Ich möchte in das Thema meiner Arbeit mit einem Zitat von Hannelore Grimm einsteigen, die 1977 in „Psychologie der Sprachentwicklung“ die zentralen Punkte meines Themas „Wortbedeutung bei Kindern“ sehr treffend formuliert hat: Die spezifische Sprache des Kindes spiegelt die spezifische kindliche Welt wider. Dies gilt in besonderem Maße für das semantische System. Welche sich verändernden Bedeutungen entstehen und welche funktionalen Werte Objekten und Ereignissen im Verlauf der Entwicklung zugemessen werden, lässt tieferen Einblick in die Unterschiede zwischen den kindlichen Welten und der Erwachsenenwelt zu. Dies zu untersuchen ist ein äußerst schwieriges Unterfangen, das durch einzelne, wohldefinierte Fragen spezifiziert werden muss. Ihren gemeinsamen Schnittpunkt haben diese Fragen in dem Kernproblem, wie Kinder lernen, ganz bestimmte Wörter mit ganz bestimmten Bedeutungen zu verbinden. (Grimm 1977 : 7).
Der Forschungsbereich der Wortbedeutungsentwicklung bei Kindern stößt bei vielen Spracherwerbsforschern sowohl auf großes Interesse, als das er sie auch vor besondere Schwierigkeiten stellt. Die Schwierigkeit und gleichzeitig die Faszination dieses Forschungsbereiches hängen, wie es auch schon Grimm formuliert hat, mit dem Aspekt zusammen, dass die semantische Entwicklung auch eng mit zahlreichen anderen entwicklungspsychologischen Bereichen verknüpft ist. Die Beobachtung, dass Kinder mit ungefähr einem Jahr beginnen, Dingen aus ihrer Umgebung Namen zu geben, scheint für uns selbstverständlich. Doch bereits an dieser Stelle lässt sich ein umfangreicher Fragenkatalog erstellen: Wie kommt ein Kind dazu bestimmten Worten bzw. Lautfolgen einen festen Bedeutungskern zuzuordnen? Welchen Begriff bzw. welches gedankliche Konzept verbindet es mit diesen Lautfolgen? Nach welchen Kriterien erfolgt die genaue Begriffsbildung? Welche Rolle spielen Erwachsene?
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Unterscheidung zwischen „Begriff“, „Wort“ und „Bedeutung“
2.Theoretische Modelle zur Begriffs- und Bedeutungsentwicklung
2.1 Semantische Merkmalshypothese
2.2 Funktionale Kernhypothese
2.3 Prototyptheorie
2.4 Das Modell von Bowerman zur Begriffs- und Wortbedeutungsentwicklung
3. Voraussetzungen für den Spracherwerb - Die Entwicklungstheorie von Piaget
3.1 Die erste Periode: Die sensomotorische Aktivität
3.2 Die zweite Periode: Die egozentrische Repräsentationsaktivität
3.3 Die dritte Periode: Die repräsentative Aktivität operatorischer Ordnung
4. Die ersten Worte
5. Der Fast-mapping Prozess
6. Erweiterung des kindlichen Wortschatzes
6.1 Prinzipien, die zur Wortneubildung beitragen
6.2 Lücken im Wortschatz
7. Die lexikalische Entwicklung – die Entstehung der Einwortsätze, Zweiwortsätze und Drei- und Mehrwortäußerungen
8. Schluss
9. Literaturverzeichnis
Einleitung
Ich möchte in das Thema meiner Arbeit mit einem Zitat von Hannelore Grimm einsteigen, die 1977 in „Psychologie der Sprachentwicklung“ die zentralen Punkte meines Themas „Wortbedeutung bei Kindern“ sehr treffend formuliert hat:
Die spezifische Sprache des Kindes spiegelt die spezifische kindliche Welt wider. Dies gilt in besonderem Maße für das semantische System. Welche sich verändernden Bedeutungen entstehen und welche funktionalen Werte Objekten und Ereignissen im Verlauf der Entwicklung zugemessen werden, läßt tieferen Einblick in die Unterschiede zwischen den kindlichen Welten und der Erwachsenenwelt zu. Dies zu untersuchen ist ein äußerst schwieriges Unterfangen, das durch einzelne, wohldefinierte Fragen spezifiziert werden muß. Ihren gemeinsamen Schnittpunkt haben diese Fragen in dem Kernproblem, wie Kinder lernen, ganz bestimmte Wörter mit ganz bestimmten Bedeutungen zu verbinden. (Grimm 1977 : 7).
