Die vorliegende Hausarbeit untersucht den tiefgreifenden Abendmahlsstreit zwischen Martin Luther und Huldrych Zwingli, zwei zentralen Figuren der Reformation. Die Kernfrage, die den Konflikt antreibt, ist das Verständnis des Abendmahls. Während Luther die Realpräsenz Christi in Brot und Wein vertritt, sieht Zwingli das Abendmahl lediglich als symbolisches Erinnerungsmahl. Diese theologische Differenz, tief verwurzelt in den unterschiedlichen Bildungswegen und Weltanschauungen der beiden Reformatoren, wird in der Arbeit ausführlich analysiert. Luther, geprägt durch eine klassische theologische Ausbildung als Augustinermönch, und Zwingli, beeinflusst durch die humanistische Bibelauslegung, repräsentieren zwei kontrastierende theologische Sichtweisen.
Die Untersuchung beleuchtet nicht nur die historische Entwicklung des Streits und seine liturgiegeschichtliche Einordnung, sondern setzt diesen auch in Bezug zur katholischen Transsubstantiationslehre und reflektiert die Konsequenzen für die nachfolgende Konfessionsgeschichte.
Inhaltsverzeichnis
I. Wittenberg und Zürich: Erste und Zweite Reformation
II. Liturgiegeschichtlicher Hintergrund: Die Entwicklung der römisch-katholischen Messe
III. Das Abendmahlsverständnis von Luther und Zwingli
A) Martin Luther: Konsubstantiation und Realpräsenz
B) Huldrych Zwingli: Abendmahl als Erinnerungs- und Bekenntniszeichen
IV. Der Abendmahlsstreit
V. Das Marburger Religionsgespräch
Literaturverzeichnis
I. Wittenberg und Zürich: Erste und Zweite Reformation
Martin Luther (1483-1546) und Huldrych Zwingli (1484-1531) sind zweifelsohne die beiden zentralen Figuren der Frühreformation, ja können überhaupt als die Begründer der Reformation im deutschsprachigen Raum gelten - die Frage, wie weit indes die Rede von einer Reformation angemessen und sachgemäß ist, soll weiter unten erörtert werden. Sie gehören derselben Generation an, und beide haben mit einem nur geringen zeitlichen Abstand in den frühen 1520er Jahren in ihren jeweiligen Territorien bzw. Einflussbereichen dramatische Veränderungen ausgelöst.
Der Beginn von Luthers öffentlichem Auftreten als Reformator wird gewöhnlich daran festgemacht, dass er wahrscheinlich am Vorabend des Allerheiligenfests, am 31. Oktober 1517, 95 Thesen am Portal der Allerheiligenkirche zu Wittenberg anschlug und danach medial mit Breitenwirkung verbreitete. Damit löste er einen Sturm aus, den er selbst nicht vorhergesehen und gewollt hatte. Seine in den Thesen geäußerte Kritik am Ablasshandel war bereits geprägt von dem Grundgedanken, dass wahre innerliche Reue jede äußerliche Genugtuungsleistungen überflüssig mache. Die hier formulierte Infragestellung der kirchlich / päpstlich autorisierten Heilsvermittlung steigerte sich in den folgenden Jahren. 1520 publizierte Luther gleich drei Traktate und griff in ihnen Grundbestände des bisherigen christlichen Glaubens und ihrer institutionellen Strukturen an. In der Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung lehnte er den geweihten Priesterstand ab und proklamierte ein allgemeines Priestertum aller Gläubigen. Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche ist eine Absage an die Kirche als Heilsvermittlungsanstalt. Nicht die Kirche, ja gar kein Mensch könne Heil vermitteln, sondern lediglich Gott. In der dritten Reformationsschrift Von der Freiheit eines Christenmenschen nahm Luther diesen Gedanken auf und entfaltete eine radikale Kritik an jeder Form von „Werkgerechtigkeit“. Es seien nicht gute Werke, die Heil gewähren würden, sondern allein die Gnadenwirkung des Glaubens und das Geschenk der Zuwendung Gottes. Am Ende des Jahres 1520 verbrannte Luther öffentlich die Banndrohungsbulle des Papstes und setzte damit einen spektakulären Schlusspunkt unter den Beginn seines reformatorischen Aufbruchs.1
Auch für den Beginn von Zwinglis öffentlichem Auftreten als Reformator in Zürich lässt sich ein bestimmtes Datum ausmachen. Die zunehmend kontroverse Auseinandersetzung über Zwinglis kritische Predigten gegen kirchliche Praktiken entzündete sich im Frühjahr 1522 an der Frage, ob die Fastenvorschriften in der vorösterlichen Zeit einzuhalten seien. Am frühen Abend des ersten Fastensonntags, am 9. März 1522, wurde im Hause des Buchdruckers Christoph Froschauer (um 1490-1564) zwei geräucherte Würste zerschnitten und an die (vermutlich) 12 Anwesenden verteilt.
Zwingli nahm zwar an diesem später „Froschauer Wurstessen“ genannten Fastenbrechen teil, aß jedoch selbst nichts von den Würsten. Zwei Wochen später predigte Zwingli zu diesem Thema und veröffentlichte die Predigt in erweiterter Form im April 1522 unter dem Titel Von Erkiesen und Freiheit der Speisen. In dieser Schrift, die eine enorme Verbreitung erreichte, rechtfertigte er das Fastenbrechen und argumentierte, dass das Fasten, da es nicht biblisch begründbar sei, nicht dem christlichen Glauben entspreche und plädierte für die Freiheit der Christ:innen in diesen Fragen. In der weiteren Folge holte der Rat der Stadt Zürich ein Gutachten ein, und der Konstanzer Bischof entsandte eine Delegation nach Zürich. Obwohl das Fastenbrechen schließlich vom Rat verurteilt wurde, übernahm dieser damit nun Verantwortung in kirchlichen Fragen und anerkannte Zwingli als gleichberechtigt gegenüber den Bevollmächtigten des Konstanzer Bischofs. Am 29. Januar 1523, vom 26. bis 28. Oktober desselben Jahres sowie am 13. und 14. Januar 1524 kam es in einem weiteren Schritt zu den sogenannten drei Züricher Disputationen, in denen unter breiter Beteiligung (an der ersten Disputation nahmen etwa 600 Personen teil) über Zwinglis Positionen gestritten wurde. Zwingli ging eindeutig als Sieger aus diesen Auseinandersetzungen hervor. Innerhalb nur eines Jahres wurde beschlossen, die Bilder aus den Kirchen zu entfernen und die Messe abzuschaffen. Doch nicht nur das: Diese Disputationen waren keine unverbindlichen Religionsgespräche, sondern hatten den Charakter einer Synode und waren, wenn nicht kirchengründend, so doch vorbereitend für die Schaffung einer gänzlich neuen Kirchenstruktur.2 Luther und Zwingli war es innerhalb einer atemberaubend kurzen Zeit gelungen, die Grundfeste der bisherigen kirchlichen und religiösen Ordnung zu erschüttern. Beide waren Reformatoren in dem Sinne, dass sie die Loslösung von der katholischen Kirche und ihrer Lehre betrieben. Doch schon die zuletzt beschriebenen Entwicklungen in Zürich machen zugleich Unterschiede deutlich: Die Züricher Reformation war eine Form von Stadtreformation, und es entstanden daraus ganz eigene Strukturen. In Deutschland entwickelte sich schon bald eine Fürstenreformation, und im Unterschied zur Schweiz kam bestimmten weltlichen Herrschergestalten eine zentrale Rolle bei der Durchsetzung des protestantischen Glaubens zu. Dies wirft überhaupt die Frage nach dem Verhältnis der Wittenberger und der Zürcher Reformation auf. Während nach älterer Auffassung Zwingli durch den Anstoß Luthers 1519 zur Reformation gefunden und sich von Erasmus abgewendet habe, neigt die neuere Forschung zu der Annahme, dass sich Zwingli bis weit in das Jahr 1520 nicht mit Luthers Überzeugungen auseinandergesetzt und die dann folgende Lutherlektüre der Stützung seiner eigenen, bereits zuvor entstandenen Auffassungen gedient habe. Luther war für Zwingli ein Vorbild an Glaubensmut, aber seine eigentliche Inspiration erhielt er durch seine humanistisch geprägte Bibellektüre.3 Sinnvoller ist es also anzunehmen, dass es sich um zwei unterschiedliche Formen oder Typen von Reformation handelt und dass eine vereinheitlichende Rede von der Reformation historisch ungenau ist - eher ist es sinnvoll von einer Ersten und einer Zweiten Reformation zu sprechen.
