In der vorliegenden Arbeit sollen die Formen des beglaubigten Erzählens in Hartmanns "Erec" näher beschrieben und deren Funktionen bestimmt werden. Hierfür werden im zweiten Kapitel zunächst die vom Erzähler genannten Quellen betrachtet, um herauszustellen, wann und vor allem in welchem Kontext der Erzähler eine Quellenberufung anführt.
Eine weitere Erzähltechnik des beglaubigten Erzählens im "Erec" stellen Wahrheitsbekundungen dar. Bei diesem Verfahren beruft sich der Erzähler nicht direkt auf eine Quelle, sondern manifestiert seine Aussagen, indem er diese als wârheit beziehungsweise als wâr ausweist. Diese Wahrheitsbekundungen werden im dritten Kapitel anhand ausgewählter Beispiele hinsichtlich ihrer Funktionen untersucht. Daneben sollen die Vorstellungen von wârheit im höfischen Roman näher skizziert werden. Am Ende der Arbeit soll herausgestellt sein, dass Hartmann seine Quellen nicht einsetzt, um die in seiner Erzählung dargelegten Geschehnisse als wahr herauszustellen, sondern vielmehr als kunstvolles Stilmittel.
Die mittelhochdeutschen Texte des 12. und 13. Jahrhunderts zeichnen sich durch eine beglaubigte Erzählweise aus. Dieser beglaubigte Erzählstil wird in Form von Quellenberufungen sowie Wahrheitsbekundungen vonseiten der Erzählerfigur hervorgerufen. Mit dieser Erzähltechnik orientieren sich die mittelalterlichen Autoren an der historiographischen Tradition, um ihre Texte in die verbürgte Überlieferung einzureihen.
Hartmann von Aue setzt genau diese poetischen Freiheiten beim Verfassen seines "Erecs" ein, indem er einerseits auf Quellen verweist, andererseits von diesen abweicht und diese erweitert. Er bedient sich dabei einem rhetorischen Gestaltungsverfahren: der dilatatio materiae, sprich der Ausbreitung des Stoffes. Dies führt dazu, dass die Quellenberufungen im "Erec" hinsichtlich ihrer Details insgesamt sehr sparsam sind und einen geringen Realitätsgehalt aufweisen. Dabei zeichnet sich ab, dass Hartmann seine stark erweiterten Textpassagen scheinbar nur noch formal in den Bezugsrahmen einer Quelle rückt.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis 1
1. Einleitung 2
2. Quellenberufungen 4
2.1 Berufung auf dieâventiureund dasmwre4
2.2 Berufung auf denmeister9
2.3 Berufung aufdaz buoch12
3. Wahrheitsbekundungen 14
4. Fazit 18
5. Literaturverzeichnis 20
5.1 Primärliteratur 20
5.2 Sekundärliteratur 20
1. Einleitung
Die mittelhochdeutschen Texte des 12. und 13. Jahrhunderts zeichnen sich durch eine beglaubigte Erzählweise aus. Dieser beglaubigte Erzählstil wird in Form von Quellenberufungen sowie Wahrheitsbekundungen vonseiten der Erzählerfigur hervorgerufen. Mit dieser Erzähltechnik orientieren sich die mittelalterlichen Autoren an der historiographischen Tradition, um ihre Texte in die verbürgte Überlieferung einzureihen.1Die Quellenberufungen weisen das Erzählte als nicht frei erfunden aus, wobei die mittelalterlichen Autoren über poetische Freiheiten hinsichtlich der Bearbeitung ihrer Quelle verfügen:
„Seine Legitimation erhält mittelalterliches Erzählen durch Bezug auf dasjenige, was wiedererzählt wird: auf den Stoff, wobei dieser Stoff als unabhängig von seinen vorgängigen Realisationen begriffen wird, [.. .].“2
Hartmann von Aue setzt genau diese poetischen Freiheiten beim Verfassen seinesErecsein, indem er einerseits auf Quellen verweist, andererseits von diesen abweicht und diese erweitert. Er bedient sich dabei einem rhetorischen Gestaltungsverfahren: derdilatatio materiae, sprich der Ausbreitung des Stoffes.3Dies führt dazu, dass die Quellenberufungen imErechinsichtlich ihrer Details insgesamt sehr sparsam sind und einen geringen Realitätsgehalt aufweisen.4Dabei zeichnet sich ab, dass Hartmann seine stark erweiterten Textpassagen scheinbar nur noch formal in den Bezugsrahmen einer Quelle rückt.5
Trotz ihres scheinbar formalen Charakters besitzen Hartmanns Quellenberufungen bestimmte Funktionen, die in der Forschung bereits viel diskutiert worden sind. Einige Ergebnisse seien im Folgenden kurz zusammengefasst: Für Kramer stellen Quellenberufungen ein Indiz für Hartmanns mangelnde Souveränität als Erzähler sowie eine Legitimation des Erzählten und Aufwertung der Erzählerrolle dar.6Pörksen betrachtet die Quellen als Beglaubigung lobender Hervorhebungen und Einzigartigkeitshyperbeln sowie als Unterstreichung von Erstaunlichem.7Arndt schließt sich an Kramer an, indem er Hartmanns Quellenberufungen als eine Art Abwehr für kritische Einwände hinsichtlich des Erzählten bezeichnet und damit die kaschierende Funktion der Quellen hinsichtlich Hartmanns Abweichungen und Erweiterungen hervorhebt.8Des Weiteren verlangt die Erwartung des Publikums nach einer Beglaubigung des Erzählten.9Die neuere Forschung spricht sich eher gegen die kaschierende Funktion von Hartmanns Quellen aus und sieht gerade die Quellen als Verweis auf „das Fiktum der Beschreibungen, das sich [...] als zutiefst wahr erweist“.10Ähnlich argumentiert Ridder, indem er Wahrheit im höfischen Roman als „produktionsästhetisch gefasst, als erzählerische Vermittlung ästhetischen Sinns“ bezeichnet.11Nach Ansicht von Ridder begründet Hartmann durch seine modifizierte Technik der traditionellen Quellenberufung „einen Diskurs über fiktionale Literatur, der die Positivierung des alten Verdikts von der Kunst als Lüge und Täuschung versuche.“12
In der vorliegenden Arbeit sollen die Formen des beglaubigten Erzählens in HartmannsErecnäher beschrieben und deren Funktionen bestimmt werden. Hierfür werden im zweiten Kapitel zunächst die vom Erzähler genannten Quellen betrachtet, um herauszustellen, wann und vor allem in welchem Kontext der Erzähler eine Quellenberufung anführt. Eine weitere Erzähltechnik des beglaubigten Erzählens imErecstellen Wahrheitsbekundungen dar. Bei diesem Verfahren beruft sich der Erzähler nicht direkt auf eine Quelle, sondern manifestiert seine Aussagen, indem er diese alswärheitbeziehungsweise alswärausweist. Diese Wahrheitsbekundungen werden im dritten Kapitel anhand ausgewählter Beispiele hinsichtlich ihrer Funktionen untersucht. Daneben sollen die Vorstellungen vonwärheitim höfischen Roman näher skizziert werden. Am Ende der Arbeit soll herausgestellt sein, dass Hartmann seine Quellen nicht einsetzt, um die in seiner Erzählung dargelegten Geschehnisse als wahr herauszustellen, sondern vielmehr als kunstvolles Stilmittel.
