Verstaatlichung von Finanzinstituten, Enteignung von Anteilseignern und staatliche Garantien für private Sparanlagen. Die weltweite Krise an den Kapitalmärkten und der damit einhergehende weltwirtschaftliche Konjunktureinbruch sind weiterhin das bestimmende Thema in der öffentlichen Diskussion. Alles begann mit einer Krise im Immobilienmarkt in den Vereinigten Staaten und entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit zur größten Finanzkrise seit der Großen Depression in den 30er Jahren. Weltweit verbuchten institutionelle sowie private Investoren Milliardenverluste. Die Entwicklungen der vergangenen zwei Jahre auf den Finanzmärkten haben das Vertrauen der Aktionäre in die Fähigkeit des Top-Managements ihrer Unternehmensbeteiligungen massiv in Mitleidenschaft gezogen. Gefallene Aktienkurse, einbrechende Gewinne sowie unzureichende Prognosesicherheit für den weiteren Geschäftsverlauf haben nicht zu mehr Vertrauen, sondern umgekehrt zu Misstrauen und Argwohn der Eigentümer geführt.
Dabei stellt das Vertrauen der Aktionäre einer Aktiengesellschaft, besonders in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten, die bedeutendste Grundlage für den Erfolg am Kapitalmarkt dar. Investiert ein Anleger in eine Aktie, ist dies eine Investition in eine ungewisse Zukunft. Der Investor trägt ein gewisses Risiko, ohne dabei im operativen Geschäft über jegliche Entscheidungsmacht zu verfügen. Demnach investiert er in die Leistungsfähigkeit des Managements und spricht diesem somit sein Vertrauen aus. Tritt ein Krisenfall ein, geht ein Teil des Vertrauens der Anteilseigner in die Unternehmensleitung verloren. Infolgedessen kann es beispielsweise zu Kursverlusten der Aktie oder, aufgrund erhöhter Risikoprämien, zu steigenden Eigenkapitalkosten kommen. Die Beziehungspflege zu der Financial Community, die Investor Relations (IR), soll helfen, diesen Vertrauensverlusten entgegenzuwirken. Grundlage für den Vertrauenserhalt bildet die Kommunikation mit der Financial Community, also mit Investoren, Analysten und Finanzmedien. Das Verhalten dieser Gruppe trägt in einem erheblichen Maß zum Erfolg oder Misserfolg der Aktiengesellschaft am Kapitalmarkt bei. Demgemäß erfahren Investor Relations als Instrument zur Schaffung und Erhaltung von Vertrauen seitens der Financial Community in das Unternehmen eine erhöhte Relevanz, vor allem in Zeiten des gesamtwirtschaftlichen Abschwungs und fallender Börsenkurse.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einführung