Der Forschungsbereich der Wortbedeutungsentwicklung bei Kindern stößt bei vielen Spracherwerbsforschern sowohl auf großes Interesse, als das er sie auch vor besondere Schwierigkeiten stellt. Die Schwierigkeit und gleichzeitig die Faszination dieses Forschungsbereiches hängen, wie es auch schon Grimm formuliert hat, mit dem Aspekt zusammen, dass die semantische Entwicklung auch eng mit zahlreichen anderen entwicklungspsychologischen Bereichen verknüpft ist. Die Beobachtung, dass Kinder mit ungefähr einem Jahr beginnen, Dingen aus ihrer Umgebung Namen zu geben, scheint für uns selbstverständlich. Doch bereits an dieser Stelle lässt sich ein umfangreicher Fragenkatalog erstellen: Wie kommt ein Kind dazu bestimmten Worten bzw. Lautfolgen einen festen Bedeutungskern zuzuordnen? Welchen Begriff bzw. welches gedankliche Konzept verbindet es mit diesen Lautfolgen? Nach welchen Kriterien erfolgt die genaue Begriffsbildung? Welche Rolle spielen Erwachsene?
Dieser Fragenkatalog lässt sich natürlich noch beliebig erweitern.
Ich werde in meiner Arbeit versuchen, die wichtigsten Fragen bezüglich dieser Entwicklung zu klären und auf die wichtigsten Aspekte dieses Themas einzugehen. Jedoch war es unmöglich, alle Bereiche anzusprechen, da dies für den Rahmen einer Bachelorarbeit zu umfangreich gewesen wäre. Aus diesem Grund habe ich mich nur auf die zentralen Punkte und auf die gängigsten Erklärungsansätze zur kindlichen Wortbedeutungsentwicklung konzentriert, die meiner Meinung nach die Entwicklung der Wortbedeutung eines Kindes gut veranschaulichen. Wie man auch schon anhand des Fragenkatalogs erkennen kann, spielen die Termini „Begriff“, „Wort“ und „Bedeutung“ eine zentrale Rolle. Aus diesem Grund beginne ich zunächst damit, eine Definition für diese zu geben und einen Bezug zwischen ihnen herzustellen, da sie auch im weiteren Verlauf der Arbeit immer wieder von großer Relevanz sind. Diesbezüglich konzentriere ich mich zum größten Teil auf den Standpunkt von Szagun. Weiterhin erwähne ich einerseits Furth, Rothweiler und Seiler, deren Auffassungen in einigen Aspekten mit denen Szaguns übereinstimmen und andererseits Nelson, die besonders von Szagun kritisiert wird. Anschließend stelle ich vier Spracherwerbstheorien dar. Den Anfang macht die „Semantische Merkmalshypothese“ von Clark, die sich mit der Bildung von Wortbedeutungen und der Zuordnung der Bedeutungen zu einem Wort beschäftigt. Des Weiteren erwähne ich die „Kernhypothese“ von Nelson, die die Entstehung der kindlichen Erkenntnisstrukturen beschreibt und die die Entstehung der Bedeutung von Objektwörtern erklärt. Weiterhin versuche ich anhand der „Prototyptheorie“, die keinen alleinigen Hauptvertreter hat, die Frage zu klären, wie die Bedeutung entsteht. Ferner führe ich das Modell von Bowerman an. Dieses nimmt Bezug zu den drei zuvor genannten Theorien, präsentiert weitere Ergebnisse von Bowerman und wird mit der Kritik Barretts konfrontiert. Der nächste Punkt meiner Arbeit befasst sich mit den Voraussetzungen für den Spracherwerb. Diesbezüglich habe ich mich mit der Entwicklungstheorie von Jean Piaget auseinandergesetzt und mich vor allem auf seine Literatur von