2. Quellenberufungen
2.1 Berufung auf die âventiure und das m&re
Zu den häufigsten Quellennennungen in HartmannsErecgehört dieâventiure.[13]Der Begriffâventiureträgt eine Vielzahl an Bedeutungen14, wie beispielsweise die unterschiedlichen Verwendungsweisen der 22 Belege des Wortesâventiurein HartmannsErecverdeutlichen.15Im Wesentlichen handelt es sich bei derâventiureum einen literarischen Kernbegriff, der in ein bestimmtes literarisches Konzept eingebunden ist.16Es lassen sich im Groben zwei Verwendungsweisen vonâventiurefestmachen: Geschehen und Wiedergabe eines Geschehens. Laut Wegera lassen sich aus diesen beiden Verwendungsweisen die weiteren Bedeutungen vonâventiureableiten.17Mertens vertritt die These, dass sich bei Hartmann die Grundbedeutung vonâventiureals Ereignis sowohl auf der unmittelbaren Ebene der Handlung wie auf der poetologischen Ebene wiederfindet, also erzähltes Ereignis und Erzählen als Ereignis bedeutet.18In der folgenden Passage stellt der Begriffâventiuredie Wiedergabe eines Geschehens, sprich eine Erzählung, dar:
[als uns derâventiure] sage von dem tugentrichen zalt, kam er in einen schönen walt.(46 29[6]-29[8])19
Von dieser Bedeutung ausgehend lässt sichâventiurenoch enger fassen: „Die Bedeutungsvariante ,Erzählung‘ ist offen hin zurâventiureals ,Vorlage‘, ,Quelle‘ einer Erzählung.“20In der zitierten Stelle beruft sich der Erzähler auf dieâventiure, aus welcher er das Erzählte schöpft. Dass es sich hierbei um eine Quellenberufung handelt, wird anhand der Wortesage(4629[6]) undzalt(4629[7]) verdeutlicht. Wegera ist der Ansicht, dass durch die Kombination vonâventiuremit bestimmten Verben eine „Öffnung hin zur Personifizierung der ,Quelle“‘21entstehe. Ungeklärt bleibt jedoch, ob es sich bei der zitierten Quellenberufung um eine mündliche oder schriftliche Vorlage handelt, wobei mit den Wortensageundzaldas Wortfeld „erzählen“ eröffnet wird und damit eher die Mündlichkeit der Quelle betont wird. Pörksen weist auf die Regelmäßigkeit der kurzen Berufung auf mündliche Tradition bei Hartmann hin.22Die Forschung geht jedoch davon aus, dass Hartmann eine schriftliche Vorlage verwendet hat, sodass sich die betonte Mündlichkeit als fingiert ausweisen lässt und damit als Stilmittel fungiert, die vor allem auf die Vortragssituation des Romans hinweist. Mit dem Pronomenuns(4629[6]) betont der Erzähler seine Nähe zum Publikum, indem er dieses in seine Quellenberufung mit einschließt.
Wenn man die nächsten Verse der zuvor zitierten Passage betrachtet, scheint sich der undurchsichtige Charakter dieser Quellenberufung aufzulösen:
dar in der künec Artus von Tintajol sinem hus was geriten durchjaget, alse uns Crestiens saget, mit schener massenie.(4629[9]-29[13])
An dieser Stelle findet sich die einzige Nennung des französischen Dichters Chrétien, der Hartmann nachweislich die Vorlage für seinen Text geliefert hat. Diese Berufung auf Chrétien stellt die genaueste Quellenangabe desErecsdar, wobei jedoch bei der Interpretation dieser Textpassage beachtet werden sollte, dass Handschrift A an dieser Stelle eine Lücke aufweist und durch das Fragment W ausgefüllt wird.23Aufgrund dieser Tatsache bezweifeln Cormeau und Störmer, dass man diese Nennung Hartmann zuschreiben kann.24Scholz betont hingegen die große Nähe zwischen A und W und sieht keinen Anlass, diese Namensnennung nicht Hartmann zuzuschreiben.25Wenn wir davon ausgehen, dass der Verweis auf Chrétien von Hartmann stammt, ist es auffällig, dass der Erzähler gerade an dieser Stelle auf die genaueste Quellennennung verweist. Die Quellenberufung bezieht sich auf dieschener massenievon König Artus und steht damit im Zusammenhang mit der Schönheit und Pracht des Hofes, die in den folgenden Versen jedoch nicht weiter beschrieben wird. Dass es sich bei dieser Quelle um eine Legitimation für die unbezweifelbare Pracht des Hofes handelt, ist eher unwahrscheinlich, da die übersteigerte Schilderung des prachtvollen Hofes von König Artus fehlt. Die Funktion dieser Quellenberufung scheint sich mehr auf der formalen Ebene zu befinden, indem diese eine „Flickformel“ für das Reimschema darstellt: Der Versalse uns Crestiens saget(4629[12]) wird eingefügt, um das Reimschema zu erfüllen.
