Mithin verneinen heute Archäologen und Historiker mehrheitlich die historische Existenz der hl. Ursula, allerdings ergibt sich dennoch die Frage, warum und wie dann die Ursulalegende entstehen und zu einem der bedeutendsten Märtyrerkulte des westlichen Christentums im Mittelalter werden konnte.
Dieser Essay befasst sich mit dem Thema der Entstehung und Entwicklung der Legende der heiligen Jungfrauen von Köln und später der heiligen Ursula bis in ottonische Zeit, anhand archäologischer, epigraphischer und historischer Quellen.
Häufig gestellte Fragen: Die Ursulalegende – Entstehung und Entwicklung eines mittelalterlichen Märtyrerkultes
Was ist der Gegenstand der vorliegenden Arbeit?
Die Arbeit untersucht die Entstehung und Entwicklung der Legende der heiligen Ursula und der elf- bzw. elftausend Jungfrauen in Köln. Sie analysiert archäologische Funde, schriftliche Quellen (u.a. die Clematiusinschrift, Sermo in Natali, Passio Ursulae) und die historische Forschung zum Thema, um die historische Grundlage der Legende und deren Entstehung zu rekonstruieren.
Gibt es historische Beweise für die Existenz der heiligen Ursula und ihr Martyrium?
Nein. Die moderne Forschung geht davon aus, dass die Legende in ihren wesentlichen Zügen nicht auf einer realen spätantiken Person und einem historischen Ereignis beruht. Archäologische Untersuchungen fanden keine Anhaltspunkte für ein Martyrium von Frauen in Köln. Zeitgenössische Quellen erwähnen bis zum 9. Jahrhundert keine gemarterten Jungfrauen in Köln.
Wann tauchen die ersten schriftlichen Hinweise auf eine Verehrung von Märtyrerinnen in Köln auf?
Die erste urkundliche Erwähnung einer Verehrung seliger Jungfrauen in Köln stammt aus einer karolingischen Urkunde vom 15. Januar 866. Zu diesem Zeitpunkt existierte bereits ein Stift zu Ehren dieser Jungfrauen.
Wie entwickelte sich die Legende der heiligen Jungfrauen im Laufe der Zeit?
Die Legende entwickelte sich über mehrere Jahrhunderte. Anfangs wurden die Märtyrerinnen anonym als „selige“ oder „heilige Jungfrauen“ bezeichnet. Später tauchte die Zahl „elftausend“ auf und schließlich wurde Ursula als Anführerin der Jungfrauen identifiziert. Die älteste erhaltene Ursulavita (spätes 10. Jahrhundert) enthält bereits die wesentlichen Elemente der späteren Erzählungen (britonische Herkunft Ursulas, Pilgerfahrt, Hinrichtung durch Hunnen).
Welche Rolle spielt die Clematiusinschrift?
Die Clematiusinschrift ist ein wichtiger Aspekt der Untersuchung. Sie gilt seit dem frühen 10. Jahrhundert als vermeintlich spätantiker Beleg für das Martyrium der Jungfrauen. Die Arbeit hinterfragt die Datierung und Interpretation der Inschrift. Es wird argumentiert, dass sie weniger eine Stifterinschrift, sondern eher eine Apologie der Jungfrauenverehrung ist, die dazu dienen sollte, die Authentizität der Reliquien und die Historizität der Legende zu unterstützen.
Wie wird die Clematiusinschrift datiert und interpretiert?
Die Datierung der Clematiusinschrift ist umstritten. Während manche sie als spätantik ansehen, vertreten andere eine frühmittelalterliche Datierung (7.-9. Jahrhundert). Die Arbeit argumentiert für eine frühmittelalterliche Entstehung im Kontext der Legendenbildung. Die Inschrift wird als ein Mittel interpretiert, um die Verehrung der Jungfrauen zu rechtfertigen und zu propagieren, nicht unbedingt als eine reine Bauinschrift.
Warum entstand die Ursulalegende und wurde so populär?
Ein bedeutender Faktor für den Erfolg der Ursulalegende war das Bedürfnis des Kölner Klerus und der Stadtbevölkerung, mit anderen europäischen Städten um Prestige zu konkurrieren. Der Besitz der Reliquien eines bedeutenden Heiligen versprach Pilgerströme und wirtschaftlichen Gewinn. Der Fund eines antiken Gräberfeldes wurde als Beweis für die Legende interpretiert und trug zu deren Popularität bei. Die Inschrift spielte eine entscheidende Rolle bei der Legitimation der Legende.
Was ist das Fazit der Arbeit?
Die Arbeit kommt zu dem Schluss, dass die heilige Ursula eine fiktive Gestalt ist und es keinen historischen Beweis für das Martyrium der elf- oder elftausend Jungfrauen gibt. Die Entwicklung der Legende wurde durch verschiedene Faktoren beeinflusst, darunter das Bedürfnis nach Prestige, wirtschaftlicher Profit und die strategische Verwendung von Quellen wie der Clematiusinschrift zur Legitimation der Heiligenverehrung.
INHALTSVERZEICHNIS
1 GRUNDZÜGE DER URSULALEGENDE UND DEREN HISTORISCHE RELEVANZ
2 ÜBERBLICK: STAND DER MODERNEN FORSCHUNG ZUR ENTWICKLUNG DER URSULALEGENDE ANHAND ARCHÄOLOGISCHER UNTERSUCHUNGEN UND SCHRIFTLICHER QUELLEN
3 DIE CLEMATIUSINSCHRIFT
3.1 Materialität und Übersetzungsvorschläge der Clematiusinschrift
3.2 Datierung und inhaltliche Interpretation der Clematiusinschrift
4 FAZIT
5 QUELLENVERZEICHNIS
6 LITERATURVERZEICHNIS
7 ABBILDUNGAPPARAT
1 Grundzüge der Ursulalegende und deren historische Relevanz
Die heilige Ursula zählte lange zu den bedeutendsten und populärsten Heiligen des westlichen Christentums im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Ihr Märtyrerkult lässt sich spätestens ab ottonischer Zeit in weiten Teilen Westeuropas belegen und gleich mehrere Kirchen und Städte erhoben den prestigeträchtigen und, aufgrund prognostizierbarer Pilgerströme, ökonomisch lukrativen Anspruch, im Besitz einer Reliquie der hl. Ursula zu sein.1Außerdem führt Klaus Militzer aus, dass der hl. Ursula teils im Rahmen der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Heiligenverehrung eine herausragende Stellung zukam.2So kann ab dem Spätmittelalter belegt werden, dass die hl. Ursula verschiedentlich als Fürbitterin für die Sterbenden und Toten - ähnlich der Maria (Mutter Jesu) - häufig in speziellen Ursula-Bruderschaften verehrt wurde. Das Narrativ der jungfräulichen Märtyrerin und ihrer (je nach Überlieferung) elf bis 11.000 ebenfalls jungfräulichen Leidensgenossinnen, die laut zahlreichen, oft widersprüchlichen und oft offensichtlich übertriebenen Legenden und Hagiographien, von den Hunnen vor den Toren Kölns wegen ihres christlichen Glaubens hingerichtet worden sein sollten, war laut William Flynn bereits im 12. Jh. besonders wirkmächtig und diente etwa der Ordensgründerin und Universalgelehrten Hildegard von Bingen sowohl als Inspiration als auch Legitimation für ihre Ordensgemeinschaft.3Als Ort des vermeintlichen Martyriums bildete Köln das Zentrum der mittelalterlichen Ursulaverehrung. Auch nach der Überführung der vermeintlichen Gebeine der Heiligen Drei Könige von Mailand nach Köln im Jahr 1164, stellte die Reliquie der hl. Ursula, einer der Hauptattraktionen für Pilgerströme in Köln dar. Die Bedeutung dieser Heiligen als Schutzpatrone und ihrer Reliquien als Prestigeobjekte und Einkommensquelle für die Stadt wird auch unter anderem durch deren allegorische Repräsentation im Kölner Stadtwappen widergespiegelt.4Eine neuerliche Blütezeit und eine noch weitere Verbreitung der Ursulaverehrung ging im 12. Jh. von Köln aus. Auslöser dafür war die Auffindung eines römisch-fränkischen Gräberfeldes im Rahmen der nördlichen Stadtmauererweiterung im Umfeld der Basilika (heute St. Ursula), die spätestens seit dem 9. Jh. das Zentrum des Märtyrerkultes der „himmlischen Jungfrauen“5bildete.6Das Auffinden großer Mengen antiker Gebeine nahe der mutmaßlichen Hinrichtungsstätte der hl. Ursula und ihres Gefolges galt im Mittelalter als ultimativer Beweis der Ursulalegende und elevierte Köln zu einem Zentrum des mittelalterlichen Reliquienhandels.7