1945 / 69 „Nachahmung, Spiel und Traum“ konzentriert. Piaget thematisiert in den drei Perioden seiner Entwicklungstheorie (von der Geburt bis zum 12. Lebensjahr) die Denk- und Erkenntnisprozesse von Kindern und die Entwicklung gedanklicher Vorstellungen. Nachdem sich die gedanklichen Vorstellungen entwickelt haben, beginnen Kinder die ersten Wörter zu bilden, was ich in Punkt 4 thematisiere. In meinem nächsten Punkt beschreibe ich anhand des „Fast-mapping Prozesses“ wie Wörter durch schnelles Abbilden in das mentale Lexikon aufgenommen werden. Nach und nach formt das Kind nun Sprachlaute dahingehend, dass erkennbare Worte entstehen. Ein Kind wird zunehmend unabhängiger von der konkreten Anschauung und der Wortschatz entwickelt sich, was ich in dem folgenden Punkt darstelle. Diesbezüglich konzentriere ich mich vor allem auf die Bildung neuer Wörter, wodurch das bestehende Lexikon erweitert wird. Dabei gehen Kinder nach bestimmten Prinzipien vor, die ich in diesem Punkt thematisieren werde. Nun können sie allmählich bestimmten Worten bestimmte Bedeutungen zuordnen und bilden langsam Ein- bzw. Zweiwortsätze und später dann auch Drei- und Mehrwortsätze. Diese Entwicklung beschreibe ich in meinem letzten Punkt anhand von Szagun und Braun. Abschließend gebe ich eine Zusammenfassung der wesentlichen Aspekte der vorliegenden Arbeit und beziehe selbst Stellung zu dem von mir behandelnden Thema, indem ich noch einmal kurz auf die Standpunkte der von mir angeführten Forscher und Forscherinnen eingehe.
1. Unterscheidung zwischen „Begriff“, „Wort“ und „Bedeutung“
In der Literatur finden sich unterschiedliche Verwendungen und Vorstellungen der Termini „Begriff“, „Wort“ und „Bedeutung“. Darum möchte ich zunächst damit beginnen, diese aus unterschiedlichen Standpunkten voneinander zu unterscheiden, aber gleichzeitig auch ihre Beziehungen zueinander darzustellen.
Paprotté und Rothweiler (Paprotté 1985: 75f., Rothweiler 2001: 27) sehen beispielsweise keinen Unterschied zwischen semantischem Wissen und Weltwissen. Nach ihnen ergibt sich eine enge Verflechtung zwischen enzyklopädischem und sprachlichem Wissen. Andere Vertreter wiederum, so Bierwisch & Lang (Rothweiler 2001: 27), nehmen an, dass es unterschiedliche mentale Repräsentationen für Konzepte (=Begriffe) und Lemmata[1] gibt (Rothweiler 2001: 27). Vor allem zwischen „Begriff“ und „Bedeutung“ lässt sich im frühen Stadium des Spracherwerbs eine Unterscheidung feststellen, so Szagun (Szagun 1996: 103). Der Terminus „Begriff“ „ist eine geistige Struktur, die Dinge in der Welt aufgrund von Ähnlichkeiten zusammen gruppiert. Er schafft so eine Klasse oder Kategorie von Objekten oder auch Ereignisse, die uns erlaubt, ähnliches in der Welt zusammen zu gruppieren“ (Szagun 2000: 103). „Begriff“ ist ein relativ stabiles geistiges Reaktionsmuster im Bewusstsein eines individuellen Menschen. Diese Struktur des Erkennens entsteht aus der Erfahrung bzw. dem Wissen, dass ein Mensch über ein Subjekt hat und daraus, wie das Subjekt dieses Wissen verallgemeinert und strukturiert (Szagun 1983: 214). Demnach repräsentiert der „Begriff“ den Zusammenhang des Wissens über ein spezifisches Phänomen bzw. über einen spezifischen Sachverhalt im Bewusstsein eines Menschen (Szagun 1991: 45).
