Die ökologische Krise in Bitterfeld während der DDR-Zeit steht sinnbildlich für die verheerenden Umweltschäden im Chemiedreieck. Trotz massiver Wasser- und Luftverschmutzung, die die Gesundheit der Bewohner stark beeinträchtigte, lebten und arbeiteten Menschen weiterhin in dieser Region. Diese Arbeit untersucht die sozialen Folgen der Umweltzerstörung in Bitterfeld und beleuchtet die allgemeine Umweltlage in der DDR. Es wird analysiert, wie die DDR-Führung versuchte, die Umweltprobleme zu bewältigen, und welche Maßnahmen ergriffen wurden. Der Fokus liegt auf den gesundheitlichen Belastungen der Arbeiter:innen und der Zivilbevölkerung, den daraus resultierenden Abwanderungsbewegungen und der Bildung politischer Gruppierungen, die Veränderungen anstrebten. Abschließend wird die Rolle des Ministeriums für Staatssicherheit betrachtet, das Umweltgruppen unterdrückte und die Vertuschung von Missständen in den Betrieben unterstützte.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Gesamtsituation der Schäden an der Umwelt durch die Industrie in der DDR ab 1982
3. Handlungen der politischen Führung der DDR - zwischen Umweltschutz und Nachfrage
3.1 Politik und Verwaltung der Industrie in der DDR
3.2 Staatliche Institutionen für den Umweltschutz in der DDR der 80er Jahre
3.3 Einfluss des MfS
4. Ökologische Situation in Bitterfeld
5. Soziale Entwicklungen in Bitterfeld durch Umweltschäden
5.1 Gesundheitliche Gefährdung der Arbeiter:innen des Chemiekombinats
5.2 Abwanderungsbewegungen im Chemiedreieck
5.3 Tendenzen im Privaten
6. Einfluss von nicht staatlichen Organisationen in Bitterfeld
7. Vertuschung der Umweltproblematiken durch die Staatssicherheit
8. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der ruinöse Zustand der Ökologie in Bitterfeld zu Zeiten der DDR sind legendär. Da die Stadt und weitere Gebiete umher, welche als Chemiedreieck bezeichnet wurden, durch Wasser- und Luftverschmutzung die Gesundheit und das alltägliche Leben ihrer Bewohner massiv bedrohte, stellten sich verschiedene Prozesse ein, um gegen die Zerstörung der Umwelt vorzugehen. Hilfreich war dies am Ende nicht. Bitterfeld war im Jahr 1990 die schmutzigste Stadt im vereinten Deutschland. Eine besondere Verschlimmerung des Zustandes ließ sich ab der Rückkehr zu Kohle Mitte der 70er Jahre erkennen. Dennoch lebten weiterhin Menschen an diesem Ort. Auch waren es diese Menschen, die in den Betrieben der Umgebung und besonders des Chemiekombinat Bitterfeld tätig waren und dort ihren Lohn verdienten. Wieso taten diese Menschen das? Eine einfache Erklärung wäre es zu sagen, dass die DDR als „repressive Diktatur“ seine Bewohner zwang. Dennoch ist von einem größeren Zusammenhang auszugehen. Auf den kommenden Seiten werde ich daher versuchen zu ergründen, was die sozialen Folgen der umweltlichen Zerstörungen in Bitterfeld waren. Zu Beginn der Arbeit wird die Gesamtsituation betrachtet der Schäden innerhalb der Umwelt der DDR, um zu zeigen, dass nicht Bitterfeld allein massive ökologische Probleme hatte und eine Insel der Zerstörung war, sondern, dass die schwächelnde Wirtschaft der DDR und fehlende Rohstoffe eine weitreichende Zerstörung der Flora und Fauna zur Folge hatte. Im weiteren betrachte ich, wie die obersten Stellen der DDR versuchten sich dieser Problematik anzunehmen und welche Schritte von ihnen als sinnvoll betrachtet wurden. Dies soll aufzeigen, mit was genau die Menschen in Bitterfeld konfrontiert waren und wieso es zu solch einem gesellschaftlichen und ökologischen Absturz kommen konnte. Im Abschnitt der sozialen Auswirkungen in der Stadt soll einmal auf die schweren körperlichen Belastungen der Arbeiter:innen eingegangen werden und ihre gesundheitliche Gefährdung, sowie welchen Problematik die Zivilgesellschaft ausgesetzt war durch Luftverunreinigungen und Abwasserverunreinigungen. Abwanderungsbewegungen werden durch diese Aspekte erklärbar. Die Organisation von politischen Gruppierungen zeigt auf, dass auch in der scheinbar antidemokratischen DDR zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse entstehen konnten, welche beabsichtigen eine Veränderung der Situation herbeizuführen. Zuletzt soll noch der Einfluss des MfS betrachet werden, wie dieser gegen Umweltgruppen vorging, sowie in den Betrieben versucht wurde Problematiken durch mangelhafte Durchführung von Prozessen zu vertuschen.
