Die vorliegende Arbeit untersucht die Determinanten prosozialen Verhaltens im Kontext der Kultur und Sozialisationsbedingungen, sowie der Gruppenzugehörigkeit und im Hinblick auf die Situation. Dabei besteht der erste Teil der Arbeit aus einer Replikation einer Studie von Gardner et al. (1999), der aufzeigen konnte, dass sich das Selbstkonzept individualistischer Kulturen und kollektivistischer Kulturen voneinander unterscheiden. Diese Ergebnisse sollen in der vorliegenden Arbeit einerseits repliziert, jedoch um den Faktor der unterschiedlichen Gruppenzugehörigkeit der hilfeverweigernden Person erweitert werden. Die aktuelle Forschungsfrage lautet demnach: Inwieweit unterscheiden sich Personen bezüglich ihrer sozialen Rolle und im Hinblick auf ihre Gruppenzugehörigkeit in der Ansprechbarkeit der kognitiven Verarbeitungssysteme hinsichtlich des Selbstkonzepts?
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis............................................................................................. 1
Abbildungsverzeichnis.............................................................................................. 1
Tabellenverzeichnis................................................................................................... 1
Einleitung.................................................................................................................. 2
1. Theorie............................................................................................................. 2
1.1 Selbstkonzept.............................................................................................. 2
1.2 Soziale Vergleichsprozesse......................................................................... 3
1.3 Fragestellung und Hypothesen.................................................................... 4
2. Methodik.......................................................................................................... 5
2.1 Vorgehen und Durchführung...................................................................... 6
2.2 Analyse....................................................................................................... 7
2.3 Stichprobenbeschreibung............................................................................ 7
2.4 Deskriptive Statistik.................................................................................... 7
2.5 Inferenzstatistik........................................................................................... 8
3. Diskussion............................................................................................................. 9
Literaturverzeichnis................................................................................................. 10
Abkürzungsverzeichnis
RCT randomized controlled trial
SCS self construal scale
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Grafische Darstellung der Unterschiede Selbstkonzept; soziale Rolle, soziale Verbindlichkeit; Geschlecht männlich. 11
Abbildung 2: Grafische Darstellung der Unterschiede Selbstkonzept; soziale Rolle, soziale Verbindlichkeit; Geschlecht weiblich. 12
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Deskriptive Statistiken der Skalen und Subskalen. 8
Tabelle 2: Deskriptive Statistik zur ANOVA (3x2); Unterschiede Selbstkonzept; soziale Rolle, soziale Verbindlichkeit, Geschlecht; Kovariate: Alter 9
Tabelle 3: Test-Statistik zur ANOVA (3x2); Unterschiede Selbstkonzept; soziale Rolle, soziale Verbindlichkeit 10
Einleitung
Die Tendenz von Personen, Individuen in Not zu helfen, wenn ihnen das Individuum bekannt ist, wird als ‚Identifizierbarer Opfereffekt‘ bezeichnet (Schelling, 1968). Vielfältige Untersuchungen zeigten, dass die Hilfsbereitschaft stärker ist, wenn der Helfer das Opfer als Ingroup-Mitglied betrachtet. Die Zuordnung des Opfers zur eigenen Gruppe ruft Gefühle von Solidarität, Nähe und Bindung hervor und löst damit eine stärkere emotionale Reaktion und Handlungsintention aus als im Fall eines Opfers, welches nicht zur eigenen Gruppe gehört (Miller et al., 1990). Nur selten orientiert sich altruistisches Verhalten ausschließlich am Wohl des anderen. So beziehen Personen auch die Konsequenzen des altruistischen Verhaltens für sich selbst in ihre Entscheidung zur Hilfeleistung ein.
Die vorliegende Arbeit untersucht die Determinanten prosozialen Verhaltens im Kontext der Kultur und Sozialisationsbedingungen, sowie der Gruppenzugehörigkeit und im Hinblick auf die Situation. Dabei besteht der erste Teil der Arbeit aus einer Replikation einer Studie von Gardner et al. (1999), der aufzeigen konnte, dass sich das Selbstkonzept individualistischer Kulturen und kollektivistischer Kulturen voneinander unterscheiden. Diese Ergebnisse sollen in der vorliegenden Arbeit einerseits repliziert, jedoch um den Faktor der unterschiedlichen Gruppenzugehörigkeit der hilfeverweigernden Person erweitert werden. Die aktuelle Forschungsfrage lautet demnach: Inwieweit unterscheiden sich Personen bezüglich ihrer sozialen Rolle und im Hinblick auf ihre Gruppenzugehörigkeit in der Ansprechbarkeit der kognitiven Verarbeitungssysteme hinsichtlich des Selbstkonzepts?