Auch für Furth (1966) sind „Begriffe“ Strukturen des Erkennens, wobei kein verbales Symbolsystem involviert ist. Dies hat sich bei gehörlosen Kindern, die Begriffe dieser Art auch ohne ein Symbolsystem von Wörtern ohne Verzögerung entwickelt haben, gezeigt (Szagun 1983: 214-219).
Eine ähnliche Auffassung wie Szagun vertritt auch Rothweiler (Rothweiler 2001: 22), die die mentale Repräsentation „Begriffe“ oder „Konzepte“ nennt. Für Rothweiler (Rothweiler 2001: 26) stellen sie die elementare Speichereinheit der Kognition dar.
Auch Paprotté spricht davon, dass Begriffe die Einheiten mentaler Repräsentationen sind, als die kleinsten Einheiten des Wissens von der Welt (Paprotté 1985: 75). Die Entstehung des „Begriffs“ in der Kindheit wie auch die Art des „Begriffs“ entscheidet darüber, so heißt es weiter bei Szagun, wie die Begriffsstruktur aussieht. Diese kann verschieden sein oder unterschiedliche Grade an inhaltlicher Spezifität von Begriffen (oder Erkenntnisstrukturen) besitzen. An dieser Stelle sei kurz das Beispiel „Ball“ erwähnt, das noch einmal in Punkt 2.2 (S.6) meiner Arbeit auftauchen wird. „Ball“ ist ein relativ inhaltsspezifischer Begriff, also ein relativ allgemeiner, inhaltsarmer Begriff, der aufgrund seiner Breite eher ein Begriffssystem darstellt. Der „Begriff“ ist nun das gesamte Wissen des Subjekts über den Gegenstand. Dies ist jedoch unabhängig davon, welchen spezifischen Charakter dieses Wissen hat und unabhängig davon, ob der Gegenstand des Wissens materiell oder nicht - materiell ist (Szagun 1983: 215). Somit entstehen „Begriffe“ aus der Erfahrung des Menschen, sprich sie bilden sich aus der Interaktion des Subjekts mit der Umwelt und aus Gefühlen oder Willensäußerungen (Szagun 2000: 139f.). Dies geschieht jedoch erst nach und nach, wobei „Begriffe“ die Stufen der Strukturierung, Umstrukturierung bis hin zum Erwachsenenbegriff durchlaufen (Szagun 1991: 45). Ein „Begriff“ ist ein Produkt der Verallgemeinerung der Erfahrung, das besonders während der Kindheit veränderlich ist.
Ein „Wort“ hingegen stellt ein Klangsymbol für einen Begriff dar. Es ist ein Produkt der Nachahmung. Wird es einmal erworben, so bleibt es immer gleich. Aus diesem Grund ist das „Wort“ psychologisch von dem „Begriff“, den es symbolisiert, verschieden (Szagun 1983: 215).
Die Verknüpfung zwischen der phonologischen Repräsentation des Wortes mit dem Begriff (=Repräsentation des Wissens über ein spezifisches Phänomen) nennt man die „Bedeutungsrelation“. Das „Wort“ erhält seine „Bedeutung“ durch diese Verbindung zum „Begriff“ (Szagun 1991: 45). Aus dem, was das Subjekt über den Gegenstand weiß, ergibt sich die „Bedeutung“ des Wortes. Demnach bedeutet das „Wort“ den „Begriff“ (Szagun 1983: 215). Wichtig hierbei ist die Verknüpfung von „Wort“ und „Begriff“ und nicht ob jedem „Wort“ ein „Begriff“ zugeordnet ist. Denn einem „Wort“ können auch mehrere „Begriffe“ oder einem „Begriff“ mehrere „Wörter“ zugeordnet werden (Szagun 1991: 45).