Die Unterschiede traten schon unmittelbar nach den beschriebenen beiden reformatorischen Aufbrüchen ab Mitte der 1520er Jahre in der Frage des richtigen Verständnis des Abendmahls in aller Schärfe hervor. Während Luther auf der Realpräsenz Christi in den Elementen von Brot und Wein vehement insistierte, nahm Zwingli einen symbolischen Zusammenhang an und begriff das Abendmahl als ein Erinnerungsmahl. Diese Differenz ist, wie sich Laufe dieser Arbeit wenigstens ansatzweise zeigen soll, Ausdruck einer unterschiedlichen Herkunft und Prägung: Während Luther als Augustinermönch eine eher klassische theologische Ausbildung erhielt, mit der er nicht gänzlich brach, war der Einfluss vor allem der humanistischen Bibelauslegung auf Zwingli viel durchgreifender. Unter diesem Einfluss wurde Zwinglis Weltbild immer klarer durch den strikten Unterschied zwischen Göttlichem und Kreatürlichem bestimmt; demgegenüber ging Luther im Sinne der Zwei-Naturen-Lehre von einer Idiomenkommunikation, also der wechselseitigen Verschränkung der göttlichen und menschlichen Natur Christi aus. Es ist mithin davon auszugehen, dass der Abendmahlstreit Streit nicht als ein Prozess der Entzweiung zu verstehen ist (was eine anfänglich gemeinsame Position voraussetzen würde), sondern viel eher als ein Prozess, in dem die unterschiedlichen Überzeugungen und Voraussetzungen von Luthers und Zwinglis Theologien immer schärfer zutage getreten sind.
II. Liturgiegeschichtlicher Hintergrund: Die Entwicklung hin zur römisch-katholischen Messe
Zum besseren Verständnis des hier darzustellenden Abendmahlsstreits zwischen Luther und Zwingli ist es notwendig, sich wenigstens kurz den weiteren liturgiehistorischen Hintergrund zu vergegenwärtigen. Aus naheliegenden Gründen betrifft dies die Geschichte der römischkatholischen Messe vom Frühmittelalter bis in die Zeit vor der Reformation. Es ist diese Tradition, mit der sowohl Luther als auch Zwingli in unterschiedlichem Ausmaß gebrochen haben, und ohne ein tieferes Verständnis dieser Tradition wird dieser Bruch nicht nachvollziehbar. Der Kirchenhistoriker Arnold Angenendt fasst die Bedeutung dieser Entwicklung so zusammen: „Viele der im Frühmittelalter entstandenen Verschiebungen und Veränderungen bildeten den Zündstoff für die folgende Scholastik wie noch für die Reformation“.4 Gleichzeitig wird durch eine solche Rekonstruktion aber auch einsichtig, dass die reformatorischen Auseinandersetzungen historisch nicht isoliert stehen, sondern zum Teil bereits Jahrhunderte zuvor ansatzweise geführt wurden.
Während der westliche Teil der Kirche in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten auch in der Liturgie noch unter dem Einfluss der dominierenden Ostkirche stand, vollzog sich seit dem 5. Jahrhundert eine zunehmende kulturelle Trennung und Verselbständigung. In der Westkirche bildeten sich im Wesentlichen zwei große eigene Liturgie-Familien heraus: der gallikanische Ritus, der durch einen weitschweifigen Gebetsstil geprägt war, sowie die römische Stadtliturgie. Bedingt sowohl durch die Dominanz des Lateinischen als vorherrschender Liturgiesprache als auch durch den Aufstieg des Papsttums setzte sich schrittweise die römische Stadtliturgie als bestimmende Form der Westkirche durch. Insbesondere im fränkischen Reich wurde unter Karl dem Großen (747 od. 748-814) das Halten der Messe auf Lateinisch obligatorisch. Dies führte zu einem schon sprachlich bedingten Ausschluss des übergroßen Teils der Gläubigen von der Liturgie. Mit der karolingischen Liturgiereform wurde aber nicht nur das Lateinische im gesamten Abendland zur Norm, sondern ein bestimmtes Verständnis von Liturgie überhaupt. Die Eucharistie entwickelte sich, verbunden mit einer Klerikalisierung der Liturgie, vollends zur Messe sowie zu einem Opferritus.
Anselm Schubert hat in seiner Geschichte des Abendmahls gezeigt, dass diese Entwicklung bereits mit der schrittweisen Trennung von Sättigungsmahl und Herrenmahl Mitte des zweiten Jahrhunderts eingeleitet und vorbereitet wurde (zuvor waren die Gottesdienste in der Einheit dieser beiden Formen sowie in paganer und jüdischer Tradition Mahlfeiern gewesen). „Das Sättigungsmahl wurde aus dem Herrenmahl ausgegliedert, und aus dem gemeinsamem Herrenmahl wurde ein eucharistisches Kultmahl, dem die Spendung von Brot und Wein und eine schon bald recht feste Folge von Gebeten Form und Gestalt gaben“.5 Man verstand nun erstmalig dieses Kultmahl auch als ein Opfer, präziser gesagt zuerst als ein Dankopfer für die durch Jesus Christus bewirkte Befreiung. In dem Maße, wie Brot und Wein nicht mehr als gemeine, sondern zunehmend als „geweihte Nahrung“ verstanden wurde und das gemeinsame Essen, Trinken und Beten durch eine sakramentale Handlung ersetzt wurde, die durch Kleriker verwaltet wurde, kam es zu einer „Auratisierung der Abendmahlselemente“.6 Aus dieser veränderten Praxis heraus wurden jetzt die eucharistischen Elemente von Brot und Wein als Erinnerung an das klerikal vollzogene Sühneopfer Christi am Kreuz neu gedeutet - und nicht mehr als ein Dankopfer der Gemeinde verstanden. Eucharistie bedeutete ab jetzt die Herstellung der Einheit mit Christus durch die Aufnahme „göttlicher Speisen“, und das Abendmahl wurde zu einem Mysterium. Dies führte geradezu zwangsläufig zu einer Abendmahlsscheu, der Angst vor unwürdigem Empfang und der Befürchtung, die Elemente könnten verschüttet werden oder zu Boden fallen. Diese hier nur knapp skizzierte Entwicklung, die sich zuerst im östlichen und dann im westlichen Christentum vollzog, wird besonders gut in der Klementinischen Liturgie des 4. Jahrhunderts erkennbar; in dieser Gottesdienstordnung ist die Ausbildung eines Amtspriestertums unter bischöflicher Leitung sowie die zentrale Bedeutung des Opfergedankens weit fortgeschritten.7
Mit dem Übergang von der Antike zum (Früh-)Mittelalter verstärkte sich im Westen diese Tendenz hin zu einer Auratisierung und Sakralisierung bzw. auch Klerikalisierung der Abendmahlselemente sowie die Überhöhung der Messe zum priesterlichen Opferritus. Dies führte nicht zuletzt dazu, dass Laien kaum noch an der Kommunion teilnahmen und die Religiösität stark ritualisiert wurde und ganz von der Liturgie her bestimmt war. Eucharistie wandelte sich so gänzlich zur Messe mit einer Konzentration auf Sühnemittel für begangene Sünden. Der Priester war in der Messe in erster Linie der „Opferer“, der stets aufs Neue das Opfer Christi darzubringen hatte und für den Altardienst rein und sexuell unbefleckt sein sollte (verbunden mit der Forderung, deshalb zölibatär zu leben). Der bereits zitierte Kirchenhistoriker Angenendt fasst diesen Prozess wie folgt zusammen:
