Welchen Herausforderungen müssen sich Frauen in Führungspositionen stellen? Welche Chancen bieten sich für Frauen bei der Aneignung von mikropolitischen Kompetenzen für ihren Aufstieg? Diesen Fragen möchte ich in der vorliegenden Arbeit nachgehen.
In den 200 größten Firmen Deutschlands lag im Jahr 2022 der Frauenanteil in den Vorständen und Geschäftsführungspositionen bei 14,7 Prozent. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass das Geschehen in den 200 größten Firmen Deutschlands durch 85,3 Prozent Männer geregelt wird. Auch bei den Löhnen sind deutliche Abstände zwischen Männern und Frauen erkennbar, welche sich in den letzten 21 Jahren lediglich um nur 3 Prozent veränderten. Männer verdienen im Schnitt 18 Prozent mehr als Frauen. Verändert sich der Abstand der Gehälter weiterhin gleichbleibend langsam, erhalten Frauen erst in 126 Jahren den gleichen Lohn wie Männer.
Berufe sind auch in der heutigen Zeit noch immer geschlechtstypisiert. Auf keinen Bereich trifft das so stark zu wie auf den Führungsbereich. Gründe für die Unterpräsentation von Frauen in Führungspositionen sind beispielsweise fehlende Angebote zur Kinderbetreuung, traditionell-rollenspezifische und stereotypische Einstellungen, fehlende Durchsetzungsstärke oder exkludierende „Männerkulturen“ auf höheren Führungsebenen.
Inhaltsverzeichnis
Die Unterpräsenz von Frauen in Führungspositionen und die Bedeutung der Mikropolitik für ihren Aufstieg
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Frauen in Führungspositionen und deren Herausforderungen6
2.1 Forschungsstand
3. Macht und Geschlecht
3.1 Was ist „Macht“?
3.2 Was ist „Geschlecht“?
3.3 Geschlechtsspezifischer Umgang mit Macht
4. Theoretischer Rahmen: Mikropolitik
4.1 Das Spiel als Instrument organisierten Handelns
4.2 Dualität von Struktur und Handlung
4.3 Mikropolitische Strategien
4.3.1 Weibliche mikropolitische Strategien
4.3.2 Mikropolitisches Kompetenzmodell (MKM)
5. Empirische Analyse zu weiblichen Führungskräften
5.1 Methode
5.2 Empirische Ergebnisse und Diskussion
5.2.1 Aufstiegsmotivation und Macht
5.2.2 Umgang mit Konkurrenz und Konflikten, Hindernisse und Anforderungen von außen
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
ebd. ebenda
et al. et alii
MKM Mikropolitisches Kompetenzmodell
vgl. Vergleiche
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Hindernisse für Frauen während der Karriere
Abbildung 2: The Reykjavík Index for Leadership 2021/2022
Abbildung 3: The Reykjavík Index for Leadership 2021/2022: G7 Indexwert Männer und Frauen nach Altersgruppen
Abbildung 4: The Reykjavík Index for Leadership 2021/2022 Indexwert nach Altersgruppenden G7 Ländern
Abbildung 5: Miss-Triggs-Problem
Abbildung 6: Logik der Innovation und Logik der Routine
Abbildung 7: Mikropolitisches Kompetenzmodell
1. Einleitung
In den 200 größten Firmen Deutschlands lag im Jahr 2022 der Frauenanteil in den Vorständen und Geschäftsführungspositionen bei 14,7 Prozent (DIW Berlin 2022). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass das Geschehen in den 200 größten Firmen Deutschlands durch 85,3 Prozent Männer geregelt wird. Auch bei den Löhnen sind deutliche Abstände zwischen Männern und Frauen erkennbar, welche sich in den letzten 21 Jahren lediglich um nur 3 Prozent (Statistisches Bundesamt 2022a) veränderten. Männer verdienen im Schnitt 18 Prozent mehr als Frauen (ebd.). Verändert sich der Abstand der Gehälter weiterhin gleichbleibend langsam, erhalten Frauen erst in 126 Jahren den gleichen Lohn wie Männer.
Berufe sind auch in der heutigen Zeit noch immer geschlechtstypisiert. Auf keinen Bereich trifft das so stark zu wie auf den Führungsbereich (vgl. Rastetter & Jüngling 2018: 29). Gründe für die Unterpräsentation von Frauen in Führungspositionen sind beispielsweise fehlende Angebote zur Kinderbetreuung, traditionell-rollenspezifische und stereotypische Einstellungen, fehlende Durchsetzungsstärke oder exkludierende „Männerkulturen“ auf höheren Führungsebenen (vgl. Rastetter 2007: 76ff.).
Welchen Herausforderungen müssen sich Frauen in Führungspositionen stellen? Welche Chancen bieten sich für Frauen bei der Aneignung von mikropolitischen Kompetenzen für ihren Aufstieg? Diesen Fragen möchte ich in der vorliegenden Arbeit nachgehen. Zur Bearbeitung der Fragestellung werde ich eine qualitative Studie durchführen. In der Studie wurden sechs Frauen in Führungspositionen zu ihrem Aufstieg befragt, um herausfinden, inwiefern diese Frauen Mikropolitik nutzten, um in der Organisation aufzusteigen, mit welchen Hindernissen sie konfrontiert waren und welche Anforderungen an sie gestellt wurden. Zum einen lassen sich so mikropolitische Handlungen nur im Zusammenspiel der handlungsbestimmenden Rahmenbedingungen erkennen und dem Sinn nach deuten (vgl. Mucha & Rastetter 2015: 252). Zum anderen ist es mir dadurch möglich, die Frauen individuell zu befragen. Dadurch lässt sich herausfinden, in welchem sozialen Kontext das Handeln der Akteurinnen stattfindet, um nicht nur bereits Bekanntes zu reproduzieren (vgl. Neuberger 2006: 144). Dass mikropolitische Strategien nicht wie „Allzweckwaffen“ eingesetzt werden (vgl. Neuberger 2006: 128), sondern abhängig von den Rahmenbedingungen sind, zeigten bereits Mucha, Endemann und Rastetter in „Mikropolitik am Arbeitsplatz“ (2015). Die Strukturen und Regeln, in denen die Befragten handeln, stellen nicht nur die „Zwänge“ dar, in denen die Akteurinnen handeln, sondern auch das Kräfteverhältnis, das die einen gegenüber den anderen begünstigt (vgl. Friedberg 1992: 45).
Der Fokus meiner Arbeit soll auf die Frage gerichtet werden, welche Bedeutung die Mikropolitik für den Aufstieg von Frauen in Führungspositionen hat und welche Chancen sie Frauen bietet. Dabei beleuchte ich auch die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern und den geschlechtsspezifischen Umgang mit Macht. Die Arbeit ist in sieben Kapitel gegliedert und so aufgebaut, dass ich zunächst die Rahmenbedingungen, mit denen Frauen in Organisationen konfrontiert werden, erläutere und anschließend auf die Handlungsweisen der Akteure eingehe. Außerdem werde ich in diesem Kapitel mit Bezug zum aktuellen Forschungsstand Thesen herausarbeiten.
Mikropolitik ist eine Form der Machtausübung, sie tritt überall auf, wo Macht eine Rolle spielt. Organisationen sind Arenen von Machtkämpfen und Spielen, Bündnissen und Koalitionen, Kollaborationen und Widerständen, die die Organisationen zusammenhalten. Durch die unterschiedliche Sozialisation gehen Männer und Frauen verschieden mit Macht um, was ich für entscheidend beim Einsatz von mikropolitischen Taktiken halte. Diese Aspekte werde ich in Kapitel 3 untersuchen. In Kapitel 4 beschreibe ich die informellen Strukturen der Mikropolitik und ihre Strategien, welche früher „als anrüchig, pathologisch, um nicht zu sagen kriminell“ galten (Neuberger 2007: IV). In der neueren Zeit werden mit der Mikropolitik u.a. die informellen Organisationsstrukturen erfasst. An informellen Prozessen lässt sich nach Crozier und Friedberg (1993) beobachten, wer aufgrund welcher Ressourcen Einfluss nimmt. Hierbei hat die Mikropolitik sowohl konstruktive als auch destruktive Auswirkungen auf Organisationen, da Mitarbeiter nicht genau nach Ihrer Stellenbeschreibung arbeiten, sondern eigenverantwortlich. Sie bringen neue Ideen ein oder sind kreativ bei der Lösung von Problemen. Aufgrund dessen zeige ich in diesem Kapitel auch die Voraussetzungen und Auswirkungen der Mikropolitik auf.
Des Weiteren werde ich auf die Weiterentwicklung des Ansatzes von Crozier und Friedberg durch Günther Ortmann (1992) eingehen. Das Ziel von Ortmann war, in Anlehnung an Giddens (1984), die Unterbelichtung der Strukturaspekte zu korrigieren. Er greift dabei den Gedanken von „Dualität und Struktur“ auf. Das bedeutet, dass Struktur das Produkt, aber auch Medium des menschlichen Handelns ist. Strukturen machen Handeln erst möglich und sind dennoch durch menschliches Handeln konstituiert und reproduziert. Die Veränderung reproduzierter Strukturen ist meines Erachtens ein entscheidender Faktor, um der Unterpräsenz von Frauen in Führungspositionen entgegenzuwirken. Außerdem werde ich in diesem Kapitel der Frage nachgehen, welche weiblichen mikropolitischen Strategien existieren und das von Rastetter und Jüngling (2018) entwickelte Mikropolitische Kompetenzmodell (MKM) vorstellen. In Kapitel 5 stelle ich die Ergebnisse der Interviews dar und gehe in Kapitel 6 der Frage nach, welche Chancen sich für weibliche Führungskräfte durch die Nutzung mikropolitischer Strategien eröffnen.
2. Frauen in Führungspositionen und deren Herausforderungen
In diesem Kapitel zeige ich die wichtigsten Hindernisse beim Aufstieg von Frauen in Führungspositionen auf. Da Frauen in Organisationen nicht selten an der männlichen Dominanz und dem Unterlaufen von Quoten passiv oder aktiv mitwirken (vgl. Wiechmann 2006: 57), ist es nicht unbedingt einfach, die Ursachen der Unterpräsenz von Frauen allumfassend herauszuarbeiten. Deshalb beschäftige ich mich in der vorliegenden Arbeit nur mit den gravierendsten Hindernissen.
Die Bildung der Frauen in hat sich in Deutschland in den letzten Jahren stetig entwickelt. Frauen schließen häufiger ein Studium ab als Männer, seit 2010 liegt der Anteil über 50 Prozent. (Statistisches Bundesamt 2021). Die Hochschulabschlüsse stehen im Widerspruch zum Anteil der Frauen in Führungspositionen. Die Ergebnisse zeigen, dass Frauen zwar gebildet sind, aber weniger Macht besitzen als Männer. Mangelnde Bildung kann also als Ursache der Unterrepräsentanz ausgeschlossen werden. Die Erwerbsbeteiligung der Frauen in Deutschland liegt bei über 70 Prozent, gleichauf mit der Quote der Männer (Statistische Bundesamt 2022b). Dies deckt sich allerdings in keiner Weise mit der Beteiligungsquote der Frauen in Führungspositionen. In diesem Kapitel möchte ich auf mögliche Hindernisse eingehen, die zeigen, warum Frauen trotz der hohen Studienabschlussquote und trotz hoher Erwerbsbeteiligung nicht in Führungspositionen aufsteigen.
Frauen stoßen an die sogenannte „gläserne Decke“ (Frenkiel 1984). Der Begriff beschreibt die nicht sichtbaren Hindernisse, denen Frauen begegnen und sie nur bis zu einer bestimmten Führungsebene aufsteigen lassen. Dazu zählen beispielweise Stereotype, fehlender Zugang zu informellen Netzwerken und auch homosoziale Männergemeinschaften, aus denen Frauen strukturell ausgeschlossen werden. Frauen dringen als „Neue“ in das männlich konnotierte Berufsfeld der Führungskraft vor. Sie werden dort als Fremde oder Eindringlinge wahrgenommen, unbewusst vielleicht sogar als Feinde. Zu beachten ist, dass eine konsequente Umsetzung einer Gleichstellung zum Austausch männlicher Personen führt und damit zur Verringerung der Karriereperspektiven von Männern. Mit Widerstand dieser Gruppe ist also zu rechnen. „Offener Widerspruch scheint als politisch nicht korrekt […] gegen Gleichstellung wehrt man sich nur verdeckt“ (Jüngling / Rastetter 2008: 132).
Der Begriff „Führungskraft“ ist allgemein männlich typisiert. Vermeintlich männliche Eigenschaften wie Kompetenz, Leistungsstreben oder Durchsetzungsvermögen beeinflussen das Bild der Führungskraft, obwohl Anforderungen an sog. „soft skills“, wie der sozialen Kompetenz, den Diskurs um „gute Führung“ dominieren (vgl. Rastetter/ Jüngling 2018: 29). Das „think manager think male“ wie auch der Minderheitenstatus von Frauen in Führungspositionen lässt die Frau zur „zweifachen Abweichlerin“ werden. Zum einen, weil sie keine typische Frauenrolle einnimmt, zum anderen, weil sie als Frau nicht dem Bild der stereotypisierten männlichen Führungskraft entspricht (vgl. Rastetter 2009: 5). Beide Faktoren stellen Herausforderung für den Aufstieg der Frau dar. Passt sie sich dem stereotypen Modell der Führungskraft an, nimmt ihre Umgebung sie als unweiblich wahr. Verhält sich eine Frau dagegen weiblich, wird sie von ihren männlichen Kollegen als Abweichlerin wahrgenommen.
Das Thema der Führungspositionen behandelt gleichzeitig Themen wie Macht, Einfluss, Kommunikation, Rollenverhalten und Karriereverlauf. Frauen und Männer haben unterschiedliche Einstellungen zu diesen Themen. Sie realisieren unterschiedlich ihre Karriere, weshalb diese Themen bereits geschlechtsdifferent sind. Ihre Karrieremuster unterscheiden sich ebenso wie die Herausforderungen beim Aufstieg in eine Führungsposition. Die Herausforderungen, denen Frauen gegenüberstehen, werden in einer qualitativen Studie von Accenture (2002) erarbeitet. Hier werden 83 Frauen aus den Ländern Deutschland, Österreich und der Schweiz befragt (vgl.: Accenture 2002: 21).
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abb.1.: Hindernisse für Frauen während der Karriere, Quelle: Accenture 2002: 21.