In der Koralus-Episode findet sich ein weiterer Beleg vonâventiurein ihrer Bedeutung als Quelle:
nâch derâventiure zal so hete der selbe altman eineschâfkürsen an und des selben uf einen huot, diu wären beidiu also guot, als in sin state leite: er ’nphlac niht richeite. Sin gebärde was vilhèrlich, einem edeln manne gelich.(281-89)
Hier findet sich die typische Formelnâch derâventiure zal(281) wieder, mit der wiederum das Wortfeld „erzählen“ eröffnet wird. Den Bericht derâventiureaufgreifend, beschreibt der Erzähler die Kleidung von Koralus. Scholz ist der Ansicht, dass es sich an dieser Stelle aufgrund der wenigen bedeutsamen Details um eine fiktive Quellenberufung handelt.26Dem fiktiven Charakter dieser Quellenberufung kann nicht widersprochen werden, jedoch aber der wenig bedeutsamen Details. Gerade diese Details hinsichtlich Koralus Kleidung sind bedeutsam, da dessen Kleidung seinen sozialen Status widerspiegelt. Koralus Kleidung ist gerade so gut, wie es seinen ärmlichen Verhältnissen entspricht und zeigt, dasser ’n phlac niht richeite(287). Trotz seiner ärmlichen Kleidung offenbart Koralus durch sein Verhalten, dass ereinem edeln manne gelich(289) ist, wodurch sich seine ursprünglich adelige Herkunft andeutet. Durch die Quellenberufung wird der Kontrast von Koralus Kleidung und seiner adeligen Herkunft unterstrichen und seine Bedeutung für den weiteren Verlauf der Geschichte hervorgehoben. In diesem Fall ließe sich die Quelle als Markierung betrachten, um die Aufmerksamkeit des Publikums auf diese Stelle der Erzählung zu lenken. Denn was mit einer Quelle markiert wird, scheint Wichtigkeit zu beanspruchen.
In HartmannsErecfindet sich eine weitere Stelle, in der die Berufung auf dieâventiureim Zusammenhang mit der Beschreibung des äußeren einer Figur steht:
als uns diu aventiure zalt,
so aus sin harnasch lobelich,
er selbe einem guoten ritter gelich.(743-45)
In dieser Passage beschreibt der Erzähler den Ritter Iders, gegen den Erec beim Sperberkampf antritt. Iders ist im Gegensatz zu Ereceinem guoten ritter gelich(745) für den Kampf gerüstet. Durch die Quelle wird die ausgezeichnete Rüstung Iders und damit sein herausragender Status als Ritter hervorgehoben. Gleichzeitig offenbart sich bei dieser Hervorhebung der Kontrast zwischen Erec und Iders, wodurch in Hinblick auf den bevorstehenden Kampf eine Spannung hervorgerufen wird. Somit scheint auch an dieser Stelle die Quelle als Markierung für das Erzählte zu fungieren.
Während der Hochzeits-Episode beruft sich der Erzähler erneut auf dieâventiure: nâch derâventiure sage so solde der turnei sin
zwischen Tarebron undPrurin:(2239-41)
Hier steht Quellenberufung im Kontext von einer Ortsangabe: Zwischen Tarebron und Prurin(2241) soll das Turnier während der Hochzeitsfeierlichkeiten stattfinden. Es handelt sich um fiktive Orte, deren Lage aufgrund des Verweises auf die Quelle nicht weiter erläutert werden muss. Wie zuvor offenbart sich eine Formelhaftigkeit der Quelle sowie der Anklang fingierter Mündlichkeit:nâch derâventiure sage(2239). Das Publikum wird diesmal nicht mit in die Quellenberufung eingeschlossen. Es scheint sich also um eine exklusive Quelle der Erzählers zu handeln. In Hinblick auf diese Passage verbürgt die vom Erzähler genannte Quelle den Wahrheitsgehalt der dargelegten Fakten, um kritische Einwände abzuwehren und ließe sich unter Rückbezug auf Kramer und Arndt als Legitimation des Erzählten bezeichnen.
Einen weiteren Beleg des Begriffsâventiureals Quellenberufung findet sich in der Beschreibung der Burg Brandigan:
vil guot was daz burcstal: als uns derâventiure zal urkundedâ von git, so was ez zwelfhuoben wit.(7834-37)
Diese Beschreibung der Burg erstreckt sich über knapp 60 Verse und ist damit sehr ausführlich. Der Erzähler betont in seiner Beschreibung die Exorbitanz dieser Burg2728, indem er folgende Eigenschaften dieses Gebäudekomplexes nennt: Das Innere der Burg stellt einenritterliche[n] aneblic(7847) dar, die Türme ragen ausquâdern gröz(7850) empor und sindobene mit goldes knophen röt(7866) geschmückt, derenschm(7871) aus weiter Ferne zu sehen ist. Die Burg ermöglicht den Bewohnern ein Lebennâch grözer werdekeit(7860). Um die Wahrhaftigkeit der in dieser Beschreibung dargelegten exorbitanten Burg zu verbürgen, leitet der Erzähler diese Passage mit dem Begriffâventiureein. Mit dem Begriffurkünde(7836) wird die Wahrhaftigkeit derâventiurebekräftigt: Dieâventiuregilt als Beweis, als Zeugnis für das Beschriebene. Wie bereits zuvor schließt der Erzähler das Publikum mit in seine Quellenberufung ein:als uns derâventiure zal(7835). Hierbei hebt er den allgemein gültigen Charakter der Quelle hervor. Auffällig ist, dass sich am Ende der Beschreibung ebenfalls eine Quellenberufung findet:des hörte ich im den meister jehen(7893). Diese Berufung auf denmeisterwird im nachfolgenden Kapitel genauer untersucht. Man kann in jedem Fall sagen, dass diese Passage von Quellenberufungen umschlossen wird. Vermutlich um die Hyperbolik der Beschreibung zu legitimieren.