2. Gesamtsituation der Schäden an der Umwelt durch die Industrie in der DDR ab 1982
Die Umweltproblematik in der DDR war dominiert durch die Verschmutzung von Umweltbetrieben. Die Agglomeration aus den Städten Leuna, Merseburg, Bitterfeld bildeten das Chemiedreieck. Andere Regionen welche stark von Umweltbelastungen betroffen waren, waren das Erzgebirge aufgrund des dortigen Uranabbaus. Der Kohleabbau ruinierte weite Teile der Lausitz langfristig. Diese Schäden bewirkten eine weitreichende und flächendeckende Zerstörung verschiedener Ökosysteme der DDR. So war die Saale nach 1989 ein toter Fluss. Auch wurden mehr als 500 km12Fläche für den Braunkohleabbau umgegraben.1
Vorangetrieben wurde dieser Umstand von der Rückkehr zur Braunkohle durch das Ausbleiben von Rohöllieferungen durch die Sowjetunion. In Folge der Ölkrise 1974 verkaufte die UdSSR devisenreich ihr Erdöl an westliche Staaten, da ein Großteil der europäischen Staaten und die USA von den arabischen Staaten keine Öllieferungen in Folge des Sechs Tage Krieges erhielten.[2] Das erneute Verwenden von Braunkohle ließ das Problem der Smogglocke zurückkommen. Die DDR emittierte 5,4 Millionen Tonnen an Schwefeldioxid, das Gas welches auch den Treibhauseffekt am stärksten vorantreibt, im Jahr 1987 der zweithöchste Wert Europas nach der Sowjetunion. Dies war in zweifacher Hinsicht ein Auslöser für soziale Probleme. Einerseits löste der Smog bei Bewohner:innen betroffener Gebiete Krankheiten wie bspw. Bronchitis aus, anderseits befeuerte es, die aus der BRD stammende und dort emotional geführte Debatte über das „Waldsterben“ und damit auch andere Umweltthematiken3. So waren die Luftverunreinigungen, die im Gebiet Halle/Leipzig produziert wurde, besonders stark für Schäden im Waldgebiet des Erzgebirges verantwortlich, da durch den sauren Regen weite Teile des Waldes abstarben. So wurde in einer Studie innerhalb des Waldteils in der Tschechoslowakei eine Überschreitung von 77% des Schwellenwertes Schwefeldioxids gemessen. Diese Überschreitung zeigt den Einfluss der Verwendung von Braunkohle, da diese in den späten Jahren der DDR besonders schwefelhaltig war.[4] Dabei überstieg im Jahr 1988 der Schwefeldioxid Wert pro kg/Einwohner im Jahr 1988 in der DDR im Vergleich zum Westen um das 15-Fache. Knapp 319,3 kg/Einwohner standen 21,3 kg/Einwohner gegenüber.[5]
Ein weiteres Problem was die Umweltbelastungen verschlimmerten war der Umstand, dass die Industrieanlagen zu einem großen Teil in einem mehr als mangelhaften Zustand waren. Geschuldet war dies dem Umstand, dass ein Großteil der Industrieanlagen aufgrund von Geldknappheit nicht ordentlich gewartet werden konnte. Beispielsweise wurde der erste Elektrokatalysator 1896 in Bitterfeld in Betrieb genommen und lief teilweise jahrelang ohne Wartung bis zu seiner Abschaltung 1986[6]. Diese Mängel verstärkten die Umweltproblematik zutiefst, da Unfälle durch diese katastrophalen Zustände provoziert wurden.
Anhand dieser ersten Einführung zeigt sich, dass die Schäden durch den Ausstoß von Emissionen aufgrund der Rückkehr zur Braunkohle und Schäden an Industrieanlagen zurückgeführt werden kann. Diese beiden Punkte bedingten sich allerdings auch, betrachtet man beispielsweise den fehlenden Einbau von Filteranlagen, diese waren zwar verfügbar, konnten allerdings nicht eingebaut werden.[7] Das Fehlen der Filteranlage bewirkte, dass Schweldioxid ungefiltert austreten konnte und so Smog erst zu einer solch enormen Belastung werden konnte. Dies zeigt, dass die DDR zwar technisch über das „Know How“ verfügte, jedoch mangelhaft in der Ausführung und Pflege der Anlagen war.
3. Handlungen der politischen Führung der DDR - zwischen Umweltschutz und Nachfrage
3.1 Politik und Verwaltung der Industrie in der DDR
Da, bedingt durch die sozialistische Planwirtschaft, eine enge Verknüpfung zwischen der Industrie und der Staatsführung existierte, richtete sich die Produktion nach den Vorgaben der Politik.
Die Industrie der DDR organisierte sich in seinem Aufbau am Beispiel der Wirtschaftsordnung in der Sowjetunion. Dieses System richtete sich nach dem sozialistischem Prinzip, dass die Produktionsmittel in der Hand der Arbeiter liegen sollen. Durch diese enge Verflechtung der DDR-Wirtschaft mit dem Staat und damit auch der SED bewirkte, dass die Bürger:innen Schuld an den Umweltschäden innerhalb der politischen Führung und Verwaltung sahen. Dies lag am Aufbau des hierarchisch geordneten Wirtschaftssystems der DDR.4
Die Leitung der Wirtschaft unterstand an oberster Stelle dem Zentralkomitee der SED und dem Ministerrat. Praktisch gesehen wurde die Wirtschaft von der staatlichen Plankommission geleitet. Unter dieser standen verschiedene Planungsinstanzen, welche fachlich oder nach ihrer spezifischen Region aufgeteilt waren. Die Wirtschaft wurde nach den sogenannten „Fünf Jahres Plänen“ aufgebaut. Ein innerhalb von sozialistischen Ländern genutztes Mittel zur zeitlichen Ordnung ihrer wirtschaftlichen Prozesse. Einen großen Einfluss auf die Lage der Umwelt in der DDR hatte der unter Erich Hoenecker 1975 entstandene Fünf-Jahres-Plan der „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpoltik“. Mit diesem war eine Verbesserung des Lebensstandard innerhalb der DDR geplant, aufgrund er Unzufriedenheit der Einwohner durch den Mangel an Konsumgütern, wie sie in Westdeutschland zur Verfügung standen. Dies sollte durch verschiedene Maßnahmen gefördert werden. Zuerst war dies das Wohnungsbauprogrammen der DDR in denen ganze Stadtteile wie Halle Neustadt oder Leipzig Grünau entstanden. Dadurch wurden bis 1989 knapp 1,9 Millionen Plattenbauwohnungen