2 Überblick: Stand der modernen Forschung zur Entwicklung der Ursulalegende anhand archäologischer Untersuchungen und schriftlicher Quellen
Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts geht die archäologische und historische Forschung davon aus, dass die mittelalterliche Legende der hl. Ursula in ihren wesentlichen Zügen nicht auf dem Leben und Sterben einer realen spätantiken, adeligen Jungfrau und deren Gefolge beruht.8Sofern rekonstruierbar, konnten archäologische Untersuchungen der römisch-fränkischen Gräberfelder im Umfeld der St. Ursula-Basilika keinerlei Anhaltspunkte für (spät)antike Hinrichtungen jüngerer Frauen, allgemein zahlenmäßig signifikanter Hinrichtungen oder etwa auf frühchristliche Frauengräber, welche ursprünglich Gegenstand besonderer Würdigung oder Verehrung gewesen wären, finden.9Wahrscheinlich zogen Hunnen durch das Rheinland, dass diese jedoch Köln belagert haben sollten, lässt sich weder archäologisch noch durch historische Erwähnungen belegen.10Spätantike und frühmittelalterliche christliche Quellen erwähnen bis zum 9. Jh. in ihren Beschreibungen Kölns keine gemarterten Jungfrauen oder gar den Tod einer britonischen Prinzessin - auch erwähnen keinerlei zeitgenössische britonischen Quellen elf oder gar tausende, verschollene, noble Jungfrauen. So bezweifelt die moderne Geschichtsschreibung zwar ebenfalls die historische Existenz des hl. Severin und besonders die des hl. Gereon und der thebaischen Legion in Köln, allerdings werden beide, im Gegensatz zu hl. Jungfrauen oder einer Ursula im Zusammenhang mit Köln, zumindest unter anderem von Gregor von Tours im 6. Jh. erwähnt.11Auch konnten viele Details der Ursulalegenden - etwa der parallele Märtyrertod eines Papstes Cyriacus (einen Papst dieses Namens hat es nie gegeben) und anderer Kleriker, die sich der Pilgerfahrt der Ursula angeschlossen haben sollten, als eindeutige mittelalterliche Erfindungen, um die Auffindung männlicher Gebeine im vermeintlichen Gräberfeld der Märtyrerinnen zu rechtfertigen, entlarvt werden.12
Das erste eindeutige dokumentarische Indiz christlicher Verehrung seliger Jungfrauen in Köln stellt eine karolingische Urkunde vom 15.01.866 dar, in der König Lothar II. die, von dem Kölner Erzbischof Gunthar vorgeschlagenen Güterumschreibung zur Sicherung des Unterhaltes der Kanoniker der Domkirche bestätigt.13Hier wird erstmals „das Stift der seligen Jungfrauen“ (rundum einen Vorgängerbau der heutigen Basilika St. Ursula) erwähnt. Folglich wird zu dieser Zeit das Stift das Epizentrum der Verehrung einer Gruppe jungfräulicher Märtyrerinnen in Köln gebildet haben.
Da 866 ein eigenes Stift zu Ehren der „seligen Jungfrauen“ vor den Stadtmauern Kölns existierte, schließt Gernot Nürnberger daraus, dass dies eine längere, lokale Tradition der Verehrung der „seligen Jungfrauen“ nahelegt.14Ab dem späteren 9. Jh. werden die „heiligen Jungfrauen“ aus Köln zunehmend als Märtyrerinnen in verschiedenen Heiligenlitaneien aufgelistet. Zu diesem Zeitpunkt scheint die Legende der Kölner Jungfrauen noch keinem einheitlichem Erzählstrang gefolgt zu haben, da sich, Gernot Nürnberger zufolge, die Erwähnungen jungfräulicher Kölner Märtyrerinnen in verschiedenen Heiligenlitaneien und Heiligenkalendern in drei, verschiedene, zeitlich parallele Überlieferungsreihen kategorisieren lassen.15So bezeichnet eine Überlieferungsreihe die fraglichen Märtyrerinnen lediglich als „selige“ oder „heilige Jungfrauen“, ohne Angabe derer Anzahl oder Namen. Eine zweite Überlieferungsreihe berichtet, es seien 11.000 Märtyrerinnen bei Köln hingerichtet worden. Eine weitere Überlieferungsreihe nennt ausschließlich verschiedene Namen, die sie den Kölner Märtyrerinnen zuschreibt. Ursprünglich wurden in der Letzteren acht oder fünf verschiedene Namen der Märtyrerinnen genannt, ab dem frühen 10. Jh. wird das erste Mal auch eine Ursula als Kölner Märtyrerin aufgelistet, bis diese Überlieferungsreihe dann Mitte des 10. Jh. elf Namen für die Kölner Jungfrauen auflistete: Martha, Saula,16Brictola, Gregoria, Saturnina, Sabatia, Pinnosa, Ursula [auch teils als „Ursola“], Sentia, Palladia, Saturia.17Das älteste erhaltene Schriftzeugnis, das etwas eingehender von dem angeblichen Martyrium der Kölner Jungfrauen berichtet, ist der sogenannteSermo in Natali, eine Predigt, die in das frühe 10. Jh. datiert und wohl anlässlich des Todestages der Heiligen, vermutlich in der Stiftskirche, gehalten wurde. Neben dem Martyrium einer hohen Anzahl christlicher Jungfrauen, behauptet es, dass das Martyrium in diokletianischer Zeit stattgefunden hätte und die Jungfrauen aus Britannien und nicht aus dem Orient gekommen wären - das genaue ferne Herkunftsland der Jungfrauen scheint zu diesem Zeitpunkt noch umstritten gewesen zu sein.18Der Prediger hebt alleinig Pinnosa, als Königstochter und Anführerin der fremden Jungfrauen, hervor. Wie Gernot Nürnberger betont, proklamiert der Prediger jedoch nicht eine absolut stimmige historische Begebenheit zu berichten, sondern gibt eher Berichte und Meinungen verschiedener (mündlicher) Quellen wieder und erklärt, welche Version er als die plausibelste erachtet.19Im Gegensatz dazu stellt die sogenannte erstePassio Ursulae (Fuit tempore pervetusto), die älteste erhaltene Ursulavita, die in das späte 10. Jh. datiert, unter anderen Gernot
Nürnberger zufolge, eine typische, mittelalterliche Legendenerzählung dar, die „in ihr beschriebenen Sachverhalte als Wahrheiten proklamiert“.20Der Autor dieser Ursulavita, vermutlich der Mönch Heinrich aus St. Bertin, wie Wilhelm Levison begründet annimmt,21nennt viele vorher nie dokumentierte Details, ohne überhaupt auf Quellen für seine Angaben zu verweisen. Zudem ist nun Ursula die britonische Königstochter und Anführerin der Jungfrauen, auch enthält diese Schilderung alle wichtigen Elemente spätere Ursulaerzählungen: die britonische Herkunft der christlichen Königstochter Ursula, heiratspolitische Zwistigkeiten als indirekter Auslöser der Pilgerfahrt der Ursula und ihrer 11.000 Begleiterinnen mit dem Schiff bis Basel und dann nach Rom und die Hinrichtung der 11.000 vor den Toren Kölns durch die Hunnen. Außerdem hätten die 11.000 Märtyrerinnen posthum die Hunnen in die Flucht geschlagen und somit Köln von deren Belagerung befreit.22