„Hatte man schon in der Antike die Eucharistie zunächst nur sonntags, aber zuletzt auch schon täglich gefeiert, so jetzt möglichst oft: Die Messe war die heilbringende Liturgie schlechthin, förderlich für jeden und für alles. Hingegen trat die Kommunion zurück, die zuletzt wenigstens einmal im Jahr für Ostern vorgeschrieben werden musste. Wegen des Segensverlangens verstärkte sich der Opfergedanken: Wer darbringt, der empfängt. Überdies wandelte sich die die Auffassung von Leib und Blut Jesu Christi, die altkirchliche Bezeichnung als ,unblutiges Opfer’ verschwand. Stattdessen zeigten sich im 8. Jahrhundert an die Hostien-Wunder, dass nämlich unter der Hülle von Brot und Wein das reale Fleisch und Blut Jesu verborgen seien.“8
Obwohl die Scholastik bzw. ein Teil der scholastischen Theologen einerseits diese Auffassung durch die Unterscheidung zwischen einem irdischen, einem auferstandenen und einem sakramentalen Körper korrigieren und zur Vorstellung eines „unblutigen Opfers“ zurückkehren wollte, setzte sich das schon im Frühmittelalter entwickelte Opfer- und Priesterverständnis jedoch durch. Die Transsubstantiation wurde nicht als die Verwandlung in den Leib eines erhöhten Herrn verstanden, sondern zunehmend im Sinne einer Realpräsenz.
Schon im frühen Mittelalter war es um diese Frage zu kontroversen Auseinandersetzungen gekommen. Gegenüber standen sich im so genannten 1. und 2. Abendmahlsstreit eine realistische und eine symbolische Interpretation der eucharistischen Gegenwart.9 Im 1. Streit ging der Benediktinermönch Ratramnus (auch: Rathramnus) von Corbie (f um 868) davon aus, dass lediglich der historische Jesus einen Leib aus Fleisch und Blut besessen habe, er in den eucharistischen Gaben aber nur in Form, Bild oder Symbol präsent werde. Die Realität Jesu Christi werde zwar durch die eucharistischen Gaben vergegenwärtigt, dies ändere jedoch nichts am Seinsbestand dieser Gaben bzw. Elemente selbst. Dem gegenüber vertrat der fränkische Benediktinermönch und Abt Paschasius Radbertus (um 785 - um 865) die Ansicht, dass Christus in der Eucharistie durch ein Wunder und real gegenwärtig sei und kritisierte die symbolische Ausdünnung einer wirklichen Vergegenwärtigung Christi im Abendmahl. Im 2. Abendmahlsstreit war es insbesondere der Dialektiker Berengar von Tours (Anfang des 11. Jahrhunderts - 1088), der ein symbolisch-spiritualistisches Verständnis der Eucharistie vertrat und auf der Lateransynode 1059 zur Rücknahme seiner Position gezwungen wurde (die er jedoch später widerrief). Unter Verwendung einer augustinischen Terminologie betonte er, dass die eucharistischen Elemente zwar Leib und Blut Christi seien, jedoch in den Zeichen, im sacramentum tantum, nicht enthalten seien. Die Zeichen dienen nach Berengar als Mittel für einen geistigen Empfang im Glauben, und er lehnte deshalb die Vorstellung einer Realpräsenz ab. Es komme zu keinem Seinswandel, sondern lediglich zu einem Bedeutungswandel der Elemente. In verschiedenen Synoden (Rom, Vercelli, Paris, Tours und im Lateran) wurde diese Position scharf abgelehnt und die innere Einheit von geschichtlichem und sakramentalem Leib als Realpräsenz betont.
Nach den Festlegungen des IV. Laterankonzils 1215 konnte sich dieses Verständnis von Transsubstantiation und Realpräsenz Christi vollends durchsetzen; es wurde zwar zu diesem Zeitpunkt noch nicht als Dogma formuliert, aber gleichsam als orthodox definiert.10 Die entsprechende lehramtliche Formulierung lautet wie folgt:
„Es gibt aber eine allgemeine Kirche der Gläubigen, außerhalb derer überhaupt keiner gerettet wird, in der der Priester selbst zugleich das Opfer ist, Jesus Christus, dessen Leib und Blut im Sakrament des Altars unter den Gestalten von Brot und Wein wahrhaft enthalten sind, wenn durch göttliche Macht das Brot in den Leib und der Wein in das Blut wesenhaft verwandelt sind: damit wir selbst zur Vollendung des Geheimnisses der Einheit von dem Seinigen empfangen, was er selbst von dem Unsrigen empfangen hat. Und dieses Sakrament kann freilich nur ein Priester vollziehen, der gültig geweiht wurde entsprechend den Schlüsseln der Kirche, die Jesus Christus selbst den Aposteln und ihren Nachfolgern gewährte.“11
Bezeichnet wird mit dieser Lehre die bei der Konsekration innerhalb des Hochgebets der Messe sich vollziehende Wesensverwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Jesu Christi. Unter Verwendung einer nun breit rezipierten aristotelischen Terminologie wird seitdem im katholischen Verständnis davon ausgegangen, dass es während des Abendmahls zu einer echten (Substanz-)Wandlung und nicht zu einer bloß akzidentiellen Veränderung kommt (es kommt also nicht etwas Zusätzliches in die liturgischen Gaben hinein oder tritt hinzu). Es handelt sich mithin nicht um eine „bloß formale oder eine bloß materiale Wandlung, sondern um einen Wandlung sowohl der Form als auch der Materie der Substanz, also um eine conversio substantialis“.12
Verbunden wurde die Transsubstantiationslehre mit der Konkomitanzlehre. Man argumentierte, dass der Leib Christi in den Elementen unversehrt bleibe und deshalb auch nicht in Brot und Wein aufgespalten werde. Die Folgerung daraus lautete, dass Fleisch und Blut ineinander sakramental verschränkt seien. Mit dieser Lehre von der jeweiligen und gegenseitigen Mitbegleitung der Substanzen (concomitantia) wurde die Abschaffung des Laienkelchs begründet.
III. Das Abendmahlsverständnis von Luther und Zwingli
Martin Luther und Huldrych Zwingli haben auf diese historische Entwicklung unterschiedlich reagiert und in der Auseinandersetzung mit ihr ihr jeweils eigenes Verständnis vom Gottesdienst und vom Abendmahl formuliert. Ihre beiden Auffassungen sind mit weitreichenden Folgen aufeinandergeprallt und haben Verwerfungen verursacht, die über Jahrhunderte spürbar bleiben sollten.