Die Ergebnisse der experimentellen Studie könnten Erklärungen dafür liefern, inwieweit und ob sich Unterschiede prosozialer Verhaltensweisen im Sinne der Hilfsbereitschaft auf situative Hintergründe und damit verbundene Unterschiede des Selbstkonzeptes zurückführen lassen.
1. Theorie
1.1 Selbstkonzept
Das Selbstkonzept kann als dynamische Struktur verstanden werden, die in vielfältigen und wechselseitigen Prozessen mit Motivationen, Emotionen, Entscheidungsprozessen und Wahrnehmungsprozessen steht (Zimbardo, 1983). Das zentrale Selbstkonzept besteht aus Erfahrungen, die Personen hinsichtlich physischer, emotionaler, sozialer und leistungsabhängiger Aspekte im Laufe ihres Lebens machen (Shavelson, Hubner & Stanton, 1976).
In einer Forschungsarbeit von Gardner et al. aus dem Jahr 1999 konnte dargestellt werden, dass Personen sich hinsichtlich der Verarbeitung von Informationen in Bezug auf das Selbstkonzept unterscheiden (Gardner et al., 1999). Diese Unterschiede beruhen unter anderem auf der Theorie des dynamischen Selbst (Hannover, 1997), mithilfe derer dargestellt werden konnte, dass die Aktivierung von independentem (kontextunabhängigem) Wissen in Bezug auf das Selbstkonzept sich von interdependentem (kontextabhängigem) Wissen über das Selbst unterscheiden.
Unterschiede in der Aktivierung von Verarbeitungsmechanismen hinsichtlich des independenten Selbstkonzeptes und des interdependenten Selbstkonzeptes lassen sich mithilfe eines Primings feststellen. So zeigten Gardner et al. (1999) auf, dass interdependent geprimte Personen eine höhere normative (soziale) Verbindlichkeit aufweisen als independent geprimte Personen. Dieser Effekt soll mit der vorliegenden Forschungsarbeit repliziert werden.
1.2 Soziale Vergleichsprozesse
Zusätzlich soll in die vorliegende Arbeit ein sozialpsychologisches Phänomen der Gruppenzugehörigkeit bzw. dessen Einflüsse auf die Beurteilung sozialer Normen integriert werden. Die Basis hierfür stellt die Erkenntnis dar, dass die Gruppenzugehörigkeit einer Person mit dem Selbstkonzept bzw. dem Selbstwertgefühl in Verbindung steht (Morf & Koole, 2014). Da Menschen das Bedürfnis nach sozialer Bindung haben und ihr Selbstkonzept über soziale Vergleichsprozesse stabilisieren und modifizieren, könnte sich die Gruppenzugehörigkeit ebenfalls auf das Entscheidungsverhalten hinsichtlich der normativen Verbindlichkeit auswirken.
Ausgehend von den Studien Gardners et al. (1999) konnte dargestellt werden, dass sich kollektivistische Kulturen von individualistischen Kulturen hinsichtlich ihrer Verhaltensbeurteilung unterscheiden. Während individualistische Kulturen ihr Selbstkonzept stärker am individuellen Lebensweg ausrichten und der Selbstwert mit zunehmender individueller Leistung steigt, zählt solidarisches Verhalten, welches dem Kollektiv dient, in kollektivistischen Kulturen zu den erwünschten Verhaltensweisen (Markus und Kitayama, 1991). Diese Thematik greift die vorliegende Forschungsarbeit auf und untersucht die Unterschiede zwischen den Verarbeitungsmechanismen (aktiviertes independentes Selbstkonzept vs. aktiviertes interdependentes Selbstkonzept) zusätzlich im Hinblick auf die soziale Rolle (Ingroup vs. Outgroup) der geprimten Person.
Triandis et al. (1988) postulieren, dass kollektivistische Kulturen sensitiver für Normen und Sanktionen sind, da dort Beziehungen zur eigenen Gruppe (Ingroup) im Fokus stehen. Mitglieder der eigenen Gruppe werden bevorzugt behandelt im Vergleich zu Mitgliedern anderer Gruppen. Auch die Grenzen zur Fremdgruppe (Outgroup) werden stärker gezogen, wobei die Übergänge der Gruppen fließend und somit schwer zu definieren sind.