Die Berufung auf eine andere Erzählung wird nicht allein durch den Begriff derâventiureverdeutlicht: An einer Stelle desErecsverwendet der Erzähler den Begriff desmereals Quellenberufung:
uns saget dazwâre mere, daz Brians langer were dan iemen bi sinen ziten in allen landen witen anderhalbe spanne:(2094-98)
Der Begriffmereist ebenso vieldeutig wie das Wortâvenlmre ", im Kontext mit dieser Textstelle lässt sichmereals überlieferte Erzählung bezeichnen. Wie im Zusammenhang mit derâventiuregibt der Erzähler auch hier nicht bekannt, um welche Erzählung es sich handelt, sodass eine genaue Einordnung dieser Quellenberufung schwierig ist. Das Verbsaget(2094) eröffnet wiederum das Wortfeld „erzählen“ und rückt die Quelle in den Bereich der fingierten Mündlichkeit. Indem der Erzähler diesesmerealswâr(2094) ausweist, stellt er sicher, dass seine Quelle zuverlässig ist und nicht in Frage gestellt werden sollte. Mit dem Personalpronomenuns(2094) schließt der Erzähler das Publikum mit ein und unterstreicht seine Nähe zum Publikum. Der Erzähler verwendet diese Quellenberufung während der Aufzählung und Beschreibung der Gäste von Erec und Enites Hochzeit. Hierbei ist auffällig, dass der Erzähler diese Quelle einsetzt, wenn er die Zwergenkönige und deren herausragenden Eigenschaften beschreibt. Es scheint, als müsse der Erzähler die Schilderung dieser exorbitanten Zwerge mit einer sicheren Quelle untermauern, da seine Worte ansonsten unglaubwürdig wären. Dabei ist es keine Seltenheit, dass der Hof und seine Gesellschaft entsprechend idealtypischer Erhöhung gezeichnet werden.29Trotzdem scheint das Publikum eine Quellennennung zu erwarten.30
2.2 Berufung aufden meister
Im Verlauf des Romans verweist der Erzähler immer wieder auf denmeister,wie beispielsweise während des Exkurses, in dem er Enites Pferd beschreibt:
ez enmohte niemen vaste
deheine wile ane gesehen:
des horte ich im den meisterjehen.(7297-99)
In dieser berühmten und viel diskutierten Passage treten Wahrheitsbekundungen und Quellenberufungen gehäuft auf.31Bumke hat bezüglich des sogenannten Pferde-Exkurses Folgendes festgestellt:
„Ein beträchtlicher Teil des Pferde-Exkurses ist der Arbeit des Erzählers und den Aufgaben des Erzählens gewidmet. Immer wieder betont der Erzähler, dass er die Wahrheit sagt, er beruft sich auf seine Quelle, [...]. Es gibt für die erdichtete Geschichte keine andere Beglaubigung als das Wort des Dichters.“32
Hinter der Berufung auf denmeister(7299) steht der Dichter der Vorlage, also Chrétien, dessen „Wort“ der Erzähler dem Publikum vermittelt. Das Bemerkenswerte dieser Passage ist, dass der Hartmannsche Erzähler für seinen Pferde-Exkurs nur einen Bruchteil von Chrétiens Version wiedergibt und dabei trotzdem mehrmals auf seine Quelle verweist.33
Auf diese Weise stellt Hartmann ein Bewusstsein für Fiktionalität heraus.34In der zitierten Textstelle verbürgt der Hinweis auf denmeisterdenschin(7295) des Pferdes, der so hell ist, dass erden ougen widerglaste(7296). Es handelt sich also um eine gesteigerte Hervorhebung der Einzigartigkeit und der idealen Schönheit des Pferdes, die aufgrund ihres zweifelhaften Charakters eine Quellenberufung erfordert:
„Das Wunderbare - auch das künstlerisch geschaffene - verlangt in besonderer Weise nach erzählerischer Legitimation.“35
Pörksen betrachtet denmeisterals Formel der mündlichen Überlieferung36; vermutlich weil diese im Zusammenhang mit dem Verbjehensteht. Wenn man jedoch davon ausgeht, dass Hartmann mit der Nennung desmeistersauf Chrétien, den Verfasser seiner Vorlage, anspielt37, ergibt die These von Pörksen keinen Sinn mehr. Es handelt sich hier wieder um Mündlichkeit, die fingiert wird.
Während der Überleitung zur Beschreibung des Sattels verweist der Erzähler ein weiteres Mal auf denmeister:
als uns der meister seite,
ein vrouwen gereite
wart uf dazpherit geleit,dâ meisterlicher arbeit vil werkes ane lac.(7462-66)
Hier offenbart sich wieder die Formelhaftigkeit der Quellenangabe sowie deren fingierte Mündlichkeit. Mit dem Pronomenuns(7462) deutet sich einerseits die Nähe des Erzählers zum Publikum an, andererseits lässt sich diesesunsals Signal für das Publikum zum Aufmerken betrachten. Anhand der Quellenberufung wird das Erzählte, in diesem Fall der besondere Sattel, hervorgehoben. Hiernach berichtet der Erzähler von der Herkunft des Sattels. Dieser wurde von Umbriz, ebenfalls einmeister,gefertigt:
ein meister, hiez Umbriz, der doch allen sinen vliz der leite vür wär wol vierdehalbezjär, unz er in vollebrähte darnäch, alsergedähte.(7470-75)
Der Verweis auf denmeisterist an dieser Stelle sehr auffällig. Es handelt sich hier jedoch nicht um den Dichter der Vorlage, sondern um denmeister,der den Sattel gefertigt hat. Dieser trägt den sprechenden Namen Umbriz, der, abgeleitet von mhd.umberizen,so viel bedeutet wie etwas umreißen38und sich auf die Tätigkeit desmeistersbeziehen lässt:Als er gedahte(7475) umreißt Umbriz den Sattel, um ihn sodann zu fertigen. Eine Vorlage besitzt Umbriz für die Herstellung seines Sattels nicht. Es geht vielmehr um das Erschaffen eines Kunstwerkes aus der eigenen Vorstellung. Dabei wird menschlichecreatiovorgeführt39, die sich bei Hartmann wiederfindet. Hartmann besitzt eine Vorlage, die er für die Beschreibung von Enites Pferd nur in geringem Maß einsetzt. Wie Umbriz erschafft er diese Passage seines Romans aus der eigenen Vorstellung; er bedient sich also der Fiktion. In diesem Sinn stellt dermeisterdes Sattels gleichzeitig denmeisterder Geschichte, also den Dichter, dar. Die Erschaffung des Sattels lässt sich als Reflexion über die Erschaffung der Erzählung als sprachliches Kunstwerk bezeichnen.40. Die Quelle verbürgt somit nicht die wahrheitsgetreue Bearbeitung der Vorlage, sondern fungiert als indirekter Verweis auf Hartmanns Poetologie.
