Nero (37-68 n. Chr.) war der erste römische Kaiser, der einer memoria damnata durch den Senat zum Opfer fiel. Dabei beschränkte sich die Gedächtnisstrafe nicht nur auf die Auslöschung bzw. Abschaffung des Namens (abolitio nominis) «Nero» in den zeitgenössischen Dokumenten und Inschriften. Sie war gleichzeitig mit einer systematischen Verunglimpfung des Lebens und der Taten Neros durch die antiken postneronischen senatorischen und ritterlichen Autoren Tacitus, Sueton, Cassius Dio und Aurelius Victor verbunden. Diese verfolgten als Repräsentanten des Senatoren- und Ritteradels das politisch-literarische Ziel, die Macht der aristokratischen Schicht zu bewahren, die sie durch sog. schlechte Kaiser, wie Nero, bedroht sahen. Dieselben Autoren legten auch – bewusst oder unbewusst – den Grundstein für die negative Nero-Rezeption nachfolgender Generationen. Auch die frühe christliche Überlieferung der Kirchenväter stütze sich auf die römischen Autoren. Nero wurde als erster grosser Christenverfolger bezeichnet, und dieses Bild wurde durch mittelalterliche Chronisten weiter gefestigt und tradiert. Über Jahrhunderte hinweg wurde so das anfangs positive antike Nero-Bild in den Hintergrund gedrängt, zum «Verschwinden» gebracht und durch einen regelrechten Tyrannen-Topos ersetzt, der die Rezeptionsgeschichte prägte und teils bis heute wirkungsmächtig nachhallt: Brandstifter, Christenverfolger, tyrannisch-exzentrischer Künstler, Ehefrauen- und inzestuöser Muttermörder. Egoismus, Größenwahn, Verweichlichung, Genusssucht, Machtgier, Hinterhältigkeit, Grausamkeit, sexuelle Perversion: Ausgemeisselt wurde Nero nicht nur physisch durch die Entfernung seines Namens aus Inschriften und die Zerstörung seiner Statuen und Büsten, sondern auch literarisch durch die Auslöschung seines positiven Images im kollektiven Gedächtnis der Nachwelt. Was sind jedoch die Ursachen für die Verachtung Neros durch die antike Ritter- und Senatorenschaft bzw. die Kirchenväter? Welche Gründe für die literarische memoria damnata liegen vor? Welcher Topoi bedienten sich die antiken römischen und christlichen Autoren bei der Verunglimpfung seines Namens bzw. bei der Auslöschung seines positiven Andenkens? Wie stichhaltig sind die Schilderungen dieser Autoren?
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Vorstellung der wichtigsten Quellen
- Römische
- Christliche
- Senatorische «Geschichtsschreibung»
- Hauptteil
- Das Verhältnis zwischen Kaisertum und Senat seit Augustus
- Republikanische Tugenden als Blaupause für einen «guten» Kaiser
- Das damnierte positive Nero-Bild
- Zwischenfazit zum damnierten positiven Nero-Bild
- Ursache und Grund des negativen Nero-Bilds
- Zwischenfazit zu Ursache und Grund des negativen Nero-Bilds
- Das negative Nero-Bild der postneronischen Autoren
- Zwischenfazit zum negativen Nero-Bild der postneronischen Autoren
- Die Topoi des negativen Nero-Bilds
- Nero als «inzestuöser Kaiser»
- Nero als «massloser Verschwender»
- Nero als «Brandstifter»
- Nero als «Christenverfolger»
- Zwischenfazit zu den Topoi des negativen Nero-Bilds
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Seminararbeit untersucht die literarische damnatio memoriae Neros. Ziel ist es, die Ursachen und Gründe für die negative Darstellung Neros in antiken Quellen zu analysieren und die verwendeten Topoi zu identifizieren. Die Arbeit hinterfragt den Wahrheitsgehalt der überlieferten Informationen und beleuchtet die Kontinuität der negativen Nero-Rezeption bis in die Moderne.