Miller et al. (1990) zeigten auf, dass es zwischen Studienteilnehmenden aus Indien (kollektivistische Kultur mit überwiegend interdepentendem Selbstverständnis) und der USA (individualistische Kultur mit vorwiegend independentem Selbstkonzept) Unterschiede in der Wahrnehmung der sozialen Verantwortung gibt. Miller et al. (1990) verstehen unter der sozialen Verantwortung die Verpflichtung einer Person, einer anderen (kontext- oder situativ abhängigen) Person zu helfen, unabhängig von einer vorherig erbachten Gegenleistung. Miller et al. (1990) fanden heraus, dass diese Norm unter indischen Teilnehmenden stärker vertreten wurde als unter nordamerikanischen Teilnehmenden. Proband*innen aus Indien missbilligten bei mittleren und leichten Notlagen unterlassene Hilfsbereitschaft unter gleichgeschlechtlichen Freund*innen stärker als US-Amerikaner*innen.
Trafimow, Triandis und Goto (1991) konnten schließlich darstellen, dass sich Personen individualistischer und kollektivistischer Kulturen in den Aktivierungsmustern der Selbstkonzepte unterscheiden und Selbstkonzepte einerseits temporär zugänglich und andererseits chronisch zugänglich sind. Die chronisch zugänglichen Selbstkonzepte werden durch den kulturellen Hintergrund und die Häufigkeit des Zugriffs bestimmt (Higgins et al., 1977), während die temporären, situativen Selbstkonzepte sich durch Priming beeinflussen lassen (Oysermann, 2016). Laut Oyserman (2016) kann demnach eine Person trotz chronischem Selbstkonzept sowohl ein independentes als auch ein interdependentes Selbstkonstrukt verinnerlicht haben.
1.3 Fragestellung und Hypothesen
Von Gardner et al. (1999) wird folgende Hypothese der Studie 1 zur Replikation übernommen:
(H1) Interdependent geprimte Personen zeigen höhere Werte bei der normativen Verbindlichkeit als independent geprimte Personen.
Aufgrund der Studien von Triandis (1988), Miller et al. (1990) und Gardner et al. (1999) wird angenommen, dass die soziale Rolle sich auf die Wahrnehmung normativer Verbindlichkeiten auswirkt. Es wird folgende Hypothese abgeleitet:
(H2) Die soziale Rolle der zu helfenden Person hat einen Einfluss auf die Wahrnehmung der normativen Verbindlichkeit. Unterlassene Hilfsbereitschaft gegenüber einem Ingroup-Mitglied wird unangemessener beurteilt als gegenüber einem Outgroup-Mitglied.
In der vorliegenden Forschungsarbeit sollen beide soeben berichteten Erkenntnisse kombiniert betrachtet werden, sodass sich daraus auch die Forschungslücke ergibt. Die zentrale Fragestellung lautet demnach:
Inwieweit unterschieden sich Personen bezüglich ihrer sozialen Rolle und im Hinblick auf ihre Gruppenzugehörigkeit in der Ansprechbarkeit der kognitiven Verarbeitungssysteme hinsichtlich des Selbstkonzepts? Es wird folgende Hypothese abgeleitet:
(H3) Ein durch Priming aktiviertes Selbstkonzept beeinflusst die soziale Beurteilung und die soziale Norm, jemandem zu helfen, in Abhängigkeit der zu helfenden Person.
(H3a) Interdependent geprimte Personen beurteilen das Verhalten einer fiktiven Person, die es unterließ, einer Freundin zu helfen, unangemessener als independent geprimte Personen.
(H3b) Independent geprimte Personen beurteilen das Verhalten einer fiktiven Person, die es unterließ, einer Fremden zu helfen, unangemessener als interdependent geprimte Personen.