geschaffen. Auch sozialpolitisch gab es Reformen wie die Einführung der 40 Stunden Woche oder bezahlter Schwangerschaftsurlaub. Außerdem entstand eine bessere Versorgung an Gütern, die im Westen Standard waren, wie PKWs, Kühlschränke oder Fernseher. Folgen der Reformen waren zwar eine Verbesserung der Wirtschaftslage auf dem Papier. So stieg das Durchschnittseinkommen der DDR-Bürger zwischen 1970 und 1980 von 755 Mark auf 1021 Mark, was den höchsten Wert innerhalb der Länder der RGW bedeutete. Jedoch problematisierte sich der Zustand der Wirtschaft weiter, da die eingeführten Reformen enorme Mengen an Geld kosteten. Ein weiteres Problem entstand Mitte der 70-iger Jahre durch die bereits zuvor angesprochene Ölkrise und der Rückkehr zur Braunkohle. Da die Reformen zum Großteil durch Kredite aus dem Westen bezahlt wurden, verschuldete sich die DDR ab 1970 bis 1989 von 2 Milliarden Valuta Mark auf 49 Milliarden Valuta Mark.5
Diese Umstände führten zu weiteren Umweltbelastungen, da die DDR gezwungen war devisenreich zu produzieren, aber wenig Geld zur Sanierung von Anlagen bereitstehen hatte. Dadurch verfielen die meisten Industrieanlagen, die seit Jahrzehnten schlecht gewartet wurden, nur noch weiter. Der Umweltschutz wurde zwar formal bedacht, allerdings ist die Durchführung dessen geringfügig umgesetzt worden. Zwar gab es Bemühungen und konkrete Pläne zum Schutz der Umwelt, jedoch gab es kein konsequentes Handeln dieses Ziel umzusetzen aufgrund der hohen Staatsverschuldung, sowie der darauffolgenden mangelhaften Umsetzung. Ein Beispiel, dass Planungsaufwände auch auf höchster Führungsebene übernommen wurden, zeigt dass Landeskulturgesetz von 1969 in dem ebenfalls konkrete Umweltschutzpläne bis 1980 definiert werden.6Dieser ist zwar äußerst progressiv formuliert, wie dass ein Schutz der natürlichen Ressourcen gefordert wird, jedoch sieht man das dies weniger umgesetzt wurde anhand Beispielen wie Bitterfeld Wolfen.
3.2 Staatliche Institutionen für den Umweltschutz in der DDR der 80er Jahre
Auch wenn unabhängige Umweltgruppen in der DDR kritisch beäugt wurden aufgrund ihres nicht-staatlichen Charakters, gab es die Bemühung systemtreue Umweltkritiker, welche grüner Politik nahestanden systemisch einzugliedern. Gegründet wurde dafür 1980 die „Gesellschaft für Umwelt und Natur“ als Untereinheit des Kulturbundes. Es fanden sich jedoch wenige Personen, die bereit waren mit der SED zu kooperieren, weswegen verschiedene naturwissenschaftliche Fächergruppen des Kulturbundes in die Gesellschaft eingegliedert wurden.7
Der Kulturbund diente als Angebot für Bürger:innen eine Anlaufstelle zu haben, um am Umweltschutz partizipieren zu können. Aufverwaltungstechnischer Ebene existierte seit 1972 das Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft unter der Leitung von Hans Reichelt von der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands. Ziel des Ministeriums war unter anderem die Entschwefelung der Luft, aufgrund des vorher geschilderten hohen Ausstoßes, sowie dem Waldsterben entgegenzuwirken. Im Hinblick auf den Verlauf der Arbeit und ihren Fokus auf den Raum Bitterfeld, wird der Stand der Entschwefelung, da sie der zentrale Inhalt für die Luftreinhaltepolitik ist betrachtet. Dies geschah mit dauerhaftem Blick in den Westen, da diese besonders im Bereich eine Entschwefelung durchsetzen konnten.8Dieser Prozess setzte in der DDR ab dem Jahr 1977 ein, 1981 wurde eine Einsatzkonzeption des KalksteinAdditiv-Verfahrens entwickelt. Dies konnte nur Teilerfolge bis 1983 verbuchen, da dieses Verfahren nur in großen und mittleren Betrieben eingesetzt werden konnte. Eingeführt wurde das Verfahren nur in Ballungsgebieten wie Karl-Marx-Stadt oder Leipzig. Bitterfeld konnte von diesem Programm auch in späteren Zeiten nicht profitieren9
Da Umweltminister Reichelt in einem Bericht 1984 die Erfolge des Kalkstein-Addititv Verfahrens anpries bekam das MUW den Auftrag Entschwefelungsanlagen mit in den FünfJahres Plan 1986 aufzunehmen. Es stellte sich jedoch bereits 1985 heraus, dass die Pläne zur Luftreinhaltungspolitik nicht umzusetzen waren. Dies lag an einer schlecht ausgerüsteten Umweltinspektion, sowie dem Mangel an Personal zur Kontrolle der Umweltdaten.10
Das entscheidende Problem der Luftreinhaltungspolitik in der späten DDR war, dass keine einheitliche Linie existierte und der Versuches eine Organisation aufzubauen, der „Technischen Beratungs- und Kontrollstelle für Emissionen“, als nicht erfolgreich angesehen werden kann. Das weitere Vorgehen nach dem Erkennen der Werte problematisierte die Umsetzung der Luftreinhaltung. Verschiedene Ministerien konkurrierten welchen Aspekt der Luftreinhaltung kontrolliert werden sollte. So hatte das Umweltministerium mit der Koordination der Luftreinhaltung eine zentrale Verantwortung inne. Andere Ministerien wie das Landwirtschaftsministerium versuchte die Interesse von geschädigten Forst- und Landwirtschaftsbetrieben zu vertreten, während das Industrieministerium mit der Entwicklung von Filteranlagen vertraut war.11Diese breite Zusammensetzung von verschiedenen Aufgabenfeldern führte dazu, dass eine fehlgeleitete Planung ein großes Hindernis war bei dem Versuch einer erfolgreichen Luftreinhaltungspolitik.
3.3 Einfluss des MfS
Da die DDR keinen größeren gesellschaftlichen Aufruhr provozieren wollte, war ein Mittel der Staatsführung eine Vertuschungs- und Einschüchterungspolitik im Bereich der Umwelt. Dies bestand einerseits durch eine Kontrolle der Betriebe und auf der anderen Seite durch Kontrolle und besonders Einschüchterung von nicht staatlichen Umweltschutzgruppierungen.
