrgeizige, vom Jazz inspirierte abstrakte Gemälde (die mittlerweile zerstört wurden) und begann, avantgardistische animierte Filme zu erstellen. Dabei verwendete er Muster, die er direkt auf den Filmstreifen malte. Diese Filme waren dazu gedacht, zur Begleitung von Bebop-Musik gezeigt zu werden (Sanders, 2000).
3.4 1960 bis 1980
Da Grants Film lange Zeit als vergessen war, galt Arnulf Rainer von Peter Kubelka (1960) lange als der erste Flicker -Film. Obwohl der Film wie ein Flicker -Film aussieht, ist er es faktisch aber gar nicht:
„Für die strukturalen Filmemacher, die die Flimmerform verwenden, ist dies das Mittel zur Erreichung subtiler Unterscheidungen der filmischen Stase inmitten von extremer Geschwindigkeit. Diese können so präsentiert werden, dass sie sowohl psychologische als auch apperzeptive Reaktionen bei ihren Zuschauern hervorrufen. Obwohl Kubelka die Möglichkeit solcher Reaktionen nicht ausschließt, hat er seinen Film sowohl als eine Definition des Kinos als auch als Erzeuger rhythmischer Ekstase geschaffen.“ (Graf/Scheunemann, 2007, 251)
In diesen entscheidenden Aspekten unterscheidet sich Arnulf Rainer grundlegend von einem Film wie The Flicker (1966) von Tony Conrad. In The Flicker werden lange Abschnitte regelmäßig abwechselnder schwarzer und klarer Bilderrahmen - Flicker - schrittweise permutiert, hauptsächlich um eine Vielzahl von psychologischen Reaktionen beim Betrachter auszulösen. In Arnulf Rainer werden kurze Abschnitte rhythmisch schwankenden Flickers mit Abschnitten aus schlichtem Schwarz oder Weiß abwechselnd eingespielt. Die grundlegendste und paradigmatischste Form des Flickers, das abwechselnde Einzelbilder von Schwarz und Klar, tritt nur kurz an drei oder vier Stellen auf. Die meisten Rhythmen sind komplexer als dies. Zusätzlich besteht Arnulf Rainer neben den beiden Filmen für klare und schwarze Stellen jeweils ein Perfoband mit aufgenommenem weißem Rauschen und ein unbespieltes (Rainer, 2009), wobei es sich um audiovisuelle Entsprechungen handelt, denn weißes Rauschen enthält wie weißes Licht sämtliche Frequenzanteile des Spektrums mit konstant gleicher Amplitude (Graf/Scheunemann, 2007). Wie viele abstrakte Filmemacher bezieht sich auch Kubelka dabei direkt auf musikalische Methoden: „Das zentrale Element für Arnulf Rainer ist der nach metrischen Prinzipien erarbeitete und in einer Partitur festgehaltene Rhythmus, der gleichermaßen in Dunkel und Licht, Stille und Ton umgesetzt ist.“ (Rainer, 2009, 21) Die Projektionsgeschwindigkeit von 24 Bildern in der Sekunde liefert den Grundpuls, der als grundlegendes Metrum für die Interdependenz von Klang und Bild dient, was den Film zu einer metrischen Kunstform macht. Das Prinzip des metrischen Films wird insbesondere durch die Partitur für die Licht- und Klangereignisse des Werkes hervorgehoben. Es wird deutlich, dass es eine konzeptuelle Übereinstimmung mit dem musikalischen Prinzip der entwickelnden Variation gibt. Die Struktur von Klang und Bild ist eine audiovisuelle Zweistimmigkeit (Graf/Scheunemann, 2007). Anders als in den Anfängen des absoluten Films geht es Kubelka nicht um einen Transfer bestimmter Formelemente der Musik auf die visuelle Ebene, „sondern vielmehr um eine strukturelle Identität von Klang und Bild, die in dieser Art nur im Medium Tonfilm anschaulich wird“ (Rainer, 2009, 22). In Tony Conrads The Flicker steht hingegen mehr die physiologische Wahrnehmung des Flicker-Effekts im Mittelpunkt. Durch den stroboskopartigen Lichteffekt in einer Frequenz von 4 bis 24 Lichtblitzen pro Sekunde, entstehen auf der Retina der Zuschauenden eigene Effekte (Rainer, 2009), wodurch die Betrachter Täuschungen von Farben und Mustern entwickeln. Der Hauptunterschied zu Dwinnel Grants Color Sequence und Peter Kubelkas Arnulf Rainer besteht vor allem in der radikalischen Schnelligkeit der Farbwechsel.