Eine weitere Berufung auf denmeisterfindet sich innerhalb der Brandigan-Episode, wenn der Erzähler den Baumgarten näher beschreibt:
anderhalp daz undervie ein boumgarte schöne und wit, daz weder vor noch sit
dehein schöner wart gesehen:
des horte ich im den meisterjehen.(7889-93)
Der Erzähler hebt die herausragende Schönheit und Einzigartigkeit des Baumgartens hervor und belegt diese, indem er auf denmeister(7893) verweist. Die Konstruktion dieser Quellenberufung ist mit der von Vers 7299 identisch. Mit dem Verbhorte(7893) wird das Wortfeld „erzählen“ eröffnet und eine vermeintlich mündliche Überlieferung zeichnet sich ab, die sich jedoch als fingiert bezeichnen lässt. Mit der Berufung auf seine Quelle legitimiert der Erzähler die hyperbolische Schilderung des Baumgarten und verweist auf dessen spätere Bedeutung für den Verlauf der Handlung, wenn dort der Kampf zwischen Erec und Mabonagrin stattfindet. Da in dieser Quellenberufung der Miteinschluss des Publikums fehlt, scheint es sich hier um exklusives Wissen des Erzählers zu handeln.
In der Brandigan-Episode beruft sich der Erzähler abermals auf denmeister,wenn er die herausragende Schönheit des Raumes, in dem sich die 80 Damen befinden, beschreibt:der meister enliege, in ein so sch&nepalas, do diu gotinne Pallas richsete hie en erde, des genoucte si ze ir werde, ob siwtëre beraten
mitselherkemenâten.(8201-07)
Dieser Raum ist so prächtig und kostbar ausgestattet, dass er selbst für eine griechische Göttin ein würdiges Heim darstellt. An dieser Stelle ist es wiederum die exorbitante Schilderung des Wunderbaren, die nach einer Quellenberufung verlangt. Auffällig ist jedoch, dass der Erzähler die Quellenberufung mit einem Konditionalsatz einleitet:der meister enliege(8201). Der Erzähler scheint den Wahrheitsgehalt seiner Quelle anzuzweifeln. Dies zeugt von einem kritischen Umgang des Erzählers mit seinen Quellen.
2.3 Berufung auf daz buoch
Eine weitere Quellenberufung imErecstellt einbuochdar, welches sich beispielsweise innerhalb der Beschreibung von Enites Pferd findet:
wan als mirdâ von bejach, von dem ich die redehân, so wil ich iuch wizzenlân ein teil, wie er geprüevet was, als ich an sinem buoche las,(7487-91)
An dieser Stelle wird zum ersten Mal deutlich, dass es sich bei der Quelle des Erzählers um ein schriftliches Zeugnis, einbuoch(7491), handelt. Dieses Buch gehört demjenigen,von dem [der Erzähler] die redehân(7488). Bei diesem jemand handelt es sich um den bereits zuvor erwähntenmeister,also den Dichter der Vorlage. Bezeichnend ist, dass der Erzähler im Folgenden nur einenteil(7490) seiner Quelle wiedergeben möchte, stattdessen aber seine Schilderung derartig in die Länge zieht und damit die Definition eines Teils bei weitem übersteigt. Hier scheint sich ein ironisches Spiel des Erzähler mit seiner Quelle abzuzeichnen. Dennoch ist die Bezeichnung dahingehend treffend, wenn man bedenkt, dass der Hartmannsche Erzähler für seinen Pferde-Exkurs tatsächlich nur einen Bruchteil von Chrétiens Version wiedergibt.41Mit der Phrasewie er geprüevet was(7490) betont der Erzähler die Wahrheit der Quelle.
In seiner Beschreibung über die Beschaffenheit des Baumgartens beruft sich der Erzähler wieder aufdaz buoch:
ob uns daz buoch niht Uuget, so was also erziuget der selbe boumgarte, daz uns mac wundern harte, witzige unde tumbe.(8698-8702)
Auffällig ist jedoch, dass der Erzähler seine Quellenberufung mit einem Konditionalsatz einleitet. Mit der Konjunktionob(8698) wird der Wahrheitsgehalt der Quelle angezweifelt. Andererseits wird daraufhin mit dem Worterziuget(8699) der Wahrheitsgehalt des Buches als schriftlicher Zeuge wieder hervorgehoben. Nach Ansicht von Mecke lässt sich daserziugetals bewusste Ironie des Erzählers deuten.42Es zeichnet sich eine Distanz des Erzählers zum Erzählten ab, wohingegen mit dem Pronomenuns(8698 sowie 8701) eine Nähe zum Publikum hervorgerufen wird. Indem der Erzählerwitzige unde tumbe(8702) mit einschließt, wird diese Nähe noch unterstrichen. Die Quelle kündigt an dieser Stelle die Beschreibung eines ungewöhnlichen Raumes an und verbürgt die Wahrheit der Fiktion, die die Zuhörer mit Distanz aufnehmen sollen.43
Die Beschaffenheit von Mabonagrins Rüstung schildert der Erzähler mit einer indirekten Berufung aufdaz buoch:
er selbe rot, als ich ez las,gewâfent nach sinem muote: ich wane, sin herze bluote, swenne er niht ze vehtenne vant:(9019-22)
Mit der formelhaften Phraseals ich ez las(9019) bezieht der Erzähler seinen Bericht aufdaz bucoh. Diese Quelle schildert dem Erzähler die Farbe von Mabongrins Rüstung (901920). Eine Begründung für die rote Farbe gibt die Quelle dem Erzähler jedoch nicht. Diese Unvollständigkeit der Quelle veranlasst den Erzähler, dem Publikum seine eigene Vermutung kundzutun. Dies wird anhand der Phraseich wane(9021) verdeutlicht. Die Quelle lässt sich somit als Kaschierung der eigenen Meinung des Erzählers betrachten. Die
Formelals ich ez las(9019), die sich indirekt aufdaz buochberuft, findet sich abermals in folgender Stelle:ouch wären si beide, als ich ez las,/von einer stat ze Lute erbrorn(972324). Hier steht die Quelle im Zusammenhang mit der Beglaubigung von eindeutigen Fakten, in diesem Fall der Name der Geburtsstadt Lüte (9724) von Enite und ihrer Cousine und verlangt nicht nach einer weiteren begründeten Vermutung vonseiten des Erzählers.