2. Methodik
Die geplante Studie entspricht der quantitativen Forschungsmethode und erfolgt als randomisiert experimentelle Online- Forschungsarbeit (RCT) im Querschnitt mit einem Messzeitpunkt. Die Proband*innen werden zufällig wahlweise der Interdependenzgruppe oder der Independenzgruppe über das Priming zugeteilt. Um Unterschiede zwischen den Teilnehmer*innen innerhalb der Gruppen auszuschließen, werden die Kontrollvariablen Alter, Geburtsland: Deutschland und Geschlecht vor der Untersuchung explorativ auf Signifikanz untersucht. Folgende Kriterien führten zum Ausschluss von Daten für die weitere Datenanalyse:
· Keine Immatrikulation zum Befragungszeitpunkt (in Anlehnung an die Originalstudie, die ebenfalls nur Studierende befragte)
- Fehlende Datenschutzunterzeichnung
· Fehlende Einwilligungserklärung zu Teilnahme an der Studie
· Mangelnde Ernsthaftigkeit hinsichtlich der Forschungsarbeit, fehlerhafte oder unvollständige Angaben in der Datenerhebung
· Geburtsland: nicht Deutschland. Als Orientierung dieses Ausschlusskriteriums diente die Originalstudie von Gardner et al. (1999), die ein chronisches Selbstkonzept zur Kontrolle der Kultur voraussetzte. Dadurch, dass nur Proband*innen in Deutschland geboren in die Analysen miteinflossen, soll ein independentes chronisches Selbstkonzept vorausgesetzt werden.
2.1 Vorgehen und Durchführung
Das Priming erfolgt über die Priming-Methode Sumarian Warrior Story (Trafimow et al., 1991). Den Proband*innen werden randomisiert eine von zwei möglichen Bedingungen einer Geschichte vorgelegt, welche entweder das independente oder das interdependente Selbstkonzept aktiviert. Im Anschluss wird in einem Manipulationscheck mithilfe der deutschen Übersetzung (Freund et al., 2012) der 30-Item umfassenden Self-Construal-Scale (SCS) von Singelis et al. (2006) erfasst, ob das Priming erfolgreich war. Darüber hinaus werden den Proband*innen Vignetten zur Erhebung der „Wahrgenommenen Verbindlichkeit der sozialen Norm “ vorgelegt. Die Vignetten enthalten zwei unterschiedliche Szenarien hinsichtlich Ingroup oder Outgroup, die Zuteilung zu der Bedingung erfolgt ebenfalls zufällig. Eine Randomisierung der Reihenfolge und der Darbietung der Erhebungsinstrumente (SCS und Vignetten) sorgt dafür, dass der Manipulationscheck nicht bei jedem Teilnehmenden direkt im Anschluss an das Priming erfolgt, sondern die Reihenfolge zufällig stattfindet. Die Randomisierung dient der Vermeidung von Reihenfolgeeffekten.
Die von Singelis et al. (2006) zur Erhebung der Interdependenz (15 Items) und Independenz (15) Items entwickelte Skala erlaubt eine, mithilfe einer sieben-kategorialen Likert-Skalierung mit den Polen (1) stimme nicht zu bis (7) stimme zu, Selbsteinschätzung interdependenter, sowie independenter Selbstkonzeptinhalte.
Die ‚Lisa-Vignette‘ (Miller et al., 1990) beschreibt in der Originalfassung die unterlassene Hilfeleistung in einer geringen Notsituation. Als Erweiterung der Studie von Gardner et al. (1999) wird in der vorliegenden Studie die Möglichkeit geboten, sich als Teil einer Ingroup (Original) bzw. als Teil einer Outgroup (Variation und Erweiterung) wahrzunehmen. Die Adaption der Outgroup-Bedingung wurde von der Verfasser*in und anderen vorgenommen.
Mithilfe der Skala ‚Wahrgenommene Verbindlichkeit der sozialen Norm‘ (Gardner et al., 1999) wird die Beurteilung der sozialen Norm hinsichtlich der Angemessenheit von Lisas Verhalten als abhängige Variable erhoben. Die Ein-Item-Skala erlaubt die Einschätzung mithilfe einer sieben-stufigen Likert- Skalierung mit den Polen (1) völlig angemessen bis (7) überhaupt nicht angemessen.
2.2 Analyse
Die Datenanalyse wird mithilfe des Statistikprogramms SPSS 28 des Herstellers IBM vorgenommen. Zunächst wird mithilfe eines Chi-Quadrat-Tests die Variable Geschlecht im Hinblick auf Unterschiede hinsichtlich der Experimentalgruppen untersucht. Im Anschluss wird das Alter mit einem t-Tests hinsichtlich der Experimentalgruppen untersucht. Bei signifikanten Effekten wird eine ANCOVA mit der AV: normative Verbindlichkeit, den Faktoren: Geschlecht, soziale Rolle, Selbstkonzept und der Kovariablen Alter berechnet.
