Während sich im liberalen Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts die Dichotomie „Öffentliches Recht und Privatrecht" als Ausfluss der strikten Trennung zwischen Staat und Gesellschaft i. S. e. strikten Gegensatzes herausbildete und das Privatrecht als die vorrangige Teilrechtsordnung angesehen wurde, wurde in den einzelnen Phasen des 20. und 21. Jahrhunderts ein starker Autonomieverlust des Privatrechts und darüber hinaus bzw. dadurch auch ein Bedeutungsverlust der Dichotomie beobachtet.
Aufgrund dieser angedeuteten Entwicklungen und der damit einhergehenden nach wie vor bestehenden Aktualität, soll der Schwerpunkt dieser Arbeit auf der Fragestellung liegen, ob die Unterscheidung heutzutage dennoch berechtigt und sinnvoll erscheint. Soll also die Unterscheidung aufgehoben/aufgegeben werden? Soll ihr lediglich eine sehr geringe Bedeutung zukommen? Oder soll die Unterscheidung vielmehr unter Anerkennung eines gewissen Bedeutungsverlustes aufrechterhalten werden? Diejenigen, die weiterhin die Unterscheidung für berechtigt und sinnvoll halten, betonen dabei jedoch, dass mittlerweile nicht mehr die Abgrenzungsfrage, sondern vielmehr die Feinabstimmung2 der beiden im Wettbewerb stehenden Teilrechtsordnungen, im Vordergrund stehen würde.
Inhaltsverzeichnis
- A. Einleitung.
- B. Kurzer Rückblick: Liberaler Rechtsstaat im 19. Jahrhundert - Strikte Trennung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht.
- I. Strikte Trennung zwischen Staat und Gesellschaft als Grundlage für die Dichotomie „Öffentliches Recht und Privatrecht"; dabei Vorrang des Privatrechts
- II. Entstehung des BGB, zugleich Wende zum 20. Jahrhundert.
- C. Bedeutungsverlust des Privatrechts und der Dichotomie innerhalb des 20. und 21. Jahrhunderts.
- I. Abkehr vom Liberalismus mit seiner strikten Trennung von Staat und Gesellschaft in der Weimarer Republik.
- 1. Kurze geschichtliche Einordnung: Weimarer Republik (9.11.1918 - 30.1.1933)
- 2. Schon hier Bedeutungsgewinn des öffentlichen Rechts als Abkehr vom Liberalismus des 19. Jahrhunderts
- II. Nahezu vollständiger Verlust der Bedeutung des Privatrechts und der Dichotomie „Öffentliches Recht und Privatrecht" in den beiden totalitären Staatssystemen.
- 1. Nationalsozialistische Diktatur (seit dem 30.1.1933).
- a) Verlust der Eigenständigkeit des Privatrechts unter Aufhebung von subjektiven Rechten und des Gegensatzes von Staat und Gesellschaft.
- aa) Gemeinschaftsvorrang vor dem Individuum als Teil der nationalsozialistischen Weltanschauung führte zum Abbau subjektiver Rechte.
- bb) dabei Inhaltsveränderung des Rechts vor allem durch Auslegung im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie.
- (1) Nur zum Teil Gesetzgebung.
- (2) Vielmehr „Perversion der Rechtsordnung" durch nationalsozialistische Auslegung des geltenden Rechts
- cc) Zwischenergebnis: Verlust der Bedeutung und Eigenständigkeit des Privatrechts im Nationalsozialismus ohne signifikante Gesetzesänderung.
- b) Durch die „Einheit des völkischen Rechts" zugleich Aufhebung der Dichotomie „Öffentliches Recht und Privatrecht".
- aa) Ansicht/Beitrag von E. R. Huber.
- bb) Ansicht/Beitrag von Kummer.
- c) Ergebnis: massiver Bedeutungsverlust des Privatrechts und der Dichotomie.
- 2. Sozialistische Diktatur der DDR (seit 1945/49).