3. Wahrheitsbekundungen
In HartmannsErecfinden sich zahlreiche Formen von Wahrheitsbekundungen, die im Rahmen dieser Untersuchung nicht alle berücksichtigt werden können.44Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf ausgewählte Beispiele von Wahrheitsbekundungen, die sich auf den Wahrheitsgehalt des Erzählten beziehen.
Immer wieder betont der Hartmannsche Erzähler seine Pflicht, die Wahrheit zu erzählen:sit ich der wärheit sol jehen(5333). Dabei führt er oftmals Wahrheitsbekundungen an, wenn er besondere Eigenschaften von Figuren hervorhebt:
der Wunsch hete in gemeistert so, als wir ’z mit wärheit haben vernomen, daz nie man so vollekomen
an des künec Artuses hof bekam.(2741-44)
Die Rede ist hier von Gâwein, dem vortrefflichsten aller Artusritter. Der Erzähler hebt dessen tugendreiche und ritterliche Eigenschaften auf das Höchste hervor. Mit dem Pronomenwir(2742) betont der Erzähler seine Nähe zum Publikum und stellt sich mit diesem auf eine Ebene. Es handelt sich hier um eine allgemein bekannte Wahrheit, die der Erzähler zusammen mit dem Publikumvernomen(2742) hat. Kramer sieht diewärheit(2742) in dieser Passage mit der Überlieferung gleichgesetzt und damit als versteckte Quellenangabe ausgewiesen.45
In der Hochzeits-Episode verbürgt der Erzähler seine Rede anhand folgender Wahrheitsbekundung:
dâ enwart nie kalt noch heiz,
als man Z von derwârheit weiz.(1926-27)
An dieser Stelle beschreibt der Erzähler das Heimatland des Hochzeitsgastes Maheloas, welches ungewöhnliche Wetterbedingungen (1922-23, 1926) aufweist. Diese seltsamen Begebenheiten verlangen geradezu nach einer Wahrheitsbekundung. Der Erzähler beruft sich auf eine allgemein bekannte Tatsache, da er betont, dassmanund nicht er selbst diese Informationenvon derwârheit weiz(1927). Diewârheitwird wiederum mit der Überlieferung gleichgesetzt46und stellt eine allgemein zugängliche Quelle dar, welche jedoch wie die zuvor untersuchteâventiurenicht näher beschrieben wird.
In der Beschreibung von Enites Pferd finden sich neben den Quellenverweisen auch Wahrheitsbekundungen. Der Erzähler ist bemüht, mögliche Zweifel vonseiten des Publikums hinsichtlich der Vollkommenheit des Pferdes auszuräumen. Um dies zu erreichen, imaginiert er einen Zuhörer, der das Erzählte anzweifelt:
spricht ieman: „erenhât nihtwâr “,
dem Bescheide ich die rede baz, daz er rehte erkenne, daz diu rede wese ungelogen.(7389-92)
Diese fiktive Aussage eines Zuhörers ermöglicht es dem Erzähler, dem Publikum von vorneherein zu verdeutlichen, dass seine Geschichteungelogen(7392) ist. Er formuliert mögliche Anklagen der Unwahrheit selbst, um diese sogleich zu entkräften. Bei der Betonung der sanften Gangart des Pferdes bekundet der Erzähler abermals die Wahrhaftigkeit seines Berichts:
swer dar ufe gesaz,
zewâre sage ich iu daz, daz er dar ufe lebete rehte, sam er swebete.(7446-49)
Mit der Formelzewâre sage ich iu daz(7447) wendet sich der Erzähler direkt an das Publikum. Er rühmt den sanften Gang des Pferdes auf Höchste, indem er ihn mit dem Zustand des Schwebens (7449) gleichsetzt. Die Wahrheitsbekundung fungiert an dieser Stelle als Verstärkung der Lobpreisung des Pferdes.47
Neben der Berufung auf Quellen und auf diewârheitselbst findet sich imEreczudem der Verweis des Erzählers auf seine Unwissenheit. Der Erzähler bekräftigt seine Unwissenheit vor allem dann, wenn er Sachdetails wiedergibt oder über den Fortgang der Handlung spekuliert.48Diese Vortäuschung von Nichtwissen ruft einerseits Distanz zum Erzählgegenstand und andererseits eine Nähe zum Publikum hervor.49Ein Beispiel von Unwissenheit des Erzählers findet sich in der Cadoc-Episode:
die wären im lange vient genuoc:
weih schulde si hin zuo im truoc,
des enist mir niht kunt,(5656-58)
Der Erzähler offenbart seine Unwissenheit, indem er zugibt, dass ihm der Grund für die Feindseligkeit der Riesen gegenüber Cadocniht kunt(5658) sei. Das Nichtwissen wird durch die Form der Verneinungenist mir niht kunt(5658) hervorgehoben. Dabei gibt sich der Erzähler keinen Spekulationen hin, sondern fährt sogleich mit dem Erzählen des weiteren Handlungsverlaufes fort. Alles, was er von seiner Quelle nicht weiß, erzählt er auch nicht. Hier zeigt sich die Abhängigkeit des Erzählers von seiner Quelle. Man könnte vermuten, dass der Erzähler Fragen vonseiten des Publikums zuvorkommen möchte, indem er von vorneherein seine Unwissenheit zugibt. Auf diese Weise erscheint der Erzähler als getreuer und glaubhafter Vermittler, der sich genau an seine Quelle hält.