Verantwortlich für Kontrollen innerhalb der Wirtschaft der DDR war die Abteilung XVIII des MfS. Ihre Aufgaben Bereich wurde in der Dienstanweisung 1/82 des Ministeriums definiert. Ziel der Abteilung war erstens die „äußere Abwehr“ und damit der Aufklärung von äußeren Geheimdiensten. Als zweites sollte es eine „innere Abwehr“ geben, bei der feindliche Handlungen im Betrieb aufgespürt werden sollten. Als drittes der „Kampf“ gegen Sabotage und Diversion. Zuletzt wurden in dem Punkt der „inneren Stabilität“ verschiedene Unterpunkte definiert. Dies wäre erstens „die Sicherung von bedeutsamen Personen und Personengruppen“; zweitens „die Wahrung von Sicherheit, Ordnung und Geheimschutz“. Es sollten wirtschaftliche Vorhaben unterstützt werden, durch „effektivitäts- und leistungsfördernde Maßnahmen“, sowie eine „permanente Analyse der politisch operativen Systeme, einschließlich der effektiven Gestaltung der Informationsübermittlung an die verschiedene staatlichen und Parteiorgane.“12Dies sind alles äußerst technisch ausgedrückte Posten. Jedoch wird erkennbar, dass durch dieses breite Spektrum des Aufgabenbereiches ein umfassender Eingriff und damit verbundener Kontrolle in der Wirtschaft möglich war.
Konkret zeigte sich dies an Eingriffen innerhalb von Betrieben besonders bei Arbeitsunfällen oder der Verschleierung von Produktionsergebnissen. So versuchte die Leitstelle XVIII auch Umweltdaten zu fälschen, um innerhalb der Bevölkerung ein falsches Gefühl von Stabilität zu erzeugen. So gab es verschiedene Methoden, wie das MfS die Wirtschaft kontrollieren konnte. Die Organisation der Leistelle XVIII aus der Berliner Hauptstelle und verschiedenen Unterleitstellen mit jeweils einer in jedem Bezirk der DDR. Dabei bestand die Kontrolle der unteren Diensteinheiten hauptsächlich darin Personen direkt zu kontrollieren, sowie Daten zu verfälschen, falls diese dem Staatsapparat bedrohlich werden konnte und so die Linie der Partei bedrohten.13Dieser Teil wird im späteren Verlauf im Bezug auf den VEB Bitterfeld genauer erläutert.
Es lässt sich erkennen, dass das MfS durch die Leistelle XVIII einen großen Einfluss in der Kontrolle der wirtschaftlichen Prozesse besaß und durch Einschüchterungen und Fälschungen einen großen Teil daran tat, dass die Zustände innerhalb der Betriebe und ihre Folgen für die DDR-Umwelt verschleierten.
4. Ökologische Situation in Bitterfeld
Bitterfeld war eine der dreckigsten Städte innerhalb der DDR. Dies war geschuldet an der Lage im sogenannten „Chemiedreieck“ zwischen Leuna, Merseburg und Bitterfeld selbst. Die dort produzierende Grundstoffchemie war an sich stark umweltschädigend, der zuvor bereits beschriebene schlechten Zustand der Industrieanlagen der DDR führte zu einer weiteren Verschlechterung der Ökologie. s
Im alltäglichen Leben waren es besonders die direkten Auswirkungen des VEB Bitterfeld, sowie teilweise der anderen Betriebe im Umland, die den Bürger:innen die Umweltbelastung spürbar machten. Der durch die Produktion entstandene Kohlestaubnierderschlag war ein tagtägliches Problem in Bitterfeld und den angrenzenden Ortschaften.14Ausgelöst durch den katastrophalen Zustand des Chemiekombinats der Stadt. In diesem wiesen die Anlagen einen Verschleißgrad von über 55% im Jahr 1988 auf. Die Anlagen waren dabei zum großen Teil bereits 50 Jahre und älter. So war die Anlage zur Chlorelektrolyse älteste der Welt und seit 1896 dauerhaft im Betrieb, mit einer letzten vollständigen Wartung in den 20-iger Jahren.15Nicht nur das Alter der Produktionsstätten hatten einen Einfluss auf die ökologische Lage. Auch Faktoren, wie dass 37 Kilometer von 63 Kilometer Rohrbrücken in Buna aufgrund des Fehlens des „Korrissionsschutzanstriches“ dringend in Stand gesetzt werden sollten, zeigen in welch schlechtem Zustand die Anlagen in der späten DDR waren.16
Ein weiterer Faktor, der den Standort des Chemiedreiecks in eine solch prekäre Lage rückte, im Verlauf der 80iger Jahre, war die Spezialisierung auf Grundstoffchemie. In den Werken in Bitterfeld wurde die bereits angesprochene Chlorelektrolyse durchgeführt, sowie die Salpetersäureproduktion und die Aluminiumerzeugung. Dies sind grundsätzliche Stoffe innerhalb der Industrie, welche in einem großen Rahmen benötigt werden. Dennoch sind diese Stoffe äußerst giftig und wenig umweltverträglich. In Kombination mit der seit den 70iger Jahren verstärkt eingesetzten Braunkohle und den Schäden an den Anlagen sind die ökologischen Auswirkungen, von denen einige für die Bewohner bemerkbar und andere jedoch nicht bemerkbar waren.