- Das Verhältnis zwischen Kaisertum und Senat im Prinzipat
- Die republikanischen Tugenden als Maßstab für "gute" Kaiser
- Die Entstehung und Entwicklung des negativen Nero-Bildes
- Die Topoi (Inzest, Verschwendung, Brandstiftung, Christenverfolgung) im antiken Narrativ
- Die kritische Bewertung antiker Quellen und deren Einfluss auf die moderne Rezeption
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Arbeit untersucht die literarische damnatio memoriae Neros, die über seine reine Namensauslöschung hinausging und eine systematische Verunglimpfung seiner Person und Taten beinhaltete. Sie fragt nach den Ursachen und Gründen dieser negativen Darstellung, den verwendeten Topoi und der Glaubwürdigkeit der antiken Quellen, die das Bild Neros bis heute prägen.
Vorstellung der wichtigsten Quellen: Dieses Kapitel präsentiert die wichtigsten antiken Quellen, sowohl römische (Josephus, Tacitus, Sueton, Cassius Dio, Aurelius Victor) als auch christliche (Eusebius), die für die Rezeption Neros relevant sind. Es werden deren jeweilige Perspektiven, Methoden und mögliche Tendenzen kritisch beleuchtet, um das Verständnis der unterschiedlichen Darstellungen Neros zu ermöglichen. Besonderes Augenmerk liegt auf der senatorischen bzw. ritterlichen Voreingenommenheit vieler Autoren.
Senatorische «Geschichtsschreibung»: Dieses Kapitel diskutiert den Charakter der antiken senatorischen "Geschichtsschreibung" und unterscheidet sie von modernen Geschichtswissenschaftlichen Ansätzen. Es wird deutlich, dass die antiken Werke oft einen politischen Zweck verfolgten und rhetorisch gestaltet waren, was ihre Objektivität einschränkt. Die Arbeit des jüdischen Geschichtsschreibers Josephus dient als Beispiel für eine andere, weniger parteiische Herangehensweise.
Das Verhältnis zwischen Kaisertum und Senat seit Augustus: Dieser Abschnitt untersucht das komplexe Machtverhältnis zwischen Kaiser und Senat. Während die Kaiser die oberste Macht innehatten, war der Senat eine wichtige Institution, deren Abschaffung aus pragmatischen Gründen vermieden wurde. Das Kapitel analysiert die Balance zwischen kaiserlicher Autorität und senatorischer Tradition unter Augustus und den Maßstab, den dies für spätere Kaiser, insbesondere Nero, setzte.
Republikanische Tugenden als Blaupause für einen «guten» Kaiser: Dieses Kapitel beleuchtet die republikanischen Tugenden (Piety, Großzügigkeit, Mäßigung, Tapferkeit, Milde), die als Idealbild für einen "guten" Kaiser galten. Es wird der Einfluss dieser Tugenden auf die Bewertung Neros durch spätere Autoren untersucht, insbesondere durch den Vergleich mit den literarischen Werken von Vergil, Seneca und Petronius.
Das damnierte positive Nero-Bild: Hier wird das erstaunliche Vorhandensein eines positiven Nero-Bildes in einigen zeitgenössischen und frühen Quellen erörtert. Die Arbeit analysiert die wenigen erhaltenen positiven Darstellungen und diskutiert mögliche Gründe für das Verschwinden dieses positiven Images im Laufe der Geschichte. Die Arbeit spekuliert über Gründe für das Überleben der negativen Erzählung.
Ursache und Grund des negativen Nero-Bilds: Dieser Teil der Arbeit sucht nach den Ursachen und Gründen für das negative Nero-Bild. Der Mord an Agrippina wird als mögliche Ursache diskutiert, aber auch andere Faktoren werden in Betracht gezogen. Der Hauptgrund für die negative Darstellung liegt in Neros vermeintlichem Verstoß gegen die republikanischen Tugenden.
Das negative Nero-Bild der postneronischen Autoren: Dieses Kapitel analysiert die negative Darstellung Neros bei Tacitus, Sueton, Cassius Dio und Aurelius Victor im Detail. Es werden die jeweiligen Vorwürfe gegen Nero untersucht und kritisch hinterfragt. Dabei wird der Fokus auf die unterschiedlichen Motive, Methoden und Tendenzen der jeweiligen Autoren gelegt.
Die Topoi des negativen Nero-Bilds: Hier werden die Topoi (Inzest, Verschwendung, Brandstiftung, Christenverfolgung) im Detail untersucht, und ihre Glaubwürdigkeit wird kritisch hinterfragt. Die Arbeit argumentiert, dass viele dieser Topoi übertriebene oder erfundene Darstellungen sein könnten, die der gezielten Diskreditierung Neros dienten.