Jedoch muss das „Wort“ nicht immer den ganzen „Begriff“ bedeuten d. h es muss nicht immer zu einer Aktivierung des gesamten begrifflichen Wissens kommen, sondern es ist möglich, nur Teile davon zu aktivieren, wobei dies situations– bzw. kontextabhängig ist. So kann es passieren, dass gleiche Worte in verschiedenen Kontexten Unterschiedliches bedeuten. Sowohl in gesprochener als auch in geschriebener Form hat das „Wort“ eine Lautfolge. Also eine äußere
(=objektivierte) Form, die im Gegensatz zum „Begriff“, der eine mentale Struktur hat und völlig innerlich ist, steht. Durch die Verbindung aus Wortsymbol und „Begriff“ wird das Subjekt für den „Begriff“ leichter zugänglich und auch für andere Menschen besser mitteilbar. Zwischen Worten und Begriffen existiert eine sehr enge Verbindung, obwohl sie nicht identisch sind. Dies sind sie aus zwei Gründen nicht: Zum einen aufgrund ihrer psychologischen Qualität d. h das Wort liegt auf der Nachahmungs- und der Begriff auf der Strukturierungsebene und zum anderen gibt es Begriffsbildungen, die unabhängig von der Benennung stattfinden; demnach wird zumindest ein Teil des Begriffs vor der Benennung gebildet. Nach Nelson, deren Auffassung von Szagun kritisiert wird, werden in der handelnden Erfahrung mit Gegenständen funktionale Beziehungen zu einem prälinguistischen Kernbegriff verdichtet (Seiler / Wannenmacher 1985: 15). Über die Entstehung des Begriffs bildet das Kind dann die Bedeutung, indem es ein Wort mit dem Begriff verbindet. Nelson ist der Meinung, dass sich der Begriff vor dem Wort bildet und er somit nicht von der Benennung abhängig ist (Szagun 1983: 68ff.). Szagun kritisiert diese Sichtweise (ebda. 72f), indem sie sagt, dass die Auffassung von Nelson nur zu Beginn der Sprachentwicklung Zuspruch findet, da diese auf sensomotorischen Begriffen aufbaut. Später bilden Kinder durchaus Begriffe aufgrund von Wörtern, die sie in der Erwachsenensprache hören, aber nicht verstehen. Sie fragen dann nach und ordnen oder kategorisieren die erhaltenen Informationen zu einem Begriff.
Cromer (1976) behauptet, dass es einen Unterschied zwischena. Begriffen, die Wörtern direkt zugeordnet sind und Begriffen, die in keiner direkten Beziehung zu Wörtern stehen und eher allgemeinere Denkmuster darstellen, gibt.
Die Wortbedeutung ist also ein durch ein Wortzeichen symbolisierter Begriff. Wobei der „Begriff“ das Wissen um den Gegenstand ist. Dieses Wissen stellt sich wiederum aus der Erfahrung des Menschen zusammen. Nach Carey (1981) sind Wortbedeutungen sprachlich enkodierte Begriffe und somit eine Untergruppe von Begriffen, so genannte „concepts“ (Szagun 1983: 214-219).