Der Smog war das Hauptproblem innerhalb Bitterfelds, welches am stärksten von den Menschen der Stadt wahrgenommen wurde. Als beispielhafte Situation in welchem Ausmaß die Bewohner:innen des Chemiedreiecks Belastungen ausgesetzt waren, zeigt das Wochenende vom 11.1.1985 bis zum 13.1.1985. Ausgelöst durch eine Hochwetterlage entstand eine enorme Smogbelastung. Jedoch gab die Staatsführung keine Warnung für diese Situation heraus, es existierte nicht einmal ein Handlungsfaden zum Verhalten in dieser Lage. Sichtbar wurde dies durch verschiedene Eingaben17von DDR Bürger:innen.18
5. ziale Entwicklungen in Bitterfeld durch Umweltschäden
5.1 Gesundheitliche Gefährdung der Arbeiter:innen des Chemiekombinats
Durch die Arbeit mit schwergiftigen Chemikalien und Metallen waren die arbeitenden Personen innerhalb des VEBs einer enormen gesundheitlichen Gefährdung ausgesetzt. Dies begründet sich einerseits durch Unfälle innerhalb des Betriebes, aber auch Vergiftungserscheinungen in der Belegschaft, welche teilweise um ein Vielfaches erlaubte Werte überschritt.
Die Unfälle innerhalb des Betriebes wurden meist ausgelöst durch fehlende Sicherheitszustände. So starb 1987 ein Arbeiter aufgrund von herausspritzendem Aluminiums. Es wurden auch Wannen mit flüssigem Aluminium durch den Betrieb geführt, die auf Arbeiter hätte kippen können. Dazu gab es die Gefahr tödlicher Stromschläge aufgrund von umherliegenden Kabeln.19
Die Gefährdungen durch giftige Chemikalien müssen schon beim Betreten der Anlage bemerkbar gewesen sein. So war der erlaubte Fluorwert in der Luft um ein drei- bis sechsfaches Überstiegen und die Kohlenstoffmonoxidbelastung wurde um das zwei- bis vierfache Übertroffen. Von der NVA eingesetzte Bausoldaten erhielten Masken mit Nasenklammern, wodurch ihnen die Atmung abgeklemmt wurde. Bei Arbeitstemperaturen um 80 Grad zeigt dies auf, dass auch wenn Vorgaben existierten20und Bemühungen diese zu erfüllen, eine wirkliche Einhaltung, als realitätsfern anzusehen ist.
Quecksilbervergiftungen waren ein häufiges Problem in der Belegschaft des Kombinats. Mehrere Personen verstarben an den Folgen dieser. Dies waren meist Häftlinge, welche noch einmal schlechteren Arbeitsbedingungen ausgesetzt waren als zivile Arbeiter des Betriebes. So starben zwei Strafgefangene in der Bitterfelder Chlorproduktion 1980 und 1981 erneut. In dem Fall des 1980 verstorbenen Zwangsarbeiters lag eine Urinprobe vor, welcher mit 1520 |ug/l den staatlich vorgeschriebenen Wert um das Fünfzehnfache überschritt. Besonders perfide war das dem Mann ein Eigenverschulden von Ermittlungsbehörden nachgesagt wurde. Dennoch ist durch das Betrachten anderer Urinproben von Mitarbeitenden des Betriebes erkenntlich, dass durch das Anheben des ursprünglichen Schwellwertes von 50 bis 100 |u.g/l stückweise bis 1985 unter der Anweisung des Generaldirektors ein Schwellenwert von 201^g/l bis 500^g/l gegolten haben. Andere Anweisungen gaben an, dass bei Personen bei denen zwischen 501^g/l und 1000^g/l Quecksilber in ihrem Urin gemessen wurden, versetzt werden sollten. Ab einem Wert von 1000^g/l erfolgte eine sofortige Einweisung in ein Klinikum zur Kontrolle der Nieren. Ab 2000^g/l wurden die Personen ebenfalls sofort eingewiesen und konnten nicht weiter im Werk arbeiten.21Alleine dass eine solch enorme Anhebung der Werte von Nöten war und eine Anweisung galt, für den Fall dass der ursprüngliche Schwellenwert um ein 20-faches überstiegen wurde, zeigt welchen körperlichen Gefahren die Arbeitenden im Betrieb ausgesetzt waren. Auch wurden Prämien als Anreiz für die Arbeit in besonders belasteten Abteilungen gezahlt. Die Reaktion der Arbeiter fiel im Vergleich zu anderen Betrieben heftig aus, dennoch nicht durch eine aktive politische Einmischung. Eher wurde versucht mit Beschwerden beim Leitungspersonal eine Veränderung der Umstände zu erreichen. Dies erfolgte jedoch sehr unorganisiert und hatte keinen gewerkschaftlichen Charakter. Teile der Betriebe forderten eine Veränderung der Arbeitsumstände und im Falle, dass diese nicht eintritt, ein Niederlegen der Arbeit. Auf diese Äußerungen ließen die Arbeiter jedoch keine Taten folgen.22
5.2 Abwanderungsbewegungen im Chemiedreieck
Die Konsequenz aus den Lebens- und Arbeitsumständen war eine starke Abwanderungsbewegung aus dem Chemiedreieck. Bitterfeld war in diesem Fall das Epizentrum dieser Problematik, zwischen 1971 und 1980 zogen knapp 6 Prozent und damit 8033 Bürger aus Bitterfeld. Dieses Phänomen der Abwanderung aus der Stadt hält bis heute an. Dabei ist es bemerkenswert, dass in einer Region welche so von dem Wegzug ihrer Bürger:innen geprägt ist und dieses Stigma besonders in der Nachwendezeit weiter aufrechterhielt, bereits zu DDR-Zeiten so viele Bürger:innen durch den Weggang aus der Stadt verlor. Da ein Großteil der Bewohner des Chemiedreiecks in den Betrieben der Stadt beschäftigt war, waren es auch diese Arbeiter, die ihren Arbeitsplatz aufgaben. Bei Befragungen dieser gaben knapp 50% an, dass die Arbeitsbedingungen der Hauptfaktor für ihre Kündigung waren, gesundheitliche Probleme und der Wohnort waren nur zweitrangig.23Daran lässt sich erkennen, dass sich über die Auswirkungen der Umweltbelastungen nur wenige Bürger Gedanken machten. Eher die direkte Bedrohung innerhalb des Betriebes bewegte die Arbeiter zur Kündigung. Dennoch schienen die Probleme durch Smog und die Auswirkungen der harten Arbeit im kollektiven Bewusstsein der Stadt zu liegen, wenn diese ebenfalls relevante genannte Punkte waren.
