Wie gelingt es Spielern von Pen-and-Paper-Rollenspielen, eine fiktive Spielwelt zu erschaffen, in welcher sie als fiktive Charaktere gemeinsam leben und handeln? Aus wissenstypologischer und -soziologischer Perspektive fehlen bisher Ansätze, die uns diese Leistung verständlich machen können. Die hier vorgestellte explorative und hypothesen-generierende Studie untersucht die Weisen wie Wissen im Rollenspiel erzeugt, verwendet, verteilt und bewertet wird, und dadurch in die Konstruktion von Wirklichkeit und Fiktion in diesem Spiel eingeht – kurz: die Typen des in Rollenspielen vorkommenden Wissens.
Die dafür relevanten Kategorien werden sowohl empirisch-induktiv aus qualitativen Interviews mit Rollenspielern wie auch theoretisch-deduktiv aus der bestehenden Forschungsliteratur über Rollenspiel gewonnen und in einer Proto-Theorie systematisiert. Gemäss dieser Proto-Theorie können die in Rollenspielen verwendeten Wissensinhalte unter den drei Wissens-Metatypen „Personen-Wissen“, „Rollenspieler-Wissen“ und „Charakter-Wissen“ subsumiert werden. Dies erlaubt es, das Interaktionsverhältnis formal verschiedener Wissensinhalte beim erforderlichen Aktivieren, Bewerten und Ausblenden dieses Wissens in dem komplexen Kommunikationsprozess, an dem die Teilnehmenden partizipieren, theoretisch zu erschliessen. Zudem lässt sich die Proto-Theorie empirisch anwenden, um die tatsächliche Interaktion im Rollenspiel zu analysieren und z.T. zu erklären. Diese Anwendung wird in der Studie exemplarisch anhand von transkribierten Tonband-Mitschnitten einer Rollenspielsitzung erfolgreich durchgeführt.
Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass bei dieser Interaktion ein eigentliches Wissensmanagement sowohl des Einzelnen als auch der ganzen Rollenspielergruppe erforderlich ist. Dabei spielen sowohl explizite wie auch implizite Regulierungen auf Basis zugesprochener und gewachsener Autorität und damit verbundener Legitimität des eingesetzten Wissens eine Rolle. Durch diese Aushandlungsprozesse werden zwei eigenständige Spielwirklichkeiten konstruiert – die soziale Wirklichkeit des Rollenspielens und die fiktive Wirklichkeit der Spielwelt –, die als Bezugsrahmen für sinnvolle Handlungen der Rollenspieler als Rollenspieler und als Charakter fungieren und mithin Rollenspielen überhaupt erst ermöglichen. Die in dieser Studie generierten Hypothesen dazu bilden mögliche Anknüpfungspunkte für weiterführende Forschung.
INHALT
1. EINLEITUNG
1.1 Wissenssoziologie und Pen-and-Paper-Rollenspiele
Wissenssoziologie
Pen-and-Paper-Rollenspiel
1.2 Erkenntnisinteressen, Zielsetzung und Relevanz
Erkenntnisinteressen
Zielsetzung
Relevanz
1.3 Wissenschaftliche Ausgangslage
Wissenschaftliche Arbeiten
Semi-wissenschaftliche Arbeiten
Fazit wissenschaftliche Ausgangslage
1.4 Theoretische Ausgangslage
Wissenstypologie
1.5 Fragestellungen
2. METHODIK
2.1 Allgemeine Methodik
Wissenschaftstheoretische Ausrichtung
Involviertheit in den Untersuchungsgegenstand
Forschungsablauf (methodologische Rekonstruktion)
Grenzen der (empirischen) Untersuchung
Terminologische Entscheidungen
2.2 Empirische Studie
Qualitative Forschung
Fragebogen, Interview und Mitschnitt
Datensammlung (Sampling)
Datengewinnung und -Verarbeitung
Datenanalyse
2.3 Konzeptuelle Studie
Recherche der Forschungsliteratur
Sichtung der Forschungsliteratur
Entwicklung des deduktiv-theoretischen Kategoriensystems
2.4 Vorstellung des Samples
Fragebogen-Sample
Interview-Sample
3. DAS ROLLENSPIEL - ABLAUF UND WESENTLICHE ELEMENTE
3.1 Was ist das Rollenspiel?
3.2 Der Spielablauf
3.3 Ausstattung eines Rollenspiels
Die Würfel
Das Regelwerk und die Spielregeln
Der Charakterbogen
3.4 Der Spielleiter
3.5 Der Spieler
Der Charakter
Spielgründe
4. ERGEBNISSE
4.1 Ergebnisse empirische Studie: Fragebogen
Soziodemografischer und sozialer Kontext
Beginn des Rollenspielens (Spieler/Spielleiter)
Gespielte und bekannte Rollenspielsysteme
4.2 Ergebnisse empirische Studie: Interviews (IPK)
„Rekrutierung“
Erste Erfahrungen
Soziale und psychische Rahmenbedingungen
Macht und Ohnmacht des Spielleiters
4.3 Ergebnisse konzeptuelle Studie
Was ist das Rollenspiel? - Narration und Diegese
Ablauf des Rollenspiels
Regeln
Kompetenzen
4.4 Ergebnisse empirische Studie: Interviews (DITK)
Rollenübernahme
Wirkmächtigkeit (Agency)
Kommunikatives Abgleichen und Expertisenzuschreibung
Wissensinhalte
Imaginative Kompetenzen
Interpretative Kompetenzen
5. INTERPRETATION
5.1 Makrosoziologischer Hintergrund
5.2 Geschlecht, Beruf und Freizeit
5.3 Theoretische Interpretation der Ergebnisse
Definition des Rollenspiels
Interaktionen
Wirkmächtigkeit und Autorität
5.4 Relevante Wissens-Metatypen: Proto-Theorie
6. ANWENDUNG DER PROTO-THEORIE
6.1 Mitschnitt
6.2 Fiktive Erlebnisse (Interview)
6.3 Kunstformen
6.4 Zusammenfassendes Ergebnis der Anwendung
7. SCHLUSSFOLGERUNGEN
7.1 Methodische Schlussfolgerungen
7.2 Inhaltliche Schlussfolgerungen
7.3 Hypothesen
7.4 Schlusswort
Danksagung
8. GLOSSAR
9. LITERATUR
10. ANHANG
10.1 Deskriptive Statistik (Fragebogen)
10.2 Kategoriensysteme
Induktiv-positives Kategoriensystem (IPK)
Induktiv-theoretisches Kategoriensystem (ITK)
Deduktiv-theoretisches Kategoriensystem (DTK)
Deduktiv- und induktiv-theoretisches Kategoriensystem (DITK)
10.3 Fragebogen
10.4 Kontaktbogen (mit Fragebogen versandt)
10.5 Interviewleitfaden
10.6 Einverständniserklärung (Muster)
10.7 Begleitbrief