Ähnlich radikal zeigt sich auch Zen for Film von Nam June Paik (1964): In einer Endlosschleife läuft ein unbelichteter Film durch den Projektor. Das Bild, das somit projiziert wird, zeigt eine Fläche mit hellem Licht, das sich lediglich dadurch verändert, dass Kratzer den Film beschädigen und sich Staubpartikel auf der Materialoberfläche absetzen (Rainer, 2009). In Analogie zu John Cage, der die Stille als Nicht-Klang in seine Musik einbezog (Brown, 2012), nutzt Paik die Leere des Bildes für seine Kunst: Ein Film, der nur sich selbst und seine Materialbeschaffenheit abbildet, soll den Betrachter dazu anhalten, der Bilderflut von außen eigene Bilder von innen entgegenzusetzen.
Von Zen for Film ausgehend, lassen sich zwei historisch-konzeptuelle Linien ziehen: Zum einem verläuft eine Bewegung durch Künstler wie Guy Sherwin und Paul Sharits in Richtung der technisch-medialen Eigenschaften des Medium (wie Zum Beispiel „Einzelbildkader und Lichtton“ (Rainer, 2009, 22)), sowie den damit verbundenen Implikationen der formalen Filmsprache und der Wahrnehmung. In den Synchronousoundtracks (1973-1974) vergrößerte Paul Sharits den Projektionsausschnitt und ließ die Perforationslöcher, die für den Transport des Films durch den Projektor gedacht waren, über den Tonabnehmer laufen, um das Blick- und Hörfeld zu erweitern (Rainer, 2009). Zum anderen begannen in den 60er und 70er Jahren zahlreiche Filmemacher, die Möglichkeiten von Video und elektronischer Bilderzeugung zu erforschen. Beispielsweise experimentierten John Whitney und Larry Cuba mit Analogcomputern, um abstrakte Formen zu generieren. Mit seiner computergesteuerten Bewegungssteuerungseinrichtung konnte Whitney eine Vielzahl von innovativen Designs und Metamorphosen von Text und Standbildern erstellen (Moritz, 1996). Er erstellte eine Musterrolle dieser und anderer Effekte, die er erzeugen konnte, welche kunstvoll bearbeitet wurde und mit einem „schönen Schlussbild einer Lissajous-Kurve [endete], die dutzendfach multipliziert wurde und sich in Wellen zu drehen schien, was auf die Zeitraffer-Veränderung einer blühenden Blume hindeutete“7. Die Rolle wurde als Katalog veröffentlicht und entwickelte sich zu einem beliebten Klassiker der Psychedelika der 1960er Jahre. In seinen späteren Filmen demonstriert Whitney das Prinzip der „harmonischen Progression“8 (Rainer, 2009, 22). Zum Beispiel experimentierte er in Arabesque (programmiert von Larry Cuba) mit den Eigenheiten der islamischen Architektur, die letztendlich harmonisch ist, aber viele charakteristische Umkehrkurven in ihren Verzierungen aufweist (Moritz, 1996).
3.5 ab 1980
In den 80er Jahren konzentrierte sich Whitney darauf, ein computergesteuertes Instrument zu entwickeln, mit dem man gleichzeitig in Echtzeit visuelle und musikalische Ausgaben komponieren konnte. Sein erstes Werk auf diesem neuen Instrument, das ständig verbessert und aktualisiert wurde, erschien 1987 unter dem Titel Spirals (1987) (Rainer, 2009). Obwohl die Kompositionen an die spezielle Computer-Einrichtung gebunden waren und viele Versuche, sie auf Film und Video zu kopieren, vereitelten, komponierte Whitney weiterhin neue visuell-musikalische Stücke (Moritz, 1996). In dieser Zeit begann mit dem Übergang zur Digitaltechnik ein wichtiger Umbruch im künstlerischen Film: Filme als Trägermaterial wurden immer seltener und folglich teurer, während die digitale Videotechnik stetig besser und vor allem günstiger wurde. Der Filmemacher James Stanly (Stan) Brakhage widmete sich dennoch weiterhin den gegenstandslosen Filmen auf Zelluloid (Rainer, 2009). Im Laufe von fünf Jahrzehnten schuf Brakhage einen umfangreichen und vielfältigen Werkskorpus, der eine Vielzahl von Formaten, Herangehensweisen und Techniken erforschte. Dazu gehörten handgeführte Kameraarbeit, direktes Malen auf Zelluloid, schneller Schnitt, In-Kamera-Schnitt, Kratzen auf Film, Collage-Film und die Verwendung von Mehrfachbelichtungen (James, 2005). „Der US-Amerikaner Bruce McClure manipuliert in seinen Film-Performances mehrere Projektoren und übersteigert so den Flicker-Effekt bis zu einer visuellen Gewalttätigkeit gegenüber dem Betrachter“ (Rainer, 2009, 23). Seine Serie von Roto-Optic -Geräten bestanden aus mit farbigen Mustern bemalten Scheiben, die auf quadratischen Bodenventilatoren montiert wurden, die sich mit etwa 1200 Umdrehungen pro Minute drehten. Unter stroboskopischem Licht betrachtet erzeugten sie scheinbar dreidimensionale Bilder9. Später präsentiert McClure Projektor Performances unter Verwendung mehrerer Projektoren, Filmloops, Stroboskoplichter, Effektpedale und einer Fülle von Ideen, um intensive, abstrakte, flackernde Präsentationen, die Zeit und Raum verzerren, zu erzeugen10. Die beiden Arbeiten beziehen sich ausschließlich auf das filmische Material oder die Funktionsweise des Projektors und könnten daher nicht in der Video- oder Digitaltechnik so umgesetzt werden.
