Der Bildungsbericht 2020 skizziert diverse Herausforderungen für alle Bereiche des Bildungswesens. Dieser Essay zielt darauf ab, die bildungspolitischen Herausforderungen des Elementarbereichs, wie sie im Bildungsbericht 2020 dargelegt sind, zu beleuchten und zu analysieren.
Der Bildungsbericht 2020 bietet eine umfassende Übersicht über die Herausforderungen im Bildungswesen, mit einem speziellen Fokus auf den Elementarbereich. Der Elementarbereich, bestehend aus Kindertagesstätten und deren Trägern, stellt ein entscheidendes Fundament für die frühkindliche Bildung dar. Die beteiligten Akteure, darunter Erzieher, pädagogische Fachkräfte, Pflegepersonal, Tagespfleger sowie Eltern, spielen eine zentrale Rolle in der Entwicklung der Kinder. Dieser Bereich ist auch für die Grundschulen von Bedeutung, da er die Kinder auf den Übergang in den Primarbereich vorbereitet. Der Essay beleuchtet, wie diese verschiedenen Elemente zusammenwirken und welche bildungspolitischen Anforderungen und Herausforderungen dabei entstehen.
Bildungspolitik und Qualitätssicherung in Bildungssystemen
Bildungspolitische Herausforderungen des Elementarbereichs nach:
Bildung in Deutschland 2020
Der Bildungsbericht 2020 skizziert diverse Herausforderungen für alle Bereiche des Bildungswesens. Dieser Essay wird den Fokus auf die Anforderungen und Herausforderungen des Elementarbereichs legen.
Der Elementarbereich umfasst Kindertagesstätten und ihre Träger. Die Akteure in diesem Bereich sind die Erzieher:innen, pädagogische Fachkräfte, pflegerische Fachkräfte, Tagespfleger:innen in privater Betreuung, andere Angestellte und die Eltern der zu betreuenden Kinder. Indirekt sind auch Grundschulen bzw. der Primarbereich betroffen, da Kinder im Elementarbereich auf den Übergang in den Primarbereich vorbereitet werden.
Diese Akteure haben verschiedene Ansprüche an die Kindertagesstätten. Eltern haben gewissen Ansprüche und Vorstellungen bezüglich der Betreuungsqualität, des pädagogischen Handelns und der grundsätzlichen Rahmenbedingungen. Die Öffnungszeiten der KiTas müssen mit der Berufstätigkeit vereinbar sein und ein Maß an Flexibilität bieten. Die Träger haben ein wirtschaftliches Interesse, die Politik (Kommunen und Länder) ein öffentliches Interesse an der Einhaltung der Rahmenbedingungen und Gesetze. Das erziehende Personal hat zusätzlich auch den Anspruch an faire Arbeitsbedingungen und an einem Werteprinzip, das der eigenen Moral entspricht.
Aus den vereinten Ansprüchen ergibt sich eine gemeinsame Erwartungshaltung an die Arbeit in Kindertagestätten: die bestmögliche Förderung der Kinder und eine Vorbereitung auf die Einschulung. Das bedeutet im Konkreten, der Wunsch nach der Förderung kognitiver, motorischer und sozialer Fähigkeiten, nach sprachlicher Förderung, besonders bei Kindern mit Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache, und damit verbunden nach inklusiven und integrativen Angeboten für alle Kinder[1]. Idealerweise soll die U6[2]-Tagesbetreuung die Kinder auf einen gemeinsamen Entwicklungsstand bringen, um zu ermöglichen, dass in der Primarstufe alle von der gleichen Position aus und mit ähnlichen Möglichkeiten starten. Diese Haltung und die Tatsache, dass zunehmend mehr Kinder geboren werden, ergibt einen in der Zukunft weiter erhöhten Personal- und Platzbedarf. Dieser Bedarf konnte in der Vergangenheit in der U3 [3] Tagespflege nicht gedeckt werden[4].