Schlüsselwörter
Nero, Damnatio Memoriae, Abolitio Nominis, Römisches Kaiserreich, Prinzipat, Senat, Ritterstand, Republikanische Tugenden, Antike Geschichtsschreibung, Tacitus, Sueton, Cassius Dio, Aurelius Victor, Josephus, Eusebius, Topoi, Christenverfolgung, Brandstiftung, Inzest, Verschwendungssucht, Quellenkritik, Rezeptionsgeschichte.
Häufig gestellte Fragen
Was ist das Thema dieser Seminararbeit?
Diese Seminararbeit untersucht die literarische damnatio memoriae Neros, also die systematische Verunglimpfung seines Andenkens. Es geht darum, die Gründe für die negative Darstellung Neros in antiken Quellen zu analysieren und die verwendeten Topoi zu identifizieren.
Welche antiken Quellen werden in der Arbeit untersucht?
Die Arbeit untersucht sowohl römische (Josephus, Tacitus, Sueton, Cassius Dio, Aurelius Victor) als auch christliche (Eusebius) Quellen, die für die Rezeption Neros relevant sind. Dabei werden deren jeweilige Perspektiven und Tendenzen kritisch beleuchtet.
Was bedeutet der Begriff "damnatio memoriae"?
Damnatio memoriae bedeutet wörtlich "Verdammnis des Andenkens". Im antiken Rom war es eine Form der posthumen Bestrafung, bei der versucht wurde, das Andenken an eine Person auszulöschen, indem ihre Statuen zerstört, ihre Namen aus Inschriften entfernt und ihre Taten negativ dargestellt wurden.
Welche Rolle spielt das Verhältnis zwischen Kaisertum und Senat in der Darstellung Neros?
Das komplexe Machtverhältnis zwischen Kaiser und Senat spielte eine wichtige Rolle. Die Arbeit untersucht, wie die republikanischen Tugenden als Maßstab für "gute" Kaiser galten und wie Neros Handlungen im Vergleich dazu bewertet wurden.
Was sind die Hauptvorwürfe gegen Nero, die in den antiken Quellen erhoben werden?
Die Hauptvorwürfe gegen Nero umfassen Inzest, Verschwendung, Brandstiftung (insbesondere den Brand von Rom) und die Christenverfolgung. Die Arbeit hinterfragt jedoch die Glaubwürdigkeit dieser Vorwürfe.
Was sind Topoi und welche Rolle spielen sie in der Darstellung Neros?
Topoi sind wiederkehrende Motive oder Stereotypen, die in der Literatur verwendet werden. In der Darstellung Neros werden bestimmte Topoi (wie Inzest, Verschwendung, Brandstiftung, Christenverfolgung) immer wieder verwendet, um ein negatives Bild von ihm zu zeichnen. Die Arbeit untersucht, ob diese Topoi auf Fakten beruhen oder ob sie erfundene Darstellungen sind, die der gezielten Diskreditierung Neros dienten.
Wie kritisch bewertet die Arbeit die antiken Quellen?
Die Arbeit bewertet die antiken Quellen kritisch und berücksichtigt die möglichen Voreingenommenheiten und Tendenzen der Autoren. Es wird berücksichtigt, dass viele Autoren der senatorischen oder ritterlichen Klasse angehörten und daher eine negative Sicht auf Nero hatten.
Welche Schlüsselwörter sind für diese Arbeit relevant?
Zu den relevanten Schlüsselwörtern gehören: Nero, Damnatio Memoriae, Abolitio Nominis, Römisches Kaiserreich, Prinzipat, Senat, Ritterstand, Republikanische Tugenden, Antike Geschichtsschreibung, Tacitus, Sueton, Cassius Dio, Aurelius Victor, Josephus, Eusebius, Topoi, Christenverfolgung, Brandstiftung, Inzest, Verschwendungssucht, Quellenkritik, Rezeptionsgeschichte.
Was ist die Zielsetzung dieser Seminararbeit?
Ziel ist es, die Ursachen und Gründe für die negative Darstellung Neros in antiken Quellen zu analysieren, die verwendeten Topoi zu identifizieren und den Wahrheitsgehalt der überlieferten Informationen zu hinterfragen. Außerdem wird die Kontinuität der negativen Nero-Rezeption bis in die Moderne beleuchtet.
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- Nicolas Ströhla (Author), 2024, Die literarische abolitio nominis des Nero, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1507162