5.3 Tendenzen im Privaten
Trotz des massiven Wegzuges aus der Stadt sahen sich die weiter in Bitterfeld wohnhaften Bürger:innen weitreichenden Einschränkungen ihres Lebens ausgesetzt. Die Möglichkeit wie erfasst werden könnte, wie sehr eine Problematik Bürger in der DDR beschäftigte waren Eingaben. Diese waren die Möglichkeit von zivilen Personen eine Beschwerde an staatliche Stellen zu richten. Nützlich ist dies, da im Verlauf der DDR wahrscheinlich ein Großteil der Bewohner eine Eingabe schrieb. So wurden durchschnittlich 70.000 Eingaben im Jahr an verschiedene Stellen der DDR gerichtet.24Da Eingaben aus verschiedensten Bereichen und Problematiken der DDR-Bevölkerung stammen kann, ermöglichen diese einen Einblick darauf, wie die Bewohner ungeschönt Probleme innerhalb der DDR wahrnahmen.25
Im Chemiedreieck war dies ein häufig genutztes Instrument, um so auf die Probleme, die durch ökologische Belastungen entstanden, aufmerksam zu machen. Der Anteil an Eingaben erhöhte sich dabei tendenziell seit dem Anfang der 80iger, woher eine breite Quellenlage sich ergibt an aufgezeigten Problematiken. So erreichten im Jahr 1988 1215 Eingaben das Umweltministerium aus dem Bezirk Halle. Die Eingaben an das Umweltministerium waren von 1970 bis 1984 relativ stabil. So erreichten durchschnittlich 400 Eingaben das Umweltministerium. Ab 1984 steigerte sich dies kontinuierlich, bis 1988 dieser Höchststand an Eingaben erreicht wurde. Dabei im Fokus waren besonders die Wasser- und Luftqualität. Aufgrund der zuvor geschilderten Problematik Arbeitssicherheitsmaßnahmen, die ihm Betrieb vorherrschend und Problematiken hervorrufen, die die Höhe der Eingaben erklärbar machten. In der Betrachtung einiger Eingaben von Bürger:innen sieht man, dass nicht nur das ursprüngliche Problem selbst kritisiert wurde. Ein Großteil der Angaben kritisierte direkt staatliche Institutionen und ihre Funktionäre. Das Hauptmerkmal in dieser Kritik war der herabfallende Schmutz, welcher zu weitreichenden Belastungen des Lebens der Bitterfelder:innen führte. Tatsächlich waren die gesundheitlichen Probleme welche vermutlich aus dem Fakt, dass Asche vom Himmel fällt, eher zweitrangig. Die Eingaben waren viel mehr in dem Tonus formuliert, welche Auswirkungen dies auf das direkte alltägliche Leben hatten. So beschwerte sich ein alter Mann, wie dreckig Halle aussehen würde und so nicht international präsentabel war oder eine Frau beschwerte sich, dass sie ihr Kind nicht für eine längere Zeit auf die Straße stellen konnte, dass dies sonst dreckig werden würde.26
Versucht wurde den Menschen in Bitterfeld durch Schadensersatzzahlungen bei Beschwerden eine Art finanzielle Kompensation zukommen zu lassen. Direkte Lösungen wie der Einbau von Filteranlagen war in den meisten Fällen zu kostspielig. Auch war die Problematik in Bitterfeld nicht einzig und allein auf das CKB zurückzuführen. Es waren auch andere Betriebe aus dem Kreis Halle, die durch einen hohen Schwefel- und Stickoxid Ausstieg beispielsweise landwirtschaftliche Betriebe große Belastungen auseinandersetzen ließ. Um Rechtsstreite in diesen Bereichen zu verhindern. So wurden zwischen 1973 und 1984 mehr als 2 Millionen Mark an Schadensersatzzahlungen an die Landwirtschaft getätigt. Erklärbar ist dies, dass eine Ablehnung der Zahlung ein Gutachten zur Folge hätte und die Lage der bedrohlichen Luftsituation quantitativ verdeutlicht hätte.[31] Zwar verpflichtete sich die DDR sogar auf internationaler Ebene durch die „Genfer Luftreinhaltungskonvention“ Stickstoffemissionen um 30 Prozent zu verringern. Für dieses Ziel ordnete Erich Hoenecker an, dass eine Kontrollstelle mit der „Umweltinspektion“ gegründet werden sollte. Jedoch konnte diese keine weitreichenden Erfolge vorweisen, da ein Strafgeld bei dem Nicht-Einhalten von 50.000 Mark eingefordert werden konnte, falls Emissionswerte überstiegen wurde. Dies wäre das fünffache von der Möglichkeit der Strafzahlungsforderung bei Fehlern, die durch Angestellte gezahlt werden, könnte. Dennoch erforderte dies eine Änderung der 5.DVO. In Kraft trat diese erst 1987. Daher war in den Spätzeiten der DDR keine erfolgreiche Änderung eingeführt werden können, durch die die Bewohner Bitterfelds eine bessere Luftqualität erwarten konnten.[32]
6. Einfluss von nicht staatlichen Organisationen in Bitterfeld
Die vorher geschilderten Problemen blieben, den Bürger:innen Bitterfelds nicht unbemerkt, so setzte eine staatlich unabhängige Bewegung ein, welche enormen Repressionen vom Staat zugesetzt war und weitreichenden Kontrollen ausgesetzt waren. Ein zentraler Ort für die Organisation der Bewegung war das Lutherhaus in Bitterfeld.