A) Martin Luther: Konsubstantiation und Realpräsenz
Luther hat schon in einer frühen Phase der Reformation, in seiner aus dem Jahre 1523 stammenden programmatischen Schrift Von Ordnung des Gottesdiensts in der Gemeine sein Verständnis vom Gottesdienst programmatisch entfaltet und die lateinisch-römische Mess- und Gottesdiensttradition weit hinter sich gelassen. Dies geschieht vor allem durch die Zentralstellung des Wortes und der Predigt. Damit die Gläubigen den christlichen Glauben verstehen können, soll der Gottesdienst nun in der Volkssprache gehalten werden, und seine gesamte Ausrichtung sollte dazu dienen, die Heilige Schrift und insbesondere das Evangelium kundig begreifen zu können: „Denn es ist alles zuthun umb gottis wort, das desselb ym schwang gehe und die seelen ymer aufrichte und erquicke, das sie nicht lassz werden“.13 Luther hat zwar die Messform nicht gänzlich abgelehnt - 1526 legte er sogar die Deutsche Messe und Ordnung Gottesdiensts zu Wittenberg fürgenommen vor -,14 doch insgesamt kann gelten, dass er die mittelalterliche Messe in ihrer überlieferten Fassung radikal infrage gestellt hat. Für den Zusammenhang dieser Arbeit ist von besonderem Belang, dass Luther den römischen Messkanon, also das eucharistische Hochgebet des römischen Ritus fast gänzlich gestrichen hat. Von diesem blieben nur die Einsetzungsworte übrig, die jetzt zudem auf ihren biblischen Wortlaut zurückgeführt wurden. Sie wurden nun an die Gemeinde gerichtet und gerade nicht mehr als Wandlungsformel verwendet. Dadurch veränderte sich auch die Rolle des Priesters: Er war ab jetzt nicht mehr der Mittler Gottes, der diesem mit dem Rücken zur Gemeinde ein Opfer darbringt, sondern der Prediger vor der Gemeinde, die er mit den Einsetzungsworten an das Leiden und Sterben Jesu erinnert. Die Einsetzungsworte veränderten dadurch ihre Funktion, denn Luther wollte sie nicht mehr als Gebet verstanden wissen, sondern als Anrede, in deren Vollzug Christus präsent wird.15 Im Übrigen war Luther der Überzeugung, dass das Opfer Christi nicht in der Messe wiederholt werden müsse; im Abendmahl werde vielmehr für das eine Opfer Christi gedankt, das die Notwendigkeit aller anderen kultischen Opfer ein für allemal beendet habe.
Der Transsubstantiationslehre, die Luther Thomas von Aquin und den „Thomisten“ zuschrieb, billigte er lediglich den Rang einer „Lehrmeinung“ (opinio) zu und verwarf für diese „sophistische Subtilität“ jeden Anspruch auf dogmatische Verbindlichkeit:
„Es gebe wahres Brot und wahren Wein, in denen das wahre Fleisch und Blut Christi nicht mehr und nicht weniger ist, als sie es unter ihren Zufällen sind. Was ich tat, weil ich sah, dass die Meinungen der Thomisten, ob sie nun vom Papst oder vom Konzil bestätigt wurden, nicht zu Glaubensartikeln werden würden, selbst wenn ein Engel vom Himmel etwas anderes beschließen würde. Denn was ohne die Heilige Schrift behauptet oder durch Offenbarung bewiesen wird, kann man vermuten, aber man muss es nicht glauben.“16
Die Fortschreibung der Transsubstantiationslehre im Laufe des Spätmittelalters bzw. der Scholastik war Luther zu spekulativ und nicht vernunftgemäß sowie vor allem schriftfremd. Dennoch hielt Luther an der Realpräsenz Christi in Brot und Wein im Modus der sakralen Vereinigung oder Konsubstantiation fest. Luther, und hier zeigt sich seine Ablehnung der aristotelischen und thomistischen Theorie von Substanz und Akzidenz, ging davon aus, dass sich im Abendmahl Blut und Leib Jesu Christi ohne Substanzwandlung mit Brot und Wein verbinden. Die Gläubigen empfangen demnach den Leib und das Blut Jesu Christi in, mit und unter Brot und Wein mit dem Mund zur Vergebung der Sünden. Aus der Ablehnung der Vorstellung einer Substanzwandlung folgte, dass nur für die Dauer der Abendmahlsfeier zur Substanz von Brot und Wein die Substanz von Leib und Blut Jesu Christi hinzutritt, dass aber nach der liturgischen Feier die Realpräsenz endet. Die Anbetung einer konsekrierten Hostie kam für Luther deshalb nicht mehr in Frage; doch er bekannte zugleich, dass er vor Verehrung niederknie, wenn eine Hostie vorbei getragen werde.17 Wie sehr Luther in der Verehrung der Sakramente in einem mittelalterlichen Denken verhaftet blieb, zeigt auch folgende Episode: In einem Gottesdienst im Jahr 1544 verschüttete eine Teilnehmerin, als sie sich zum Empfang der Kommunion niederkniete, versehentlich Wein auf ihre Pelzjacke und auf die Kniebank. Luther sei herbei gestürzt und habe unter Tränen dabei geholfen, den Wein respektive das Blut „mit aller reverenz von des Weibes Mantel sc. so rein als sie gekündten [...] ab vnd aufflecken“.18 Luther ließ diesem Augenzeugenbericht zufolge nach dem Gottesdienst die Weinflecken aus der Jacke schneiden, die Kniebank abhobeln und sorgte dafür, dass das Fell und die Späne verbrannt wurden - dies sind erneut deutliche Hinweise auf Luthers ausgeprägte und in einer mittelalterlichen Tradition wurzelnden Ängste und seiner Scheu vor den Abendmahlelementen.