Der abrupte Wechsel von Pinnosa zu Ursula als Anführerin der Jungfrauen, lässt sich, unter anderem Scott Montgomery zufolge, vermutlich auch dadurch erklären, dass die vermeintlichen Gebeine der Pinnosa um 947 nach Essen verbracht wurden und man daraufhin in Köln darum bemüht war, weiterhin eine mindestens gleichermaßen prestigeträchtige Märtyrer-Jungfrau für das Stift beanspruchen zu können.23
Außerdem liegt die Vermutung nahe, dass die Antagonistenrolle nicht zufällig ab dem frühen 10. Jh. den Hunnen zugeschrieben wurde, sondern wahrscheinlich ein Zusammenhang mit den Einfällen der Ungarn im frühen 10. Jh. bestand. So wurde das bereits erwähnte „Stift der seligen Jungfrauen“ 922 den Stiftsdamen aus Gerresheim, nach der Zerstörung des dortigen Damenstifts durch die Ungarn, überlassen.24Zwar ist die Annahme einer historischen Verwandtschaft oder Nachfolge zwischen Hunnen und Ungarn eher dubios und wird heute von Historikern und Ethnologen mehrheitlich abgelehnt, allerdings war diese Annahme der Verwandtschaft, der aus dem Osten kommenden marodierenden Reiterhorden, bereits im Mittelalter verbreitet. So verwenden etwa einige mittelalterliche Ursulalviten die Bezeichnungen für Hunnen und Ungarn offensichtlich synonym.25Mithin lässt sich möglicherweise die Hunnenkomponente der Ursulalegende mit der Flucht der Stiftsdamen vor den Ungarn erklären.
Neben der schriftlichen Quellenlage weisen auch archäologische Indizien auf eine maßgebliche Entwicklung der Jungfrauenverehrung ab dem späten 9. Jh. hin. Die Baustufe der Stiftskirche, welche Josef Kremer als Baustufe II b bezeichnet, datiert frühstens in das späte 9. Jh., eher in das 10. Jh. und weist als signifikante Veränderung ein T-förmiges Fundament mit 11 trapezoiden Kammern (30-35 x 115 cm), vor dem Altarraum, anstelle des vorherigen „Schlüsselloch“-Ambos, auf (vgl. Abbildung 1).26Die prominente Lage innerhalb der Kirche, die zu dem Zeitpunkt dieser Veränderung bereits den „seligen Jungfrauen“ geweiht war und die elf Kammern legen Kremer zufolge die Vermutung, der Umbau stehe in einem direkten Zusammenhang mit der zunehmenden Verehrung der Kölner Jungfrauen, nahe. Denkbar wäre etwa, dass die elf Kammern die Gräber der elf (oder stellvertretend der 11.000) symbolisieren sollten oder, dass dort vermeintliche Reliquien, der um diese Zeit namentlich benannten elf Hauptprotagonistinnen der Jungfrauenlegende, eingelassen waren.
Wohl unter anderem aus Ermangelung jeglicher archäologischen Evidenz und eindeutiger spätantiker Schriftquellen für die historische Existenz der hl. Ursula oder irgendeines spätantiken oder frühmittelalterlichen Jungfrauen-Martyriums um oder in Köln, übernahm die römisch-katholische Kirche dann 1969 das Fest der hl. Ursula nicht mehr - trotz ihrer großen historischen und teils weiterhin regionalen Relevanz für das westliche Christentum - in die neue, vereinfachte Version desCalendarium Romanum Generale(liturgischer Kalender der römisch-katholischen Kirche).27
Mithin verneinen heute Archäologen und Historiker mehrheitlich die historische Existenz der hl. Ursula, allerdings ergibt sich dennoch die Frage, warum und wie dann die Ursulalegende entstehen und zu einem der bedeutendsten Märtyrerkulte des westlichen Christentums im Mittelalter werden konnte. Ein nicht unwesentlicher Faktor hierfür dürfte das Bedürfnis des Kölner Klerus und der Stadtbevölkerung gewesen sein, sich mit anderen größeren, westeuropäischen Städten bezüglich der prestigeträchtigenlocal references(nach Tonio Hölscher),28die sich aus dem lokalen, vermeintlich historischen Wirken eines wichtigen Heiligen und dem Besitz dessen Reliquie ergab, messen zu können. Außerdem versprach das Reliquiar eines bedeutenden Heiligen überregionale Pilgerströme und dadurch wirtschaftlichen Gewinn für das Stift und die Stadt. Ferner verfügte Köln, als merkantiles Zentrum, über weitreichende Verbindungen und finanzielle Mittel, um einen solchen Anspruch gebührend zu repräsentieren und zu verbreiten. Dass man im mittelalterlichen Köln überaus gewillt war vermeintliche Heilige, deren lokalen Bezug und den Besitz ihrer Reliquien, aufgrund dubioser oder extrem mangelhafter historischer Beweislage, zu beanspruchen, wird auch anhand der dortigen mittelalterlichen Verehrung des hl. Gereon, der thebaischen Legion und des hl. Severin offenkundig (vgl. oben).
Zwar wird einleuchten, dass der Fund eines alten, großen Gräberfeldes nahe dem etablierten Verehrungsort der hl. Ursula dem geneigten Gläubigen des 12. Jahrhunderts als vermeintlich eindeutiger Beweis für die Wahrhaftigkeit der Ursulalegende und dem Martyrium Tausender vor den Mauern Kölns gegolten haben wird, jedoch ist größtenteils ungewiss, worauf basierend und warum die Legende vom Martyrium hl. Jungfrauen bei Köln zuvor bereits überregional Anerkennung und religiöse Wirkungskraft erhalten hatte. Entscheidend scheint hierfür die sogenannteClematiusinschriftgewesen zu sein. Das in seinem Ursprung und Bedeutung höchst umstrittene Epigraph galt spätestens ab dem frühen 10. Jh. als vermeintlich spätantiker Beleg für ein Martyrium hl. Jungfrauen bei Köln. So wird der erste Teil der Inschrift in demSermo in Natalials Beleg für das Martyrium der Jungfrauen wörtlich zitiert und stellt somit einen terminus ante quem für den Wortlaut dieses Abschnittes der Inschrift dar.29
3 Die Clematiusinschrift
3.1 Materialität und Übersetzungsvorschläge der Clematiusinschrift
In seiner heutigen Form besteht das Epigraph aus einer rechteckigen Kalksteinplatte, die ca. 71 cm breit, ca. 39 cm hoch30und ca. 10 cm tief ist.31Die Buchstaben der dreizehnzeiligen, lateinischen Inschrift sind jeweils ca. 3 cm hoch und waren zu einem Zeitpunkt in der Vergangenheit rot ausgemalt gewesen. Insgesamt scheint die Inschrift relativ gut erhalten, jedoch ist die Sandsteinplatte etwa in der Mitte leicht unregelmäßig von oben bis unten sichtbar durchbrochen und auch fehlen verschiedene Buchstabenhasten der ersten Spalte aufgrund leichter Beschädigungen am linken und rechen Rand (Abbildung 2).32Heute ist die Inschriftenplatte in die Südwand des gotischen Langchores der Basilika St. Ursula (Köln) eingemauert. Die relativ hohe Anbringung und vermeintlich exakte Einpassung der Inschrift zwischen den senkrechten Lisenen des Chors haben in der Forschung zu verschiedenen Spekulationen geführt. Diese erscheinen im Licht der diesbezüglichen Feststellung Wilhelm Levisons, dass die Inschrift vor 1886 etwas tiefer in die Lisenen durchbrechend platziert gewesen sei,33eher als arbiträre Spekulation.