Die männerdominierte Kultur am Arbeitsplatz wird von Frauen als größtes Hindernis während des beruflichen Aufstiegs wahrgenommen. Die durch Homogenität entstandene „Kultur“ einer Gruppe wird durch die numerisch dominante Gruppe bestimmt. Dies hat Auswirkung auf die Besetzung einer Stelle in Organisationen, da die Besetzung einer Position nicht ausschließlich über Leistung, sondern auch nach sozialer Ähnlichkeit erfolgt (vgl. Tonn; 2016: 237). In den Führungsetagen stellen Männer die nummerisch dominierende Gruppe dar. „Gesprächsinhalte über Fußball, bestimmte Witze oder das Profilieren durch sportliche Aktivitäten [weisen] Frauen unbewusst eine Randposition zu“ (Tonn 2016: 206). Das numerische Ungleichgewicht in den Führungsetagen erschwert Frauen den Aufbau Karriere fördernder Netzwerke (vgl. ebd.), welche großen Einfluss auf Personalentscheidungen haben. Daraus folgt, dass eine Frau mit Aufstiegswillen soziale Ähnlichkeit mit der numerischen dominanten Gruppe der Männer signalisieren muss, wodurch sie möglicherweise in einen Rollenkonflikt geraten kann.
2.1 Forschungsstand
Der Forschungsstand zu „Frauen in Führungspositionen“ ist noch jung. Zunächst zeige ich aktuelle empirische Forschungsergebnisse auf und gehe anschließend auf unterschiedliche, theoretische Erklärungsansätze zur Unterpräsenz von Frauen in Führungspositionen ein.
Das Netzwerk „Women Political Leaders” entwickelte gemeinsam mit dem Unternehmen für Marktforschung „Kantar Puplic“ den „Reykjavík Index for Leadership“. Dieser Index ist die weltweit erste Studie, die untersucht, ob die Gesellschaft Männer und Frauen in Führungspositionen als gleichermaßen geeignet für die Besetzung von Führungspositionen wahrnimmt. Der Index für 2021/2022 umfasst 22 Länder, die Staaten der G20 wie auch Island, Spanien und Polen. Die Schweiz wurde nicht untersucht. Insgesamt wurden mehr als 35.000 Personen befragt. Das Ergebnis der Studie zeigt auf, dass in den fortschrittlichen Wirtschaftsnationen noch immer Geschlechtsstereotype vorherrschen, und dass die Entwicklung der Ansichten über Frauen in Führungsposi-tionen in den Ländern stagnieren oder rückschrittlich sind. Der Index zeigt auch, dass Männer zwar häufiger als Frauen Vorurteile gegenüber Frauen in Führungspositionen hegen, Frauen jedoch nicht von ebensolchen Vorurteilen befreit sind.
Wenn die Gesellschaft eines jeweiligen Landes Frauen und Männer als gleichermaßen geeignet für die Besetzung von Führungspositionen in allen Berufen hält, liegt der Indexwert der Untersuchung dieses Landes bei 100. Die Grafik unten zeigt, dass Island mit einem Wert von 92 das Ranking anführt. Deutschland liegt mit einem Wert von 66 unter dem Durchschnitt der G7 Länder deren Wert bei 73 liegt und auch unter dem Durchschnitt der G 20, deren Wert bei 68 liegt. Deutschland befindet sich mit einem Wert von 66 im unteren Drittel und damit zum zweiten Mal auf dem letzten Platz der G7 Länder (Kantar 2021: 56).
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abb.2: The Reykjavík Index for Leadership 2021/2022 G20 (+22 Countries) Quelle: Kantar Puplic 2022.
Das Länderprofil des Reykjavik Index 2021/2022 für Deutschland (Abb.: 2) zeigt besorgniserregende Ergebnisse. Die junge Generation der Deutschen (18-34 Jahre) ist im Vergleich zu den älteren Generationen (55-65 Jahre) weniger für Geschlechtervielfalt bei der Besetzung von Führungspositionen. Besonders der niedrige Indexwert für junge deutscher Männer, der von 57 im Jahr 2020 (vgl. Kantar Puplic 2020: 58) auf 55 im Jahr 2022 fällt, sticht hervor. Dieser Wert zeigt, dass deutsche junge Männer mit die größten Vorurteile gegen Frauen in Führungspositionen hegen.
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: The Reykjavík Index for Leadership 2021/2022: G7 Indexwert Männer und Frauen nach Altersgruppen. Quelle: Kantar Puplic 2022.
Abb. 3 zeigt, dass in allen G7 Ländern der Indexwert für die Gruppe der 18- bis 34-Jährigen unter dem der älteren Altersgruppe liegt, was auf eine mögliche Retraditionalisierung hinweisen könnte. Die Covid-19 Pandemie wird im Bericht als möglicher Grund dafür genannt (Kantar Puplic 2022: 9).
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abb.4: The Reykjavík Index for Leadership 2021/2022 Indexwert nach Altersgruppen in den G7 Ländern. Quelle: Kantar Puplic 2022.
Um der Unterpräsenz von Frauen in Führungspositionen in Deutschland entgegenzuwirken, trat 2015 das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen (FüPoG) in Kraft. Arbeiten zum Erfolg der Geschlechterquote zeigen, dass die verbindliche Geschlechterquote für Aufsichtsräte und Vorstände Wirkung zeigt. Knapp 35 Prozent Frauen sind im Aufsichtsrat der Firmen, welche die Quote umsetzen müssen, zu finden (vgl. Kirsch/ Sonderfeld/ Wrohlich 2020: 55). Jedoch soll der Anstieg des Frauenanteils nicht darüber hinwegtäuschen, dass Deutschland im Vergleich mit anderen EU-Ländern keinen Veränderungswillen zeigt und somit eher Symbolpolitik betreibt. Zu diesem Ergebnis kommen Karl, Schwidder, Weingarten und Weckes (2020). Auf Grundlage eines dreistufigen Ampelsystem bewerten die Autoren, inwieweit Unternehmen der Privatwirtschaft eine Geschlechterquote ohne Einschränkungen anwenden müssen (vgl. ebd.: 4). Kein anderes Land inkludiert mit der Geschlechterquote so wenig Firmen wie in Deutschland, weshalb die Autoren eine Ausweitung der quotengebundenen Unternehmen empfehlen (vgl. ebd.: 11). Gesetzliche Vorgaben sind ein erfolgversprechendes Instrument. Jedoch ist die Reichweite der Geschlechterquote so wie sie in Deutschland umgesetzt wird im EU-Vergleich als gering einzustufen (vgl. ebd.).
Im DIW Wochenbericht Nr. 10/2020 kommen Adriaans, Sauer und Wrohlich zu dem Schluss, dass Männer und Frauen niedrige Löhne als gerecht bewerten. Die Ergebnisse basieren auf einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt, in dessen Rahmen ein auf Umfrage basierendes Experiment durchgeführt wurde. Als Grund für die ungleichen Löhne und für das Ergebnis werden „Geschlechterstereotype“ angeführt. Diese Geschlechterstereotype führen zu unterschiedlicher Bewertung bezüglich der Entlohnung von Männern und Frauen für die gleiche Arbeit. Aufgrund des Geschlechts wird einer Person ein höherer Status zugeschrieben, was zur Verfestigung des Gender Pay Gaps führt (Adriaans/ Sauer/ Wrohlich 2022: 151). Die Autoren führen an, dass Vorbilder eine positive Auswirkung auf Geschlechterstereotype haben, was besonders Frauen in Führungspositionen hilft, stereotypische Überzeugungen in der Gesellschaft zu überwinden. Die Autoren schlagen vor, dass die Rahmenbedingungen durch die Politik verbessert werden sollen, z.B. durch Quoten in Führungspositionen und durch Ausdehnung der Partnermonate beim Elterngeld (vgl. ebd). Die Ergebnisse zeigen, dass (mehr) Frauen in Führungsposi-tionen einen wichtigen Faktor darstellen, um Lohnungleichheit und auch Geschlechterstereotypen entgegenzuwirken. Geschlechterstereotype sind, wie ich im Folgenden Abschnitt aufzeige, ein wichtiger Parameter bei dem Entgegenwirken der Unterpräsens von Frauen in Führungspositionen. Es zeigt sich, dass es multiple Faktoren sind, die Hindernisse für aufstiegswillige Frauen darstellen: soziokulturelle, betriebliche und politische.
Aufgrund der Geschlechterungleichheiten auf dem deutschen Arbeitsmarkt begann die Debatte des „Gendering“ in Organisationen in den 1990er Jahren. (vgl.: Wilz 2013:151). Seitdem soll die Unterpräsenz von Frauen in Führungspositionen durch unterschiedliche Ansätze erklärt werden. Holst & Wiemer, (2010b) oder Bischoff (2010) versuchen dies differenztheoretisch darzulegen, wohingegen Abele (2013) die Unterpräsenz strukturtheoretisch und über ideologische Barrieren wie Rollenbilder und Stereotype zu erklären versucht. Wilz weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass unter den unterschiedlichen Positionen – strukturistischer wie auch konstruktivistischer Ansätze, Einigkeit besteht, dass organisatorische Strukturen, Prozesse, und Entscheidungen in Organisationen nicht geschlechtsneutral sind und Frauen dadurch Nachteile entstehen (Wilz 2013: 151). Wilz führt als Erklärungsfaktoren für die Unterpräsenz von Frauen Befunde anderer Autoren aus den Jahren 1992 bis 2002 an, und spricht ihnen im Jahr 2013 noch immer Gültigkeit zu. Sie nennt unter anderem die vertikale Segregation von Organisation und Arbeitsmarkt, geschlechtstypische Aufgabenverteilungen, geschlechtshomogene Netzwerke und Subkulturen, geschlechtstypische Zuschreibungen und Erwartungen von Kompetenzen und Verhaltensmustern bei Personalentscheidungen wie auch in der Arbeitspraxis und der Kommunikation (vgl. ebd.). Hervorheben möchte ich, dass diese Faktoren im Jahr 2023 Relevanz bei der Erklärung der Unterpräsenz von Frauen in Führungspositionen besitzen, wie die Ergebnisse der o.g. Studien aufzeigen.
Auch die Ergebnisse der Arbeit von Andrea Abele (2013) besitzen noch immer Relevanz. Sie beschäftigt sich in Ihrem Beitrag „Berufserfolg von Frauen und Männern im Vergleich“ (Abele 2013) mit den Faktoren, die den geringen Berufserfolg von Frauen erklären. Dabei verbindet sie prozess- und strukturtheoretische Ansätze mit Ansätzen aus der Genderforschung. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass ein agentisches Selbstkonzept, das nach Abele mit dem beruflichen Status der Frau korreliert, wie auch hohe Karriereziele für den beruflichen Erfolg von Frauen von Bedeutung sind (vgl. Abele 2013: 41ff). Sie zeigt ebenfalls auf, dass die Mutterschaft für die Karriere der Frauen hinderlich ist und für Männer Karriere fördernd. Abele schlägt die Teilhabe der Frauen an der Karriere vor. Sie rät dazu, die Maßnahmen nicht nur bei der Frauenförderung anzusetzen, sondern auch auf organisatorischer Ebene. Das heißt, auch die Männer im Fokus zu haben und z.B. mehr Akzeptanz für Elternzeit der Väter (vgl. ebd.: 55) zu entwickeln.
Kaup (2015) Kommt in ihrer Untersuchung zu dem Schluss, dass die verschiedenen Einflüsse auf die Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen nicht isoliert betrachtet werden können, da sie sich wechselseitig bedingen und beeinflussen. Sie spricht von einem „Ursachen-System“ (vgl. Kaup 2015: 88), aus dem sie ein Ursachenmodell mit „politischen, sozio-kulturellen sowie ökonomischen“ Ursachen entwickelt hat. Tonn kommt zu dem Ergebnis, „dass trotz der Erkenntnis über das Leistungspotenzial von Frauen und den damit zurzeit ungenutzten Ressourcen nach wie vor deutliche Karrierehemmnisse für Frauen bestehen“ (ebd.). Tonn zeigt in ihrer Arbeit, dass aus ihrer Sicht, der politische Einflussfaktor der Stärkste ist.
Rastetter (2009) zeigt in ihrer Arbeit, das mikropolitische Kompetenz erforderlich ist, um eigene Ziele oder auch eine Führungsposition zu erreichen. Dazu gehören nicht nur die Kenntnis der Bedeutung von Mikropolitik, sondern auch die passenden Strategien, die in das persönliche Selbstkonzept zu integrieren sind (vgl. Rastetter 2009: 2). Nach Rastetter sind die Aneignung mikropolitischer Kompetenzen und der kompetente, überdachte Umgang mit und die Anwendung von Mikropolitik notwendige Bedingungen für Frauen, ihre beruflichen Handlungsmöglichkeiten zu erweitern und in der Hierarchie der Organisation aufzusteigen.
Aufbauend auf dem empirischen Forschungsstand ergeben sich für mich folgende Thesen:
1. Aufgrund des geringen Anteils von Frauen in Führungspositionen gehe ich davon aus, dass Frauen seltener Mikropolitik nutzen.
2. Frauen haben auf Grund ihrer Sozialisierung und möglichen sozialen Sanktionen ein ambivalentes Verhältnis zur Macht und damit zu Führungspositionen.
3. Tradierte Rollenbilder, Stereotypen und die unzureichenden politischen Maßnahmen beeinflussen die Kariereentwicklung von Frauen erheblich negativ.
4. Bezugnehmend auf eine Karikatur von Riana Duncan aus der Zeitschrift „Punch“, die die sexistische Atmosphäre einer Konferenz zeigt, in der die Stimme der Frau überhört und von der Historikern Mary Beard als „Miss-Triggs-Problem“ bezeichnet wird (Beard; Blank-Sangmeister; Schüffel 2018: 44). Ausgehend vom „Miss-Triggs-Problem“ und von eigenen Beobachtungen vermute ich, dass es nicht darum geht, was eine Frau zu einem Sachverhalt sagt, sondern darum, dass sie überhaupt etwas dazu sagt.
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abb.5: Miss-Triggs-Problem“. Quelle: Beard; Blank-Sangmeister; Schüffel 2018: 44.
Die vorangegangenen Gedanken als Ausgangspunkt, stellen sich mir folgende Fragen: Welche Relevanz besitzt die Mikropolitik für den Aufstieg von Frauen, wenn diese gar nicht zu Wort kommen? Und, können Frauen durch die Aneignung mikropolitischer Kompetenz tradierten Rollenbildern und Stereotypen entgegenwirken?