Generell steigen die Anforderungen und Herausforderungen für betreuendes Personal weiter an. Auch wenn die U1- Betreuung in Deutschland nahezu ausschließlich im familiären Rahmen abgedeckt wird, etwas, dass sich viele Familien nur wegen des Elterngelds leisen können, steigt die Zahl der betreuten Kinder ab dem ersten Lebensjahr an. Es gibt Unterschiede zwischen den „alten“ und den „neuen“ Bundesländern, so werden in den „alten“ 31% und in den „neuen“ 66% der Einjährigen institutionell betreut. [5] Der Faktor, der diesen erhöhten Betreuungsanspruch beeinflusst ist, dass immer mehr Frauen ein Jahr nach der Geburt wieder in den Beruf zurückkehren, wenn auch in Teilzeit[6].
In der Betreuungsquote der Gruppe von 3 bis 6- Jährigen gibt es einen signifikanten Anstieg. 2019 waren 93% der Kinder in Angeboten der Tagesbetreuung untergebracht, es wurde nur jedes zehnte Kind anderweitig betreut[7]. In diesem Bereich lässt sich der elterliche Betreuungsbedarf größtenteils decken, jedoch weicht die Verfügbarkeit von Betreuungsangeboten für die unter 3- Jährigen schon seit längerer Zeit deutlich vom Bedarf ab. Im Jahr 2019 konnten zwar 34% der Kinder institutionell betreut werden, der Bedarf lag mit 49%, 15 Prozentpunkten, also 360.000 fehlenden Plätzen, allerdings darüber[8]. An dieser Stelle besteht ein wahrnehmbarer notwendiger Handlungsbedarf in der Schaffung weiterer Betreuungsplätze, aus dem ein erhöhter Bedarf an Fachkräften folgt.
Daraus, und aus der gesteigerten Berufstätigkeit, ergibt sich die Notwendigkeit veränderter Öffnungszeiten. Eine frühere Öffnung und eine spätere Schließung der Einrichtungen ermöglicht eine Annäherung an die Lebensrealitäten der Familien, da nicht jedes Arbeitszeitmodell den Öffnungszeiten der Einrichtungen entspricht und die Arbeitssituation alleinerziehende Elternteile so entspannt werden könnte. Bundesweit boten 2019 72% der KiTas Betreuungszeiten von 9 bis 12 Stunden an, weitere 4% gingen über diese 12 Stunden hinaus. Doch ist nicht nur die tatsächliche Betreuungszeit relevant, sondern die konkreten Öffnungszeiten der Einrichtung. Die Mehrheit der KiTas in Westdeutschland öffnet zwischen 7 Uhr und 7.30 Uhr, in Ostdeutschland gegen 6 Uhr morgens. Auch in den Schließzeiten gibt es Unterschiede. In den alten Bundesländern enden die täglichen Betreuungszeiten um 16:30 Uhr, eine Uhrzeit, die für Eltern zu Problemen in der Vereinbarkeit mit dem eigenen Berufsleben führen kann, beispielhaft sei hier die Schichtarbeit genannt. In den neuen Bundesländern hingegen bleiben 78% der Einrichtungen bis 17 Uhr geöffnet. Für einen Ausbau der Betreuungszeiten von bis zu über 9 Stunden ist ein Schichtdienst bzw. Schichtwechsel in den Kindertageseinrichtungen von Nöten. Daher sind auch hier zwingend mehr Fachkräfte und eine deutlich aufwändigere Personalplanung notwendig, um die bereits vorhandenen Kräfte nicht zusätzlich zu belasten[9].
Eine weitere Herausforderung ist das Thema Integration. Die Bildungsbeteiligungsquote der unter 3-jährigen war 2019 bei Kindern mit einem Migrationshintergrund nur halb so groß wie bei Kindern ohne Migrationshintergrund. Das ist auf den bereits seit längerer Zeit bestehenden Mangel an Betreuungsplätzen für diese Gruppe zurückzuführen, der es besonders Eltern mit Migrationshintergrund erschwert, einen Platz zu bekommen[10].
Dieser Umstand wäre durch eine Erschließung neuer, dringend benötigter Plätze zu lösen, wobei das gesellschaftliche Problem und die strukturelle Diskriminierung von Menschen mit nicht-deutscher Herkunft nicht ausschließlich auf den Elementar- bzw. kompletten Bildungsbereich beschränkt sind.
