Wer kennt die Situation nicht, vor allem wenn man schon etwas länger lebt. Beim Betrachten von Jugendfotos sieht man eine aufrechte Figur, eine glatte Haut – und unweigerlich kommt die verwunderte Frage: Und das bin ich? Oder bei politischen Diskussionen: Einige Ansichten haben sich doch verändert. Und wieder die Frage nach dem Ich, bin ich das noch? Die spontane Antwort ist JA, denn es geht um (meine) Identität und die bleibt ja wohl über den Zeitablauf gleich. Aber ist das wirklich so? Wenn ich es tiefer betrachte: Mit welchen Theorien kann dies plausibel dargelegt werden? Sind diese Theorien widerspruchsfrei und unwidersprochen, oder haben sie sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt?
In dieser Hauptseminararbeit soll darum meine Antwort auf diese metaphysische Frage grundgelegt und abgewogen werden, um sie letztlich auch argumentativ mit gutem Gewissen vertreten zu können. Der Ausgangspunkt ist somit der heutige Diskussionsstand. Was wird unter Identität über die Zeit verstanden? Gibt es hier mehr als ein Konzept und führen sie zu eindeutigen Ergebnissen? Wie wir sehen werden, fand der wesentliche Teil dieser Überlegungen bereits im Mittelalter im Hylomorphismus statt; das ist ein Begriff aus der Neuscholastik „aus gr. Hyle >Stoff< und morphe >Form< z. Bez. des Zusammenwirkens der beiden Aristotelischen Prinzipien (bei Thomas v. A. materia und forma) zum Zweck einer geschlossenen Weltanschauung“. Die Fundierung reicht also bis in die Antike.
Allerdings wurde der Hylomorphismus bereits im Mittelalter zunehmend kritisiert, was letztlich zu seinem Niedergang führte. Am anschaulichsten kann hierzu aus den Theorien des Postscholastikers John Locke geschöpft werden.
Für die Tieferlegung der Frage „Habe ich eine Identität über Zeit“ und ihrer Antwort kristallisieren sich also Theorien aus drei Zeitabschnitten heraus. Die nachfolgende Erörterung meiner These erfordert somit die Spiegelung an den jeweiligen Konzepten und auch ihren Kritikpunkten, die anhand vorliegender Rezeptionen und eigener Gedanken erfolgt.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Hauptteil
- Die Substanz ist die Grundlage für die Identität
- Die Basis: Der Aristotelische Hylomorphismus und sein substanzbasiertes Identitätsbild
- Materie und Form als Basis von Einzeldingen
- Die Substanz liegt den Einzeldingen zugrunde
- Erweiterung der Metaphysik bei Thomas von Aquin durch das „Sein“
- Was geschieht bei Veränderungen? Bleibt etwas konstant?
- Der Körper als Ganzes (in seiner substanziellen Form) ist identisch über die Zeit
- John Locke's Kritik an der Scholastik und seine schwierige Identitätsvorstellung
- Erkenntnistheorie als Locke's Ausgangspunkt
- Die nötige Basis - die Erkenntnisquellen und Ideen
- Locke's Substanzbegriff
- Was bedeutet das nun für Locke's Identitätsbegriff?
- Und nun wieder: Wie wird Identität in der Metaphysik heute diskutiert?
- Identität von Dingen: Es hängt vom Zeitbegriff ab
- Was ist nun identisch? Es hängt von den Theorien ab...
- Personale Identität - was macht nun Personen über die Zeit identisch?
- Alternative Konzept-Ansätze, die den Anspruch der Identität aufgeben
- Fazit
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Hauptseminararbeit befasst sich mit der metaphysischen Frage nach der Identität über die Zeit. Die Arbeit untersucht, ob sich die Identität eines Menschen über den Zeitablauf bewahrt und welche Theorien dies belegen oder widerlegen können.
- Der Aristotelische Hylomorphismus und sein Einfluss auf das Identitätsverständnis
- John Locke's Kritik an der Scholastik und seine alternative Identitätsvorstellung
- Die verschiedenen Konzepte von Identität in der heutigen Metaphysik
- Die Rolle des Zeitbegriffs für die Identitätsfrage
- Die Diskussion um personale Identität und alternative Konzepte, die den Anspruch der Identität aufgeben
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt die zentrale Frage nach der Identität über die Zeit ein und stellt die Relevanz der Thematik anhand persönlicher Erfahrungen heraus. Sie verdeutlicht, dass die Arbeit die verschiedenen Theorien und ihre Kritikpunkte beleuchtet, um eine fundierte Antwort auf die Frage zu finden. Dabei fokussiert sie auf den Hylomorphismus als wichtige Grundlage für die Identitätsdebatte.
Der Hauptteil widmet sich der Analyse verschiedener Konzepte von Identität. Zuerst wird der Aristotelische Hylomorphismus und sein substanzbasiertes Identitätsverständnis behandelt. Dabei wird die Rolle von Materie und Form als Grundlage für Einzeldingen sowie die Erweiterung der Metaphysik durch Thomas von Aquin durch das "Sein" erläutert.
Anschließend wird John Locke's Kritik an der Scholastik und seine alternative Identitätsvorstellung untersucht. Locke's erkenntnistheoretische Grundlagen, seine Definition von Substanz und die daraus resultierende Identitätsauffassung werden im Detail beleuchtet.
Abschließend wird die aktuelle Debatte um die Identität in der Metaphysik analysiert. Es werden verschiedene Theorien vorgestellt, die die Identitätsfrage anhand des Zeitbegriffs und den jeweiligen Theorien erklären. Darüber hinaus wird die Frage der Personalen Identität und die Diskussion um alternative Konzepte behandelt, die den Anspruch der Identität aufgeben.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den zentralen Themen des Hylomorphismus, der metaphysischen Frage nach der Identität über die Zeit, John Locke's Kritik an der Scholastik, den verschiedenen Konzepten von Identität in der heutigen Metaphysik, dem Zeitbegriff und der Diskussion um personale Identität sowie alternative Konzepte, die den Anspruch der Identität aufgeben.
- Arbeit zitieren
- Herbert Groß (Autor:in), 2021, Bleiben wir im Lauf der Zeit dieselben und was wird unter Identität über die Zeit verstanden?, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1415792