Auch Seiler ist der Ansicht, dass es sogar notwendig ist, bei den oben genannten Termini eine Unterscheidung vorzunehmen. Ein „Wort“ ist nach Seiler ein Lautzeichen, das einem bestimmten Bedeutungsgehalt zugeordnet wird. Durch diese Zuordnung bekommt das „Wort“ eine „Bedeutung“. Die „Bedeutung“ wird dem „Wort“ jedoch nicht streng zugeordnet, sondern lässt dynamische Flexibilität zu. Sie besteht nicht im Gegenstand sprich einer Situation, einem Objekt oder einem Merkmal, auf die das „Wort“ verweist, sondern beruht auf einer Relation (Seiler / Wannenmacher 1985: 112). Das, was ein Kind unter einem bestimmten „Wort“ versteht bzw. was es damit verbindet, stimmt nicht mit dem überein, was ein Erwachsener darunter versteht. Ein Erwachsener differenziert und vergrößert weiterhin die „Bedeutungen“, die in einer Beziehung mit einem sprachlichen Ausdruck stehen und darüber hinaus ordnet er ihm noch ganz neue „Bedeutungen“ zu (ebda. 112f.). Seiler sieht „Begriffe“ als idiosynkratische Minitheorien“ (Seiler 1985: 105ff.). Ferner entstehen nach Seiler „Begriffe“ allmählich und in Abhängigkeit von den Erfahrungen von Kindern. Außerdem sind sie veränderlich und müssen nicht mit den Begriffen der Erwachsenen übereinstimmen.
Es gibt weitere Auffassungen (=kognitionstheoretische Auffassungen), die eine genaue Trennung von „Begriff“ und „Bedeutung“ vornehmen. „Begriff“ bezeichnet hier wie auch bei Szagun eine subjektive Erkenntnisstruktur, Verstehensakte und Wissensinhalte, die dem Individuum sowohl ständig zur Interpretation von Worten zur Verfügung stehen als auch aktuell von ihm dazu erzeugt werden. Auch in Bezug zu diesen Auffassungen stellen „Begriffe“ Elemente des Wissens dar. Man versteht bezüglich dieser Auffassungen unter „Begriffen“ Kategorien oder Klassen, die dem Subjekt dabei helfen, Ordnung in das Chaos der umgebenden Welt zu bringen, „d. h. die Gesamtheit seiner Wahrnehmungen, Handlungen und Erfahrungen in bestimmter Weise zusammenfasst, die diese Kategorisierungen und ihre Verbindungen konstituieren und regulieren.“ (Seiler / Wannenmacher 1985: 113). An dieser Stelle zeigt sich für Seiler besonders der Unterschied zwischen „Begriff“ und „Bedeutung“.
Anhand der von mir entworfenen Grafik möchte ich die Ansicht Seilers verdeutlichen. Als solche sind „Begriffe“ nämlich nicht deckungsgleich mit den „gesellschaftlich normierten Bedeutungen“ von Worten, sondern sind individueller und subjektiver Natur, und sowohl nicht parallel als auch nicht deckungsgleich zu den „Bedeutungen“, die hingegen gesellschaftlichen und kulturellen Charakter haben, sondern würden quer zu ihnen liegen, überlappen sie sogar (Seiler / Wannenmacher 1985: 113). Die „Bedeutung“ ist also Ausdruck eines gesellschaftlichen, kulturellen Verständnisses von Worten und ist nicht „im Kopf“, sondern ein aus gesellschaftlich verankerten Stereotypen entstehender Terminus, so Putnam (Putnam 1979. In Seiler / Wannenmacher 1985: 114).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.Theoretische Modelle zur Begriffs- und Bedeutungsentwicklung
In den 60er und 70er Jahren kam es zur Entstehung einiger bedeutsamer theoretischer Modelle, die zur Erklärung der Begriffs- und Bedeutungsentwicklung beitragen bzw. beigetragen haben. Diese wurden teilweise in den letzten Jahrzehnten sowohl von einigen Autoren kritisiert als auch modifiziert und erweitert.
Die nun folgenden theoretischen Modelle sind von großem Wert für die Forschung und sollen die Fragen klären, wie es zur Bildung von Wortbedeutungen kommt und wie Kinder bestimmten Worten bestimmte Bedeutungen zuordnen.