Ohne signifikante Effekte erfolgt zur Testung der Hypothesen H1, H2 und H3 eine 2 (Selbstkonzept: Independent vs. Interdependent) x 2 (Soziale Rolle: Outgroup vs. Ingroup) ANOVA mit „Wahrgenommene Verbindlichkeit der sozialen Norm“ (Item NV) als abhängiger Variable.
2.3 Stichprobenbeschreibung
Die Stichprobengröße wurde a priori mit Hilfe von G*Power auf Basis einer ANCOVA ermittelt, um von der möglichen komplexen Interaktion im Falle eines signifikanten Einflusses der Kontrollvariablen auszugehen (Alter als Kovariate und Geschlecht und „in Deutschland geboren“ als weitere Faktoren). Für die Kompensation möglicher Datenausschlüsse (siehe Ausschlusskriterien) wurde geplant, 10% mehr Personen zu erheben. Aus den Überlegungen resultiert für eine Betrachtung aller Interaktionen mit einer Kovariate ein N von 106 (96 TN laut G*Power + 10% Aufschlag).
An der Studie nahmen N = 112 Proband*innen teil. Insgesamt n = 23 Proband*innen mussten aufgrund der bereits formulierten Ausschlusskriterien von der weiteren Analyse ausgeschlossen werden. Die Gesamtstichprobe umfasste demnach N = 89 Studienteilnehmer*innen, von denen n = 27 (30,3 %) männlichen Geschlechts und n = 62 (69,7 %) männlichen Geschlechts waren. Die jüngsten Teilnehmer*innen waren 19 Jahre alt, während der älteste Teilnehmer ein Alter von 72 Jahren aufwies. Die Spannweite des Alters umfasste demnach 53 Jahre. Das mittlere Alter der Teilnehmer*innen betrug M = 33.89 Jahre ( SD = 11.81).
2.4 Deskriptive Statistik
Um zunächst Einflüsse des Geschlechts und des Alters auszuschließen, wurde für das Geschlecht ein Gruppenvergleich zwischen Selbstkonzept (independent/interdependent) und dem Geschlecht durchgeführt. Dieser Vergleich wurde mithilfe eines Chi-Quadrat-Tests vorgenommen und war bei χ² = .006 und p = .938 nicht signifikant. Zudem sollte ein altersspezifischer Gruppenunterschied ausgeschlossen werden. Varianzhomogenität lag nicht vor. Der Welch-Test zeigte bei t(83.53) = -2.31 und p = .023; d = .47 ein statistisch signifikantes Ergebnis von kleiner Effektstärke. Bei einem Mittelwert von M = 30.85 (SD = 8.47) Jahren war die Gruppe der independent geprimten Proband*innen jünger als die Gruppe der interdependent geprimten Proband*innen mit einem Mittelwert von M = 36.26 (SD = 13.49) Jahren. Tabelle 1 können die deskriptiven Statistiken aller Skalen entnommen werden:
Tabelle1: Deskriptive Statistiken der Skalen und Subskalen (Quelle: eigene Tabelle)
[Diese Tabelle ist nicht in der Leseprobe enthalten.]
2.5 Inferenzstatistik
(H1) Interdependent geprimte Personen zeigen höhere Werte bei der normativen Verbindlichkeit als independent geprimte Personen. Bei F (1) = 0.902 und p = .345 konnte kein statistisch signifikantes Ergebnis dargestellt werden. Es zeigte sich kein Unterschied zwischen interdependent und independent geprimten Proband*innen im Hinblick auf die normative Verbindlichkeit. Die Nullhypothese wurde beibehalten.
(H2) Die soziale Rolle der zu helfenden Person hat einen Einfluss auf die Wahrnehmung der normativen Verbindlichkeit. Unterlassene Hilfsbereitschaft gegenüber einem Ingroup-Mitglied wird unangemessener beurteilt als gegenüber einem Outgroup-Mitglied. Bei F(1) = 5.82; p = .018; η2 = .068 konnte ein statistisch signifikantes Ergebnis mit mittlerer Effektstärke dargestellt werden. Es zeigte sich demnach ein Unterschied im Hinblick auf die soziale Rolle zwischen den Proband*innen im Hinblick auf die normative Verbindlichkeit. Bei einem Mittelwert von M = 2.14 (SD = 0.87) für die Ingroup und einem Mittelwert von M = 2.38 (SD = 1.41) für die Outgroup war die normative Verbindlichkeit für die Ingroup Vignette geringer als für die Outgroup Vignette.