Bei den 3- bis 6-Jährigen ist die allgemeine Beteiligungsquote höher, dennoch nehmen deutlich weniger Kinder mit Migrationshintergrund eine Betreuung in Anspruch. Ein damit verbundenes Problem betrifft vorrangig den Elementar- und Primarbereich: Die Sprachförderung bzw. die generelle Sprachfähigkeit der Kinder. 2019 sprach bundesweit betrachtet jedes fünfte Kind zuhause nicht Deutsch, in Ballungsgebieten kann das auch auf jedes dritte bis zweite Kind zutreffen[11]. Der Kontakt zur deutschen Sprache findet bei diesen Kindern ausschließlich in den Kindertagestätten statt und hängt von der persönlichen und fachlichen Motivation der Erzieher:innen ab. Der Faktor, dass für diese Gruppe Kinder zuhause eine andere Sprache als Deutsch gesprochen wird, ist nicht negativ zu betrachten: eine Zwei- oder Mehrsprachigkeit wirkt sich, ganz im Gegenteil, positiv auf die allgemeine sprachliche und soziale Entwicklung von Kindern aus, wenn beide bzw. alle Sprachen angemessen gefördert werden[12]. Damit die positiven Seiten der Mehrsprachigkeit auch genutzt werden können und den Kindern ein guter Start in das Schulsystem bieten zu können, sollten diese Inhalte in der Ausbildung der Erzieher:innen auch stärker vertreten sein. Ein Umgang, wie Deutsch als Zweitsprache/Fremdsprache angemessen und kindgerecht vermittelt werden kann, ohne, dass es zu einer sprachlichen Verwirrung kommt. Allerdings lässt sich nur schwer ermitteln, wie hoch der reale Bedarf in der Praxis ist, da Sprachstanderhebungen freiwillig sind und nicht von allen Ländern durchgeführt werden. Dort wo sie erhoben werden, werden unterschiedliche Verfahren genutzt, mit verschiedener Genauigkeit[13]. Des Weiteren werden nur bestimmte Gruppen von Kindern erhoben, wodurch eine Vergleichbarkeit nicht gegeben ist[14].
Ein weiteres Thema, dass zunehmend an gesellschaftlicher Relevanz gewinnt, ist das Thema Inklusion. 2019 stieg die Zahl der Kinder, die aufgrund einer beHinderung oder frühen Anzeichen einer Entwicklungsstörung durch eine Eingliederungshilfe (Integrationshilfe) begleitet werden auf etwa 82.000 an. Mit diesem Anstieg stieg auch die Zahl der begleiteten Kinder in inklusionsorientierten Einrichtungen auf 48%. [15] Konkret bedeutet dies einen erhöhten Schulungsaufwand und einen entsprechenden Mehrbedarf an ausgebildeten Fachkräften, um zum einen, den Kindern gerecht zu werden, aber zum Anderen auch das Herantragen des gesellschaftlichen Miteinanders an alle Kinder, vor allem die, die vorher nie mit geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen konfrontiert wurden, auf eine didaktische und pädagogische Weise. Andererseits bedeuten diese Zahlen auch, dass weiterhin jedes zweite Kind in einer rein sonderpädagogischen Betreuung untergebracht ist und keine Inklusion erfährt. Diese Tatsache ist damit zu erklären, dass die Bundesländer mehrheitlich separierende Angebote bereithalten. [16]
Es ist nicht davon auszugehen, dass die Zahl der Kinder mit Inklusionsbedarf zukünftig sinken wird. Daher besteht hier ein großer Handlungsbedarf in der Bereitstellung von Informationen für betroffene Eltern(-teile), die darüber Auskunft geben, welche Arten der Betreuung und Beschulung möglich sind, wo sie Unterstützung in bürokratischen Belangen erhalten und in der Schaffung weiterer Plätze in Einrichtungen, die inklusionsorientiert arbeiten. Um die Entwicklung zu beschleunigen, ließen sich entsprechende Richtlinien und Gesetze entwickeln, die zu einer bestimmten Frist umgesetzt sein müssen, um Druck auf die Träger auszuwirken. Parallel dazu müssen diese Umstrukturierungen finanzielle Anreize und Unterstützung von Seiten des Bundes bzw. der Länder erhalten, indem Umbaumaßnahmen eine Subventionierung erhalten oder mit zusätzlichen Mitteln eine Gehaltsfinanzierung und Gehaltserhöhung der Fachkräfte ermöglichen. Das „Gute-KiTa-Gesetz“ von 2019 schlägt diesen Weg bereits ein, beschränkt sich aber nicht auf den Kontext der Inklusion und wird von den Bundesländern nicht für diese Ausgaben genutzt, obwohl der Etat für das Handlungsfeld „Vielfältige pädagogische Arbeit“ laut BMFSFJ/GK-Gesetz auch den Inklusionsbereich umfassen soll. [17] Da das Gesetz eine Befreiung von KiTa- Beiträgen für einkommensschwache Familien vorsieht, konnte so 1,2 Millionen Kindern eine kostenfreie Tagesbetreuung ermöglicht werden[18].