Auch wurde verschiedentlich erwogen, ob das vorliegende Epigraph mittelalterlichen Ursprungs sein könnte. Es besteht zwar die Möglichkeit, dass die vorliegende Inschrift erst im Mittelalter auf der fraglichen Steinplatte eingraviert wurde, jedoch könnte das hohe Maß künstlerischer Fertigkeit und Symmetrie doch einen spätantiken Handwerker als Urheber nahelegen. Andererseits gibt es auch Beispiele vergleichbarer epigraphischer Erzeugnisse des christlichen Frühmittelalters, weshalb diese Frage letztlich nicht definitiv beantwortet werden kann.34Jedoch würde eine mittelalterliche Anfertigung der heute vorliegenden Tafel nicht zwangsläufig die Annahme einer mittelalterlichen Fälschung rechtfertigen. Zwar lassen sich heute viele Fälle christlicher Pseudepigraphie und literarische Fälschung in der Spätantike und im Mittelalter belegen,35vorliegend bestünde jedoch auch die hypothetische Möglichkeit, dass eine mittelalterliche Anfertigung lediglich (teilweise) einen spätantiken Originaltext wiedergeben könnte.
Die augenscheinliche Stifterinschrift des Clematius, die Josef Kremer zufolge die einzige bis dato bekannte Bauinschrift einer frühen christlichen Kirche im Rheinland ist, lautet:36
1 DIVINIS FLAMMEIS VISIONIB(us) FREQV/EN/T/ER
2 ADMONIT(us) ET VIRTVTI(bu)S MAGNAE MAI<->
3 ESTATIS MARTYRII CAELESTIVM VIRGIN(um)
4 IMMINENTIUM EX PARTIB(us) ORIENTIS
5 EXSIBITVS PRO VOTO CLEMATIVS V(ir) C(larissimus) DE
6 PROPRIO IN LOCO SVO HANC BASILICA/M
7 VOTO QVOD DEBEBAT A FVNDAMEN/TIS
8 RESTITVIT<.> SI QVIS AVT/EM SVPER TAN/TA/M
9 MAIIESTAT/EM HVIIVS BASILICAE VBI SA/NC<->
10 TAE VIRGINES PRO NOMINE -XPI- SAN<->
11 GVIN/EM SVV/M FVDERVN/T CO/RPVS ALICVIIVS
12 DEPOSVERIT EXCEPTIS VIRGINIB(vs) SCIAT SE
13 SEMPIT/ERNIS TARTARI IGNIB(vs) PVNIENDV/M (esse)<.>
Übersetzungsvorschlag von Wolfgang Binsfeld:37
1 Durch gottgesandte Feuervisionen mehrfach
2 gemahnt und durch die Kraft des hocherhabenen
3 Martyriums der himmlischen Jungfrauen,
4 die erschienen, aus dem Morgenland
5 herbeigeführt hat aufgrund eines Gelübdes Clematius, ein Mann von Senatorenrang,
6 aus eigenen Mitteln auf seinem (oder: ihrem?) Boden diese Basilika
7 - nach dem Gelübde, das er zu erfüllen hatte - von den Grundmauern auf
8 wiederhergestellt. Wenn aber jemand
9 innerhalb dieser so hocherhabenen Basilika, wo die heiligen
10 Jungfrauen für Christi Namen ihr Blut
11 vergossen haben, jemandes Leichnam
12 bestattet - mit Ausnahme der Jungfrauen - so soll er wissen, dass er
13 mit ewigem Höllenfeuer bestraft werden soll.
Alternativer Übersetzungsvorschlag von Josef Kremer:38
1 Nachdem er durch göttliche Flammen-Visionen häufig
2 aufgefordert worden und nachdem er von den Kräften der großen Er-
3 habenheit des Martyriums der himmlischen Jungfrauen,
4 die <ihn> bedrängten, aus den Teilen des Orients
5 für das Gelübde herbeigeholt worden war, hat Clematius v c aus
6 eigenen Mitteln an ihrem Ort diese Basilika
7 nach dem Gelübde, das er schuldete, von den Fundamenten auf
8 wiederhergestellt. Wenn aber jemand bei soviel
9 Erhabenheit dieser Basilika, wo hei-
10 lige Jungfrauen im Namen Chr(ist)i ihr
11 Blut vergossen haben, den Leib irgend jemandes
12 bestatten wird, ausgenommen von Jungfrauen, soll er wissen,
13 daß er mit ewigen Feuern des Tartarus bestraft werden muß.
Unter anderen hat Wilhelm Levison sich mit der Frage nach einer möglichst akkuraten Auslegung und Übersetzung des Inschriftentextes ausführlich befasst.39Hier kann allerdings nicht im Detail auf alle Fragestellungen bezüglich der Übersetzung der Inschrift eingegangen werden. Wichtig ist, dass Grammatik, Wortwahl und Stil der Inschrift zwar spätantik sein könnten, aber auch gut mit der Annahme einer (gegebenfalls absichtlich etwas antikisierenden) frühmittelalterlichen Anfertigung vereinbar sind.40
Allgemein behauptet die Inschrift, dass ein gewisser Clematius, ein „v(ir) c(larissimus)“41, diese Basilika42zu Ehren der himmlischen Jungfrauen, die dort als Märtyrerinnen hingerichtet worden seien, wiederaufgebaut oder zumindest in großem Maße renoviert habe. Ferner verbietet die Inschrift, unter Androhung einer höllischen Bestrafung, die Bestattung anderer Gebeine als jene der himmlischen Jungfrauen. Umstritten ist, ob Clematius oder die hl. Jungfrauen laut der Inschrift aus dem Orient stammen sollen. Man war lange bemüht ersteres anzunehmen, um keinen Widerspruch zu der, seit dem Mittelalter oft postulierten, britonischen Herkunft der hl. Jungfrauen zu erhalten. Der Prediger desSermo in Nataliversteht die Bezeichnung als Aussage über die Herkunft der Jungfrauen, widerspricht der Inschrift aber in diesem Punkt. Letztlich ist auch hier die Inschrift zu vage, dass in Ermangelung anderer Quellen sich die Bedeutung dieser wagen und ambivalenten Herkunftsbezeichnung nicht eindeutig feststellen lässt. Je nachdem, ob man einen spätantiken oder frühmittelalterlichen Ursprung postuliert, ergeben sich wiederum eine Vielzahl an möglichen Erklärungsansätzen für die einzelnen unklaren Formulierungen. Interessant scheint allerdings der Widerspruch des Predigers gegenüber dieser Aussage der Inschrift im frühen 10. Jh. Dieser scheint einen Teil des Prozesses einer kollektiven mittelalterlichen Legendenerfindung wiederzugeben: eine spätantike oder pseudospätantike Inschrift, die wage von der Wiederherstellung einer Basilika zu Ehren gemarterter Jungfrauen berichtet, wird als Beweis für ein vermeintlich historisches Martyrium in grauer Vorzeit vor den Toren Kölns angeführt, jedoch widerspricht der Prediger stellenweise der Inschrift, aufgrund ungewisser, nur ihm bekannte mündliche Überlieferungen und beginnt eine eigene pseudohistorische „Wahrheit“ kraft seines Amtes zu formen.43Zwar erscheint der Prediger, wie bereits ausgeführt, noch etwas kritisch abwägender und in diesem religiösen, mittelalterlichen Kontext ist auch keine moderne Quellenkritik zu erwarten, jedoch ist es bezeichnend, dass grundlegende Details der Legende zu diesem Zeitpunkt selbst unter Klerikern umstritten waren. Die Forschung geht mittlerweile von der Kontinuität der christlichen Gemeinde in Köln seit der Spätantike aus,44weshalb es merkwürdig erscheint, dass einerseits sehr lange keine (schriftlichen) Quellen ein Martyrium christlicher Jungfrauen in Köln erwähnten, und andererseits keine breite lokale mündliche Tradition über ein vermeintlich so bedeutendes lokales Martyrium bestanden zu haben scheint, sodass im 10. Jh. eine enigmatische Inschrift und einzelne Meinungen zu Rekonstruktion der Ereignisse herangezogen werden mussten.