Während Enites Klage zeigt die Erzählerfigur abermals ihre Unwissenheit:
ir ze heile reit er durch den walt:
nâch wiu, des enist mir niht gezalt, wan daz ich betrahte in mines herzen ahte, ez kam von ir swlikeit, daz er des tages ie uz gereit.(6126-31) Diese Unwissenheit wird wiederum in Form einer Verneinung ausgedrückt, in welcher jedoch im Vergleich zur vorherigen Passage eine Veränderung erkennbar ist: Das Wortgezalt(6127) eröffnet wiederum das Wortfeld „erzählen“ und verweist somit auf einen Bericht, eine Erzählung oder möglicherweise eine Rede. Es deutet sich hier also die Quelle des Erzählers, wenn auch wieder nur sehr vage, an. In der zuvor betrachteten Cadoc- Episode waren dem Erzähler die Zusammenhänge einfachniht kunt( 5658), nun ist es die Quelle, die die Zusammenhänge nicht an den Erzähler weitergeben konnte. Die Wissenslücke des Erzählers resultiert also daraus, dass seine Vorlage für die Hintergründe des Geschehens keine Informationen enthält. Da es sich hierbei um eine Quelle handelt, die nicht genau zu definieren ist und darüber hinaus auch noch Lücken aufweist, erscheint die Quellenberufung sehr fiktiv. Auffällig ist, dass an dieser Stelle der Erzähler nicht sofort mit dem Bericht des weiteren Handlungsverlaufs fortfährt, um damit seine Wissenslücke zu überspielen, sondern innehält und stattdessen eine Vermutung bezüglich der Hintergründe von Oringles plötzlichem Auftauchen äußert. Die Lücke der Vorlage scheint den Erzähler dazu zu veranlassen, selbst seine Meinung zu äußern. Diese Meinung ist wohlüberlegt und scheint deswegen auch keiner Quellenberufung zu bedürfen, da der Erzählerin [sines] herzen ahte(6129), sprich in sich hineinhört. Es lässt sich schließen, dass der Erzähler die lückenhafte Vorlage als Legitimation für die Darlegung seiner eigenen Vermutungen gebraucht.
4. Fazit
Durch die vorangegangene Untersuchung wird deutlich, dass Hartmann verschiedene Techniken des beglaubigten Erzählens einsetzt. Er verwendet einerseits direkte Quellenberufungen wie dieâventiure, dasmwre, denmeisteroder dasbuoch, die er dem Erzähler in den Mund legt. Daneben führt der Hartmannsche Erzähler Wahrheitsbekundungen an, die oftmals mit der Überlieferung gleichgesetzt werden und damit wiederum auf die Quellen verweisen. Die Quellenberufungen und Wahrheitsbekundungen besitzen eine Vielzahl von Funktionen, welche sich nicht immer eindeutig bestimmen lassen. Beim Bestimmen der Funktionen von Quellenverweisen ist es wichtig, immer den Kontext, in dem die Quellen eingebettet sind, zu beachten. Je nach Kontext lassen sich dann verschiedene Funktionen festhalten.
Die Betrachtung der Quellenberufungen hat bestätigt, dass die genannten Quellen des Erzählers hinsichtlich ihrer Details sehr sparsam sind. Hieraus lässt sich schließen, dass die meisten dieser Quellenverweise fiktiv sind. Dennoch offenbart der Erzähler einen kritischen Umgang mit seinen Quellen, da er deren Gehalt immer wieder anzweifelt. Die vom Erzähler offenbarte Unwissenheit, welche vermutlich aus einer lückenhaften Quelle resultiert, lässt den Erzähler einerseits als getreuen und glaubhaften Vermittler seiner Quellen erscheinen. Andererseits setzt der Erzähler seine Unwissenheit geschickt ein, indem er die Unvollständigkeit seiner Quelle hervorhebt, um danach seine eigenen Vermutungen zu legitimieren.
Dass die Erwartung des Publikums nach einer Beglaubigung verlangt, lässt sich nach dieser Untersuchung nicht leugnen. Dies zeichnet sich vor allem anhand der Nähe des Erzählers zum Publikum ab, die innerhalb der Quellenberufung immer wider betont wird. Es finden sich auch einige Passagen, in denen Quellen als sogenannte „Flickformeln“ fungieren, um das Reimschema zu erfüllen. Diese Beobachtungen stellen jedoch nicht die einzigen Funktionen von Quellenberufungen imErecdar.
Die vom Erzähler genannten Quellen dienen oftmals der Hervorhebung des Erzählten. Hierbei stehen die Quellen im Zusammenhang mit Schilderungen, die bedeutende Informationen für den weiteren Verlauf der Handlung enthalten. Diese Schilderungen werden durch den Einsatz der Quellen besonders hervorgehoben, wodurch gleichzeitig eine Spannung erzeugt wird. Zudem werden Quellenberufungen verwendet, um dem Publikum zu signalisieren, aufzumerken. Diese Intention erscheint besonders stark, wenn der Erzähler das Publikum mit in die Quellenberufung einschließt. Eine weitere Funktion der Quellenberufungen besteht in der Legitimation von hyperbolischen Beschreibungen, insbesondere bei der Hervorhebung der Einzigartigkeit von Figuren oder Gegenständen. Dabei soll vor allem die Wahrheit der Fiktion bekräftigt werden. Die Untersuchung des Pferde-Exkurses hat ergeben, dass Quellenberufungen auch als indirekter Verweis auf Hartmanns Poetologie fungieren, indem sie in einer Reflexion über die Erschaffung der Erzählung eingebettet werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich bei Hartmann das Verfahren der Quellenfiktion abzeichnet, welches der Dichter vor allem als kunstvolles Stilmittel einsetzt.