Wie sich durch die Verwendung der Zuschüsse durch das „gute-Kita-Gesetz“ zeigt, wäre nahezu alle Probleme, die der Bildungsbericht aufzeigt, mit einer hohen Finanzspritze zu lösen. Teile des Geldes flossen in allen Ländern in den Betreuungsschlüssel und in eine Gebührenbefreiung bzw. -reduzierung für Eltern. Die Änderungen, die durch das „Gute-Kita-Gesetz“ möglich sind, zeigen wie Veränderungen im Elementarbereich möglich gemacht werden könne. Ausschlaggebend für eine schnelle Möglichkeit zur Deckung des Betreuungsbedarf im U3-Bereich und die Inklusion und Integration von Minderheiten ist entsprechend geschultes Personal und ein höherer Personalschlüssel- bei angemessener Bezahlung der Fachkräfte.
Quellenverzeichnis
Bundesministerium für Bildung und Forschung (2020): C Frühe Bildung, Betreuung und Erziehung. In: Bildung in Deutschland 2020. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung in einer digitalisierten Welt. S.75-104
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2019): Das Gute-KiTa-Gesetz. über: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/the-men/familie/kinderbetreuung/mehr-qualitaet-in-der-fruehen-bildung/das-gute- kita-gesetz/mehr-qualitaet-und-weniger-gebuehren/das-gute-kita-gesetz-fuer-gute-kitas-bundesweit-128214 , letzter Abruf: 12.03.2022
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2019): Bilderreihe: Viele Wege zu besseren Kitas. Bild 10/11. Über: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/familie/kinderbetreuung/mehr-qualitaet-in-der-fruehen-bildung/das-gute-kita-gesetz/zehn-wege-zu-besseren-kitas/viele-wege-zu-besseren-kitas-135400 , letzter Abruf: 12.03.2022
Stangl, Werner (o.A): Mehrsprachigkeit – Chance oder Risiko?. Über: https://paedagogik-news.stangl.eu/mehrsprachigkeit-chance-oder-risiko , letzter Abruf: 12.03.2022
[1] Bildungsbericht 2020, S. 75
[2] Kinder von 3 bis 6 Jahren
[3] Kinder von <1 bis 2 Jahren
[4] Bildungsbericht 2020, S.75
[5] Bildungsbericht 2020, S.76f, Abb. C1-1
[6] Bildungsbericht 2020, S.77
[7] Bildungsbericht 2020, S. 86
[8] Bildungsbericht 2020, S.89
[9] Bildungsbericht 2020, S. 83f
[10] Bildungsbericht 2020, S. 87f
[11] Bildungsbericht 2020, S. 97
[12] paedagogik-news.de
[13] Bildungsbericht 2020, Tab C5-3web, abgerufen über S. 98
[14] Bildungsbericht 2020, S. 98
[15] Bildungsbericht 2020, S. 88
[16] Bildungsbericht 2020, S. 88
[17] bmfsfj.de Viele Wege zu besseren Kitas
[18] bmfsfj.de Viele Wege zu besseren Kitas - Bilderreihe