3.2 Datierung und inhaltliche Interpretation der Clematiusinschrift
Wilhelm Levison unterschied 1927 zwischen drei relativ prominent vertretenen wissenschaftlichen Theorien über den Ursprung der Clematiusinschrift: erstens solche, die die Inschrift für ein genuine spätantike Stifterinschrift oder eine genaue Kopie dieser halten, zweitens solche, die die Inschrift für ein mittelalterliches Zeugnis beziehungsweise eine Fälschung (wahlweise aus dem 9., 12., 15., oder 17. Jh.) halten und drittens solche, die Alexander Riese in der Annahme folgen, dass der erste Teil der Inschrift, den auch der Prediger zitiert einem Original des 4. Jh. entstammt, der zweite Teil (ab „Si quis antem“) im späten 9. Jh. hinzugefügt worden sei.45Letzter Meinung wird in Ermangelung stichhaltiger Belege für diese Unterteilung kaum mehr vertreten, während die erste und zweite Meinung weiter vertreten werden. Wie oben aber bereits ausgeführt, mag man anhand verschiedener Indizien und professioneller Erfahrung im Abgleich mit ähnlichen, besser datierbaren Fällen, die eine oder andere Theorie vertreten, ein schlagender Beweis für die genaue Datierung und Interpretation der Inschrift steht jedoch weiterhin aus. Mittlerweile wird aufgrund des Textinhaltes jedoch verstärkt angenommen, dass die Clematiusinschrift nicht vor das 7. Jh., gar eher in das 8. oder 9. Jh. datiert, unter anderem, da nach Josef Kremer das Element der Schilderung von Visionen dieser Art eher typisch für eine frühmittelalterliche Schilderung sei.46
Ebenfalls für eine Datierung während der frühmittelalterlichen Entstehung der Jungfrauenlegende spricht der zweite Teil der Inschrift, der mit höllischen Feuern als Strafe für die Bestattung nicht heiliger Gebeine droht. Zwar mag Alexander Riese mit der Vermutung der zeitlichen Diskrepanz zwischen den Teilen der Inschrift falschliegen, allerdings trifft es zu, dass der zweite Teil von besonderer Relevanz für die Situation spätestens im ausgehenden 9. Jh. gewesen sein mag. Der Satz: „Wenn aber jemand bei so viel Erhabenheit dieser Basilika, wo heilige Jungfrauen im Namen Chr(ist)i ihr Blut vergossen haben, den Leib irgend jemandes bestatten wird, ausgenommen von Jungfrauen, soll er wissen, daß er mit ewigen Feuern des Tartarus bestraft werden muß“ (Z. 8-13), diente offensichtlich nicht primär der Verhinderung der Bestattung anderer, Nicht-Heiliger innerhalb der Basilika oder in deren unmittelbaren Umfeld. Eine solch prominente Anbringung dieser Regel hätte es vermutlich aus praktischen Gründen nicht bedurft, zumal die Kirche spätestens ab 866 im Rahmen eines Stifts existierte und man nicht unbedingt Gefahr lief, dass Unbefugte (die größtenteils ohnehin nicht in der Lage gewesen sein dürften lateinische Inschriften zu lesen) ohne weiteres nicht-heilige Gebeine bei der Basilika vor den Stadttoren bestatten würden können. Vielmehr fungiert dieser Passus eindeutig einerseits zu Unterstreichung der Wichtigkeit und Heiligkeit dieser Märtyrerinnen, durch die Hervorhebung von allen anderen Christen und daher der Basilika selbst, und andererseits vielmehr noch als indirekter Beleg für die Heiligkeit der vermeintlichen Jungfrauengebeine, welche zu diesem Zeitpunkt wohl schon in der Kirche verehrt wurden, und implizit auch für die gesamte Heiligenlegende. Drohen dem Bestatter nicht heiliger Gebeine schreckliche Höllenfeuer, so müssen die hier venerierten Reliquien wahrlich besonders und heilig sein und von eben jenen jungfräulichen Märtyrerinnen stammen. Im Umkehrschluss hätte auch derjenige, der gegebenenfalls Gebeine, die nicht von den fraglichen Jungfrauen stammten, hier als solche ausgab mit dieser drakonischen Strafe rechnen müssen, etwas, das kein gläubiger Christ oder gar Kanoniker riskieren würde, weshalb die Gebeine, die in dem Stift offiziell verehrt wurden, (im Rahmen dieser Logik) genuin sein mussten. Dass möglicherweise ein gewisses Bedürfnis bestand, die Authentizität der in der Basilika verehrten Gebeine zu rechtfertigen, legt auch eine Legende des späten 9. Jh. nahe, die die Wiederauffindung der vermeintlichen Gebeine einer bestimmten Jungfrau durch eine Taube, die dem historischen Bischof Kunibert im 7. Jh. das richtige Grab gezeigt habe, schildert.[47]
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Nancy Gauthier die Auffassung vertreten hat, dass dem Verfasser der Clematiusinschrift im 9. Jh. die sogenannte Christus-(Bau-)Inschrift, die sie zwischen dem 4. und 7. Jh. datiert, als Grundlage diente.[48] Bei der sogenannten Christusinschrift handelt es sich um ein in Hexametern abgefasstes Gedicht, das vage Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten mit der Clematiusinschrift aufweist und die nur in einer Abschrift des 16 Jh. erhalten ist.[49] Zwar berichtet der Autor, dass die sogenannte Christusinschrift aus alten Quellen stamme, tatsächlich ist jedoch nicht einmal belegt, dass es sich dabei wirklich um eine Bauinschrift handelt. Wie Josef Kremer schlüssig ausführt, ist diese These Nancy Gauthiers wenig überzeugend, da die Kenntnis der Clematiusinschrift erst den Inhalt des Gedichtes erschließt (und nicht umgekehrt die Christusinschrift den Inhalt der Clematiusinschrift).[50]
Wie Gernot Nürnberger betont, ist Nancy Gauthier jedoch anzuerkennen, dass seit ihrer Untersuchung der Clematiusinschrift regelmäßiger zwischen der spätantiken und (ihrer) karolingischen Datierung abgewogen wird.47Wie bereits ausgeführt, scheint mittlerweile die Datierung, stilistisch und auch im Kontext der Jungfrauenlegendenbildung, eher zwischen dem späten 7. und frühen 9. Jh. am plausibelsten. Allerdings konnte Wilhelm Levison vergleichend feststellen, dass der sprachliche Duktus der Inschrift dem „offizieller“ spätantiker und frühmittelalterlicher Inschriften des Rheinlandes entspricht,48weshalb neben der Materialität und dem Schriftbild auch der Sprachgebrauch auf eine repräsentative Funktion schließen lässt.