2.1 Semantische Merkmalshypothese
Lernt ein Kind semantische Merkmale eines Wortes, unterteilt und unterscheidet es kritische perzeptuelle Merkmale der Objektwörter, so erfolgt nach Clark dadurch der Erwerb von Wortbedeutungen (Braun 1999: 249). Diesen Vorgang, der vor allem von Clark geprägt ist, wird als „Semantische Merkmalshypothese“ (semantic feature hypothesis) bezeichnet. Sie geht davon aus, dass die Bedeutung eines Wortes sich aus einem Bündel semantischer Elemente d. h. aus Merkmalen konstituiert. Clark spricht von „semantic features“, den kleineren Einheiten, deren Kombination die Bedeutung von Worten ist (Seiler / Wannenmacher 1985: 6). Weiterhin stellt sie die Hypothese auf, dass die ersten Merkmale („features“) „perzeptueller Art“ sind d. h. dass die semantischen Merkmale aus der sinnlichen Wahrnehmung des Kindes entstehen (ebda. 6). Außerdem ist für ein Kind der „sensorische Input“ (ebda. 6) die wichtigste Information. Aus diesem Grund lassen sich sensorische Kennzeichen sprich Form, Größe, Bewegung und Lauteinheit am besten lernen, so Clark, um erste Wortbedeutungen bilden zu können. Im Gegensatz zu Erwachsenen verfügen Kinder nur über wenige Merkmale und es kommt schnell zu „fehlerhaften Übergeneralisierungen“ („overextension“) der Wortbedeutungen (Seiler / Wannenmacher 1985: 6).
Erst später werden sie in einem Differenzierungsprozess spezifischer (Szagun 2000: 105ff.). Denn durch eine Gruppierung wahrgenommener ähnlicher Eigenschaften und deren Differenzierung von anderen nichtähnlichen entwickelt das Kind ein System semantischer Merkmale, die je nach Bündelung die jeweilige Wortbedeutung ergeben. Kommt es in Berührung mit einem neuen Wort, so kann das Kind nur einige der kritischen semantischen Merkmale zuweisen (Braun 1999: 249). Die ersten Wörter der Kinder haben noch eine andere Bedeutung als die zielsprachliche Norm der Erwachsenen. Die Extension und die Intension der Wörter ändert sich im Laufe der Entwicklung (Füssenich 2002: 72f.).
In diesem Entwicklungsalter treten häufig die o.g. Übergeneralisierungen und Untergeneralisierungen auf. Bei der Übergeneralisierung stimmt die Gruppe der Referenten nicht mit der zielsprachlichen Gruppe überein, wie das folgende Beispiel zeigt.
Ein Hund z. B. ist ein lebendes Objekt, aber kein Mensch, sondern ein Tier. Er ist gekennzeichnet durch Fell, vier Beine, Bellen etc.
Erwachsenen sind all diese Attribute bekannt, wobei sich die Liste noch beliebig erweitern lässt. Ein Kind hingegen verbindet das Wort „Hund“ unter Umständen nur mit dem Merkmal „vierbeinig“. Fälschlicherweise kann dieses Merkmal aber auch auf andere vierbeinige Wesen ausgedehnt werden, die jedoch keine Hunde sind (Seiler / Wannenmacher 1985: 6). Untergeneralisierungen hingegen beziehen sich auf Untergruppen der Referenten. Demnach steht „Hund“ dann
z. B. nur für schwarze Hunde.
Die Merkmalshypothese liefert anscheinend eine plausible Erklärung für die Übergeneralisierungen von Wörtern. Dies zeigt sich anhand des Phänomens, dass Kinder alle runden Gegenstände als Ball oder eben alle vierbeinigen Lebewesen als Hund bezeichnen.
When they first begin to use words, therefore, they do not know the full meanings but have only parts of the adult meanings available. The acquisition of semantic knowledge consists of adding further components of features of meaning until the child meanings match adult meanings. One prediction, then, ist hat children´s production and comprehension of words may differ considerably from the adult´s in the early stages of acquisition, but over time will come to correspond to the adult models. As soon as children have some meaning attached to a word, they can use that information in trying to understand the word and in deciding when to produce it. But in production, their partial meanings should often make children´s uses diverage from adult ones (Clark 1983: 816f.).
Allgemeine semantische Merkmale werden demnach zuerst gelernt und dann die Merkmale, die Etwas genauer bestimmen (Braun 1999: 249).