- a) Entstehung der DDR 1949, insbesondere Verfassung und Wirtschaftssystem
- b) Verlust der Eigenständigkeit des Privatrechts und des Gegensatzes von Staat und Gesellschaft aufgrund der marxistisch-leninistischen Ideologie.
- aa) Kurze generelle Darstellung der marxistisch-leninistischen Ideologie in der DDR.
- bb) Beschränkung des Privatrechts und der subjektiven Rechte unter massivem Ausbau der Staatsmacht.
- c) Durch die Lehre von der sozialistischen Einheit zugleich Aufhebung der Dichotomie „Öffentliches Recht und Privatrecht" i. S. e. Gegensatzes.
- d) Ergebnis: auch in der DDR Verlust der Eigenständigkeit des Privatrechts und der Bedeutung der Dichotomie
- III. Aber auch in dem sozialen Rechtsstaat der BRD ab 1945 Bedeutungsverlust des Privatrechts und der Dichotomie.
- 1. Autonomieverlust des Privatrechts durch zahlreiche Beschränkungen der Privatautonomie; insbesondere durch die (mittelbare) Drittwirkung der Grundrechte
- a) Ausgangspunkt: Lüth-Urteil v. 15.1.1958 - 1 BvR 400/57.
- b) BVerfG, Beschl. v. 19.10.1993 - 1 BvR 567/89 zur Inhaltskontrolle von Bürgschaften einkommens- und vermögensloser Familienangehöriger und Kritik.
- aa) Beschlussgründe: Verfassungsrechtliche Korrektur bei gestörter Vertragsparität
- bb) Kritik: erhebliche Beschränkung der Privatautonomie.
- c) Literatur: Beginnende Lösung von der Lehre der mittelbaren Drittwirkung und hin zu einer verfassungskonformen Auslegung.
- d) Drittwirkung des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG in spezifischen Zivilrechtskonstellationen; Grundrechtsbindung Privater.
- aa) Stadion-Verbot: BVerfG, Beschl. v. 11.4.2018 - 1 BvR 3080/09
- (1) Beschlussgründe und obiter dictum
- (2) Kritik.
- bb) Entsperren eines Facebook-Accounts: BVerfG, Beschl. v. 22.5.2019 - 1 BvQ 42/19, hier vor allem obiter dictum: Grundrechtsbindung Privater?
- e) Ergebnis: Ausdehnung der Drittwirkung der Grundrechte führt zu einem zunehmenden Verlust der Eigenständigkeit des Privatrechts.
- 2. Einfluss dieser Entwicklungen und weiterer Verschränkungen der Teilrechtsordnungen auf die Unterscheidung von öffentlichem und privatem Recht insbesondere im 21. Jahrhundert.
- D. Dennoch Sinn und Berechtigung einer weiteren Unterscheidung zwischen Öffentlichem Recht und Privatrecht?
- I. Überblick über den Meinungsstand zu den Konsequenzen aus dem Bedeutungsverlust der Dichotomie: Aufrechterhaltung der Unterscheidung?
- 1. e. A.: Aufhebung oder nur geringe Bedeutung der Unterscheidung, insbesondere die „differenzierte Gemeinrechtslehre" Bullingers.
- 2. a. A.: Aufrechterhaltung der Unterscheidung unter Anerkennung des Bedeutungsverlustes der Dichotomie, insbesondere Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen (Hoffmann-Riem)
- II. Stellungnahme: vor allem Bestimmung des Wesens der beiden Teilrechtsordnungen.
- 1. Bedeutung der Unterscheidung de lege lata.
- 2. Aufhebung kommt jedenfalls nicht schon wegen mangelnder Durchführbarkeit der Abgrenzung in Betracht.
- a) Abgrenzung muss de lege lata ohnehin vorgenommen werden.
- b) Zudem: Abgrenzungstheorien weisen zwar Mängel auf, erweisen sich aber als praktikabel
- aa) Mängel der vertretenen Abgrenzungstheorien.
- bb) jedoch praktikable Handhabung möglich.