3. Macht und Geschlecht
Im Folgenden erläutere ich die Begriffe Macht und Geschlecht. Ich betrachte diese Begriffe nicht aus unterschiedlichen Perspektiven, sondern beschreibe das Verständnis von „Macht“ und „Geschlecht“, welches dieser Arbeit zu Grunde liegt.
Macht ist an Strukturen gebunden, wie in Kapitel 3.1 deutlich wird. Bei der Frage nach der ungleichen Verteilung von Macht, spielen Strukturen eine nicht unerhebliche Rolle. In Kapitel 3.2. beleuchte ich „Geschlecht“ aus konstruktivistischer Perspektiven. Im Zuge dessen, gehe ich auf die Geschlechtszuweisung, welche die Funktion der Ordnung und Hierarchisierung in der Gesellschaft hat, ein. Diese Ordnung wird durch bestimmte soziale Prozesse erhalten, sie gehört zur Identität und in die soziale Struktur (vgl. Funk: 81). Zur Geschlechtsordnung gehört auch eine Rangordnung beim Kampf um Ressourcen. Sie kann den sozialen Aufstieg oder Abstieg bedingen. In Kapitel 3.3 beschreibe ich den geschlechtsspezifischen Umgang mit Macht.
3.1 Was ist „Macht“?
Die bekannteste Definition von Macht stammt von Max Weber (2006), der die Begriffe „Macht“ und „Herrschaft“ als soziologische Grundbegriffe einführte. Seine Definition ist zuerst einmal neutral, weil sie nicht moralisiert und die Legitimität der Macht außen vorlässt. Gleichzeitig ist Macht für Weber „soziologisch Amorph“ (Weber 2006: 62), weil alle denkbaren Qualitäten und Konstellationen einen Menschen in die Lage versetzen können, seinen Willen durchzusetzen (ebd.). Macht ist für Weber
„jede Chance innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“ (Weber 2003: 62).
Mit dem Satz „[…] gleichviel worauf diese Chance beruht“, geht Weber davon aus, dass Machtquellen offen sind und dass Macht auf ihnen fußt.
Crozier und Friedberg gehen wie Weber davon aus, dass Macht auf einer Chance beruht, den eigenen Willen durchzusetzen, Macht ist in ihrem Verständnis eine Austauschbeziehung und kein Attribut.
„Macht – auf der allgemeinsten Ebene – [beinhaltet] immer die bestimmten Individuen oder Gruppen verfügbare Möglichkeit, auf andere Individuen oder Gruppen einzuwirken“ (Crozier/Friedberg 1993: 39)
Dabei betonen Crozier und Friedberg, dass Macht ein Kräfteverhältnis ist „aus dem der eine mehr herausholen kann als der andere, bei dem aber gleichfalls der eine dem anderen nie völlig ausgeliefert ist“ (Crozier/Friedberg 1993: 41). Friedberg beschreibt Macht als eine Verhandlungsbeziehung zwischen mindestens zwei Akteuren, die untrennbar mit ihnen und deren Einsätzen verbunden sind. Friedberg definiert Macht als
„… die Fähigkeit von jemandem, bei anderen Verhalten zu erzeugen, die sie ohne sein Zutun nicht angenommen hätten. Was auch immer ihre Quellen, ihre Legitimität und ihre Ausübungsweise.“ (Friedberg 1992: 41).)
Macht stellt für die Autoren folglich eine asymmetrisch soziale Beziehung dar. Wäre die Beziehung gleich, könnte keiner der Akteure Macht über den anderen ausüben, sie befänden sich in einer Patt-Situation. Dennoch ist kein Akteur dem anderen völlig ausgeliefert. Selbst der Mächtige ist verpflichtet, wenigstens teilweise die an ihn gerichteten Erwartungen zu erfüllen, um seine Macht aufrecht zu erhalten und zu festigen. Das Ergebnis dieser Machtbeziehung ist davon bestimmt, welche Ungewissheitszonen1 (Crozier/Friedberg: 1979 49ff) den Gegenspielern zur Verfügung stehen, um einen Akteur zu einem Verhalten zu bewegen, das ihren eigenen Zielen entspricht. Macht ist im mikropolitischen Sinne umso größer, je relevanter die vom Einzelnen kontrollierte Ungewissheitszone ist. Aus diesen Quellen der Ungewissheit leiten die Autoren vier Machtquellen2 ab, die im Bereich des Wissens und der Information liegen. Hier schließt Günther Ortmann mit seiner Idee die Strukturaspekte der mikropolitischen Macht näher zu betrachten an. Für Ortmann ist Macht an Strukturen gebunden, welche jedoch nicht absolut sind (vgl. Ortmann 1992: 221). Er verweist darauf, dass die vier Machtquellen nach Crozier und Friedberg zu sehr auf Wissen und Informationen ausgerichtet sind. Materielle Aspekte der Macht sind etwas unterbelichtet. Auf Grund dessen schlägt Ortmann vor, die Unterscheidung von Giddens (1988) zwischen Regeln und Ressourcen als Kennzeichen von Strukturen zu übernehmen, um aufzuzeigen, wie Machtmittel Machtstrukturen produzieren, die im Dualismus wiederum Machtmittel hervorbringen. Der Formulierung Crozier und Friedbergs, dass Macht eine Beziehung ist und kein Attribut von Akteuren (vgl. Crozier und Friedberg 1993: 39), stimmt Ortmann nur begrenzt zu. Er stimmt so weit zu, dass Macht eine Beziehung ist und an Tausch oder Verhandlungen gebunden. Er betont jedoch, dass dieser Umstand nicht deren Berechtigung begründet.
„Dasselbe ließe sich von Geld sagen, und doch gibt es Geld als Besitzstand, als Attribut von Akteuren. Man hat Ressourcen, Hebel, Trümpfe,- und damit Macht“. (Ortmann 1992: 219)
Für Ortmann ist Macht an Strukturen gebunden (vgl. ebd), da nur der verhandeln kann, der etwas zum Austauschen anbietet. Das ist für die vorliegende Arbeit ein entscheidender Punkt, vor allem im Hinblick darauf, dass jede Organisation ihre Akteure mit mehr oder weniger legitimer Macht ausstattet. Die Strukturen einer Organisation legen die Machtquellen durch die formale Autorität fest. Dadurch wird bestimmt, welche Mitglieder von Anfang an vom Wettbewerb und bestimmten Machtquellen ausgeschlossen sind. Die Organisationsstrukturen haben also erheblichen Einfluss auf die Machtverteilung. In Erweiterung zu Crozier und Friedberg basiert Macht also auf der Verteilung von Ressourcen und nicht allein auf Wissen und Information.
Mikropolitische Macht ist von Herrschaft zu trennen. Sie grenzt sich von der Herrschaft insofern ab, dass sie keine absolute Größe in Organisationen ist und nicht der formalen Hierarchie entsprechen muss. Kein Akteur ist ohne Macht, jeder Akteur kann also zumindest auf ein geringes Machtpotenzial zurückgreifen - wenigstens in der Form der Verweigerung. Herrschaft ist verfestigte und legitimierte Form der Macht. Sie ist der legitime Anspruch eines Akteurs oder einer Gruppe auf die Folgebereitschaft anderer. Der mikropolitische Ansatz koppelt Macht nicht an Herrschaft. Würde ein Ansatz genutzt, der Macht an
„formale Hierarchie, also allein an Herrschaft, koppelt, dann wäre die Frage nach Möglichkeiten von Machtverschiebung im Geschlechterverhältnis eine rhetorische, denn auf den machtvollen formalen funktionsebenen dominieren nach wie vor Männer, die kaum freiwillig ihre Macht- und Herrschaftspositionen zugunsten von Frauen und im Sinne der Umverteilung aufgeben (Wiechmann 2006: 18).
3.2 Was ist „Geschlecht“?
Eine allgemeingültige Aussage über Geschlecht lässt sich nicht treffen. Die Bedeutung des „Geschlechts“ in einer Gesellschaft wird von der vorherrschenden Geschlechterstereotype determiniert (vgl. Mucha 2015: 174). Der deutsche Begriff Geschlecht bezieht sich auf das biologische Geschlecht. Er ist eine Zustandsbeschreibung, eine Person ist ein Mann oder eine Frau. Die Zustandsbeschreibung sieht nicht vor, dass sich eine Person wie ein Mann oder eine Frau verhält, die soziale und interaktionale Ebene wird nicht mit einbezogen. Mit dem englischen Lehenwort "Gender“ wird die Dimension des menschlichen biologischen, binären Geschlechts (männlich/weiblich) um die soziale Dimension erweitert. Gender ist eine Kategorie, mit der eine vorgegebene Realität interpretiert und in soziale Modelle übersetzt wird (vgl. Funk 2018:86). Im Allgemeinen wird das Geschlecht auf Grund seiner Präsenz für genetisch bedingt gehalten. Gender ist jedoch etwas, das von der Gesellschaft produziert wird und nicht durch die Biologie. Anhand sekundärer Geschlechtsmerkmale wird versucht, ein Individuum in die Kategorie „männlich“ oder „weiblich“ einzuordnen. Die für die sekundären Geschlechtsmerkmale verantwortlichen Hormone bringen jedoch keine soziale Weiblichkeit oder Männlichkeit hervor.
Das Gender etwas ist, was gemacht werden kann, bringt bereits Simone de Beauvoir mit ihrem Satz „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“ (Beauvoir 1992: 334) zum Ausdruck. Man wird also nicht als Frau geboren, sondern dazu gemacht. Der Sortiervorgang in eines der beiden binären Geschlechter beginnt bereits nach der Geburt mit der Zuweisung des biologischen Geschlechts. Durch die Zuweisung des Namens, der geschlechtsspezifischen Kleidung, Frisur und Spielzeug wird der Genderstatus manifestiert. Der für die Umwelt vermeintlich ersichtliche Geschlechtsstatus ist verantwortlich dafür, dass das Individuum anders behandelt wird, als wenn es dem anderen Geschlecht zugeordnet wird (vgl. Lorber 1999: 56). Durch vergeschlechtlichte Normen und Erwartungen werden Beispielweise Gefühle, Wünsche und das Bewusstsein des Individuums geprägt. Das Individuum wird zu dem, was „weiblich“ oder „männlich“ ist. Gender wird zur Identität des Individuums (vgl. Butler 1991: 37ff.). Die Geschlechtsidentität ist die „wiederholte Stilisierung des Körpers“ (ebd.: 60), um der gesellschaftlichen Norm des zugewiesenen Geschlechts zu entsprechen.
Scott definiert Gender als: „Gender is a social Category imposed on a sexed Body“ (Scott 1986: 1056). Für Scott ist „Gender […] a primary way of sgnifying relationships of power“ (ebd.: 1067). In diesem Satz wird deutlich, dass durch die soziale Kategorisierung die Gesellschaft hierarchisiert wird. Das Geschlechtsunterschiede sozial und nicht biologisch konstruiert sind, zeigt sich unter anderem daran, dass beide Geschlechter sich wie das andere verhalten können, weil ihnen die sozialen Verhaltensnormen bekannt sind. Geschlecht ist ein „erlerntes, diffuses Rollenverhalten“ (vgl. Goffman 1994 105), welches das Handeln beeinflusst, aber nicht determiniert. Das Handeln des Individuums wird immer neu an den Verlauf der Interaktion angepasst und durch Fremderwartungen wie auch durch Eigenerwartungen beeinflusst. Ausgehend vom biologischen Geschlecht als Basis, unterscheidet Abele (2013) zwischen dem Geschlecht als psychologisches (Innenperspektive) und dem Geschlecht als soziales (Außenperspektive) Merkmal, um den Einfluss des Geschlechts auf Prozesse das Berufs- und Privatleben zu verdeutlichen. Die Innenperspektive beinhaltet das Selbstkonzept der Individuen wie auch eigene Erwartungen, Wünsche und Ziele. Die Außenperspektive bezieht sich auf Geschlechterrollen und Normen, die an das Individuum gestellt werden. „Diese Erwartungen beeinflussen die Interaktion zwischen den betroffenen Personen und die Bewertungen, die man über das Verhalten der als „Frau“ oder „Mann“ erkannten Person abgibt (Abele 2013: 44).
„Wir sorgen dafür, uns so zu geben, dass ein Erkennen unserer sex category „sofort“ möglich ist und wir erwarten gleiches von unserem Gegenüber“ (Faulstich- Wieland 2004: 180). Darstellungen verbinden das Individuum mit der Gesellschaft, da die Darstellung kulturelles Wissen wie auch Individualität beinhaltet (ebd.: 181). Die in Anspruch genommene Geschlechtskategorie muss durch andere Personen bestätigt werden. Geschlecht ist also nicht biologisch und unveränderbar, sondern entsteht durch soziale Situationen und wird von Individuen hervorgebracht (vgl. Gildemeister/Hericks 2012: 205). Personen werden auf ihren Geschlechtsstauts festgelegt, der vorgibt, wie sie sich situativ angemessen zu verhalten und zu handeln haben. Verhält sich eine Frau zum Beispiel situativ konträr zu ihrem zugewiesenen Geschlechtsstatus, indem sie zum Beispiel in Konkurrenzsituationen „mannhaft“ handelt, agiert sie aus sozialer Perspektive männlich, auch wenn sie aus eigener Sicht noch immer eine Frau ist (vgl. ebd. 206).
Für den Prozess des „Machens“ von Geschlecht prägten West und Zimmermann (1987) den Begriff „doing Gender“. Er beschreibt den fortwährenden Prozess der Herstellung von Geschlechtszugehörigkeit und -identität. „doing Gender“ ist ein alltäglicher wie unvermeidbarer Prozess, der in Alltagssituationen eingebettet ist und diese strukturiert. „doing Gender“ ist die Präsentation des Individuums, welche wiederum vom Gegenüber bestätigt wird. Gender als soziales Geschlecht wird als im kulturellen Wissen angelegtes Verhaltensmuster interpretiert. Das bedeutet, dass nicht nur das einzelne Individuum mit seinen handlungsentwürfen und Motiven im Fokus steht, sondern die soziale Situation, wenn zwei oder mehr Menschen aufeinandertreffen, die sich wechselseitig wahrnehmen und in Bezug aufeinander reagieren können und müssen (vgl. Goffman 1994: 55). Das kulturelle System der Binarität der Geschlechter ist überaus wirkungsmächtig. Das zeigt sich daran, dass bei abgeschlossener Identifizierung einer Person als männlich oder weiblich, alle folgende Handlungen im Sinne der vermeintlich natürlichen Geschlechtszugehörigkeit gedeutet werden. West und Zimmermann gingen daher davon aus, dass es nicht möglich sei, „Gender“ nicht „zu tun“ (vgl. Gildemeister 2012: 206 ).