Die semantische Merkmalshypothese von Clark scheint also eine plausible Erklärung für „overextension“ der Wortbedeutungen geben zu können. Bleiben wir beim Beispiel „Hund“, so findet hier eine Übergeneralisierung in der Weise statt, dass Kinder alle vierbeinigen Lebewesen als Hund bezeichnen. Die Kategorie HUND[2] ist also zu breit, wird überdehnt, weil sich das Kind nur nach einem kritischen Merkmal richtet. Nach und nach nehmen die Merkmale, die von einem Kind zu einem Wort zugeordnet werden, zu, sodass sich die Kategorien verkleinern. Denn Kinder erwerben nach Clark semantische Merkmale in hierarchischer Weise „und zwar derart, dass sie sich die allgemeinen vor den spezifischen aneignen, um selbst produzierten Worten oder Wort ähnlichen Lauten oder den im Umgang mit Erwachsenen gehörten Wörtern eine Bedeutung zu verleihen“ (Seiler / Wannenmacher 1985: 6). Fügt man weitere Merkmale hinzu und differenziert diese, so werden Wortbedeutungen immer spezifischer.
Anhand eines Experimentes mit bipolaren Wortpaaren wie „bevor/nachdem“ hat Clark versucht, diese Abfolge zu belegen. Zunächst ist es von großer Bedeutung, sich die Bedeutungsstruktur dieser Wörter vor Augen zu führen, die Clark mit Hilfe von „+/-“ Markierungen vorgenommen hat.
+ steht hier für „trifft zu“ bzw. „Merkmal vorhanden“ und – demnach für „trifft nicht zu“ bzw. „Merkmal nicht vorhanden“. Nach Clark beinhalten beide Wörter das Merkmal „+Zeit“ und „-gleichzeitig“ d. h. sie stehen einerseits in Verbindung mit der Zeit, aber andererseits wird Gleichzeitigkeit von beiden Wörtern nicht zum Ausdruck gebracht. Noch sind sich beide Wörter ähnlich. Doch spaltet man nun das Merkmal „-gleichzeitig“ auf, so ergibt sich für „bevor“ „+früher“ und für „nachdem“ „-früher“.
Gemäß Clark nehmen Kinder zuerst das Merkmal „+Zeit“ auf, da dieses allgemeiner ist und dann das Merkmal „-gleichzeitig“. Erst dann lernen Kinder in „+/- früher“ zu unterscheiden, wobei wiederum die positive Form als erstes gelernt wird (Seiler / Wannemacher 1985: 7).
Die semantische Merkmalshypothese hatte zwar großen Einfluss in der Wortbedeutungsforschung, erntete jedoch auch viel Kritik. So stellt sich nicht nur zu Recht die Frage, wie genau die „perzeptuellen Merkmale“ sich in semantische umwandeln, sondern auch, ob man tatsächlich alle Arten von Wörtern in Merkmale aufsplitten kann und wenn ja, ob sich diese Merkmale immer aus „perzeptuellen Merkmalen“ ableiten lassen. Für Objektwörter mag dies zutreffen, aber was geschieht mit abstrakten Wörtern wie z. B. „Freundschaft“? Zumindest die erste Frage lässt sich annähernd durch Clarks Merkmalshypothese beantworten, da in dieser beschrieben wird, dass aus sinnlicher Erkenntnis semantisches Wissen wird, das schließlich sprachlich enkodiert wird, aber wie genau dieser Vorgang abläuft, wird nicht näher erläutert (Clark 1973. In Moore: 74).
[...]
[1] Lemmata ist in der Lexikografie und Linguistik die Grundform eines Wortes, also die Wortform, unter der man es in einem Nachschlagewerk sucht.
[2] Zur Verdeutlichung der von mir genannten Kategorien schreibe ich diese groß
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- Julia Zelonczewski (Autor:in), 2008, Wortbedeutungsentwicklung bei Kindern, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/139955