Eingebettet war ein Großteil der Umweltbewegung in kirchliche Strukturen. Die Kirchen der DDR konnten so Aktivisten den Raum bieten. Dadurch wurden Gruppierungen gebildet, die zu mindestens hinter verschlossenen Türen Kritik an die staatliche Obrigkeit richten konnten. In Bitterfeld waren diese Gruppierungen teilweise bemüht mit den staatlichen Stellen zusammenzuarbeiten, andere traten durch verschiedene Protestaktionen direkt in Opposition zur der DDR-Führung. So wie Die „Bitterfelder Ökologietage“, welche 1984 vom Jugendpfarrer Jürgen Kohrz, Curt Strauss und Michael Beleites organisiert wurden. Bei dieser Protestaktion, Teilnehmende waren hauptsächlich Jugendliche an der knapp 250 bis 300 Teilnehmende anwesend waren. Trotz dieser geringen Zahl an Personen gab es verschiedene Bemühungen von MfS mit Repressalien gegen die Teilnehmenden vorzugehen. Es gab ein allgemeines Fotoverbot, sowie Kriminalspolizisten, die die Demonstration absichern sollten. Der Historiker Christan Halbrock bezeichnete diese Demonstration dennoch als „Meilenstein der Umweltbewegung“. Da bereits 1984 den Bürger:innen in einem größeren Maß veranschaulicht wurde, dass es die Möglichkeit des Protestes gab, der auf der Straße ausgetragen werden konnte.27
Neben solchen direkten Protesten gab es den Versuch der Einbindung von Umweltgruppen durch den Staat. Das Ziel war es von der Führungsseite der DDR, die Aktivisten zu demoralisieren, als dass sie dadurch an Legitimation und Sympathie innerhalb der DDR- Bevölkerung verlieren. Es setzte sich jedoch ein gegenteiliges Bild ein. Eine Vielzahl an Freiwilligen meldete sich und sanierte 1985 den zentralen Stadtpark der Stadt Bitterfeld. Jegliche Verabredungen verliefen jedoch dabei über die Kirchenvertreter. Die DDR-Führung befürchtete ansonsten den Aktivisten eine zu große Legitimation zuzusprechen.28Ein weitere versuchter Weg des Dialoges war beispielsweise die Einladung des Leiters des CKB um sich kritischen Fragen zu stellen, welche von ihm auch linientreu beantwortet wurde oder Teilnehmern des Vortrages unsachliche Phrasen entgegenwarf, dass Bürger:innen nicht fachgerecht Müll trennen würde.
Der größte Propagandacoup wurde jedoch durch den Film „Bitteres aus Bitterfeld“ im Jahr 1987 erreicht bei diesem wurden die massiven Schäden an der Umwelt dokumentiert. Das Filmmaterial wurde daraufhin in die BRD geschmuggelt, wo es zu einer Ausstrahlung des Filmes kam. Dies beunruhigte die Politik enorm, da so der Klassenfeind einen authentischen Einblick in die enormen Probleme der chemischen Produktion der DDR aufgezeigt werden konnte.29
Diese Ausführungen zeigen, dass auch wenn ein großer Teil der Bevölkerung nicht politisch sich mit den Fragen der Umweltpolitik auseinandergesetzt hat, ein informierter Teil existierte, welcher auch staatsunabhängig versuchte vorzugehen.
7. Vertuschung der Umweltproblematiken durch die Staatssicherheit
Bei der Vertuschung der Umweltproblematik gab es verschiedene Herangehensweisen durch den MfS. Auf der einen Seite stand die Kontrolle der Wirtschaft und ihrer Mitarbeiter auf der anderen die Spionage gegenüber Anhängern der Umweltbewegung. Zentral für diese Überwachung war die zuvor genannte Leistelle XVII mit ihren Untereinheiten den Objektdienststellen. Von diesen existieren sieben in der gesamten DDR wovon alleine drei im Chemierevier angesiedelt waren. Das fast die Hälfte aller Stellen in diesem Gebiet anzutreffen waren verdeutlichen von welch enormer Wichtigkeit die chemische Industrie in der DDR war und wie wichtig es der Staatsführung schien, die Problematiken so weit wie möglich zu vertuschen.30So wurde, um ein innerbetriebliches Beispiel zu nennen, ein Arzt, der die vorher genannten Probleme der Quecksilber Vergiftungen anprangerte, versetzt. Auch Umweltdaten wurden gefälscht, wie dass weitreichende Mängel an der Salpeteranlage 1987 im CKB festgestellt wurden. Dies war vom MfS selbst erfasst, diese jedoch geheimgehalten, da eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Ergebnissen nur zu einer Abstellung der Anlage geführt hätte, was eine Katastrophe für die marode DDR Wirtschaft zur Folge gehabt hätte.31
Der Weg der „inoffiziellen Mitarbeiter“ war einerseits in Betrieben zu finden. So war das Ziel durch das Einschleusen einer Person zur Überwachung in der Arbeitsstätten auf verschiedenen Ebenen möglich. Einerseits wäre dies personen- auf der anderen Sachbezogen. So gab es von knapp 20.000 beschäftigen 205 im betrieb in Bitterfeld, welche auf verschiedenen Ebenen Kollegen und wirtschaftliche Prozesse überwachten. So konnte das MfS durch sein engmaschiges Informationssystem bedeutende Problematiken innerhalb des Werkes erkennen.32
Die Überwachung der Umweltbewegung war hauptsächlich personenbezogen. Ein Ziel war es ein staatsfeindliches Verhalten bei den Mitgliedern der Umweltbewegung auszumachen. Die Staatssicherheit stellte in Folge der „Bitterfelder Umwelttage“ fest, dass knapp 15 Personen feste Bestandteile der Umweltgruppe der Stadt war. Zwar wurde gegen Jürgen Kohrz eine operative Personenkontrolle eingeführt, jedoch da die Umweltbewegung aus einer Jugendgruppe im Lutherhaus bestand, ging die MfS nicht von weitreichenden staatsgefährdenden Handlungsaktionen aus. Dies war eine häufige Handlungsstrategie des MfS in den Belangen von Umweltaktivisten, da keine ganzen Organisationen kontrolliert wurden, sondern meist der „innere Zirkel“ von Umweltgruppen.33