Hirschhauer (1994) stellt den Ansatz im Rahmen des „undoing Gender“ zum Teil infrage, für ihn ist ein „undoing Gender“ denkbar. Ebenfalls wird die Sichtweise in Bezug auf andere gesellschaftliche Kategorien wie zum Beispiel strukturierende Klassifikationen wie „race“ und „class“ in Frage gestellt, die gemeinsam mit „Gender“ auftreten und „Gender“ in den Hintergrund treten lassen können („doing difference“) (West/Fenstermaker 1995). West/Zimmermann (2009) weisen rückblickend auf ihr Konzept darauf hin, dass „doing Gender“ ein Instrument ist, mit dem Prozesse der Herstellung von Geschlecht und der Kontext, in welchem dieses Herstellen stattfindet, analysiert werden kann.
Ich halte den Ansatz des „doing Gender“ trotz der Kritik für die vorliegende Arbeit für geeignet, da bereits im Kleinkindalter mit der Sprachentwicklung die Bedeutung von Symbolen (dazu gehört auch das Geschlecht) angelegt wird, und die Erfahrungen teilweise bewusst bleiben (vgl.: Klein 2004: 625 ff). Im Laufe der Entwicklung verfestigen sich diese (Geschlechter-) Symbole zu Stereotypen. Das bedeutet auf die vorliegende Arbeit übertragen beispielweise, dass Tätigkeiten als Frauen- oder Männertätigkeiten deklariert werden, Positionen wie eine Führungsposition als männlich, Arbeitskräfte als Frauen oder Männer wahrgenommen werden und dass in Interaktionen, in denen Stereotype bedeutsam gemacht werden, „doing Gender“ unvermeidlich ist. Tonn stellt in diesem Zusammenhang fest, dass ein „undoing Gender“ möglich ist, aber erst, wenn die Frauen sich an der Führungsspitze befinden. Dann wird ihnen die gleiche Bewunderung und der Respekt entgegengebracht wie Männern in Führungspositionen. Dann steht nicht das Geschlecht im Vordergrund, sondern die erbrachte Leistung (vgl. Tonn 2016: 205 ff).
Frauen in Führungspositionen befinden sich zwischen „doing Gender“ und „undoing Gender“. Wie weiter oben angeführt, wird einerseits in der Interaktion mit Frauen geschlechtsrollenkonformes Verhalten erwartet und anderseits muss die Betonung der eigenen Geschlechtszugehörigkeit vermieden werden, um keine großen Differenzen zu männlichen Kollegen entstehen zu lassen und um die eigene Individuelle Leistung, nicht das Geschlecht in den Vordergrund treten zu lassen. „Gender“ determiniert nicht den zukünftigen Platz am Arbeitsmarkt. Dennoch ist zum jetzigen Zeitpunkt ein Unterschied bei der Verteilung von Macht, Ressourcen und der gesellschaftlichen Anerkennung zwischen Männern und Frauen auszumachen (vgl. Wiechmann 2006: 30). Es ist mir bewusst, dass „doing Gender“ dazu anregt, Unterschiede zwischen Frauen und Männern hervorzuheben, Gemeinsamkeiten aber vernachlässigt. Es ist jedoch von Bedeutung, mögliche Zusammenhänge des unterschiedlichen Umgangs mit Macht und den daraus folgenden Konsequenzen nicht unabhängig vom Geschlecht zu betrachten und den Fokus auf mögliche geschlechtsrelevante Ursachen zu richten. „doing Gender“ ist ein geeignetes Werkzeug für empirische Analysen, wenn es darum geht, Prozesse der Herstellung von Geschlecht und der damit einhergehenden Ungleichheit sowie den Geschlechtsspezifischen Umgang mit Macht zu untersuchen. Dies wird im folgenden Kapitel erleutert.
3.3 Geschlechtsspezifischer Umgang mit Macht
Frauen und Männer gehen unterschiedlich mit Macht um, was unter anderem auf geschlechtsspezifisches Konkurrenzverhaltens zurückzuführen ist (vgl. Rastetter 2007: 92). Frauen lösen Konkurrenz in Form der Geltungshierarchie, Männer in Form der Dominanzhierarchie (vgl. ebd.). Während die Dominanzhierarchie einer Hackordnung ähnelt, vergleicht Keuthen (2004) die Geltungshierarchie mit einem Krabbenkorb. Keiner Krabbe ist es möglich dem Korb zu entkommen, da sie von den anderen immer wieder heruntergezogen wird, ganz nach dem Motto: „was ich nicht haben kann, sollst du auch nicht haben“. Diese Metapher, übertragen auf eine Gruppe weiblicher Angestellter, bedeutet Folgendes: Wenn eine Kollegin besonders herausragt, besser oder anders ist, wird dies von der Gruppe sanktioniert. Rastetter hält es für denkbar, dass ein Grund dafür die Wünsche der weiblichen Angestellten (Wärme, Verständnis und Einfühlungsvermögen), die an weibliche Führungskräfte gerichtet werden, sein können (vgl. Rastetter 2007: 93).
Menschen mit einer Aggressionshemmung zeigen wenig Machtstreben. Sie steigen selten in eine Führungsposition auf oder behalten eine Führungsposition lang, obwohl sie fachlich geeignet sind (vgl. Haubl 2007: 101). Die Aggressionshemmung ist nicht geschlechtsneutral (vgl. ebd. Goodrich 1994). Besonders Frauen mit tradiertem Geschlechtsrollenverhalten zeigen eine ausgeprägte Aggressionshemmung, da ihr Selbstbild das Ausleben von Aggressionen nicht vorsieht. Durch Zuschreibungen wie „konstitutionelle Friedfertigkeit“ und „größere Zivilisiertheit“ der Frauen wird das negative Karrierehindernis positiv verschleiert (vgl. ebd.). Aggressionen sind jedoch nicht auf das männliche Geschlecht beschränkt. Sie sind bei beiden Geschlechtern in gleichem Maße vorhanden. Aufgrund unterschiedlicher Prozesse unterscheiden sich männliche und weibliche Aggressionen jedoch im Laufe des Heranwachsens. Wenn Frauen ihr Aggressionspotential nicht anerkennen, bleibt es für sie schwierig, Machtkämpfe zu gewinnen. Frauen erleben Selbstbehauptung als zerstörerisch, weshalb sie Machtkämpfe und der damit einhergehenden Konfrontation mit sich selbst meiden. Sie neigen dazu, Fehler als persönliches Versagen aufzunehmen. Bischoff- Köhler (2007) zeigt in ihrem Beitrag auf, dass Frauen ihre Erfolgschancen realistischer einschätzen als Männer und den Kampf bei geringer Erfolgschance nicht aufnehmen. Männer hingegen versuchen ihr Glück auch bei sehr geringer Aussicht auf Gewinn. Während Frauen den eigenen Erfolg günstigen äußeren Umständen zuschreiben, das Versagen jedoch als eigens verursachtes wahrnehmen, schreiben Männer ihr Versagen ungünstigen äußeren Umständen zu und Erfolg ihren Fähigkeiten (vgl. Haubl 2007: 104). Das lässt Frauen defensiver handeln, auch beim Proklamieren einer Leitungsposition oder dem Aufzeigen ihrer Leistungen.
Ich möchten deutlich machen, dass es Frauen durch die geschlechtsspezifische Sozialisation erschwert wird, „Macht“ in ihr Selbstkonzept zu integrieren und sich im Kampf um knappe Ressourcen wie eine Führungsposition zu behaupten. Wenn sich Frauen dieser Tatsache bewusstwerden und den Wunsch nach Macht in ihr Selbstkonzept integrieren, ist es einfacher für sie, in Konkurrenzsituationen souverän zu reagieren, in Machtkämpfen zu bestehen und in eine Führungsposition aufzusteigen.
4. Theoretischer Rahmen: Mikropolitik
Seit einigen Jahren beschäftigt sich die Forschung mit dem Thema der Mikropolitik, dennoch existiert bisher keine einheitliche Definition. In diesem Abschnitt soll das Verständnis von Mikropolitik, wie es der vorliegenden Arbeit zu Grunde liegt, aufgezeigt werden. Ausgangspunkt ist die Arbeit „die Zwänge kollektiven Handelns“ von Crozier und Friedberg (1993), in der die Autoren den Fokus auf die Beziehung zwischen Akteur und System, Handlung und Struktur, Freiheit und Zwang legen (vgl. Crozier/ Friedberg 1993: 1ff). Im Besonderen beziehe ich mich auf die Erweiterung des Ansatzes durch Günther Ortmann (1992), um „Dualität und Struktur“ welche an die Arbeit von Anthony Giddens (Kießling 1988) anknüpft. Dualität und Struktur bedeuten hier, dass das Handeln der Akteure durch die Struktur der Organisation beeinflusst wird. Die Akteure wiederum die Strukturen produzieren und reproduzieren, in denen sie handeln, weshalb sich der Ansatz besonders dafür eignet, den Erhalt der Geschlechterordnung in Organisationen zu erklären.
Besonders im Führungsbereich ist aktive Einflussnahme auf das Geschehen von Bedeutung. Der Aufstieg in eine Führungsposition zeigt an, dass ein Akteur seine Interessen gegenüber denen anderer Akteure durchsetzen konnte, was den Aufstieg in eine Führungsposition zu einem Handlungsfeld der Mikropolitik macht. Mikropolitische Ansätze heben die Interessen des Einzelnen hervor und determinieren die Vorstellung einer endgültigen organisationalen Rationalität. Sie stellen den Gedanken eines „one best way“ in Frage (Crozier/Friedberg 1993: 81). Das bedeutet, dass der Blick der mikropolitischen Analyse auf das kontingente Handeln der Akteure gerichtet wird, also auf unterschiedliche Wege der Problemlösung. Der mikropolitische Ansatz eignet sich für die vorliegende Untersuchung aufgrund seines Macht- und Akteurverständnisses, da Akteure auch unabhängig von der Hierarchieebene mehr oder weniger Macht besitzen. Treten die Akteure miteinander in Kontakt, entsteht eine Beziehung, in der die Macht zum Ausdruck kommt. Macht ist, wie oben gezeigt, ungleich verteilt. Dennoch ist kein Akteur völlig machtlos.
Mikropolitik beschreibt politische Prozesse in Organisationen und nicht auf der Ebene des Staates. Durch den auf organisationale Innenpolitik gerichteten Fokus grenzt sie sich von den Politikwissenschaften ab. Mit dem Begriff Mikropolitik wird ein dynamisches und prozesshaftes Handeln in Organisationen beschrieben, dass durch die Verwirklichung der eigenen Ziele ihrer Mitglieder gestaltet wird. Diese Ziele werden durch den Einsatz von Strategien und Taktiken erreicht, die dazu dienen, Macht aufzubauen. Die gewonnene Macht wird eingesetzt, um sich der Kontrolle anderer zu entziehen, den eigenen Spielraum zu vergrößern, das eigene Verhalten für andere Unvorhersehbar zu machen und um die eigenen kontrollierten Ungewissheitszonen zu vergrößern. Im mikropolitischen Verständnis ist jedes Organisationsmitglied ein Akteur, dessen Handlungsspielraum innerhalb der von allen Akuteren selbst reflexiv reproduzierten strukturellen Grenzen liegt. Die Strukturen und Regeln einer Organisation sind wiederum Einsätze aus vergangenen (Macht)spielen von Organisationsmitgliedern (vgl. Friedberg 1992: 45).
In Organisationen treffen unterschiedliche Rationalitäten aufeinander, weil ihre Mitglieder nicht nur passiv Aufgaben erfüllen, sondern eigenständige Individuen mit eigenen Zielen, die nicht immer denen der Organisation entsprechen müssen, sind. Die Rationalität der Organisation ist somit Ergebnis der Mikropolitik in der Machtpotenzial und Interessenkonflikt aufeinanderprallen. Organisationen werden in mikropolitischen Ansätzen nicht als zweckrationelle, an ökonomischen Zielen ausgerichtete Systeme gedacht, sondern als „Arenen“ interessengeleiteter Machtkämpfe und Aushandlungsprozesse, in denen Entscheidungen sequenziell und nicht synoptisch getroffen werden. Alles Handeln und Entscheiden in Organisationen ist kontingent und „irgendwo zwischen absolutem Zwang und grenzenloser Freiheit“ angesiedelt und schließt auch die „begrenzte Freiheit zur Unvernunft ein“, wodurch sich der Begriff von organisationaler Rationalität verflüchtigt (vgl. Ortmann 1992: 29). Der Kontingenzbegriff betont die Freiheiten und Möglichkeiten der Akteure einer Organisation. Dem gegenüber steht der Begriff des „Entscheidungskorridors“ (Ortmann/Becker 1995: 37ff). Er bezeichnet die strukturellen Zwänge und Abhängigkeiten der organisationalen Akteure. Ortmann betont, dass Entscheidungskorridore sozial konstruiert sind, sie sind das Produkt von Handlungen und Entscheidungen (vgl. ebd.).
Aufgrund des induktiven und qualitativen Vorgehens wird an mikropolitischen Ansätzen der methodische Zugang kritisiert. Zum einen beziehen sich mikropolitische Ansätze auf Fallstudien, zum anderen ist der Fokus auf das kontingente Handeln gerichtet. Beides erschwert, dass allgemeine Aussagen getroffen werden können (vgl. Bogumil 2001: 70). Dennoch überwiegen die Stärken des Ansatzes gegenüber den Schwächen (vgl. ebd.). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit stellt die Mikropolitik einen wichtigen Faktor dar, da Frauen in Führungspositionen zu ihrem Aufstiegsprozess befragt werden. Zum einen werden beim Aufstieg in eine Führungsposition eigene Interessen durchgesetzt, zum anderen können der Aufstiegsprozess in eine höhere Position wie auch das Management einer Organisation selbst als mikropolitische Kampfarena betrachtet werden.