Tatsächlich findet man besonders in der älteren Forschung rundum die Basilika den Fehlschluss, dass die auf den ersten Blick möglicherweise antik anmutende Inschrift49, ein sicherer Beleg für eine spätantike Wiederherstellung einer Kirche an der Stelle der heutigen Basilika sei. Wenn jedoch der Wiederaufbau noch in römischer Zeit geschehen sein soll, wird die Zerstörung der ersten Kirche oft auf den Frankensturm 355 zurückgeführt.50Allerdings existieren keinerlei anderweitigen archäologische oder historische Belege, die eine solche Annahme stützen würden, im Gegenteil scheint die erste nachweisbare Bauphase der Basilika in das späte 6. oder frühe 7. Jh. zu datieren.51Generell lässt sich ein stätiges Bemühen in der Forschung feststellen, die Clematiusinschrift mit einer nachweisbaren Bauphase (schließlich ist in der Inschrift von einem Wideraufbau die Rede) in Verbindung zu bringen.52Im Rahmen der heutigen Datierung der Inschrift und der Bauphasen der Basilika lässt sich keine Bauphase eindeutig der Inschrift zuordnen, obwohl in beiden Fällen die Datierungen einen größeren Spielraum zulassen.53Häufiger diskutiert wurde, ob ein Zusammenhang mit dem Normanneneinfall von 881 in dessen Zuge zeitgenössisch von Brandschatzungen und Zerstörungen von Kirchen im Rheinland berichtet wird, besteht. Jedoch fehlt hierfür der archäologische Nachweis einer korrespondierenden Brand- oder Zerstörungsschicht.54
Natürlich bestünde die Möglichkeit, dass eine kleinere Instandsetzung in diesem Kontext oder einem anderem während des fraglichen Zeitraumes den tatsächlichen Anlass der Erstellung der Inschrift darstellte. Dann wäre der Wortlaut „FVNDAMEN/TIS RESTITVIT“ eine eher unzutreffende Übertreibung. Diese scheinbare Widersprüchlichkeit ergibt sich meines Erachtens aus einer verbreiteten Fehlinterpretation des Charakters der Inschrift, welche häufig primär als Stifter- oder Bauinschrift aufgefasst wird. Wie bereits ausgeführt, besteht der primäre Effekt der Inschrift meiner Meinung aber nicht in der Datierung einer Bauphase oder dem Verweis auf Clematius als Errichter einer solchen, sondern in einer indirekten Apologie der Jungfrauenveneration, indem die Authentizität der dort befindlichen Reliquien und die Historizität des Martyriums der Jungfrauen innerhalb der zugrundeliegenden christlich-mittelalterlichen Logik bestätigt werden. Cher Casey hat ebenfalls festgestellt, dass die Clematiusinschrift seit ihrer ersten historischen Dokumentation primär als vermeintlicher Beleg für die Jungfrauenlegende galt und dies, zusammen mit dem autoritativen Habitus der Inschrift, aus Materialität, Schriftbild und „offiziellen“ Duktus, nahelegt, dass bereits von den Erzeugern der Inschrift beabsichtigt gewesen war, mittels der Inschrift ein beeindruckendes autoritatives Zeugnis für die Jungfrauenlegende zu erschaffen.55
Ob es sich alleinig um eine Fabrikation, zur Authentifizierung der Reliquien und der Begründung eines Anspruches der Basilika auf eine prestigeträchtige historische Kontinuität aus römischer Zeit, oder einer (bewusst antikisierenden) Entstehung im Rahmen einer historischen, wenn auch weniger fundamentalen, Renovierung der Kirche durch einen Clematius zwischen dem späten 7. und dem frühen 9. Jh. handelt, ist für den zentralen Effekt kaum relevant. Die Inschrift diente spätestens ab dem frühen 10. Jh. als vermeintlich spätantike Primärquelle der Wirkmächtigkeit des Martyriums der Jungfrauen (Auslösen von „göttlichen Flammen-Visionen“): Um diesen Erklärungsansatz der Clematiusinschrift als Apologie der Jungfrauenveneration nicht dem Vorwurf eines zu induktiven Bias auszusetzen, sei hier betont, dass sowohl die wahrscheinlichste Datierung der Inschrift eine genuine spätantike Erstellung ausschließt, auch die Ermangelung spätantiker, archäologischer Bauphasenbelege, sofern überhaupt ein bedeutender Zusammenhang mit einer Bauphase besteht, kann nicht die Annahme einer spätantiken Bauinschrift stützen. Ferner liegt in Ermangelung korrespondierender frühmittelalterlicher Bauphasen die Vermutung nahe, dass zumindest kein Bezug zu einer grundlegenden Bauphase bestehen kann.56
Nun könnte man anführen, dass womöglich Clematius versucht habe, sich als ein bedeutenderer Bauherr darzustellen als er war. Handelte es sich also um eine Übertreibung eines mächtigen, aber nicht zu freigiebigen Mannes (er kann die Inschrift in einem Gotteshaus anbringen lassen, möchte aber nicht die Mittel aufwenden, um tatsächlich die Basilika „FVNDAMEN/TIS RESTITVIT“), die, aufgrund der expliziten Wortwahl, an eine Lüge gegrenzt haben dürfte? In einem solchen Fall ist von keiner allzu großen persönlichen Gottesfürchtigkeit seitens des Clematius auszugehen, weshalb dann aber der übermäßige Fokus auf die hl. Jungfrauen, statt auf Clematius (etwa als selbstständig handelnder, wohlwollender Spender) selbst, und die indirekte Bestätigung der Echtheit ihrer Gebeine und ihres Martyriums, ebenso wie die schwächliche und demütige Inszenierung als von FlammenVisionen getriebenes Werkzeug Gottes, weniger logisch erscheint. Auch die Fluchformel nützt wenig der Selbstdarstellung des vermeintlichen Stifters, sie würde ihm und seinem vermeintlich selbstdarstellerischen Zweck viel eher nützen, wenn er die Macht der Märtyrerinnen für sein Prestige instrumentalisieren könnte (etwa, wenn der Fluch solchen drohte, die das von ihm errichtete Gebäude beschädigten oder veränderten) und nicht er alleinig als Vehikel zu ihren Ehren in Erscheinung träte. Sicher versprach auch letzteres ein gewisses frommes Prestige im Frühmittelalter und auch ostentative Zurschaustellungen vermeintlicher Demut und Frömmigkeit durch weltliche oder kirchliche Würdenträger gab es zweifellos, allerdings waren letztere oft von einer selbstverständlichen, mindestens regionalen Prominenz, wodurch ein Akt der Demut desto eindrücklicher propagandistisch wirken konnte. Allerdings ist eine regionale Prominenz eines Clematius im frühmittelalterlichen Rheinland nicht belegbar. Mithin handelt es sich um eine unnötige Untertreibung, unterstellt man dem Verfasser (oder Auftraggeber) primär selbstdarstellerische Motive oder, nimmt man eine ehrliche Frömmigkeit des Verfassers an, wahrscheinlich um eine unnötige Falschbehauptung, die (als Inschrift in einem Gotteshaus) dann wiederum mit dem christlichen Verbot der Lüge (und Selbstüberhöhung) in Konflikt stünde.