B) Huldrych Zwingli: Abendmahl als Erinnerungs- und Bekenntniszeichen
Auch Zwinglis Verständnis eines reformierten Gottesdienstes ging von der Kritik der lateinischrömischen Messtradition aus. Er führte den sakramentlosen Prädikantengottesdienst als Hauptgottesdienst ein und formulierte eine gänzlich andere Abendmahllehre als Luther. In seiner Schrift Action oder bruch des nachtmals, gedechtnus oder dancksagung Christi, wie sy uff osteren zuo Zürich angehebt wirt im jar, als man zalt aus dem Jahr 152519 legte er eine Gottesdienstordnung fest, durch die die Feier des Abendmahls in Zürich auf nur vier Gottesdienste im Jahr reduziert wurde: „Und dise ordnung werdend wir, so veer es unseren kilchen gefallen wirdt, vier mal im jar bruchen: zuo ostren, pfingsten, herbst [Allerheiligen - W.H.], wienacht“ (S. 17).20 Auch das
Austeilen des Abendmahls vollzog sich nun in einer äußerst reduzierten Form durch die Gemeinde selbst und nicht mehr für sie oder vor ihren Augen (verwendet wurde dabei ungesäuertes Brot)21:
„unnd demnach durch verordnete diener das brot in höltzenen, breiten schüßlen harumbtragen von einem sitz zuo dem anderen, und da einen yeden mit siner hand lassen einen bitz oder mundvoll abbrechen unnd essenn, ouch demnach mit dem wyn glycherwyß harumbgan, also, das sich nieman ab sinem ort muoß bewegen“.22
Im Zentrum steht auch bei Zwingli die Konzentration auf das Wort und die Wortverkündigung; das Abendmahl wird dem Wort, das die eigentliche geistliche Nahrung darstellt, strikt untergeordnet. Durch die gezielte Ablehnung nicht nur der Messe, sondern auch der Eucharistie fiel der Bruch mit der Tradition bei Zwingli noch viel radikaler aus, als bei Luther. Die Sakramente sind für Zwingli nun keine Gnadenmittel mehr (wie noch für Luther), sondern reine Erinnerungs- und Bekenntniszeichen. Iserloh hat einsichtig gemacht, dass dieses Verständnis des Abendmahls zutiefst geprägt ist von einem humanistischem Spritualismus:
„Die Messe als Gedächtnis bedeutet für ihn nicht die geistlich-sakramentale Gegenwart des einmaligen Kreuzesopfers, sondern die Vergegenwärtigung in der Erinnerung, im Bewußtsein der Gemeinde. Geistiges und Sinnliches schließen sich aus. Gott ist Geist, und wer sich zu ihm erheben will, muß alles Sichtbare hinter sich lassen“.23
Es sei Gott sogar unwürdig, durch sinnliche Mittel mit ihm in Kontakt treten oder auf ihn einwirken zu wollen. Letztlich bedürfe es gar keiner Sakramente, denn allein durch den Glauben an Jesus Christus finde man zum Heil. Iserloh weist ebenfalls darauf hin, dass die Einsetzungsworte „hoc est corpus meum“ für Zwingli noch Anfang der 1520er Jahre kein Problem darstellten und er sie selbstverständlich hinnahm.2425 Erst in einer Entgegnung auf ein Schreiben von Johannes Bugenhagen vom 23. Oktober 1525 klärte Zwingli sein Verständnis des Wortes „est“: „Daher lehrten wir ,ist‘ für: ,ist ein Symbol’, ,ist eine Abbildung', ,bedeutet‘ [significat] (...)“/' Kurz darauf, im Februar 1526, veröffentlichte Zwingli seinen auf Deutsch geschriebenen Traktat Eine klare Unterrichtung vom Nachtmahl Christi, in dem er unter Anknüpfung an die Lehre des holländischen Juristen und Humanisten Cornelis Hendrix Hoen (1440-1524) (zum Teil aber auch unter Verweis auf Berengar von Tours - s.o.) deutlich gegen Luthers Position der Realpräsenz Christi Stellung bezog und sein eigenen Verständnis vom Zeichencharakter des Altarsakraments weiter entfaltete. Hier heißt es nun: „Nun mag ye das zeychen und das verzeichnet nit ein ding sin. So mag das sacrament des fronlychnams Christi nit der fronlychnam selbs sin“.26 Bezeichnendes und Bezeichnetes treten hier auseinander, und das Zeichen erhält in Differenz zu dem, was es bezeichnet, einen Verweischarakter. Brot und Wein sind nicht Leib und Blut Christi, sondern verweisen nach Zwingli auf das Sterben Christi und auf die Sündenvergebung. Das Abendmahl wird somit zu einem Gedächtnismahl, mit dem an diese erlösende Tat erinnert wird.
Gäbler hat hervorgehoben, dass in diesem Verständnis des Abendmahls Zwinglis Auffassung vom Wesen Gottes ins Spiel komme:
„Der Geist Gottes kann nicht eingefangen werden durch das Sakrament, denn es besteht ein qualitativer Unterschied zwischen den irdischen Dingen und Gott. Darum können die irdischen Dinge allein auf Gott weisen und Gott kann sich ihrer bedienen, sie können ihn aber in seinem Wesen nicht vergegenwärtigen“.27
Auch wenn Zwingli die Idee der Realpräsenz entschieden abgelehnt hat, ging er doch von der Gegenwärtigkeit Christi im Abendmahl aus, aber eben im Modus der Erinnerung. Doch diese ist nicht als ein bloßer Gedächtnisabruf zu verstehen, sondern dient der lebendigen Vergegenwärtigung. Zwingli wählte dafür einen Vergleich: Auch beim Pessachmahl stehe nicht das Lamm im Mittelpunkt, sondern die Erinnerung an die Befreiung aus der Versklavung in Ägypten. Neben diesem so verstandenen Aspekt der Erinnerung und über ihn hinaus ist für Zwingli das Abendmahl aber auch Danksagung für die Befreiung von der Sünde und Bekenntnis der Gemeinde zur Nachfolge.28 Erst in der Verbindung dieser Elemente, die eine besondere Form der Präsenz Christi schaffen, kommt Zwinglis Abendmahlsverständnis voll zur Geltung.
IV. Der Abendmahlsstreit
Mit der zuletzt erwähnten Schrift hatte Zwingli nicht nur seine eigene Position unmissverständlich formuliert, sondern auch Luther herausgefordert. Dieser zögerte zuerst, ließ sich dann aber von Mitstreitern und Gegnern zu einer ausführlichen Erwiderung gegen die „Sakramentenschwärmer“ drängen. Gegen die Auffassungen von Zwingli, aber auch die von Andreas Bodenstein von Karlstadt (1486-1541) und Johannes Oekolampad (1482-1531) publizierte er 1527 seine Schrift Daß diese Worte Christi „Das ist mein Leib“ noch feste stehen, wider die Schwärmgeister. Luther sah in Zwingli einen Partei- und Wiedergänger seines ehemaligen Wittenberger Kollegen Karlstadt, der 1524 in mehreren Abendmahlstraktaten die Realpräsenz Christi als katholisch kritisiert und Luther vorgeworfen hatte, er schreibe dem Abendmahl eine Erlösungsfunktion zu, relativiere damit die Zentralstellung und Exklusivität des Kreuzes bzw. des Kreuzestodes und verrate „die Kreuzestheologie (theologia crucis) des reformatorischen Aufbruchs zugunsten einer sakramentalen theologia gloriae “.29 Gegen ihn verfasste Luther im Jahr darauf eine scharfe Abrechnung, die den Titel Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakramenten trug und auf dem Wortlaut der Einsetzungsworte bestand.30
Luther sah in den Auffassungen all seiner Gegner nicht nur „subjektive Vernunft“ am Werk, gegen die er das „objektive“ Christuswort in Stellung bringen wollte, sondern gleich den Teufel und den Antichristen. Mit der richtigen Interpretation der Abendmahllehre stand für Luther das gesamte Anliegen der Reformation zur Diskussion und in Frage. Hier soll besonders auf die grundlegenden dogmatisch-theologischen Unterschiede hingewiesen werden. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Zwingli von einer scharfen Trennung zwischen Göttlichem und Menschlichem ausging und entsprechend die Annahme einer Verschmelzung der Naturen Christi auch im Abendmahl ablehnte. Zwinglis Christologie haftet damit ein nestorianischen Zug an, behauptet er doch gewissermaßen auch, dass die beiden christlichen Naturen geteilt und unvermischt seien. Luther hingegen bestand darauf, dass es im Sakrament zu einer wechselseitigen Mitteilung der Eigenschaften beider Naturen Christi komme. Das Wunder der Inkarnation findet seiner Vorstellung nach gleichsam seine Fortsetzung im Wunder der (Real-)Präsenz Christi in den Abendmahlselementen.31 Und wie jenes erfordere auch dieses den unbedingten Glauben der Christ:innen. Luthers Christologie war im Kern eine Lehre der Idiomenkommunikation. Er argumentierte weiter, dass mit der Fleischwerdung Christi die vor allem von Zwingli in Anschlag gebrachte Unterscheidung zwischen Zeichen und Sache ein für allemal hinfällig und überwunden sei. Der „Rückfall“ Zwinglis hinter diese heilsnotwendige Einsicht des Chalcedonense war für Luther keine Kleinigkeit, sondern eine Frage, die aufs soteriologische Ganze ging. Er gab damit dem Abendmahlsstreit zu Recht eine fundamentaltheologische, aber zu Unrecht auch eine geradezu heilsgeschichtliche Bedeutung und verstand ihn als Kampf gegen eine teuflische Lehre und Versuchung.