8. Fazit
Die Ausführungen des Textes zeigen, dass die Folgen der Umweltschäden für die Menschen der Stadt massive Belastungen bedeuteten. Dies war zwar ein allgemeines Phänomen innerhalb der DDR, betraf Bitterfeld als Zentrum der Chemieindustrie stärker als andere Regionen. Aufgrund von fehlenden staatlichen Investitionsmöglichkeiten konnte keine Veränderung herbeigeführt werden und da der Staat darauf angewiesen war, ihre Produktion aufrechtzuerhalten, damit, mit dem Wenigen was erwirtschaftet werden konnte, die marode DDR-Wirtschaft nicht noch weiter ruinierte. Dieser Teufelskreis zeigte sich in Bitterfeld am stärksten. Nach dem Rückkehr zur Braunkohle verschlimmerte sich die Situation durch die Luftverunreinigung. Durch den Smog waren die Bewohner:innen Bitterfelds permanent erinnert, dass ihr Wohnort massiv belastet ist durch die chemische Industrie. Innerhalb der Stadt herrschte durch die ständigen Unfälle, da die Betriebe weite Teile der Bevölkerung beschäftigten, und dem Smog ein negatives Bild gegenüber den Betrieben und daraus folgend auch verschiedenen Verwaltungsapparaten der DDR. Auch wenn die Bürger:innen häufig aufgrund des Gehaltes in der Stadt blieben, ist es bezeichnend, dass aus einer Stadt vor der Wende bereits knapp über 8000 Menschen. Es verließen, knapp 6 Prozent der damaligen Bewohner:innen die Stadt. Auch die schnelle Steigerung von Eingaben zeigt, wie sehr in der späten DDR die Menschen mit der Umweltproblematik in verschiedensten Bereichen ihres Lebens konfrontiert waren. Dazu war die starke Zentrierung von Umweltgruppen und die hohe Teilnehmer Zahl an den „Bitterfelder Ökologietage“ ein Zeichen dafür, dass diese Problematik soweit den Menschen bewusst war, dass sie eine aktive Protestrollte einnahmen. Etwas eher Seltenes in der DDR nach 1953 und vor 1989. Auch die Kontrolle der Staatssicherheit zeigt, dass die Politik besorgt auf die Situation in Bitterfeld schaute. Das Fälschen von Werten, das Versetzen von Personen und das Einsetzen von operativen Personenkontrollen zeigt, dass die Staatsführung versuchte unter allen Umständen zu verschleiern, in welch desaströsen Zustand das CKB wirklich war. Es lässt sich urteilen, dass diese geschilderten Probleme eine weitere Problematik in der späten DDR waren, die am Ende zum Staatsversagen führten. Durch mangelndes Investitonsvermögen konnte keine bedeutsame Verbesserung herbeigeführt werden. Als Antwort ließ die staatliche Führung einen stärkere Kontrollierung folgen, was jedoch das Problem nur kaschieren, aber nicht lösen könnte. Aus der Arbeit heraus, können sich weitere Forschungsfragen stellen, beispielsweise wie die Entwicklung der Umweltsituation nach 1990 in Bitterfeld aussah oder stärker die Erfolge der Umweltgruppen und ihre Repressalien beleuchten.
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3Huff S.274
4Name Geschwärzt. (2007, 16. März). Funktionsweise des Wirtschaftssystems der DDR im Überblick. Wissenschaftliche Dienste des deutschen Bundestages. Abgerufen am 24. März 2022, von https://www.bundestag.de/resource/blob/417694/d8126eef72c5b4965c0328e89f7721b8/WD-5-054-07-pdf- data.pdf S.13.
5https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/izpb/10111/die-ddr-in-den-siebziger-jahren/?p=all
6Möller, C. (2019). Umwelt und Herrschaft in der DDR: Politik, Protest und die Grenzen der Partizipation in der Diktatur (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft / . . . ISBN 978-3-525-37021-6, aus., Band 234) (1. Auflage 2020 Aufl.). Vandenhoeck & Ruprecht S.293ff.
7Beleites, M. (2016). Dicke Luft: Zwischen Ruß und Revolte: Die unabhängige Umweltbewegung in der DDR (Schriftenreihe des Sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Band 16) (1. Aufl.). Evangelische Verlagsanstalt.
8Huff, S.259
9Huff S.260 ff
10Huff, S.286
11Möller S.213
12Buthmann, R. (2000). Hochtechnologie und Staatssicherheit - Die strukturelle Verankerung des MfS in Wissenschaft und Forschung in der DDR (Bd. 1). Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR Abteilung Bildung und Forschung. S.8
13Schiefer, M. (2018). Profiteur der Krise: Staatssicherheit und Planwirtschaft im Chemierevier der DDR 19711989 (Analysen und Dokumente der BStU: Wissenschaftliche Reihe . . . Demokratischen Republik (BStU), Band 52) (1. Aufl.). Brill Deutschland GmbH., S.83f
14Stief, S.181
15Stief, S.194
16Stief, S.195
17Eingaben dienten in der DDR dazu Beschwerden an Staatsorgane zu richten
18Stief, S.277
19Vesting, J. (2012). Zwangsarbeit im Chemiedreieck. Links, Ch. S.146
20Vesting, S.146
21Stief, S.209
22Stief S.201
23Stief, S.202ff
24Mühlberg, F. (2004). Bürger, Bitten und Behörden: Geschichte der Eingabe in der DDR (Texte der RosaLuxemburg-Stiftung) (1., Aufl.). Dietz Vlg Bln. S.98.
25Mühlberg, S.102
26Stief S.235ff
27Michael Beleites S.122
28Stief, S.321
29Hällfritzsch, R. (1988, 27. September). Bitteres aus Bitterfeld [Video]. Youtube. https://www.youtube.com/watch?v=4tcCORfZUxA&t=177s
30Schiefer, S.87
31Schiefer, S355
32Stiefer, S.98
33Stief, S.317f
- Arbeit zitieren
- Claude-Joel César (Autor:in), 2022, Die Umweltkatastrophe von Bitterfeld. Soziale und ökologische Auswirkungen in der DDR, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1490144