Umgekehrt bestehen im Rahmen der hier vertretenen Lesart der Inschrift als Apologie der Jungfrauenveneration diese Probleme nicht. Im Gegenteil liegt hier die Bedeutung der Nennung des Clematius V. C., sei er tatsächlich ein angesehener, frühmittelalterlicher Spender oder eine fiktive spätantike Gestalt, und der Betonung darauf, ein ruhmreicher Mann eines solchen Ranges habe die fragliche Kirche aus eigenen Mittel, getrieben von göttlichen Visionen, neuerrichtet, darin, dass dies primär dazu gereicht, das Prestige und die vermeintliche Wirkmächtigkeit (bis hin zur göttlichen Intervention durch Clematius als Werkzeug) der (somit im Rahmen dieser Logik offensichtlich echten) himmlischen Jungfrauen zu betonen.
Nun setzt diese Lesart nicht zwangsläufig einen an Pilgerströmen, Profit und Prestige für das eigene Gotteshaus interessierte Gruppe von Klerikern57als Urheber der Inschrift voraus. Zweifellos war es dem Verfasser jedoch ein dringendes Anliegen (ob bewusst oder unbewusst), womöglich wähnte er sich selbst dabei als Empfänger höherer Visionen, die solche Behauptungen für ihn rechtfertigten, mit der Inschrift de facto die Authentizität der Reliquien, die historische Echtheit und die Wirkmächtigkeit der himmlischen Jungfrauen zu dokumentieren.
Diese Annahme deckt sich auch mit der Feststellung, dass die Kölner Märtyrerinnen erst im späten 9. und 10. Jh. zunehmend überregional an Akzeptanz gewinnen und sich bis in das späte 10. Jh. und frühe 11. Jh. erst ein detaillierter, formaler Erzählstrang herausbildet. So scheint die Legende in irgendeiner Form vermutlich vor dem 9. Jh. (t. a. q. der Existenz des Stifts 866) aus einer lokalen Legendentradition und/oder gegebenenfalls dem vereinzelten Auffinden von Knochen und Grabbeigaben bei früheren Arbeiten in und um die Basilika entstanden zu sein und eine zunehme Veneration erfahren zu haben, wodurch sich aber auch ein gewisses Bedürfnis ergab, die zunehmende Verehrung zu rechtfertigen beziehungsweise andere von der vermeintlichen Wirkmacht der Jungfrauen zu überzeugen.
Ein möglicher Ursprung einer solchen lokalen Jungfrauenlegendenbildung könnte die Bestattung, der von Josef Kremer angeführten Viventia, Tochter des Hausmeiers Pippin des Älteren und Schwester der hl. Gertrudis sein.58Ein ihr zugeschriebener Sarg befindet sich seit dem Mittelalter in der Basilika. Josef Kremer schlägt vor, dass Pippin der Ältere, den ihm nahestehenden Bischof Kunibert veranlasst haben könnte, für ein womöglich ursprüngliches Grabmal seiner Tochter in der Basilika durch Kanoniker oder Kanonissen Sorge zu tragen. Wenn dies womöglich auch nur temporär anhielt und spätere Kanoniker und Kanonissen dies nicht mehr als ihre primäre Aufgabe gesehen haben dürften, könnte dies den Auslöser zur Legendenbildung rund um noble und fromme oder gar hl. Jungfrauen gebildet haben.
4 Fazit
Abschließend kann festgestellt werden, dass die Entstehung und Entwicklung der Legende der hl. Jungfrauen von Köln und später der hl. Ursula, sowie deren Teilaspekte, bis in ottonische Zeit, besonders im vergangenen Jahrhundert vielfältig Gegenstand archäologischer, epigraphischer und historischer Untersuchungen waren. Es kann mit Sicherheit angenommen werden, dass es keine spätantike historische Person, die der mittelalterlichen hl. Ursula als direktes Vorbild diente, gab und dass sich auch keinerlei Belege für ein historisches Martyrium christlicher Jungfrauen bei Köln belegen lässt. Ein solches scheint in Ermanglung jeglicher annähernd zeitgenössischer Quellen absolut unwahrscheinlich.
Die Entwicklung der Veneration der hl. Jungfrauen lässt sich zumindest teilweise anhand einzelner schriftlichen Quellen, der archäologischen Untersuchungen der Kirchenbauphasen und der epigraphischen Untersuchung und archäologisch-historischen Kontextualisierung ansatzweise nachvollziehen. Hierbei wurde dargelegt, weshalb die verehrungshistorisch bedeutende Clematiusinschrift vielmehr als Apologie der Jungfrauenlegende statt als herkömmliche Stifterinschrift zu verstehen ist.
Die Ergebnisse dieser Arbeit könnten weiterhin einen Ausgangspunkt für die Klärung der Frage bilden, ob und inwiefern möglicherweise auch bei anderen frühmittelalterlichen Bauinschriften im Rheinland eine vergleichbare christlich-apologetische Funktion feststellbar ist.
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7 Abbildungapparat
Abbildung 1 :Rekonstruierte Grundrisse der Bauphasen I und II der St. Ursula-Kirche (Köln) nach Josef Kremer (vgl. Abbildung 15 „Bauphasen I und II der Kirche St. Ursula in Köln“, in: Kremer 1993)
- Aus rechtlichen Gründen hier sicherheitshalber nicht reproduziert. Die gesamte Dissertation J. Kremer, Studien zum frühen Christentum in Niedergermanien (Diss. Rheinischen Friedrich- Wilhelms-Universität zu Bonn 2002) einschließlich derAbbildung 15 („Bauphasen I und II der Kirche St. Ursula in Köln “)kann kostenfrei unter <https://nbn- resolving.org/urn:nbn:de:hbz:5-38734> aufgerufen und heruntergeladen werden!
Abbildung 2:Open-Access-Photographie von Raimond Spekking (© Raimond Spekking / CC BYSA 4.0 [via Wikimedia Commons]) der sogenannte Clematiusinschrift (St. Ursula, Köln), https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:St.Ursula K%C3%B6ln-Clematius-Inschrift(3218-20).jpg (30.08.2023)
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Lizenzhinweise:
© Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons) (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:St._Ursula_Köln_-_Clematius-Inschrift_(3218- 20).jpg), https://creativecommons.Org/licenses/by-sa/4.0/legalcode
© Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons), St. Ursula Köln - Clematius-Inschrift (3218-20), CC BY-SA 4.0
© Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons) (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:St._Ursula_Köln_-_Clematius-Inschrift_(3218- 20).jpg), „St. Ursula Köln - Clematius-Inschrift (3218-20)“, https://creativecommons.Org/licenses/by-sa/4.0/legalcode
[...]
1Cartwright 2016, 1-4; Casey 2022, 146f.
2Militzer 2017, 6. 8.
3Flynn 2016, 93-95.
4Casey 2022, 156f. Während in der oberen Hälfte des Kölner Stadtwappens drei Kronen bildmetaphorisch für die heiligen drei Könige stehen, sollen elf „Flammen“ in der unter Hälfte die elf (oder stellvertretend für 11.000) Märtyrerinnen repräsentieren.
5Vor dem 17. Jh. wurde die heutige St. Ursula Basilika „Kirche der Heiligen Jungfrauen“ genannt (vgl. Kühnemann 1965, 50).
6Nürnberger 2002, 129. 137.