Zwingli hingegen hatte eine andere Auffassung von dem Charakter dieser Auseinandersetzung. Er wollte einen gelehrten Diskurs führen und auch in der Frage der Sakramente, für die er sich in besonderer Weise zuständig empfand, die letzten Reste eines mittelalterlichen Denkens abschütteln. Eine Annäherung dieser beiden Positionen war eigentlich nicht möglich, die Debatte verhärtete sich zusehends, und es kamen auch keine neuen Argumente durch die anderen am Streit beteiligten Reformatoren (Bugenhagen, Oekolampad) hinzu. Allerdings gab es Reformatoren, die sich um einen Ausgleich bemühten: die Straßburger „Vermittlungstheologen“ Wolfgang Capito (1478-1541), Martin Bucer (1491-1551) und Kaspar Hedio (1494-1552) wollten eine Konkordie und entwickelten den Plan einer Disputation, um die Gegensätze überwinden zu können.
V. Das Marburger Religionsgespräch
Da sich die allgemeine politisch-gesellschaftliche Situation des protestantischen Lagers zusehends verschlechterte, bekamen diese Bemühungen eine besondere Dringlichkeit und wurden schließlich von einer ganz anderen Seite befördert. Markgraf Philipp I. von Hessen (1504-1567) griff den Plan auf, um in einer Koalition alle evangelischen Stände zu vereinigen, in die er auch die Schweizer Reformatoren und Gemeinden mit aufnehmen wollte.32 Philipp hatte 1526 auf der Homburger Synode das reformatorische Bekenntnis in seinem Territorium eingeführt und betrieb eine antihabsburgische Bündnispolitik. Er erkannte rasch, dass ein geschlossenes politisches Agieren der protestantische Seite abhängig war von der Klärung zentraler Lehr- und Bekenntnisfragen. Seine ersten Bemühungen, Luther zu einer Teilnahme an einer Disputation zu bewegen, blieben 1527 und 1528 erfolglos. Noch während des zweiten Reichstages in Speyer im März und April 1529, auf dem die altgläubige Seite versuchte, die Kontroverse um das Abendmahl auszunutzen und das protestantische Lager zu spalten, begann der hessische Markgraf, das Religionsgespräch vorzubereiten. Die Spaltungsversuche der katholischen Seite scheiterten zwar - Kursachsen, Hessen, Nürnberg, Straßburg und Ulm schlossen angesichts einer immer bedrohlicher werdenden Lage ein vorläufiges Verteidigungsbündnis -, Kursachsen drängte aber vehement auf ein einheitliches Bekenntnis. Der Abendmahlstreit war zu einem akuten politischen Problem geworden. Noch aus Speyer verschickte Philipp I. Einladungsschreiben, dem die Schweizer und Straßburger Reformatoren bereitwillig und voller Hoffnung auf Klärung folgten. Luther und Oekolampad nahmen hingegen die Einladung nur äußerst widerwillig an. Insbesondere Luther war, wie bereits gesehen, äußerst kompromisslos in seiner Haltung und Ablehnung.
Das Treffen fand schließlich vom 27. September (dem Tag der Ankunft Zwinglis in Marburg) bis zum 4. Oktober 1529 im Marburger Schloss statt. Die eigentlichen Gespräche wurden vom 1. bis zum 3. Oktober geführt. In Marburg begegnete „sich die Reformatorenprominenz der ersten Generation in singulärer Vollständigkeit“, und es trafen „die beiden wichtigsten Persönlichkeiten beider Lager - Luther und Zwingli - ein erstes und einziges Mal“ zusammen.33 Die Gruppe um Luther bestand neben ihm selbst aus Philipp Melanchthon (1497-1560), Justus Jonas dem Älteren (1493-1555) auch aus Wittenberg, Andreas Osiander (1496 oder 1498-1552) aus Nürnberg, Johannes Brenz (1499-1570) aus Schwäbisch Hall sowie Stephan Agricola (um 1491-1547) aus Augsburg. Zur Gruppe der Schweizer und Straßburger Reformatoren gehörten neben Zwingli, Johannes Oekolampad aus Basel sowie Martin Bucer und Caspar Hedio aus Straßburg.
Es existiert kein Protokoll über die Gespräche, aber es lässt sich so viel knapp zusammenfassend über den Ablauf sagen:34 Am 1. Oktober kam es zu Vorgesprächen zwischen Zwingli und Melanchthon sowie zwischen Luther und Oekolampad. Am 2. und 3. Oktober trafen dann die Hauptkontrahenten aufeinander. Das Gespräch wurde hauptsächlich durch Luther, Zwingli und Oekolampad geführt, Melanchthon und Brenz schalteten sich jeweils nur einmal ein. Man beschloss, sich auf die Frage des Abendmahls zu konzentrieren, und es wurden die bekannten Argumente ausgetauscht. Luther betonte im Kern immer wieder den Wortlaut des Einsetzungsberichts und soll die Worte „Dies ist mein Leib“ sogar mit Kreide auf die Tischplatte geschrieben haben, zuerst verborgen unter einer Samtdecke, die er im Laufe des Gesprächs dann zurückschlug.35 Die Süddeutschen waren nicht überzeugt und behaupteten mit Verweis auf Joh 6,63, dass kein leibliches Zusichnehmen gemeint sei und betonten den Unterschied zwischen leiblichen und geistlichem Essen. Luther hielt dagegen, dass dieser Unterschied in Jesus Christus überwunden sei.36 Eine wichtige Rolle spielte in diesem Zusammenhang auch die Auseinandersetzung um die von Zwingli und Oekolampad aufgeworfene Frage, wie Jesus einerseits aufgefahren sein könne in den Himmel, andererseits und gleichzeitig aber überall auf den zahlreichen Altären leiblich präsent und damit räumlich nicht begrenzt sein könne. Zwingli kommentierte diese Vorstellung polemisch so: „Christus nach seiner Himmelfahrt sitzt seiner Menschheit nach nicht ,droben auf der blauen byne und gee dieweyl die Gottheyt allenthalben umbher spacieren‘“.37 Dagegen setzte die lutherische Seite die Lehre der Ubiquität Jesu Christi, die besagt, dass nicht nur seine göttliche, sondern auch seine menschliche Natur Anteil an der Allgegenwart Gottes habe.