- 3. Bestimmung des Wesens der beiden Teilrechtsordnungen - Unterscheidung sinnvoll?
- a) Wesen des öffentlichen Rechts.
- aa) Aufgaben, Funktionen und Handlungsformen.
- bb) Zentrale Prinzipien: Art. 1, 20 GG.
- cc) Stellung des Individuums
- b) Im Vergleich: Das Wesen des Privatrechts.
- aa) Typische Aufgaben und Funktionen.
- bb) Kann auch die Regulierung Teil des Privatrechts sein?
- (1) Kurz zum Begriff.
- (2) Einwände gegen den Einsatz des Privatrechts zur Regulierung.
- (3) Einwände nur zum Teil berechtigt: Differenzierung überzeugend!
- (4) Umfang der Anerkennung der Regulierungsfunktion im Privatrecht
- (5) Regulierung auch Teil des Privatrechts, aber zum Teil Unterschiede bei der Art und Weise der Erfüllung dieser Regulierungsfunktion.
- cc) Zentrale Prinzipien des Privatrechts.
- (1) Prinzipien der Selbstbestimmung.
- (2) e. A. jedoch: Eigenständigkeit des Privatrechts ergibt sich lediglich aus der Privatinitiative bei der Rechtsdurchsetzung.
- (3) Ablehnung dieser Auffassung: auch Privatautonomie ist eigenständiges Prinzip des Privatrechts
- (4) Daher eigenständige Prinzipien des öffentlichen und des privaten Rechts, die sich gegenseitig ausschließen.
- dd) Stellung des Individuums.
- c) Ergebnis: zwar zum Teil gleiche Aufgaben und Funktionen, aber dennoch wesentliche Unterschiede feststellbar.
- 4. Weiterhin Unterscheidung sinnvoll und berechtigt, dabei Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen.
- E. Zusammenfassung
- Entwicklung der Dichotomie im 19. Jahrhundert und ihre Abkehr im 20. Jahrhundert
- Bedeutungswandel des Privatrechts in totalitären Systemen (Nationalsozialismus und DDR)
- Einfluss der Drittwirkung von Grundrechten auf die Privatautonomie im sozialen Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland
- Kritik und aktuelle Diskussionen über die Fortbestand der Dichotomie
- Wesensmerkmale und Abgrenzungskriterien von öffentlichem und privatem Recht
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Das Seminar „Privat oder öffentlich?" analysiert die Abgrenzung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht im 20. und 21. Jahrhundert. Dabei untersucht es den Bedeutungsverlust der Dichotomie „Öffentliches Recht und Privatrecht" vor dem Hintergrund verschiedener politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik des Seminars „Privat oder öffentlich?" ein und stellt die Abgrenzung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht als zentrales Thema vor. Anschließend wird ein kurzer Rückblick auf den liberalen Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts geworfen, in dem eine strikte Trennung zwischen Staat und Gesellschaft herrschte. Die Entstehung des BGB und die Wende zum 20. Jahrhundert markieren gleichzeitig den Beginn des Bedeutungsverlusts der Dichotomie. Im Folgenden werden die Entwicklungen der Dichotomie in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und in der DDR analysiert. Insbesondere die Auswirkungen der totalitären Staatssysteme auf das Privatrecht und die Abgrenzung zu öffentlichem Recht werden beleuchtet. Abschließend wird die Bedeutung der Drittwirkung von Grundrechten auf die Privatautonomie im sozialen Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland untersucht.
Schlüsselwörter
Öffentliches Recht, Privatrecht, Dichotomie, Rechtsstaat, Liberalismus, Weimarer Republik, Nationalsozialismus, DDR, Drittwirkung, Grundrechte, Privatautonomie, Regulierung, Abgrenzungskriterien, Rechtsordnung, Staat, Gesellschaft, Individuum.
- Arbeit zitieren
- Anonym (Autor:in), 2021, Abgrenzung von Öffentlichem Recht und Privatrecht im 20. und 21. Jahrhundert, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1415320