7Ristow 2007, 113.
8Militzer 2017, 6.
9Militzer 2017, 6; Tatsächlich ist der archäologische Befund des römisch-fränkischen Gräberfeldes bei St. Ursula, aufgrund umfangreicher mittelalterlicher Reliquiengrabungen, erheblich gestört. Allerdings handelt es sich um ein Gräberfeld, das über einen längeren Zeitraum von der Spätantike bis in das Frühmittelalter von mehreren lokalnachweisbaren Volksgruppen und Religionen parallel genutzt wurde, und es gibt auch keine anthropologischen Hinweise auf weibliche Hinrichtungsopfer oder gar (christliche) Gruppen- oder Massengräber (vgl. Schmitz 1999, 55; Euskirchen 2018, 106f.)
10Militzer 2016, 35.
11Nürnberger 2002, 137; Encyclopxdia Britannica Vol. 27 (11th ed. 1911) 803 s. v. Ursula, St (T Archer - A. Grieve); Kremer 1993, 201-228; Schmitz 1999, 54.
12Nürnberger 2002, 11f.; Montgomery 2016, 17; Flynn 2016, 109f.
13Nürnberger 2002, 129. 137.
14Nürnberger 2002, 139.
15Nürnberger 2002, 139-141.
16Wie Gernot Nürnberger ausführt, wird eine Saula bereits vor der Guntharschen Güterumschreibung in einer Litanei des Klosters Corvey (ca. 827-840) - ohne einen Hinweis auf Köln - erwähnt, allerdings beruht die Verknüpfung mit den Kölner Jungfrauen lediglich auf der Korrelation des Namens mit einem derer, die in späteren Litaneien häufig den Kölner Jungfrauen zugeschrieben wird (vgl. Nürnberger 2002, 137). Zwar legt der Zeitpunkt des Aufkommens diesen Namen einen kausalen Zusammenhang nahe, allerdings ist bei wenig konkretisierten namentlichen Erwähnungen Heiliger im Frühmittelalter oft Vorsicht geboten. So wurde im 9./10. Jh. zum Beispiel, aufgrund des gleichen Namens, die Vita des venerierten Bischof Severin von Köln, mit der des ebenfalls venerierten Bischof Severin von Bordeaux vermischt und man ging zweitweise davon aus, dass es sich um die identische, historische Person handle (vgl. Ristow 2007, 108f.).
17Nürnberger 2002, 139f.
18Sermo in natali sanctae Ursulae (BHL 8426), in: Kessel 1863, 156-167.
19Nürnberger 2002, 144.
20Nürnberger 2002, 143f.; Passio Ursulae (Fuit tempore pervetusto) (BHL 8427).
21Levison 1927, 88f.
22Passio Ursulae (Fuit tempore pervetusto) (BHL 8427).
23Montgomery 2016, 15f.
24Kremer 1993, 192.
25Bryan 2016, 127f.
26Kremer 1993, 309f.
27Britannica Academic (1998) online s. v. Saint Ursula, academic-eb-com.ubproxy.ub.uni- heidelberg.de/levels/collegiate/article/Saint-Ursula/74498 (01.09.2023).
28Tonio Hölscher beschreibt in Hölscher 2020, 22-25 mitlocal referenceden Umstand, dass antike hellenische Herrscher undpoleisAnsprüche auf besonderen Ruhm und Prestige von einem besonderen, teils vermeintlich historischen Bezug zu einer Gottheit ableiteten. Das Prinzip derlocal referencekann aber grundsätzlich auch auf die prestigeträchtige Sonderstellung, die sich im Mittelalter für Kirchen, Städte und Klöster aus dem Bezug zu einem Heiligen oder dem vermeintlichen Besitz einer wichtigen Reliquie ergab, übertragen werden.
29Sermo in natali sanctae Ursulae (BHL 8426), in: Kessel 1863, 156-167; 161-163.
30Gernot Nürnberger gibt die Höhe als 49-51 cm an (vgl. Nürnberger 2002, 123).
31Levison 1927, 7f.
32Nürnberger 2002, 122f.
33Levison 1927, 7.
34Nürnberger 2002, 123-129.
35Baum 2001, 7-16.
36Gernot Nürnbergers Transkript der epigraphischen Inschrift (vgl. Nürnberger 2002, 122). Außerdem ist anzumerken, dass der sogenannte Kontraktionsbalken über XPI (Z. 10) hier nicht adäquat wiedergegeben werden kann (vgl. Kremer 1993, 154).
37Binsfeld 1965, 59; Nürnberger 2002, 122.
38Kremer 1993, 153.
39Levison 1927, 3-25.
40Schmitz 1999, 54.
41Die Bezeichnung „vir clarissimus“ (~ sehr berühmter/ruhmreicher Mann) ist zwar eine in der (Spät)Antike durchaus gebräuchlich Ehrenbezeichnung für einen Mann senatorischen Ranges, allerdings ist die Weiterverwendung von „vir clarissimus“ und ähnlicher römischer Ehrenbezeichnungen für Herrscher und Angehörige deren Hofes bis in die Zeit Karls des Großen belegbar (vgl. Nürnberger 2002, 127f.) und daher von ambivalenter Aussagekraft. Ähnliches gilt übrigens auch für die Fluchformel, die vom Tartarus spricht (vgl. Nürnberger 2002, 128).
42Ein unumstößlicher Beweis, dass die Inschrift sich auf die fragliche Basilika bzw. deren Vorgängerbau in Köln bezieht, gibt es nicht. Theoretisch könnte die Inschrift aus einem anderen Kontext erst später an den heutigen Aufstellungsort verbracht oder kopiert worden sein. Der anscheinend direkte Bezug zur Jungfrauenverehrung und die Ermangelung alternativer Ursprungsorte lässt das Bezweifeln der Ursprünglichkeit dieses Zusammenhanges wenig plausibel erscheinen, weshalb die Forschung dies auch kaum diskutiert.
43Sermo in natali sanctae Ursulae (BHL 8426), in: Kessel 1863, 156-167.
44Trier 2022, 68.
45Levison 1993, 4f.
46Nürnberger 2002, 127f. 134; Kremer 1993, 178. 165-200.
47Nürnberger 2002, 124.
48Levison 1927, 11-21; Casey 2022, 151.
49Aufgrund der Symmetrie der Inschrift bezweifelte man oft einen nicht-römischen Handwerker als Urheber. Dieses Argument konnte Wilhelm Levison bereits durch vergleichende Feststellungen entkräften (vgl. Levison 1927, 8f.) und zudem ist heute hinreichend belegt, dass nicht jegliches ursprünglich-römisches Handwerk mit dem Abzug römischer Truppen verschwand und dass sich teils sogar bewusst um eine pseudorömische Darstellungsform bemüht wurde.
50Z. B. vertreten Kühnemann 1965, 50-52 und Binsfeld 1965, 59 noch teilweise diese Ansichten.
51Kremer 1993, 297-300.
52U. a. Kühnemann 1965, 50-52.
53Nürnberger 2002, 129.
54Nürnberger 2002, 131.
55Casey 2022, 157 f. 145-158.
56Nürnberger 2002, 129.
57Ein Einzelner hätte wahrscheinlich zumindest die Billigung anderer Kleriker, für die Anbringung der Inschrift an einem solchen wie auch immer bedeutenden und häufiger frequentierten Ort, benötigt.
58Kremer 1993, 182-184.
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- Pascal Johannes Harter (Autor:in), 2023, Zwischen Höllenfeuer, 11.000 himmlischen Jungfrauen und mittelalterlicher Fälschung, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1472030