Besonders experimentierfreudig mit dem Material zeigt sich auch die Künstlergruppe Schmelzdahin, welche dem Material verschiedener mechanischer, chemischer und biologischer Prozesse unterzogen, indem die Filmrollen beispielsweise im Garten vergraben (Rainer, 2009) oder im Teich gelagert wurden, um Algenwachstum und bakteriellen Zerfall als Muster auf dem Filmstreifen zu erzeugen11. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass in Zukunft vor allem abstrakte Arbeiten auf Zelluloid hergestellt werden, welche konzeptuell auf das Material angewiesen sind, ansonsten aber wird auf Video und Digitaltechnik zurückgegriffen.
4. Zusammenfassung
Absolute Filme bezeichnen eine Strömung des experimentellen Films, die sich im Laufe der Jahrzehnte entwickelt hat. Diese Filme sind bekannt dafür, dass sie sich auf formale Eigenschaften wie Bewegung, Rhythmus, Farbe und Licht konzentrieren und damit eine enge Verbindung zur Musik schaffen. Im Laufe der Zeit haben sich verschiedene Künstler und Bewegungen mit dem Konzept der absoluten Filme auseinandergesetzt. Die dokumentierte Entstehung der absoluten Filme kann auf die 1920er Jahre zurückverfolgt werden, als Künstler wie Walter Ruttmann und Hans Richter abstrakte Filme erstellten, die geometrische Formen, Linien und Farben in rhythmischen Sequenzen in Bewegung brachten. Diese Entwicklung setzte sich in den 1930er und 1940er Jahren fort, als Künstler wie Oskar Fischinger mit animierten abstrakten Formen experimentierten. Die Idee, dass Film eine eigenständige Kunstform unabhängig von literarischen oder narrativen Inhalten sein kann, nahm weiter Gestalt an. Künstler wie Stan Brakhage und Paul Sharits brachten das Konzept der absoluten Filme in den 1960er Jahren auf eine neue Ebene: Brakhage untersuchte die physische Manipulation von Filmstreifen, indem er direkt auf das Material malte, kratzte und es chemisch behandelte, Sharits hingegen verwendete flüchtige Bildfolgen und schnelle Verschiebungen, die den Betrachter in eine visuelle und kinästhetische Erfahrung eintauchen ließen. Ab den 1980er Jahren setzte der absolute Film seine Entwicklung fort, wobei Künstler wie Schmelzdahin ihre Filmrollen auf teilweise abstruse Weise mechanisch, chemisch und biologisch manipulierten, um ungewöhnliche Variationen auf dem Film zu erzeugen. Schließlich ist zu erwarten, dass in der Zukunft primär auf Video- und Digitaltechnik zurückgegriffen werden wird und die direkten Arbeiten auf Filmstreifen zurückgehen werden. Der absolute Film bleibt ein dynamischer Bereich der experimentellen Filmkunst, der die traditionellen Erzählstrukturen herausfordert und die visuelle und ästhetische Wahrnehmung des Publikums auf innovative Weise erweitert.
5. Quellen
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1 https://www.dwds.de/wb/abstrakt#d-1-1
2 https://www.unknown.nu/futurism/abstract.html
3 Der Film wurde 2005 als Farbfassung rekonstruiert. (Rainer, 2009)
4 https://www.deutsche-biographie.de/sfz105633.html
5 https://www.filmportal.de/person/oskar-fischinger_c599a52dcb8b4ad18021afcecc1670d8
6 http://www.medienkunstnetz.de/werke/tonende-ornamente/
7 https://www.awn.eom/mag/issue2.5/2.5pages/2.5moritzwhitney.html
8 eine Folge von Größen, deren je drei einander nächste eine stetige harmonische Proportion ausmachen
9 https://www.artforum.com/print/201001/powers-of-projection-the-art-of-bruce-mcclure-24452
10 https://www.metrotimes.com/arts/the-art-of-projection-with-bruce-mcclure-2458338
11 https://mubi.com/de/cast/schmelzdahin
- Arbeit zitieren
- Saskia Altenschmidt (Autor:in), 2023, Musikalische Abstraktheit. Der absolute Film im Wandel der Zeit, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1524493