5. Literaturverzeichnis
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[...]
1Ridder: Fiktionalitätund Autorität, S. 539.
2Schulz: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive, S. 379. Vgl. hierzu: Grünkorn: Die Fiktionalität des höfischenRomans, S. 181.
3 Schulz: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive, S. 377. Eine Untersuchung zum Verfahren der dilatatio materiae bei Hartmann hat Worstbrock vorgenommen: Vgl. Worstbrock: Dilatatio materiae.
4Pörksen: Der Erzähler im mittelhochdeutschen Epos, S. 62.
5Grünkorn: Die Fiktionalität des höfischen Romans, S. 179.
6Kramer: Erzählerbemerkungen und Erzählerkommentare in Chrestiens und Hartmanns „Erec“ und „Iwein“, S. 35.
7Pörksen: Der Erzähler im mittelhochdeutschen Epos, S. 70.
8Dabei weist Arndt darauf hin, dass sich Quellenberufungen gerade an den Stellen häufen, die Hartmann abweichend seiner Vorlage eingefügt hat. Vgl. Arndt, S. 46.
9Arndt: Der Erzähler bei Hartmann von Aue, S. 45.
10Strasser: Fiktion und ihre Vermittlung in Hartmanns >Erec<-Roman, S. 75-76.
11Ridder: Fiktionalitätund Autorität, S. 549.
12Ebd., S. 560.
13Insgesamt finden sich imErecsieben Belege derâventiurein ihrer Bedeutung als Quelle. Vgl. Arndt: Der Erzähler bei Hartmannvon Aue, S. 45.
14Vgl. Mertens: Aventiure, S. 187-189.
15Wegera:„mich enhabe diuâventiure betrogen“, S. 231.
16Ebd., S. 233. Nach Ansicht von Strohschneider hatâventiureihren Ursprung in der höfischen Dichtung, wobei der Begriff vor allem in der Artusepik zu finden ist. Strohschneider betrachtetâventiuregar als „unverzichtbares wie zentrales Konstitutionsmoment des Hofes“. Vgl. Strohschneider: Höfische Textgeschichten, S. 243.
17Wegera:„.mich enhabe diuâventiure betrogen“.S. 234.
18Mertens: FrauÂventiureklopft an die Tür ..,,S. 340.
19Alle Zitate aus HartmannsErecsind folgender Ausgabe entnommen: Hartmann von Aue:Erec. Hrsg. von Manfred Günter Scholz. Übersetzt von Susanne Held. Frankfurt am Main 2004.
20Wegera:„.mich enhabe diuâventiure betrogen“, S. 240. Wegerabetont, dass die Verwendung als Quelle zu den häufigsten Verwendungsweisen vonâventiuregehört.
21Wegera:„mich enhabe diuâventiure betrogen“, S. 240.
22Pörksen: DerErzählerim mittelhochdeutschenEpos, S. 70.
23Scholz: Kommentar, S. 802.
24Cormeau/Störmer: Hartmannvon Aue, S. 168.
25Scholz: Kommentar, S. 802.
26Scholz: Kommentar, S. 632.
27Mecke verweist hier auf die Hyperbolik der Raumangaben. Vgl. Me>
28Vgl. Ziegeler: Maere, S. 517 sowie Hennig: Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch, S. 208.
29Strasser: Fiktion und ihre Vermittlung in Hartmanns >Erec<-Roman, S. 76.
30Vgl. Arndt: Der Erzähler beiHartmann von Aue, S. 45.
31Der Erzähler beruft sich in dieser Passage auf denmeister(7462, 7487), dasbuoch(7491). Vgl. Laude: Quelle als Konstrukt, S. 217.
32Bumke: Der „Erec“ Hartmanns von Aue, S. 133.
33Laude: Quelle als Konstrukt, S. 231.
34Worstbrock: Dilatatio materiae, S. 224.
35Ridder: Fiktionalitätund Autorität, S. 548.
36Pörksen: DerErzählerim mittelhochdeutschenEpos, S. 70.
37Arndt: DerErzähler beiHartmannvon Aue, S. 45.
38Vgl. Scholz: Kommentar, S. 910.
39Laude: Quelle als Konstrukt, S. 233.
40Ebd., S. 232.
41Vgl. Laude: Quelle als Konstrukt, S. 231.
42Me>
43Ebd., S. 89.
44Pörksen nennt in seiner Untersuchung verschiedene Kategorien von Wahrheitsbekundungen, z. B. solche ohne besondere Motivierung, vgl. Pörksen: Der Erzähler im mittelhochdeutschen Epos, S. 80. Arndt spricht hier von stereotypen Kurzformeln, die allein wegen der Aufrechterhaltung des Reimschemas eingefügt worden sind, vgl. Arndt: Der Erzähler bei Hartmann von Aue, S. 51. Bezüglich einer vollständigen Liste der Wahrheitsbekundungen im Erec sei auf Arndt, S. 51-53 sowie Pörksen, S. 79-80 verwiesen.
45Kramer: Erzählerbemerkungen und Erzählerkommentare in Chrestiens und Hartmanns „Erec“ und „Iwein“, S. 34.
46Kramer: Erzählerbemerkungen und Erzählerkommentare in Chrestiens und Hartmanns „Erec“ und „Iwein“, S. 34.
47Pörksen: DerErzählerim mittelhochdeutschenEpos, S. 79.
48Arndt: DerErzähler beiHartmannvon Aue, S. 55.
49Kramer: Erzählerbemerkungen und Erzählerkommentare in Chrestiens und Hartmanns „Erec“ und „Iwein“, S. 34.
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- Adriana Lütz (Autor:in), 2018, Hartmanns von Aue "Erec". Formen und Funktionen des beglaubigten Erzählens, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1495719