4.1 Das Spiel als Instrument organisierten Handelns
Das Spiel als Instrument des organisierten Handelns ist ein zentrales Konzept von Crozier und Friedberg, das Freiheit und Zwang vereint (vgl. Crozier/Friedberg 1993: 68). Es beschreibt die Funktionsweise einer Organisation als Ergebnis von Spielen und löst die taylorsche Maschinenmetapher (Taylor 1919) von Organisationen ab, in der eine einzige Rationalität das „Räderwerk“ der Organisation antreibt (vgl. Crozier/Friedberg 1993: 56). Das Spiel als mikropolitische Aktivität ordnet die Handlung der Akteure untereinander, es regelt Handlung und Verhalten in Organisationen durch Spielregeln. Je abhängiger ein Spieler, desto größer ist der Zwang zum Mitspielen (vgl. Ortmann 1988: 22). Die Spiele können dabei ungerecht und asymmetrisch sein, wobei dies kontextabhängig. Die Spielmetapher symbolisiert das gleichzeitige Vorhandensein von Freiheit und Zwang und vermittelt zwischen Akteur und System. Das Spiel ist ein Integrationsmechanismus, der zwischen der Freiheit des Einzelnen und dem Zwang der Organisation und zwischen der Verschränkung von Kontrolle und Konsens vermittelt. Es verhindert den Zerfall der Organisation und stellt sicher, dass Akteure bei der Verfolgung ihrer Strategien auch Beiträge leisten, die indirekt, weil nicht von unmittelbarem Nutzen für die Teilnehmer, den Bestand der Organisation sichern. Das primäre Ziel der Akteure ist folglich das Weiterspielen, um den Zerfall der Organisation zu verhindern, vor dem Ziel, den eigenen Gewinn zu optimieren. Mikropolitische Spiele sind konstituierend für Organisationen, weshalb sie überall gespielt werden. Die Grundlage und das Gerüst der Funktionsprozesse jeder Organisation ist die Durchsetzung der (Spiel-) Strategien, die Macht und Tauschbeziehungen erzeugen.
Ortmann versucht den Spielbegriff von Crozier und Friedberg zu präzisieren, indem er zwei sich widersprechende Handlungslogiken unterscheidet: Innovations- und Routinespiele, wobei das übergeordnete Spiel das Kooperationsspiel bleibt, um den Erhalt der Organisation zu sichern. Ziele des Innovationsspiel sind u.a. Modernisierung und Rationalisierung. Das Ziel der Routinespiele ist der Erhalt der organisationalen Routine, da sich dadurch die Gewinne und Verluste abschätzen lassen. (vgl. Ortmann/Becker 1995: 63ff.) Die Logik der Innovationsspiele ist die Veränderung der Routinespiele. Durch den Eingriff der Innovationsspiele in die Spielstruktur der Routinespiele verändern sich die Gewinnchancen der Akteure (vgl. ebd.). Dadurch sind Gewinn, Verlust und andere Akteure nicht mehr gut einschätzbar. Wenn Innovationsspiele die Logik der Routinespiele bedrohen, ist ein mikropolitischer Konflikt unausweichlich. Wenn mehr Frauen in Führungspositionen aufsteigen wollen und sollen, werden zwangsläufig Routinen und damit einhergehend auch die Sicherheit, die durch Routinen entstehen, verändert. Die Logik der Routine sieht inkrementelle Veränderungen vor. Die Logik der Innovation, wie beispielweise einer Geschlechterquote, stellt eine allumfassende Veränderung dar, mit Widerstand ist zu rechnen.
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abb 6: Logik der Innovation und Logik der Routine, Quelle: Wiechmann 2006: 47.
4.2 Dualität von Struktur und Handlung
Ortmann möchte in Anlehnung an Giddens die Unterbelichtung der Strukturaspekte korrigieren und greift dabei Giddens Gedanken von „Dualität von Struktur“ auf. Das Konzept basiert auf dem Gedanken, dass Struktur zum einen Medium des Handelns und zum anderen sein Produkt ist (vgl. Ortmann 1995: 58). Giddens beschreibt die wichtigsten Punkte des Strukturierungsansatzes wie folgt:
„Interaktion wird von mir im Verhalten von Subjekten konstituiert; Strukturierung als Reproduktion von Handlungsweisen bezieht sich abstrakt auf dynamische Prozesse, durch die Strukturen erzeugt werden. Unter Dualität von Strukturen verstehe ich, daß gesellschaftliche Strukturen sowohl durch das menschliche Handeln konstituiert werden als auch zur gleichen Zeit das Medium dieser Konstitution sind“ (Giddens 1984: 148).
Durch die Erweiterung der Machtquellen (Kapitel 3.1) von Crozier und Friedberg und durch den Aspekt der Struktur durch Ortmann, wird nun auch die Verteilung von Ressourcen erfasst. Die Verteilung von Ressourcen ist ein wichtiger Aspekt, wenn es darum geht, aufzuzeigen, warum eine Gruppe (Männer) leichter in eine Führungsposition aufsteigt als die andere (Frauen). Wird die Verteilung von Ressourcen erfasst, steht nach Ortmann ein Instrument zur Verfügung, mit dem beschrieben werden kann, auf welche Modalitäten sich ein mikropolitisches Handeln bezieht (vgl. Ortmann/ Becker 1995: 59). Aus der Durchsetzung von Interessen kann nun die reale Machtstruktur einer Organisation rekonstruiert werden. Die Monopolisierung der Ressourcen kann zum Beispiel dazu dienen, Konkurrenz durch die Frauen abzuwehren. Steigen mehr Frauen in Führungspositionen auf, müssen Männer nicht nur mit Männern, sondern zusätzlich auch mit Frauen um Ressourcen konkurrieren. Frauen in Führungspositionen befinden sich im Vergleich mit den Männern in der Unterzahl, sie besitzen weniger Ressourcen und damit auch weniger Macht. Verhandeln kann aber nur, wer etwas zum Austausch anzubieten hat, das ist, wie weiter oben gezeigt, aus mikropolitischer Sicht ein entscheidender Punkt.
Nach Ortmann ist Struktur das Produkt aber auch Medium des menschlichen Handelns (vgl. Ortmann 1992: 22). Strukturen machen das Handeln erst möglich und werden dennoch durch menschliches Handeln konstituiert und reproduziert (vgl. ebd.). Das bedeutet, dass die Akteure einer Organisation ihr Handeln nach den Strukturen der Organisation ausrichten, was dazu führt, dass sich dieses Handeln zur sozialen Praktik verfestigt und zur Regel wird, die das soziale System aufrechterhält. Daraus folgt, dass diese Regeln nur existieren, weil sie durch das soziale Handeln reproduziert werden. Würde niemand sein Handeln nach den Regeln ausrichten, würden sie aufhören zu existieren (vgl. ebd.: 57).
4.3 Mikropolitische Strategien
Im akteurszentrierten Ansatz von Crozier und Friedberg gehen Akteure Strategien nach, die ihrer eigenen Rationalität entsprechen. Diese Strategien sind nur Spielweisen und es ist die Beschaffenheit des Spiels, die ihnen Rationalität verleiht. Die Auswahl der Strategie fußt auf einer aktiven Wahl zwischen mehreren Möglichkeiten, die den Akteuren nicht immer bewusst sind und nicht immer identisch mit ihrem Willen sein müssen. Wenn die Auswahl der Strategie dem Akteur nicht immer bewusst ist, kann nicht in jedem Fall von manipulativem Verhalten im machiavellistischen3 Sinne gesprochen werden. Vielmehr dient der Strategiebegriff dazu, Strukturen zu erkennen, nicht Motivationen (vgl. Bogumil 2001: 57). Die Strategien eines Akteurs sind die „ex-post gefolgerten Rationalitäten“ die aufgedeckt werden (vgl. ebd.). Die gewählte Strategie wird nicht in ein Modell der vollständigen Rationalität eingeordnet. Crozier und Friedberg gehen von begrenzter Rationalität und von satisficing4 aus. Der Akteur wählt bei der Problemlösung die erste Lösung, die „einer minimalen Befriedigungsschwelle entspricht“ (vgl. Crozier/Friedberg 1993: 33).
Die Durchsetzung der von den organisationalen Akteuren gewählten Strategien erzeugen Macht und Tauschbeziehungen. Diese Tauschbeziehungen stellen die notwenige Vermittlung der vom einzelnen verfolgten widersprüchlichen Ziel dar und sind die Grundlage und das Gerüst der Funktionsprozesse jeder Organisation. Im folgenden Unterkapitel stelle ich weibliche mikropolitische Strategien heraus.
4.3.1 Weibliche mikropolitische Strategien
Es existieren eine Vielzahl an weiblichen Rollen, von denen jede ihre eigenen Risiken birgt (Rastetter/Jüngling 2018: 35). Im Folgenden werden vier davon skizziert, wobei die ersten drei traditionell weibliche Rollen darstellen. Aufgrund ihrer Sozialisation nehmen Frauen klassisch weibliche Rollen ein, weil ihnen diese sozial und emotional vertraut sind. Dazu gehören die Mutterrolle, die Mädchenrolle und die Rolle der Verführerin. Die Rollenübernahme sichert soziale Anerkennung und Bestätigung durch das Umfeld und das Identitätsgefühl als Frau (vgl. ebd.). Die klassischen Rollen werden nicht nur von den Männern angeboten, sondern auch von den Frauen selbst angenommen (vgl. Rastetter 2007: 85), was nicht unbedingt negativ sein muss, da Frauen in der Mikropolitik diese Rolle auch für das Erreichen ihrer Ziele nutzen können. Die klassischen Rollen können von Frauen ausgeübt werden, um ihren mikropolitischen Handlungsspielraum zu vergrößern. Sie müssen dennoch in der Lage sein diese Rollen auch wieder abzulegen, damit sich die Gefahr, in diesen gefangen zu bleiben, verflüchtigt. Ich möchte betonen, dass Frauen sich darüber bewusst sein müssen, dass die klassischen Rollen nicht zu einer Gleichberechtigung führen können, da sie das stereotypische Bild der Frau verfestigen und auch von Gegnern genutzt „werden können, um Frauen zu behindern und abzuwehren“ (vgl. ebd.: 88).
Die Mutterrolle (Rastetter/Jüngling 2018: 37 oder auch Rastetter 2007: 85) beschreibt die stereotypische Vorstellung der geduldigen, sensiblen, sozial kompetenten, fürsorglichen und organisierten Mutter. Die Mutter hat die Binnenmacht, während der Vater die erste Autorität innerhalb der Familie darstellt. Das bedeutet, dass die Mutterrolle lediglich über innere Macht verfügt, jedoch nicht über öffentliche Macht. Als mütterliche Führungskraft verfügt sie über die Macht, Zuwendung zu geben und zu nehmen und Mitarbeiter zu bevorzugen. Auf der anderen Seite trägt sie aber das Risiko, sich zum „seelischen Mülleimer“ zu entwickeln und gemäß ihrer unterstützenden Funktion für die Gruppe bewertet zu werden als nach ihren eigenen Leistungen (vgl. Rastetter 2007: 86). Das kann dazu führen, dass sie die Mutterrolle nicht mehr ablegen kann, und ihre Ideen und Projekte abgelehnt werden, da sie bereits die Mutterfunktion übernommen hat.
Der Typ der Tochter- und Mädchenrolle (Rastetter 2007: 86) ist unkompliziert und natürlich, sie bestätigt Männer in ihrer Männerrolle. Sie gibt den Männern Bewunderung für Ihre Leistung. Außerdem wird eine Geschlechterhierarchie hergestellt, wodurch die Bedrohung vermindert wird, die von einer gleichgestellten Frau ausgehen kann. Frauen können sich durch die Mädchenrolle auch Vorteile verschaffen, weil sie dann eventuell beruflich durch die Männer gefördert werden, wenn der Mann sich, ähnlich wie ein Vater, für das Vorrankommen seiner Tochter einsetzt. Die Frau in der Mädchenrolle erfährt Akzeptanz, jedoch keinen Respekt auf Grund ihrer Leistung. Der Erfolg bei der Einnahme dieser Rolle in höhere Hierarchieebenen aufzusteigen ist eher unwahrscheinlich (vgl. Rastetter 2007: 87).
Die Verführerin (Rastetter 2007: 87) versteht es, die Männer zu umgarnen, um ihr Ziel zu erreichen. Wie die Mädchenrolle bestätigt die Verführerin die Männer in ihrer Männerrolle, jedoch auf eine subtile, erotische Art, was sich als problematisch erweisen kann. Männer konkurrieren untereinander um die Verführerin, aber nicht mit ihr um eine höhere Position. Die Gefahr dieser Rolle besteht darin, dass Männer negativ auf Ablehnung der Verführerin reagieren können. Mit Eifersucht und Rivalität ist zu rechen. Eine weitere Gefahr besteht darin, dass die Frau als Sexualobjekt betrachtet wird, wodurch ihre professionelle Rolle Abwertung erfährt. Geht sie eine erotische Beziehung mit einem Mann mit hohem Status ein, um von ihm gefördert zu werden und Macht zu erhalten, begibt sie sich in eine Abhängigkeit. Durch das Misstrauen und sie Skepsis der männlichen wie auch weiblichen Kollegen ist ihre Integration in die Gruppe erschwert. Außerdem ist diese Rolle nicht geeignet, die Kooperation und Kommunikation unter Frauen zu stärken (vgl. Rastetter 2007: 87).
Rastetter und Jüngling gehen in ihrer jüngeren Untersuchung noch auf einen weiteren Typ ein: die Amazone (Rastetter/Jüngling 2018: 41). Dieser Typ zählt nicht zu den traditionellen Rollen, sondern stellt das Urbild einer starken kämpferischen Frau dar, die sich mit anderen Frauen verbündet, um Einfluss zu erlangen. Sie stellt die einzige Rolle dar, mit der Geschlechtergleichheit hergestellt werden kann, jedoch ist mit Widerstand und Abwertung („Emanze“, „eiskalte Karrierefrau“) der Männer zu rechnen. Für die Amazone ist das Networking mit professionellen Frauen selbstverständlich, was eine erfolgversprechende mikropolitische Strategie darstellt (vgl. ebd.).
Eine weitere Strategie von Frauen ist die Anpassungsstrategie (vgl. Rastetter 2007: 88). Frauen in Führungspositionen lehnen die klassischen weiblichen Rollen eher ab und gehen davon aus, dass sie am ehesten Erfolg haben, wenn sie sich nicht traditionell verhalten. Sie beschreiben ihr Handeln in Führungspositionen nach dem männlichem Managermodell (vgl. ebd.). Rastetter geht davon aus, dass Frauen Ähnlichkeit herstellen wollen, um Vertrauen zu erlangen, während Männer die Unterschiede vornehmlich betonen, vermutlich auch, um ihre Machtposition zu erhalten. Die Anpassung kann von Frauen aktiv betrieben werden. Sie nehmen die Rollen an, um sie kompetent zu spielen und verlassen sie wieder, was ein hohes Maß an Selbstreflexion erfordert (vgl. Rastetter 2007: 89). Verlassen die Frauen diese Rollen nicht, besteht die Gefahr der Selbstentfremdung (vgl. ebd.).
