Es ist leicht, anzunehmen, dass sich die Gesellschaft auf den Sport, hier speziell auf den Fußball, auswirkt, ist er ja ein Teil der sozialen Struktur. In dieser Hausarbeit wird aber auch ein anderer Ansatz geprüft: inwieweit die Massenmedien-Show Fußball und anderer Sportereignisse selbst auf die Gesellschaft einwirken (Stichwort: Vorbildwirkung, Charakterbildung durch Sport).
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Zum Ende der Halbserie der Fußball Bundesligasaison 2002/03 stand ein Thema bei den Medien im Vordergrund, welches mit dem sportlichen Spiel Fußball an sich nichts zu tun hat: Das Verhalten der Spieler gegenüber dem Schiedsrichter bei vermeintlichen Fehlentscheidungen und Art und Weise des Umgangs mit Gegner und Mitspieler.
Zwar sind dies immer wiederkehrende Diskussionen, bei jeder „Schwalbe“, bei jeder gelben oder sogar roten Karte wegen „Meckerns“ und bei abwertenden Gesten gegenüber des Unparteischens gibt es ein Nachspiel in TV, Rundfunk oder den Printmedien, aber in Anbetracht des im letztem Jahr ungewöhnlich aggressiven Echos in den Vereinen und der Öffentlichkeit und vor allem der sich zuspitzenden Situation im Ausland, ist durchaus ein aktueller Bezug herzustellen.
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Nun möchte ich nicht einzelne Gesten und Ausdrücke, die auf dem Spielfeld dargeboten werden, darstellen und bewerten, sondern das Thema als Ganzes, unter einer moralischen Sichtweise betrachten und somit den Versuch unternehmen, einen Brückenschlag zur Philosophie zu führen.
Ist es moralisch gut, wenn öffentliche Personen vor ein Millionenpublikum den Schiedsrichter anpöbeln? Was ist falsch daran, wenn ein Spieler für seine Mannschaft versucht, einen Elfmeter zu ermogeln oder vom Schiedsrichter eine Karte für den Gegenspieler zu fordern?
Wie hoch kann der Preis sein, um ein Spiel zu gewinnen? Wo befindet sich die Grenze zwischen öffentlicher Vorbildfunktion und persönlichen Erfolg?
Eine allgemeingültige Antwort auf diese Fragen kann es nicht geben, da sie alle auf einen bestimmten Sachverhalt hinauslaufen: dem gesellschaftlichen Verständnis von Moral! Jegliche Empörung oder Unverständnis, die als Reaktion auf die oben genannten beispielhaften Situationen eintreten, sind bedingt durch das jeweilige Empfinden von „richtig“ und „falsch“ des einzelnen Zuschauers und damit auch der Masse der Beobachter.
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Doch was ist Moral?
Nun gibt es verschiedene Definitionsansätze, Immanuel Kants (1724-1804) berühmter kategorischer Imperativ: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“ ist ebenso ein Versuch wie auch Jeremy Bentham (1748-1832): „Die Moral ist nichts, als die Regulierung des Egoismus“.
Jean Piagets (1896-1980) hingegen ist für das Problem der Vorbildwirkung der Akteure wohl passender: „Moral ist derjenige Ausschnitt aus dem Reich ethischer Werte (...), dessen Anerkennung und Verwirklichung bei jedem erwachsenen Menschen zunächst angenommen wird. Umfang und Inhalt dieses Ausschnittes ändern sich im Laufe der Zeit und sind bei den verschiedenen Völkern und Bevölkerungsschichten verschieden (Prinzip der Vielheit der Moralen und der Einheit der Ethik)“ (15.01.03 http://neuemoral.de/Weiterdenken1/Neuemoral/Philosophen/philosophen.html)
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So gilt also die moralische Vorstellung in der Gesellschaft als entscheidend für das Urteil über die Verhaltensweise bei solchen Banalitäten wie ein simples Fußballspiel, aber gilt auch, im umgekehrten Schluss, das Verhalten auf dem Platz als Indiz für das Moralverständnis der jeweiligen Gesellschaft und damit auf ihre Ethik?
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Um eine Antwort auf diese und die in (2) gestellten Fragen zu erhalten, muss man sich zuerst über den Status des Fußballs und dessen Akteure in der Gesellschaft schlüssig werden.
Als Beispiele zur Verdeutlichung der Wirkung der Sportart Fußball (hier WM 2002 in Asien) habe ich 3 Länder gewählt: Argentinien, Frankreich und Kamerun.
„Über den Stellenwert des Fußballs in Argentinien heißt es bei Holger Gertz (SZ 11.6.). „Fußball war in Argentinien immer ein Weg, den anderen zu zeigen, wer man ist, genauer gesagt: dass man ist. Als wären die Deutschen ewig in den Fünfzigern hängen geblieben, als ja, wie Fußballphilosophen sagen, mit dem Sieg bei der WM in Bern 1954 die Bundesrepublik eigentlich gegründet wurde. Argentinien gewann daheim bei der WM 1978 mit 3:1 im Finale gegen Holland, und auch das war nicht Fußball, sondern ein langer Werbefilm im Sinne der damals regierenden Junta, gerichtet an die anderen Nationen und an das eigene Volk. Es ging darum, abzulenken von Morden, Folterungen, Verschleppungen. Als sich Argentinien 1982 auf den Falkland-Krieg gegen England vorbereitete, wurden die Fernsehbilder der Truppenübungen gegengeschnitten mit Aufnahmen vom WM-Sieg, und Osvaldo Ardiles, ein berühmter argentinischer Kicker, der damals in England spielte (...) musste Großbritannien vorübergehend verlassen.“ (11.02.03 www.indirekter-freistoss.de)
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