Mehrere Vermittlungsversuche scheiterten, und die Diskussion geriet an einen toten Punk. Als die Wittenberger den Vorstoß der Partei Zwinglis ablehnten, man könne trotz der Lehrunterschiede Kirchengemeinschaft halten und sich als christliche Brüder anerkennen, forderte der hessische Landgraf die Teilnehmenden auf, die Konsenspunkte festzuhalten. Luther verfasste daraufhin am 4. Oktober 1529 die 15 Marburger Artikel.38 In den ersten 14 Kapiteln werden die übereinstimmenden Auffassungen beschrieben (sie betreffen etwa die Trinität, die Erbsünde, die Rechtfertigungslehre, die Predigt, die Beichte, die Jungfrauengeburt und das Verhältnis zur Obrigkeit). Erst im abschließenden 15. Artikel geht es um das Abendmahl; hier wird zwar Einigkeit in der Ablehnung der Lehre von der Transsubstantiation und der Beibehaltung des Laienkelchs betont, ansonsten aber erklärt der Artikel den grundlegenden Streitpunkt der Realpräsenz für ungelöst:
„Vom sacrament des leibs und bluts Christi. Zum funfzehendten gleuben und halten wir alle von dem nachtmale unsers lieben hern Hiesu Christi, das man bede gestalt nach der insatzung Christi prauchen solle, das auch das sacrament des altars sey ein sacrament des waren leibs und pluts Hiesu Christi und di gaistliche niessung desselbigen leibs und pluts einem yeden christen furnemblich von noten, defigleichen der brauch des sacraments wie das wort von got dem almechtigen gegeben und geordnet sey, damit di schwachen gewissen zu gleuben zu bewegen durch den heiligen gaist. Und wiewol aber wir uns, ob der war leib und plut Christi leiblich im brot und wein sey, dißer zeit nit vergleicht haben, so sal doch ein teil jegen dem andern christliche liebe, sofer yedes gewiessen ymmer leyden kan, erzeigen, und bede teil got den almechtigen vleissig bidten, das er uns durch seinen gaist den rechten verstandt bestetigen wolle. Amen“39
Zusammenfassend muss gesagt werden, dass das Marburger Religionsgespräch als gescheitert gelten muss. Es hat weder zu neuen Erkenntnissen bzw. Argumenten noch zu einer kompromisshaften Verständigung der beiden Seiten geführt. Beide Parteien beanspruchten für sich, den Streit für sich entschieden und die Position der jeweils anderen Seite überwunden zu haben. Dies verstärkte letztlich aber nur die Unversöhnlichkeit, die schon in den Tagen in Marburg deutlich hervorgetreten war. Die Disputation wurde mehr und mehr als dasjenige Ereignis verstanden, das zur endgültigen Trennung sowie überhaupt durch wechselseitige Lehrverurteilungen zur Herausbildung der beiden protestantischen Konfessionen geführt hat. Kaufmann weist darauf hin, dass mit der Marburger Disputation erstmals eine „explodierende theologische Konfliktkultur“ zutage getreten sei, die kennzeichnend für den frühneuzeitlichen kirchlichen Protestantismus (zumal in Deutschland) gewesen sei. Da es keine lehramtliche Instanz gegeben habe, hätten die Debatten nur selten abgeschlossen werden können und seien dadurch gleichsam unbegrenzbar gewesen.40 Es fanden in den folgenden Jahrzehnten weitere Abendmahlsgespräche41 mit dem weitgehend nämlichen Ergebnis statt, und zu der von den Straßburger Reformatoren gewünschten Einigung kam es erst etliche Jahrhunderte später, als die Voraussetzungen des konfessionellen Zeitalters endgültig obsolet geworden waren. 1973 wurde die Leuenberger Konkordie verabschiedet, in der es in „Kapitel III. Die Übereinstimmung angesichts der Lehrverurteilungen der Reformationszeit“ im Absatz über das Abendmahl heißt:
„Die Gemeinschaft mit Jesus Christus in seinem Leib und Blut können wir nicht vom Akt des Essens und Trinkens trennen. Ein Interesse an der Art der Gegenwart Christi im Abendmahl, das von dieser Handlung absieht, läuft Gefahr, den Sinn des Abendmahls zu verdunkeln. Wo solche Übereinstimmung zwischen Kirchen besteht, betreffen die Verwerfungen der reformatorischen Bekenntnisse nicht den Stand der Lehre dieser Kirchen.“42
In dieser Formulierung wird zwar die enge Verbindung zwischen dem Leib und dem Blut Christi mit den Elementen von Brot und Wein betont, jedoch wird keine Festlegung dieses Zusammenhangs im Sinne einer Realpräsenz vorgenommen. Trotz dieser entschärfenden Konkordienformel, die nun eine Abendmahlsgemeinschaft möglich gemacht hat, sind die in der Reformation zwischen Luther und Zwingli aufgeworfenen Fragen noch immer theologisch nicht geklärt.
Literatur
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[...]
1 Siehe zu diesen Angaben Schilling, Martin Luther, 190-197.
2 Siehe dazu Gäbler, Huldrych Zwingli, 44-84.
3 Siehe dazu vor allem Rich, Anfänge, und Gäbler, Huldrych Zwingli, 46-49.
4 Angenendt, Gottesdienst im Mittelalter, 64. Siehe auch: Ders., Liturgik und Historik.
5 Schubert, Gott Essen, 31.
6 A. a. O., 33.
7 Rössler, Grundriß der Praktischen Theologie, 414.
8 Angenendt, Gottesdienst im Mittelalter, 67.
9 Ich beziehe mich in der folgenden Darstellung auf die zusammenfassenden Ausführungen in der Dogmatik von Müller. Siehe Müller, Dogmatik, 693-695.
10 Eine explizit dogmatische und bis heute in der katholischen Kirche gültige Festlegung geschieht erst durch das Konzil von Trient, formuliert im „Dekret über das Sakrament der Eucharistie“ (Kap. 4); siehe dazu Denzinger, Kompendium, Nr. 1642.
11 Denzinger, Kompendium, Nr. 802.
12 Müller, Dogmatik, 696.
13 Luther, Von Ordnung Gottesdiensts, 36, Hervorhebung W.H.
14 Luther, Deutsche Messe.
15 Siehe dazu Karle, Praktische Theologie, 273.
16 Luther, De captivitate babylonica ecclesiae, 508; eigene Übersetzung und Hervorhebung.
17 Schubert, Gott essen, 122.
18 Hachenburg, Irrthumb, F2r.
19 Der Zwingli-Biograph Ulrich Gäbler weist darauf hin, dass Zwingli schon in den Jahren zuvor mit Erasmus den Gemeinschaftscharakter des Abendmahls herausgestellt und von einem geistlichen Essen und Trinken gesprochen habe. Bestritten habe er zudem schon vorher, dass die Messfeier eine Tilgung der Sünden erreiche. Mit den anderen Reformatoren sei er sich einig gewesen, dass die Messe kein Opfer sei. Da Jesus mit seinem Kreuzestod als einmaligen Opfertod für die Sünden der Menschen bezahlt habe, so auch Zwingli, müsse das Opfer nicht wiederholt werden. Die Messe sei deshalb nicht mehr als die Erinnerung an dieses Opfer. Siehe Gäbler, Zwingli, 118.
20 Zwingli, Action oder bruch des nachtmals, 17.
21 Über die Frage, ob beim Abendmahl gesäuertes oder ungesäuertes Brot verspeist werden soll, ist um 1000 n.Chr. ein erbitterter Streit geführt worden (Azymenstreit). Die römisch-katholische Kirche bestand auf der Verwendung von ungesäuertem Brot, was von der byzantinischen Ostkirche als häretisch abgelehnt wurde. Dieser Streit hat mit zur Kirchenspaltung beigetragen. Siehe dazu Schubert, Gott essen, 74-77.
22 A. a. O., 16.
23 Iserloh, Geschichte und Theologie der Reformation, 83.
24 A. a. O.
25 Zwingli, Responsio ad epistolam Ioannis Bugenhagii, 561.
26 Zwingli, Eine klare Unterrichtung vom Nachtmahl Christi, 794.
27 Gäbler, Luther und Zwingli, 109.
28 A. a. O.
29 Kaufmann, Erlöste und Verdammte, 169.
30 Mit Karlstadts Abendmahlsverständnis setzt sich Luther genauer im 2. Teil seiner Abhandlung auseinander: Luther, Wider die himmlischen Propheten, 144-182.
31 Gottfried Locher formuliert es so: „Luther betont die Offenbarung Gottes, Zwingli die Offenbarung Gottes. Hier liegt meines Erachtens die Differenz zwischen der Wittenberger und der Zürcher Reformation.“ Siehe Locher, Grundzüge, 502f..