Müssen Frauen sich mehr an die Männerwelt anpassen, um aufzusteigen und Macht zu erlangen? Oder sollen sie gegenteilig handeln und Ihre stereotypisch weiblichen Eigenschaften hervorheben? Diese Fragen werden in der Literatur vielfach aufgegriffen. Während einige Autoren eine der beiden Strategien bevorzugen, wird mehrheitlich das Identity-switching bevorzugt und zum taktischen Einsatz von situationsangemessenen Verhaltensrepertoires geraten. Diese sollten nicht unecht oder taktisch wirken, sondern Teil der weiblichen Identität sein (vgl. Rastetter 2007: 95ff). Jedoch können mögliche Entfremdung und der Zwang, dauerhaft Stärke zeigen zu müssen oder das Ausschalten von Gefühlen wie Angst der Preis dafür sein. Im folgenden Kapitel gehe ich auf die Aneignung von mikropolitischer Kompetenz ein. Durch Selbstreflexion soll die Übernahme von Rollen und mikropolitischen Strategien unterstützt werden.
4.3.2 Mikropolitisches Kompetenzmodell (MKM)
Die Kenntnis und das Nutzen von Mikropolitik ist für den Aufstieg in eine höhere Position auf jeder Hierarchieebene unverzichtbar. Besonders beim Aufstieg in den Führungsbereich (damit ist der politische wie auch der privatwirtschaftliche gemeint) ist aktive Einflussnahme auf das Geschehen zu dem Zweck, sich Vorteile zu verschaffen von Bedeutung. Der Aufstieg in eine Führungsposition zeigt an, dass ein Akteur seine Interessen gegenüber denen anderer Akutere durchsetzen konnte. Diese Interessen werden durch den Einsatz von Strategien und Taktiken erreicht. Mikropolitische Kompetenz bedeutet keineswegs, dass man rücksichtslos seine Ziele verfolgt, sondern eine strategische Haltung einnimmt und positiv wirksame Handlungskompetenz erlernt. Kompetenzen befinden sich auf der Handlungsebene, weshalb sie leichter veränderbar sind als persönliche Eigenschaften.
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abb 7.: Mikropolitisches Kompetenzmodell (MKM). Quelle: Nach Rastetter/Jüngling 2018: 51.
Rastetter und Jüngling entwickelten in Anlehnung an bisherige Kompetenzmodelle das MKM-Modell, um die mikropolitischen Kompetenzen zu systematisieren. Das mikropolitische Kompetenzmodell besteht aus den vier Komponenten „Selbstkompetenz“, „Sachkompetenz“, „Aktivitätskompetenz“ und der „sozialen Kompetenz“. Das MKM-Modell von Rastetter und Jüngling bietet eine Anleitung, mikropolitische Strategien und Taktiken in das Selbstkonzept zu integrieren.
Das Modell Selbstkompetenz (Rastetter/Jüngling 2018: 51) bezieht sich auf die Integration des mikropolitischen Handelns ins Selbstkonzept. Also darauf, wie das mikropolitische Handeln zum eigenen Vorteil mit dem Bild des eigenen Verhaltens in Übereinstimmung gebracht werden kann. Dieser Punkt ist elementar, weil der Wunsch nach Aufstieg und Erfolg wie auch nach Machtgewinn nicht zum weiblichen Rollenbild gehören. Deshalb werden sie bewusst mit der weiblichen Identität in Übereinstimmung gebracht (vgl.: ebd.). Zu dieser Komponente gehört auch, in welchem Umfang eine aufstiegswillige Frau bereit ist, sich vom weiblichen Geschlechterstereotyp zu distanzieren, um unterschiedliche Rollen zu spielen und flexibel zu nutzen Erst wenn Frauen bereit sind, aktiv Einfluss zu nehmen und dass damit einhergehende Machtstreben in ihr Selbstkonzept zu integrieren, können sie ihre beruflichen Aufstiegsziele erfolgreich verwirklichen und als Führungskraft authentisch sein. Weniger erfolgreiche Frauen lehnen taktisches Handeln stärker ab als erfolgreiche (ebd.: 52).
Die Komponente Sachkompetenz (ebd.: 53) beschreibt die fachlich methodische Kompetenz und bezieht sich auf die Aneignung fachlich und methodischen Wissens der Mikropolitik. Es geht darum, was eine Frau über die Mikropolitik wissen muss. Mikropolitische Konstellationen müssen erkannt und analysiert werden, um die Taktiken zu entschlüsseln.
Als Aktivitätskompetenz (ebd.: 54) wird die Fähigkeit, selbstorganisiert mikropolitisch zu handeln bezeichnet. Allein das Wissen über die Bedeutung von Mikropolitik und die Kenntnis über verschiedene Taktiken ist nicht ausreichend, um auch im täglichen Handeln umgesetzt und angewandt zu werden. Die Kompetenz wird durch das Ausprobieren von Mikropolitik erworben, da die Aktivitätskompetenz auf der Entscheidung zur gezielten Aktivität, Eigeninitiative und Tatkraft basiert.
Der Baustein soziale Kompetenz (ebd.: 54) bezeichnet die Fähigkeit, situativ die passende Strategie zu finden wie auch einen kreativen Umgang mit den vorherrschenden Regeln. Außerdem ist mit diesem Begriff die Fähigkeit gemeint, durch die strategische Analyse der Akteure das Verhalten der Umgebung zu erschließen, um dann die Möglichkeiten von Bündnissen zu erkennen und durch strategische Interessenanalyse die Interessen und Ziele der anderen Akteure.
Das Erlernen mikropolitischer Kompetenz ist ein Prozess. Die einzelnen Kompetenzbausteine werden nicht in einer bestimmten Reihenfolge erlernt, sondern vielmehr aufeinander bezogen. Durch die Aneignung der Kompetenzbausteine entsteht neues Wissen, welches bereits vorhandenes Wissen, Normen und Erfahrungen durch den Reflexionsprozess integriert. Durch diese Synthese entsteht eine neue Handlungsfähigkeit.
5. Empirische Analyse zu weiblichen Führungskräften
In mikropolitischen Ansätzen liegt der Fokus weniger auf der Formalstruktur und den mit ihr verbundenen Machtressourcen, sondern auf der informellen Organisationsstruktur und den sozialen Handlungen. Deshalb werden in der vorliegenden Arbeit die empirischen Ergebnisse aus dem Blickwinkel der Mikropolitik betrachtet. Im folgenden Kapitel wird das methodische Vorgehen erläutert, anschließend die Ergebnisse in Kapitel 5.2.1 und 5.2.2 dargestellt.
5.1 Methode
Für die vorliegende Arbeit habe ich qualitative Instrumente gewählt, da sie zum einen Erkenntnisse über die individuelle Rationalität der Interviewpartner zulassen und zum anderen, weil Machtprozesse empirisch schwierig zu erfassen sind. Als Erhebungsmethode wurde das offene Leitfadeninterview gewählt. Die Interviews wurden virtuell über Zoom von einer Frau geführt. Das Kommunikationsklima war durchgehend positiv. Die Gespräche wurden digital aufgezeichnet und in Textform transkribiert. Die Auswahl der Partnerinnen erfolgte durch Empfehlung oder durch direktes Ansprechen durch die Interviewerin. Die Interviews dauerten zwischen 45 und 60 Minuten und wurden nach der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet (Mayring 2000: 42ff). Bei der Auswertung standen folgende Gesprächssequenzen im Fokus: mögliches mikropolitisches Handeln und in diesem Zusammenhang der Umgang mit Konflikten, Macht, möglichen Hindernissen und Anforderungen, die an die Interviewpartnerinnen von außen gestellt werden. Außerdem die intrinsische Motivation. Bei der Auswertung habe ich mich am Ablaufmodell der zusammenfassenden Inhaltsanalyse nach Mayring orientiert (vgl. ebd.: 60 ff.). Die Auswertung erfolgte in vier Schritten (Paraphrasierung, Generalisierung auf das Abstraktionsniveau, erste Reduktion, zweite Reduktion), bei denen „das Material reduziert wird“ (vgl. ebd.). Die Ergebnisse können im Anhang eingesehen werden.
Die Kriterien für die Auswahl einer Führungsperson waren, dass sie entweder als politische Führungskraft richtungsweisend fungiert (Interviewpartnerin PO1 und PO6), oder dass die Frau Personalverantwortung und aufgrund ihrer hierarchischen Stellung Einfluss auf operative Leistungsprozesse hat (Interviewpartnerinnen W2, W3, W4, W5). Die Interviewpartnerinnen aus der Privatwirtschaft wurden somit nach den Kriterien „Funktion und Hierarchiestufe“ im Unternehmen ausgewählt.
„[…] eine Führungskraft (lässt sich) lediglich anhand der Funktion zusammen mit der Hierarchiestufe im Unternehmen eindeutig identifizieren. Die Hierarchiestufen werden dabei i. d. R. als untere, mittlere und obere Führungsebene bzw. als Lower-, Middle- und Top-Management bezeichnet“ (Tonn 2016: 35).
Bis auf eine Interviewpartnerin waren alle Frauen kinderlos. Ihr Alter lag zwischen 27 und 55 Jahren, die Teamgröße zwischen 2 und 40 Mitarbeitern. Die Kategoriebildung erfolgte induktiv. Andere strukturierende Klassifikationsmerkmale wie „race“ und „class“ wurden nicht mit in die Untersuchung einbezogen, da sich meine Fragestellung auf alle Frauen bezieht.
5.2 Empirische Ergebnisse und Diskussion
Im Folgenden interpretier und diskutiere ich die empirischen Ergebnisse der qualitativen Untersuchung vor dem Hintergrund der theoretischen Ausführungen. In diesem Kapitel werden Ergebnisse dargestellt, die im Zusammenhang mit der Frage stehen, inwiefern Frauen mikropolitisch aktiv waren, um ihre Führungsposition zu erreichen. Weiter ging es mit den Fragen, welche Aufstiegsmotivation hatten sie und wie gingen sie mit Macht und Konkurrenz um? Außerdem wurde über die an sie gestellten Anforderungen und mögliche Aufstiegshindernisse gesprochen. Folglich prüfe ich die in Kapitel 2.1 aufgestellten Thesen:
1. Aufgrund des geringen Anteils von Frauen in Führungspositionen gehe ich davon aus, dass Frauen seltener Mikropolitik nutzen.
2. Frauen entwickeln auf Grund ihrer Sozialisierung und möglichen sozialen Sanktionen ein ambivalentes Verhältnis zur Macht und damit auch zu Führungspositionen.
3. Tradierte Rollenbilder, Stereotypen und die unzureichenden politischen Maßnahmen beeinflussen die Kariereentwicklung von Frauen erheblich negativ.
4. Es geht nicht darum, was eine Frau zu einem Sachverhalt sagt, sondern darum, dass sie überhaupt etwas dazu sagt.
5.2.1 Aufstiegsmotivation und Macht
Während der empirischen Untersuchung zeigte sich, dass die interviewten Frauen nicht aktiv auf eine Führungsposition hingearbeitet haben, und Mikropolitik einen geringen Stellenwert besaß. Vier von fünf Frauen gaben an, eher zufällig in diese Position hineingerutscht zu sein. Das Erreichen der Führungsposition wurde von allen Frauen dem Zufall oder Glück zugeschrieben und weniger der eigenen Leistung.
„[…] das war tatsächlich Zufall“ Po1.
„[…] in die Position einer Führungskraft bin ich mehr oder minder reingeschlittert. Es ist mir angeboten worden“ (W3).
„[…] es ist sowohl Absicht wie auch Versehen […] ich bin da reingewachsen“ (W4).
Diese, in der Studie gewonnenen Ergebnisse bestätigen die theoretischen Erkenntnisse aus Kapitel 3.3. Die befragten Frauen schreiben ihren Erfolg nicht der eigenen Leistung, sondern günstigen äußeren Umständen zu. Ebenfalls haben die Frauen nicht aktiv „Eigenwerbung“ betrieben. Die Stelle wurde entweder frei und sie waren „zur richtigen Zeit am richtigen Ort“ oder die Position wurde ihnen von einer älteren männlichen Führungsperson angeboten. Das zeigt, dass Frauen defensiver handeln beim Aufzeigen ihrer eigenen Leistungen und abwarten, wenn es um das Erreichen einer Führungsposition geht.
Keine Frau gab im Interview direkt an, aus Interesse an Macht, eine Führungsposition besetzen zu wollen. Als Aufstiegsgrund wurde „nicht jeden als Chef“ haben zu wollen und der Wunsch nach Gestaltungsmöglichkeiten (Gestaltungmacht) genannt.
„[…] es kam daher, dass ich gesagt habe, ich kann es besser als andere, und ich möchte nicht jeden als Chef haben“ (W2).
[…] nur im Notfall […] bevor der das macht, mach das lieber ich.“ (W3).
Die Gestaltungsmöglichkeiten scheinen ein wichtiger Faktor für die Zufriedenheit der Frauen mit ihrer Position zu sein. Der Aufstieg in eine nächst höhere Position wird von drei der befragten Frauen nicht aktiv angestrebt, aber auch nicht ausgeschlossen, eine Person strebt den Aufstieg jedoch direkt an (W4).
„[…] ich habe mich dann schon bewusst entschieden, dass mir an der Abteilungsleitung mehr liegt, weil ich dort mehr gestalten kann. Bereichsleiter mag zwar formell höher stehen, man kann aber weniger gestalten“ (W2).
„[…] ich hatte schon den intrinsischen Ehrgeiz […], weil mir die Themen einfach auch wichtig sind und weil ich da auch was zu sagen habe, und ich habe auch eine Meinung zu den Themen“ (PO1).
Es zeigt sich, dass Frauen Gestaltungsmacht möchten und eine Führungsposition einnehmen wollen, sich aber nicht aktiv im mikropolitischen Sinne um diese Position bemühen. Wird ihnen die Stelle jedoch angeboten und/oder erfahren sie Zuspruch, nehmen sie die Führungsaufgabe wahr. Das einige der Frauen sich nicht aktiv um eine Führungsposition bemühten und erst ausreichend Zuspruch erfahren mussten, bevor sie die Führungsposition in Betracht zogen, kann ein Indikator dafür sein, dass Frauen nur dann in den Kampf um eine Führungsposition einsteigen, wenn sie ihre Gewinnchancen um die Position als hoch einschätzen (Kapitel 3.3).