(H3) Ein durch Priming aktiviertes Selbstkonzept beeinflusst die soziale Beurteilung und die soziale Norm, jemandem zu helfen, in Abhängigkeit der zu helfenden Person. Bei F(1) = 1.37 und p = .246 konnte kein statistisch signifikantes Ergebnis dargestellt werden. Es zeigte sich kein Unterschied des durch Priming aktivierten Selbstkonzeptes im Hinblick auf die soziale Rolle in Abhängigkeit der zu helfenden Person im Hinblick auf die normative Verbindlichkeit. Die Nullhypothese wurde beibehalten. Die deskriptive Statistik kann Tabelle 2 entnommen werden, während Tabelle 3 die Teststatistik zu entnehmen ist. Eine graphische Darstellung der Unterschiede kann Abbildung 1 entnommen werden.
Tabelle2: Deskriptive Statistik zur ANOVA (3x2); Unterschiede Selbstkonzept; soziale Rolle, soziale Verbindlichkeit, Geschlecht; Kovariate: Alter (Quelle: eigene Tabelle)
[Diese Tabelle ist nicht in der Leseprobe enthalten.]
Tabelle3: Test-Statistik zur ANOVA (3x2); Unterschiede Selbstkonzept; soziale Rolle, soziale Verbindlichkeit (Quelle: eigene Tabelle)
[Diese Tabelle ist nicht in der Leseprobe enthalten.]
[Diese Abbildung ist nicht in der Leseprobe enthalten.]
Abbildung1: Grafische Darstellung der Unterschiede Selbstkonzept; soziale Rolle, soziale Verbindlichkeit; Geschlecht männlich (Quelle: eigene Abbildung)
[Diese Abbildung ist nicht in der Leseprobe enthalten.]
Abbildung2: Grafische Darstellung der Unterschiede Selbstkonzept; soziale Rolle, soziale Verbindlichkeit; Geschlecht weiblich (Quelle: eigene Abbildung)
3. Diskussion
Die vorliegende Forschungsarbeit untersuchte Unterschiede der Hilfsbereitschaft nach vorherigem Priming des Selbstkonzepts, sowie die normative Verbindlichkeit im Kontext von Gruppenzugehörigkeiten (Ingroup/Outgroup).
Der von Gardner (1999) gezeigte Unterschied der normativen Verbindlichkeit zwischen independent- und interdependent geprimten Personen konnte mit der vorliegenden Forschungsarbeit nicht dargestellt werden. Eine Ursache hierfür könnte darin liegen, dass Studierende möglicherweise in Deutschland geboren sind, jedoch dennoch durch eine eher kollektivistisch geprägte Herkunftsfamilie sozialisiert wurden. Für diesen Fall wäre von unterschiedlichen chronischen Selbstkonzepten auszugehen und diese Tatsache könnte den Effekt verschleiert haben. Weitere Gründe für die Nicht-Darstellbarkeit der Effekte könnten die unterschiedliche Verteilung der zusätzlichen Faktoren (Geschlecht, Deutschland als Geburtsland) sein, auf die in fortführenden Studien oder Replikationen geachtet werden sollte. Zudem bestand eine Erhebungsproblematik bei der Variable Alter aufgrund des Erhebungsinstrumentes, die sich auf das Ergebnis ausgewirkt haben könnte. Denkbar wäre auch, dass die Varianzen der abhängigen Variable zu gering waren. Es sollte überlegt werden, ob in Zukunft eine andere Erhebungsvariante ausprobiert werden sollte.
Ein Effekt mittlerer Effektstärke hinsichtlich der normativen Verbindlichkeit und den sozialen Rollen, im Sinne der Ingroup und Outgroup-Mitglieder ließ sich hier jedoch darstellen und bestätigt damit die Forschungsarbeiten von Triandis (1988) und Miller et al. (1990). Verletzungen der normativen Verbindlichkeit von Personen der Ingroup werden demnach stärker verurteilt als Verletzungen der normativen Verbindlichkeit von Personen der Outgroup.
Eine Replikation der Studie sollte unter noch stärker kontrollierten Ausgangsbedingungen durchgeführt werden. Hierbei sollte nicht nur hinsichtlich des Geburtsorts, sondern auf die tatsächlichen Sozialisationsbedingungen kontrolliert werden.
Literaturverzeichnis
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