Wenn man dem Aufsatz Lenins „Entwicklung des Kapitalismus in Russland“ Glauben schenken soll, sind die Kulaken die „Speerspitze des Kapitalismus“ (Malia, Martin: Vollstreckter Wahn, Russland 1917 – 1991, New York 1994, S. 153.). Repressive Maßnahmen der Regierung führten zu extremen Versorgungsengpässen. Diese „Entwicklung“ gestattete es der Partei, die Dörfer auszubeuten. Die Bauernschaft aber grub sich mit der Vernichtung der Vieh- und Getreidebestände ihr Grab. Ob ihnen das nicht bewusst war, muss zunächst in Frage gestellt werden. Viola vertritt die These, dass die russischen Bauern rational gehandelt hätten (vgl. Viola, Lynne: Peasant Rebels under Stalin, Collectivization and the Culture of Peasant Restistance, New York 1996.). Goehrke beschreibt aber in seinen Zeitzeugenbefragungen, dass die Bauern nur ihr Vieh vernichtet hätten, um nicht als Kulaken zu gelten und schreibt ihnen unvernünftiges Handeln zu (vgl. Goehrke, Carsten: Russischer Alltag, Eine Geschichte in neun Zeitbildern, Band 3, Sowjetische Moderne und Umbruch, Zürich 2005.). Aber handelte es sich tatsächlich um eine durchdachte, also rationalisierte „Politik“ der Bauern? Es stellt sich die Frage, ob und inwieweit die Bauern überhaupt „politisch“ handeln wollten und konnten. In diesem Kontext ist auch die Richtung der herrschenden Partei nicht klar. Ging es Stalin um eine Demoralisierung der Bauern oder „nur“ um die Getreiderequirierung, zur Sicherung der Nahrungsmittelversorgung?
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Inhaltsverzeichnis
- Die Dummheit der Bauern
- Die Bauern und die Kollektivierung
- Die Kulaken als Feindbild
- Rationalität und „Dummheit“ der Bauern
- Die „Nicht-Modernisierung“ der Kulaken
- Gerechtigkeitssinn und Egoismus
- Futterknappheit und Versicherungsbetrug
- Zusammenfassende Analyse
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Dieser Essay analysiert das Verhalten der russischen Bauern während der Kollektivierung in der Sowjetunion. Ziel ist es, die Hintergründe für das Vernichten von Vieh und Getreide durch die Bauern zu ergründen und zu bewerten, ob es sich dabei um irrationales oder doch rationales Handeln handelte.
- Kollektivierung der Landwirtschaft in der Sowjetunion
- Verhalten der Bauern während der Kollektivierung
- Rationalität und „Dummheit“ der Bauern
- Entkulakisierung und die Rolle der Kulaken
- Ideologie und Praxis der sowjetischen Politik
Zusammenfassung der Kapitel
- Die Dummheit der Bauern: Der Essay führt in die Thematik ein und stellt die unterschiedlichen Sichtweisen auf das Verhalten der Bauern während der Kollektivierung dar. Er beleuchtet die Frage, ob die Bauern rational oder irrational gehandelt haben.
- Die Bauern und die Kollektivierung: Der Essay beschreibt die Kollektivierung als eine politisch motivierte Maßnahme, um die Landwirtschaft zu „modernisieren“. Er beleuchtet die Rolle der Bauern und ihre Reaktion auf die staatlichen Eingriffe.
- Die Kulaken als Feindbild: Der Essay untersucht die Darstellung der wohlhabenden Bauern als „Speerspitze des Kapitalismus“ und „Feinde des Systems“. Er beleuchtet die sowjetische Ideologie, die die Kulaken als Modernisierungshemmnis ansah.
- Rationalität und „Dummheit“ der Bauern: Der Essay analysiert die Argumente für und gegen die Rationalität des Verhaltens der Bauern. Er untersucht die unterschiedlichen Interpretationen des Bauernhandelns und die Rolle der Ideologie.
- Die „Nicht-Modernisierung“ der Kulaken: Der Essay zeigt die Folgen der sowjetischen Politik für die Kulaken auf. Er beschreibt die Enteignungen und Deportationen, die aufgrund der „Nicht-Modernisierung“ dieser Gruppe erfolgten.
- Gerechtigkeitssinn und Egoismus: Der Essay beleuchtet die Gerechtigkeitsvorstellungen der Bauern und ihr Gefühl des Egoismus. Er argumentiert, dass diese Faktoren eine Rolle bei der Ablehnung der Kollektivierung spielten.
- Futterknappheit und Versicherungsbetrug: Der Essay untersucht die Auswirkungen der staatlichen Getreidekonfiszierungen auf die Bauern. Er analysiert das Schlachten des Viehs aufgrund von Futterknappheit und die Nutzung von Versicherungsbetrug als Überlebensstrategie.
Schlüsselwörter
Kollektivierung, Bauern, Sowjetunion, Kulaken, Rationalität, „Dummheit“, Entkulakisierung, Ideologie, Modernisierung, Gerechtigkeitsvorstellungen, Egoismus, Futterknappheit, Versicherungsbetrug.
- Quote paper
- Laura Schiffner (Author), 2009, Die "Dummheit" der Bauern, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/141362