Des Weiteren deuten die Ergebnisse darauf hin, dass These zwei zutreffend sein könnte und Frauen auf Grund ihrer Sozialisierung und möglichen sozialen Sanktionen ein ambivalentes Verhältnis zur Macht haben. Sie möchten Macht (Gestaltungsmacht), diese soll jedoch nicht negativ konnotiert sein. Die Frauen sind mit ihrer Position zufrieden, schließen eine Aufstieg jedoch nicht aus, arbeiten aber aus mikropolitischer Sicht auch nicht direkt darauf hin (bis auf W4).
5.2.2 Umgang mit Konkurrenz und Konflikten, Hindernisse und Anforderungen von außen
Konkurrenz wird von den Interviewpartnerinnen als konstruktiv erlebt. Wichtig sei jedoch Transparenz und dass nicht unfair, sondern offen gespielt wird. Eine Interviewpartnerin aus der Politik gab an, dass Männer „klüngeln“, weil sie sich beispielsweise gegenseitig telefonisch kontaktieren, um Unterstützung einzufordern. Außerdem würden sie sich informell treffen, verdeckt handeln und Informationen für sich behalten. Die befragten Frauen möchten sich jedoch austauschen, netzwerken, voneinander profitieren und offen agieren. Dann wird Konkurrenz auch nicht als negativ, sondern als konstruktiv empfunden.
„[...], wenn alles fair vonstattengeht, […] dann habe ich kein Problem mit Konkurrenz, weil das beflügelt eigentlich noch die Ideenfindung. Aber wenn mir jemand an den Karren fahren will, würde ich das offen ansprechen“ (W3).
„[…] ich gehe sportlich mit Konkurrenz um […], weil Leute dann neue Impulse reinbringen wollen. Das ist ja super wichtig, weil sonst […] bewegt sich überhaupt nichts“ (PO6).
Eine andere Interviewteilnehmerin gab an, taktisch und versteckt zu agieren, wenn es um die eigene oder eine höhere Position geht.
„[…] und mir dann irgendwie überlegen kann, wie ich den anderen ausmanövrieren kann, ohne dass er es merkt. Da tue ich mir so ein bisschen schwer, dann komplett offen zu spielen“ (W4).
Die Arbeit mit anderen Frauen in gleichgeschlechtlichen Gruppen wurde als angenehm und positiv beschrieben, sofern sich diese in gleicher oder ähnlicher Position befinden. Die Aussagen der Interviewpartnerinnen aus der Politik könnten jedoch auf eine Geltungshierarchie in bestimmten Gruppen hindeuten. Eine Teilnehmerin gab an, dass Frauen (ab 35 Jahren und älter), die weniger politisch aktiv sind, schlecht über die aufgestiegenen Frauen sprechen. Außerdem sei auffällig, dass
„[…] wenn es um Themen wie Frauenförderung oder so geht, […] dann sprechen Frauen in gemischten Gruppen anders als in einer Frauengruppe. In der gemischten Gruppe sind sie gegen die Förderung, in der Frauengruppe ist dann plötzlich eine Quote vielleicht gar nicht so schlecht“ (PO6).
Außerdem war bei den Politikerinnen auffällig, dass im Vergleich zu den anderen Befragten im (politischen) Umfeld stark mikropolitisch taktiert wird.
„[…] Frauen, die bei uns irgendwie in ein höheres Amt kommen, also wenn sie Karriere machen, dann fangen Gerüchte an, dass sie sich hochgeschlafen hätten.“ (PO6).
„[…] deswegen gibt es auch weniger Frauen bei uns […]. Viele Frauen (haben) einfach keinen Bock auf diese Spielchen und diese Intrigen“ (PO1).
Es zeigt sich, dass die interviewten Frauen, vor allem im Bereich der Politik, mikropolitisches Handeln wahrnehmen, aber nicht als solches identifizieren, da die Kenntnisse über Mikropolitik nur sehr gering sind. Konflikte sollen bei allen Interviewteilnehmerinnen durch Kommunikation gelöst werden, funktioniert das nicht, wählen einige der Befragten eine Vermeidungsstrategie.
„[…] wenn das dann nicht besser wird […], dann ignoriere ich das, weil ich nicht weiß, wie ich das sonst machen soll“ (PO6).
Eine Interviewteilnehmerin (W5) gab an, dass sie sich in einer Konkurrenzsituation thematisch veränderte, da sie vom Buhlen um die Gunst der Vorgesetzten genervt war. Wäre das Thema für sie wichtig gewesen, hätte sie sich jedoch durch bessere Ergebnisse hervorheben wollen und das Thema nicht abgegeben.
Die empirischen Ergebnisse deuten darauf hin, dass These 1 bestätigt, dass Frauen seltener Mikropolitik nutzen, um aufzusteigen. Sie wurden durch Mentoren motiviert und von diesen beim Erreichen der Position unterstützt oder waren auf sich allein gestellt. Es besteht die Möglichkeit, dass die Frauen, welche durch Mentoren gefördert wurden (PO1, PO6 und W3) unbewusst die Tochter- und Mädchenrolle (Kapitel 4.3.1) eingenommen haben. Von diesen Frauen geht für die Förderer wenig Bedrohung aus. Der Mentor setzt sich gern für den Aufstieg seines weiblichen Schützlings ein, wie ein Vater, der seine Tochter beim Aufstieg unterstützt. Aus mikropolitischer Sicht könnte dies auch bedeuten, dass der Mentor bewusst eine Frau ausgesucht hat, um die Rolle des „starken Mentors oder Vaters“ einzunehmen. Dadurch erhält er Anerkennung von der „Tochter“ und die Bedrohung durch einen männlichen Konkurrenten besteht nicht mehr. Der Platz unter dem Förderer ist schließlich mit einer Frau besetzt, die er nicht für gefährlich hält. Diese These konnte jedoch empirisch nicht überprüft werden. Einer Interviewpartnerin wurde direkt mitgeteilt, dass sie nicht für die nächsthöhere Stelle in Frage kommt, was ebenfalls eine mikropolitische Taktik sein könnte, um die Bedrohung durch diese Person zu mindern, Jedoch war auch zu diesem Gedanken keine empirische Überprüfung möglich.
Der Wunsch nach offener Konkurrenz, offener Kommunikation und fairem Spiel deutet darauf hin, dass Frauen ihre Gewinnchancen und die Situation besser einschätzen möchten. Offenheit und Transparenz mindert Unsicherheit, da man „vorbereitet“ ist und Gewinnchancen bei Machtkämpfen leichter abschätzen kann.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Befragten durch Konkurrenz beflügelt und motiviert werden. Sie soll aber konstruktiv und nicht destruktiv sein. Das deutet darauf hin, dass Frauen, die mit dem Konkurrenzkampf verbundenen Machtkämpfe nicht meiden, wie in Kapitel 3.3 angeführt, sondern einen anderen Anspruch an Konkurrenz haben. Sie möchten ihre Ressourcen nicht mit „Intrigen und Spielchen“ verschwenden.
Alle Interviewteilnehmerinnen gaben an, dass der Begriff Führungskraft im Allgemeinen männlich konnotiert ist. Somit sind die Anforderungen, die von außen an eine Führungskraft gestellt werden, männlich. Die weibliche Führungskraft soll sich an männliche Verhaltensweisen anpassen, optisch nicht zu "weiblich" sein, Anzüge tragen oder männliche Machtposen nutzen, um als Führungskraft authentisch zu ein. Passen die Frauen sich an, sollen sie jedoch nicht „zu männlich sein“.
„[…] selbst wenn Frauen sich assimilieren, wird ihnen das negativ ausgelegt […], vor allem in alten mittelständischen Unternehmen […]. Frauen müssen sich tendenziell mehr anpassen an männliche Verhaltensweisen […]“ (Po1).
Dem gegenüber stehen die Anforderungen, die die Frauen als wichtig für eine Führungsperson und damit auch für sich selbst erachten. Besonders bedeutsam waren den Befragten kommunale Eigenschaften wie Einfühlungsvermögen, Zuhören und Kommunikationsfähigkeit. Hier wird ein Zwiespalt sichtbar. Die Anforderungen an eine Führungskraft von außen sind männlich konnotiert, innerlich halten die befragten Frauen jedoch kommunale Eigenschaften für wichtig, um eine Führungsposition erfolgreich zu bekleiden. Frauen müssen sich in der männlichen Arbeitsplatzkultur behaupten, während bei Männern
„[…] ein solides Halbwissen eigentlich reicht, um sich alles Mögliche zuzutrauen […]. Frauen sind „perfektionistischer“ und trauen sich seltener zu, wirklich gestalten zu können und was voranzubringen“ (W5).
Frauen sollen ein
„[…] dickes Fell haben […], weil man sich vielleicht auch sexistische Witze anhören (muss)“ (PO1),
und Mut wie auch Selbstvertrauen, um
„[…] entsprechend aufzutreten in Situationen, wo es erforderlich ist, um wirklich als Führungskraft akzeptiert zu werden […]. Auch von oben (höhere Ebene) oder von Personen, die auf der gleichen Ebene sind, da muss man sich selber gut präsentieren und den Mut haben, auch seine Meinung zu sagen“ (W3).
Diese Paraphrasen zeigen, dass Frauen in Führungspositionen permanent Stärke zeigen sollen, wodurch der oben erwähnte Zwiespalt noch vergrößert werden kann. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Frauen in Führungspositionen ständig ihr Verhalten beobachten, prüfen und an die Situation anpassen müssen, um die Anforderungen von außen zu erfüllen. Aber auch, um ihren eigenen Anforderungen gerecht zu werden. Ich gehe davon aus, dass die Befragten Frauen Identity-switching (Kapitel 4.3.1) nutzen, um den Anforderungen von außen wie auch den eigenen gerecht zu werden (siehe dazu Abele, Kapitel 3.2). Die Interviewantworten legen außerdem nahe, dass die Interviewten nach dem Modell der „Amazone“ handeln möchten, was unter anderem, aufgrund der männlich geprägten Kultur am Arbeitsplatz und Anforderungen von außen, schwer möglich ist. Allerdings konnte dieser Gedanke nicht überprüft werden.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Geschlecht und damit einhergehende Stereotype von den befragten Frauen als größtes Hindernis beim Aufstieg in eine Führungsposition empfunden wird. Aufgrund ihres Geschlechts werden sie „klein gehalten […] und Informationen werden nicht geteilt“ (PO1), oder ihnen werden „absichtlich Steine in den Weg gelegt“ (W4). Die gläserne Decke wird als subtil wahrgenommen, sie sei zwar vorhanden, aber schwer zu überwinden, da ihre Ursache nicht ausgemacht werden kann.
„Ich hatte immer das Gefühl, das es doch häufiger mal so etwas wie eine gläserne Decke gibt […]. Das kann man auch nicht festmachen, woran das liegt“ (W4).
Netzwerken wurde von allen Beefragten als besonders wichtig eingestuft, jedoch soll die Leistung im Vordergrund stehen.
„[…] es sollte für eine wichtige Position im Betrieb nicht wichtig sein, wen man kennt, also auch, aber mindestens genauso wichtig sollte sein, was man kann“ (W5).
Geschlechterstereotype sind ein Grund dafür, dass Frauen das Netzwerken verwehrt bleibt. Die folgende Paraphrase veranschaulicht das deutlich:
„Frauen bleiben […] bei den Vorträgen und dann müssen sie nach Hause, und das hat auch wieder was mit Carearbeit zu tun. […] sie bleiben beim Vernetzen nicht […], also wenn man sagt: `Meld dich doch mal, komm mal vorbei` […] in der Politik, sind das wichtige Augenblicke, wo man eigentlich noch dableiben muss, wo man sich sein Netzwerk aufbaut. Da spricht man auch mit anderen Parteivorsitzenden, mit anderen Parteimitgliedern […]. Da erreicht“ man „halt auch einen Bekanntheitsgrad. […] Aber, ja klar, wenn ich einen pflegebedürftigen Angehörigen zuhause habe oder mich noch um ein kleines Kind kümmern muss und vielleicht noch Teilzeit arbeite oder gar Vollzeit, […] gehe ich dann nicht auf eine Parteisitzung um 19 Uhr oder 20 Uhr“ (Po1).
Für den Großteil der Befragten war für den Aufstieg einer Führungskraft das Netzwerken besonders wichtig. Jedoch zeigen die empirischen Ergebnisse, dass den Frauen nicht nur (Frauen)-Netzwerke fehlen, sondern sie diese Netzwerke aufgrund von traditionellen Geschlechterrollen und Geschlechterstereotypen nicht aufbauen und pflegen können. Alle Befragten gaben an, dass es an weiblichen Vorbildern und an der Orientierung an einer weiblichen Bezugsgruppe fehlt. Vorbilder seien wichtig, um sich zu sagen: „W as die geschafft hat, das kann ich auch!“ PO6. Damit mehr aufstiegswillige Frauen von Frauen in höheren Positionen auf ihrem Karriereweg unterstützt werden können, müsste sich die weibliche Bezugsgruppe jedoch vergrößern, Macht besitzen und netzwerken.
Geschlechterstereotype werden auch genutzt, um Frauen an „ihren Platz“ zu verweisen und ihnen die Qualitäten für eine Führungsposition abzusprechen. Sie sind dann nicht geeignet, weil erwartet wird, dass sie in Elternzeit gehen, wenn sie Familienzuwachs erwarten.
„[…] ich werde ständig gefragt, wie es so bei mir ist mit der Familienplanung und mit Kindern aussieht.“ (Po1).
Oder sie sind vermeintlich nicht geeignet, weil sie die Arbeitszeit reduzieren könnten.
„[…] wo dann auch immer noch von den Frauen […] erwartet wird, dass sie die Arbeitszeit reduzieren“ (W3).
Oder sie geraten in Vergessenheit und werden übersehen, weil sie nicht präsent sind.
„Um für eine Gruppenleitung […] in Betracht zu kommen, muss einen der Chef kennen“, man komm t „eben nicht für eine Gruppenleitung oder sowas in Frage in der Elternzeit. […]. W er nicht täglich im Büro ist, wird vergessen“ (W2).
Die Befragten gaben an, dass sich die Anforderungen an eine Führungskraft unterscheiden würden, wenn es mehr weibliche Vorbilder gibt. Mehr weiblich Vorbilder seien hilfreich, da sie sich positiv auf die Veränderung geschlechtsstereotypischer Überzeugungen auswirken.
„[…] wenn es mehr Frauen in Führungspositionen gibt, ist es ja auch viel selbstverständlicher, dass nicht nur […] männlichen Ideale diejenigen sind, die für eine gute Führungskraft zählen“ (W3).