32 Ich greife hier im Wesentlichen auf die Angaben zurück, die Gerhard May in der Einleitung zu seiner Sammlung wichtiger Quellen des Marburger Religionsgesprächs zusammengestellt hat. Siehe May, Marburger Religionsgespräch, 5-7.
33 Kaufmann, Erlöste und Verdammte, 171.
34 Ich folge hier zusammenfassend der ausführlichen Darstellung von Köhler, Zwingli und Luther Bd. 1, 66-163.
35 A. a. O., 86 und 107.
36 Köhler gibt folgende Redesequenz zwischen Luther und Zwingli wieder; sie zeigt, wie zugespitzt der Streit zum Teil war und bis hin zum ausgesprochenen Todeswunsch reichte: „Nun wird Zwingli ungeduldig und ärgerlich. Pikiert repliziert er: ,Auch wir bitten, daß Ihr Gott die Ehre gebt und von Eurer vorgefaßten Meinung laßt’ (relinquatis petitionem principii). Es handelt sich um die probatio des Themas, nicht um einfache unbewiesene Behauptungen. ,Ich werde sorgsam Eure Worte sammeln, nüt für unguet.’ Hatte Luther Zwingli vorgeworfen, er biege vom Pfade ab, so wirft Zwingli diesen Vorwurf auf Luther zurück: ,Ihr wollt mich abführen, ich lasse mich nicht abführen, ich stehe (sum) auf dieser Stelle (Joh. 6, 63).’ Ich will Euch schon zwingen. ,Ihr werdt mir anderst singen!’, was Luther zu der Bemerkung veranlaßt: ,Ihr redet gehässig’ (invidiose). Aber Zwingli stellt jetzt Luther mit ganz bestimmter Frage, er will ihn zur Exegese von Joh. 6 zwingen. ,Glaubt Ihr, daß Christus (Joh. 6) Unwissende heilen wollte?’ Luther lehnt diese Art des Vorgehens ab: [...] ,An Euch ist es, zu beweisen (probare), nicht an mir.’ Die ganze Verhandlung über Joh. 6 tut nichts zur Sache, also ,lassen wir das’! Aber Zwingli besteht darauf: ,es ist zu beweisen, daß Joh. 6 von der fleischlichen Nießung die Rede ist,’ was Luther beiseite schiebt mit den Worten: ,Ihr habt eine schlechte Dialektik, sie reicht nicht weiter als der Stock im Winkel,’ d.h. Ihr bleibt auf dem Fleck stehen. ,Nein, nein,’ ruft Zwingli triumphierend, ,diese Stelle (Joh. 6) bricht Euch den Hals ab,’ worauf Luther bissig erwidert: ,Rühmet nit zu sehr, die Hälse brechen nicht also, Ihr seid in Hessen, nicht in Schweitz.’ [.] Nunmehr entschuldigt sich Zwingli, er habe nur eine schweizerische Redensart gebraucht, offenbar erschrocken über Luthers Aufbegehren.“ A. a. O., 95.
37 A. a. O., 68.
38 Schreiber fertigten von den Artikeln eine dreifache Abschrift an, die von den beteiligten Theologen unterschrieben wurde. Eine Abschrift erhielt der Landgraf, eine die süddeutsche Partei und die dritte die Wittenberger. Siehe May, Marburger Religionsgespräch, 67 (FN 327).
39 Zit.n. May, Marburger Religionsgespräch, 69-70; Hervorhebung W.H.
40 Kaufmann, Erlöste und Verdammte, 171.
41 In Deutschland fanden diese vor allem zwischen den Lutheranern und nun auch den Reformierten calvinistischer Prägung sowie, innerhalb der lutherischen Konfession, zwischen den „Genesiolutheranern“ und den „Philippisten“ statt. Siehe Bizer, Abendmahlsstreit.
Häufig gestellte Fragen
Was ist der Inhalt dieses Dokuments?
Dieses Dokument ist eine umfassende Darstellung des Abendmahlsstreits zwischen Martin Luther und Huldrych Zwingli im Kontext der Reformation. Es beleuchtet die unterschiedlichen Abendmahlsverständnisse beider Reformatoren und deren theologische Hintergründe.
Was sind die Hauptpunkte der Wittenberger Reformation unter Luther?
Luther kritisierte den Ablasshandel und betonte innere Reue. Er lehnte den geweihten Priesterstand ab, proklamierte ein allgemeines Priestertum, und kritisierte "Werkgerechtigkeit", indem er betonte die Gnadenwirkung des Glaubens.
Wie unterschied sich Zwinglis Reformation in Zürich von Luthers Reformation in Wittenberg?
Zwinglis Reformation war stärker von humanistischer Bibelauslegung geprägt und führte zu einer Stadtreformation mit eigenen Strukturen. Im Gegensatz zur Fürstenreformation in Deutschland, spielte in Zürich der Rat der Stadt eine zentrale Rolle.
Was war der Hauptstreitpunkt zwischen Luther und Zwingli in Bezug auf das Abendmahl?
Der Hauptstreitpunkt war das Verständnis des Abendmahls. Luther insistierte auf der Realpräsenz Christi in Brot und Wein (Konsubstantiation), während Zwingli das Abendmahl als ein symbolisches Erinnerungsmahl verstand.
Was ist die Konsubstantiation nach Luther?
Luther lehnte die Transsubstantiation ab, argumentierte aber, dass Leib und Blut Jesu Christi sich ohne Substanzwandlung mit Brot und Wein verbinden. Die Gläubigen empfangen Leib und Blut in, mit und unter Brot und Wein.
Wie definierte Zwingli das Abendmahl?
Zwingli sah das Abendmahl als ein reines Erinnerungs- und Bekenntniszeichen. Brot und Wein sind nicht Leib und Blut Christi, sondern verweisen auf das Sterben Christi und die Sündenvergebung. Es ist ein Gedächtnismahl, Danksagung und Bekenntnis zur Nachfolge.
Was war das Marburger Religionsgespräch und was war das Ergebnis?
Das Marburger Religionsgespräch war ein Treffen im Jahr 1529 zwischen Luther und Zwingli, um ihre unterschiedlichen Ansichten zu diskutieren und möglicherweise eine Einigung zu erzielen. Das Gespräch endete ohne Einigung in der Abendmahlsfrage, führte aber zur Formulierung der 15 Marburger Artikel, die in 14 Punkten Übereinstimmung zeigten, aber im 15. Punkt die Differenzen im Abendmahlsverständnis festhielten.
Was ist Transsubstantiation?
Transsubstantiation ist die katholische Lehre, dass während der Konsekration in der Messe das Wesen von Brot und Wein in Leib und Blut Jesu Christi verwandelt wird, während die äußeren Merkmale (Akzidenzien) erhalten bleiben.
Was ist die Bedeutung der Leuenberger Konkordie von 1973?
Die Leuenberger Konkordie ermöglichte eine Abendmahlsgemeinschaft zwischen lutherischen und reformierten Kirchen, indem sie die Lehrverurteilungen der Reformationszeit in Bezug auf das Abendmahl relativierte, ohne jedoch die theologischen Differenzen vollständig zu klären.
Was ist der liturgische Hintergrund für den Abendmahlsstreit?
Der liturgische Hintergrund ist die Entwicklung der römisch-katholischen Messe vom Frühmittelalter bis zur Reformation, einschließlich der Klerikalisierung der Liturgie, der Entwicklung der Eucharistie zum Opferritus und der Vorstellung einer Realpräsenz Christi in Brot und Wein.
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- Wolfgang Hegener (Autor:in), 2024, Luther und Zwingli. Der Abendmahlsstreit und das Marburger Religionsgespräch, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1442366