„wir brauchen weibliche Vorbilder. Ich glaub, nur dann schaffen wir es auch […]. Wenn wir keine weiblichen Vorbilder haben, dann trauen sie (Männer) es auch einfach weniger den Frauen zu“ (PO1).
In diesem Zusammenhang war für die befragten Frauen von Bedeutung, dass bei der Beurteilung der Qualität einer Führungskraft nicht das Geschlecht im Vordergrund stehen soll, sondern die Arbeit. Einige Teilnehmerinnen gehen davon aus, dass moderne Führungskonzepte in Zukunft an Bedeutung gewinnen könnten, und dass das Geschlecht einer Person in den Hintergrund treten wird. In ihren Wirkungsbereichen arbeiten einige der Befragten bereits erfolgreich nach diesem Gedanken.
„Jeder Mensch hat das Recht, gemäß seinen Fähigkeiten, gefördert zu werden“ (W4).
„[…] da bin ich mir ziemlich sicher, dass die Anforderungen andere währen. Wenn es mehr Frauen in Führungspositionen gibt, [ …] zählen […] auch die Vorteile und Fähigkeiten, die Frauen mit sich bringen, und die vielleicht doch auch anders sind als die, die Männer mitbringen. […] ich glaube, dass es dann andere Aspekte gäbe, die dann wichtig sind, und die dann eher personenspezifisch wären und nicht mehr geschlechtsspezifisch.“ (W3).
Zusammenfassend deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass These 3 bestätigt werden kann. Als Haupthindernis für den Aufstieg von Frauen in Führungspositionen wurden Geschlechterstereotype und die damit verbundene Elternzeit und die Abwesenheit vom Arbeitsplatz genannt. Tradierte Rollenbilder führen immer noch dazu, dass die Carearbeit von Frauen verrichtet wird. Aufgrund von Stereotypisierung müssen sich Frauen ein „dickes Fell“ zulegen und ein gutes Selbstbewusstsein haben, um von ihren männlichen Kollegen akzeptiert zu werden. Unzureichende politische Maßnahmen tragen dazu bei, dass nicht genügend weibliche Vorbilder in Führungspositionen zu finden sind. Außerdem beeinflussen weibliche Rollenvorbilder die Kariereentwicklung von Frauen erheblich negativ. Ich möchte an dieser Stelle hinzufügen, dass, bis auf eine Befragte, alle Frauen kinderlos sind.
Im Verlauf der Interviews wurde deutlich, dass These 4 ebenfalls bestätigt werden kann, wie die folgenden Paraphrasierungen zeigen. Es geht nicht darum, was eine Frau zu einem Sachverhalt sagt, sondern darum, dass sie überhaupt etwas dazu sagt. Steht die Frau in der Organisationshierarchie unter den Männern, oder ist sie im Vergleich jung, werden sie nicht „für ernst genommen“. Geschlechterstereotype können ein Grund dafür sein, dass Frauen sich freiwillig mit ihrer Meinung zurückhalten, oder dass sie von Männern zurechtgewiesen werden, weil nicht erwünscht ist, dass sie sich äußern.
„[…] weil Frauen anerzogen bekommen haben oder mitgeteilt bekommen haben, dass man sich doch eher zurückhalten soll als Frau […], und ich denke, das ist halt doch immer noch das Rollenbild […]. Und da ist diese Vorstellung, dass man als Frau sich doch ein bisschen zurücknehmen soll, immer noch sehr stark ausgeprägt“ (W3).
„[…] tatsächlich wurde mir schon paar Mal vorgeworfen, zu direkt zu sein. […] Da habe ich dann tatsächlich auch gewagt, den Mund aufzumachen und einfach auf den Sachverhalt hinzuweisen. Und zwei Wochen später wurde ich dann ins Büro des (Chefs) zitiert, und er hat mir deutlich gemacht, dass es von mir nicht erwünscht ist, den Mund aufzumachen“ (W4).
„[…] ich war […] jünger, das heißt, die haben mich erst recht nicht ernst genommen“ (W5).
Es zeigt sich, dass die Hindernisse der Accenture-Studie (Kapitel 2.1) noch immer Gültigkeit besitzen und sich seit dem Jahr 2002 nicht geändert haben. Die männerdominierte Arbeitsplatzkultur wie der Mangel an weiblichen Vorbildern wurde von den Interviewteilnehmerinnen der Studie zur vorliegenden Arbeit besonders häufig als Hindernis genannt. Ebenso der Mangel an flexiblen Arbeitsmodellen und die Vereinbarkeit mit Familie und Beruf. Der Mangel an flexiblen Arbeitsmodellen ist nicht nur beim Aufstieg hinderlich, sondern auch beim Netzwerken.
Die empirischen Ergebnisse zeigen, dass Hindernisse wie flexible Arbeitsmodelle an Relevanz zugenommen haben. Die jüngste Teilnehmerin gab an, in Zukunft auch auf Karriere zu verzichten, wenn sie in Zukunft keinen Arbeitsplatz mit flexiblen Arbeitsplatzmodellen findet.
„[…] dann würde ich einen Schritt zurückgehen auf der Karriereleiter. […] ich würde gerne Karriere machen, aber ich würd gern irgendwo einen Kompromiss finden […] also eine gute work life ballance“ (PO6).
6. Fazit
Das Geschlecht, die damit verbunden Rollenbilder und Stereotype werden als besonders großes Hindernis beim Aufstieg in eine höhere Position wahrgenommen. Wie in Kapitel 3.2 aufgezeigt, führt „doing Gender“ dazu, dass die Geschlechterungleichheit und Stereotype (re)produziert werden. Der durch das „doing Gender“ vermeintlich sichtbare Geschlechterunterschied legitimiert die Geschlechterungleichheit. Ein Zurücktreten des Geschlechts im Sinne eines „undoing Gender“ könnte sich also positiv darauf auswirken, dass die Leistung in den Vordergrund rückt und das Geschlecht nebensächlich wird. Hier können durch Genderkompetenz Vorurteile abgebaut und Geschlechterstereotypen, die zur Reproduktion der Strukturen und damit der Ungleichheit beitragen, reflektiert werden.
Von These 4 ausgehend stellt sich die Frage, welche Relevanz die Mikropolitik für den Aufstieg von Frauen besitzt, wenn die Frauen gar nicht zu Wort kommen dürfen oder sich auf Grund ihres Rollenbildes und möglichen sozialen Sanktionen nicht trauen, etwas zu sagen. Hier kann das MKM-Modell hilfreich sein. Durch das Erlernen mikropolitischer Kompetenz und damit verbunden das Integrieren von Macht in das Selbstkonzept, fällt es leichter, in Konkurrenzsituationen souverän zu reagieren, in Machtkämpfen zu bestehen und damit auch, in eine Führungsposition aufzusteigen. Die Aneignung mikropolitscher Kompetenzen kann sich positiv auf den eigenen Erfolg auswirken. Durch die Aneignung der vier Kompetenzen aus dem MKM-Modell können Frauen Mikropolitik in ihrem Berufsalltag anwenden. Dadurch erwerben sie Aktivitätskompetenz oder erlangen Erkenntnisse über andere Akteure und können zum Beispiel ihre taktische Vorgehensweise anpassen. Durch das bewusste Anwenden von Mikropolitik und die damit verbundene Selbstreflexion wird das eigene Handeln hinterfragt und die erworbenen mikropolitischen Kompetenzen mit dem eigenen Selbstbild verknüpft. Durch die Aneignung mikropolitischer Kompetenzen und auch durch Aneignung von Genderkompetenz können Frauen wie auch Männer unbewusste Stereotype besser reflektieren. Das bewusste Anwenden von Mi-kropolitik eröffnet die Möglichkeit, bewusst in das Geschehen einzugreifen und erfolgreich zu sein. Und vielleicht auch, dabei die Rolle der kämpferischen „Amazone“ einzunehmen.
Mikropolitische Kompetenz ist erlernbar. Jedoch ist dadurch kein Aufstieg garantiert, da wie oben aufgezeigt, soziokulturelle, betriebliche und politische Faktoren als Hemmnis ebenfalls eine Rolle spielen. Auch die mikropolitischen Strategien von Männerbünden wie auch von Männern in Führungspositionen, die sich, im Vergleich zu den Frauen, in der Überzahl befinden, stellen eine Aufstiegsbarriere dar und verhindern das Eintreten von Frauen in bestimmte Arbeitsbereiche.
Während der Ausarbeitung zeigte sich, dass sich an den Faktoren, die hinderlich für den Aufstieg für Frauen in Führungspositionen sind seit den letzten 20 Jahren wenig geändert hat. Dadurch wird deutlich, dass sich die Strukturen verändern müssen. Die Veränderung von Strukturen ist ein entscheidender Faktor, um der Unterpräsenz von Frauen in Führungspositionen entgegenzuwirken. Jedoch ändern Strukturen sich nicht von selbst. Hier bedarf es zusätzlicher Lösungen durch die Politik und eine aufgeschlossene Unternehmenskultur, die auch unterschiedliche Lebenskonzepte akzeptiert, um die Aufstiegsbarrieren zu durchbrechen. Der politische Faktor ist m.E. von großer Bedeutung, weil Strukturen dadurch verändert werden können. Soziokulturelle Faktoren können sich verändern, wenn es zum Beispiel mehr weibliche Vorbilder gibt, die eine Führungsposition erreichen. Betriebliche Hindernisse wie zum Beispiel unflexible Arbeitszeiten können sich verändern, wenn Betriebe neue Vorkehrungen treffen, um sich an neue Gegebenheiten wie einer Geschlechterquote anzupassen. Auch, um dem im Reykjavik Index aufgezeigten möglichen Retraditionalisierungsprozess entgegenzuwirken, ist ein Handeln der Politik erforderlich. Dadurch können weitere Nachteile für Frauen verhindert werden. Oder auch, damit bereits Erreichtes nicht wieder verworfen wird. Eine Veränderung wie flexible Arbeitsmodelle oder Betreuungsmöglichkeiten für Kinder sind wichtig, damit mehr Frauen den Aufstieg in eine Führungsposition anstreben. Eine Geschlechterquote ist von Bedeutung, damit aufstiegswillige Frauen überhaupt aufsteigen können und nicht an die „gläserne Decke“ stoßen. Mehr weiblich Vorbilder würden dann zur Verfügung stehen, um positiv auf Geschlechterstereotype einzuwirken.
Während der Untersuchung stellte sich die Frage, welche Antworten die Interviewerin erhalten hätte, wenn sie einem anderen Geschlecht zugehörig wäre. Für weiterführende Arbeiten zum Thema ist interessant, Männer zum Thema zu interviewen und die Antworten denen der Frauen gegenüberzustellen. Es handelt sich um eine qualitative Studie, somit ist die Aussagekraft der vorgestellten Ergebnisse aufgrund der geringen Teilnehmerzahl begrenzt. Aus diesem Grund könnte eine weiterführende Untersuchung, Frauen aus anderen Branchen und Parteien zu befragen, ein deutlicheres Bild darstellen. Des Weiteren wurden Frauen befragt, die sich bereits in einer Führungsposition befinden. Die Perspektive aufstiegswilliger Frauen auf Anforderungen und Hindernissen ermöglichte andere Einblicke.
Mit dieser Arbeit zeige ich auf, dass es sinnvoll sein kann, auch Männer für Innovationsspiele zu begeistern, da auch sie von neuen Arbeitsplatz-Modellen und Arbeitszeit-Modellen profitieren können. Zwei Teilnehmerinnen gaben in diesem Zusammenhang an, dass Männer aus dem eigenen Umfeld Elternzeit nehmen möchten, aber soziale Sanktion diesbezüglich erfuhren oder den Arbeitsplatz wechseln und Elternzeit einklagen mussten. Ebenso ist es von Bedeutung, dass Betriebe erkennen, dass auch sie profitieren, wenn sie aufgeschlossen gegenüber neuen Arbeitsplatz- und Lebensmodellen sind und sich an die sich verändernden Bedürfnisse der Gesellschaft und damit auch ihren (potentiellen) Mitarbeitern anpassen. Wenn zusätzlich auch Frauen für eine bestimmte Position zur Verfügung stehen, kann unter anderem dem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden, da sich die Bewerberzahl vergrößert. Durch eine Doppelspitze kann zum Beispiel auf mehr Expertise zurückgegriffen und die Arbeitslast verteilt werden, wodurch die Produktivität steigt.
Des Weiteren wird mit dieser Arbeit deutlich, welchen wichtigen Platz die Politik einnimmt, wenn es darum geht, verkrustete Strukturen aufzubrechen. Es ist nicht wahrscheinlich, dass sich etwas ändert, wenn sich nichts ändern muss. Ein gutes Beispi el dafür ist die freiwillige Geschlechterquote, die bisher wenig Nutzen gezeigt hat. Zudem ist mir wichtig, die Bedeutung der Aneignung und das bewusste Anwenden von Mikropolitik darzustellen, was besonders im Rahmen der Frauenförderung eine große Rolle spielt. Aufgrund dessen sind die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung auch für die Personalpraxis relevant und können im Bereich der Führungskräfteentwicklung herangezogen werden.
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1 Nach Crozier und Friedberg ergibt sich die Macht eines Akteurs aus der Kontrolle über „Ungewissheitsquellen“, die für andere Organisationsmitglieder nicht kontrollierbar, aber für die Verwirklichung ihrer Interessen und Ziele maßgeblich von Bedeutung sind (vgl. Crozier und Friedberg 1993: 50).
2 Crozier und Friedberg machen vier Machtquellen aus, wer diese kontrolliert hat auch ohne eine hierarchische Position zu bekleiden, Macht. Zu den Machtquellen zählen Expertenwissen, Kontrolle von Umweltbeziehungen, Kontrolle von Informations- und Kommunikationskanälen und die Benutzung organisatorischer regeln (vgl. Crozier und Friedberg: 1979: 49ff). Rastetter unterscheidet strukturelle Machtquellen, die auf formaler Autorität basieren und personale Machtquellen, die auf mikropolitischen Verhalten oder auf persönlichen Eigenschaften der Individuen fußen (vgl. Rastetter; 2009: 3).
3 Machiavellismus ist ein Begriff der unabhängig von recht und Moral den Erhalt und das Erlangen von Macht über alles stellt.
4 Nach Herbert A. Simon (Simon 1955) beschreibt dieser Begriff ein Verhalten, nachdem die erstbeste Möglichkeit gewählt wird, die dem zuvor definierten Anspruchsniveau entspricht, dafür wird die energieintensive informationssuche aufgegeben. Ein befriedigendes Nutzenniveau wird angestrebt, nicht die Maximierung des Nutzens.