1.1 Ausgangssituation und Problemstellung
1.2 Relevanz der Themenstellung und Zielsetzung der Arbeit
1.3 Struktur der Arbeit
2 Grundlagen der Investor Relations
2.1 Historie, Begriff und Bedeutung
2.1.1 Historische Wurzeln der IR
2.1.2 Begriffserläuterung und definitorische Abgrenzung
2.1.3 Wachsende Bedeutung der IR
2.2 Ziele der Investor Relations
2.2.1 Finanzwirtschaftliche Ziele - Primärziel
2.2.2 Kommunikationspolitische Ziele - Sekundärziel
2.3 Zielgruppen der Investor Relations
2.3.1 Private Investoren
2.3.2 Institutionelle Investoren
2.3.3 Multiplikatoren
2.4 Instrumentarien der Investor Relations
2.4.1 Erfüllung gesetzlicher Vorgaben - Pflicht
2.4.2 Freiwillige IR-Maßnahmen - Kür
2.5 Abgrenzung Investor Relations zu Public Relations
2.6 Grundsätze erfolgreicher Kapitalmarktkommunikation
2.6.1 Stetigkeit
2.6.2 Wesentlichkeit und Vollständigkeit
2.6.3 Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit
2.6.4 Zielgruppenbezogenheit
2.6.5 Transparenz
2.6.6 Aktualität
3 Anforderungen an die Investor-Relations-Arbeit in Unternehmens- und Finanzmarktkrisen
3.1 Grundlagen der Krisenthematik
3.1.1 Begriffliche Annährung und definitorische Abgrenzung
3.1.1.1 Was bedeutet ››Krisenzeiten‹‹?
3.1.2 Unternehmens- und Finanzmarktkrisen
3.1.2.1 Unternehmenskrisen
3.1.2.2 Ursachen
3.1.2.2.1 Interne Krisen
3.1.2.2.2 Externe Krisen
3.1.2.3 Verlauf und Wirkungen
3.1.3 Finanzmarktkrisen
3.1.3.1 Auswirkungen und definitorische Abgrenzung
3.2 Investor Relations als Bestandteil der Krisenfrüherkennung, Krisenvorbeugung und Krisenbewältigung
3.2.1 IR als Teil der Krisenfrüherkennung und Krisenvermeidung
3.2.1.1 Notwendigkeit eines Krisenfrüherkennungssystems
3.2.1.2 Komponenten eines Krisenfrüherkennungssystems
3.2.1.3 Bedeutung und Stellung der IR innerhalb der Krisenfrüherkennung und der Krisenvermeidung
3.2.2 Maßnahmen und Instrumente zur Krisenvorbeugung und Krisenbewältigung
3.2.2.1 Der Krisenkommunikationsplan: Ziele, Inhalte und Anforderungen
3.2.2.2 Der Krisenstab. Ziele, Aufgaben und Anforderungen
3.2.2.2.1 Die Stellung der IR innerhalb des Krisenstabs
3.2.2.2.2 Die Kommunikation des Krisen-IR-Plans und dessen Lösungsansätze
3.2.2.3 Weitere Vorkehrungen der IR innerhalb der Krisenvorbeugung
3.2.2.3.1 Kontinuierliche Beziehungspflege im Vorfeld der Krise
3.2.2.3.2 Technische und personelle Strukturen
3.2.2.3.3 Management der Erwartungen
3.3 Anforderungen an die Investor Relations während akuter Krisensituationen
3.3.1 Folgenreiche Fehler
3.3.1.1 Abschottung statt aktiver Kommunikation
3.3.1.2 Verschleierungstaktik und Aktionismus
3.3.2 Voraussetzungen für erfolgreiche Krisen-IR
3.3.2.1 Beibehaltung der IR-Grundsätze
3.3.2.2 Ehrliche Darstellung der Situation
3.3.2.3 Darstellung von Lösungsansätzen
3.3.3 Glaubwürdigkeit und Vertrauen als oberste Maxime
3.3.4 Einzuleitende Maßnahmen in Krisensituationen
3.3.5 Priorisierung der IR-Zielgruppen
3.3.6 Nutzung und Bewertung entsprechender IR-Instrumente
3.3.6.1 Persönliche Kommunikation
3.3.6.2 Unpersönliche Kommunikation
3.3.6.3 Krisenangepasste IR-Kommunikation am Beispiel der Deutschen Bank AG65
3.3.7 Zu kommunizierende Inhalte
3.3.8 Leistungsfähigkeit und Grenzen von Krisen-IR
4 Erkenntnisse für die Investor-Relations-Arbeit aus der Finanzmarktkrise 2008
4.1 Lehren aus der Krise
4.2 Aktuelle Trends und Herausforderungen
5 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
ABBILDUNG 2: Zielgruppen im IR-Fokus
ABBILDUNG 3: Instrumente der Investor Relations
ABBILDUNG 4: Anfang, Wendepunkt und Ende von Unternehmenskrisen
ABBILDUNG 5: Krisenlebenszyklus
ABBILDUNG 6: Wirkungsweisen einer Finanzkrise
ABBILDUNG 7: IR als Teil der Krisenkommunikation innerhalb des Krisenmanagements
ABBILDUNG 8: Erhöhte Anforderungen an die Investor Relations und allgemeine Belastungen durch die Subprime-Krise
ABBILDUNG 9: Einteilung des Krisenkommunikationsplans nach Krisenerkennung
ABBILDUNG 10: Der akute Krisenverlauf ohne bzw. mit Krisen-IR
ABBILDUNG 11: IR-Krisenkommunikation am Beispiel der Deutschen Bank AG
ABBILDUNG 12: Themenschwerpunkte der IR
ABBILDUNG 13: Analysten-Coverage wird sinken
ABBILDUNG 14: Sinkende Investorentermine
ABBILDUNG 15: Ausgaben der Buy-Side für Sell-Side Research
ABBILDUNG 16: Telefon-Orders von der Buy-Side
Tabellenverzeichnis
TABELLE 1: Charakteristiken individueller und institutioneller Anleger
TABELLE 2: Investor Relations und Public Relations im Überblick
TABELLE 3: Krisenphasen und entsprechende IR-Instrumente
1 Einführung
1.1 Ausgangssituation und Problemstellung
Verstaatlichung von Finanzinstituten, Enteignung von Anteilseignern und staatliche Garantien für private Sparanlagen. Die weltweite Krise an den Kapitalmärkten und der damit einhergehende weltwirtschaftliche Konjunktureinbruch sind weiterhin das bestimmende Thema in der öffentlichen Diskussion.2 Alles begann mit einer Krise im Immobilienmarkt in den Vereinigten Staaten und entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit zur größten Finanzkrise seit der Großen Depression in den 30er Jahren. Weltweit verbuchten institutionelle sowie private Investoren Milliardenverluste.3 Die Entwicklungen der vergangenen zwei Jahre auf den Finanzmärkten haben das Vertrauen der Aktionäre in die Fähigkeit des Top-Managements ihrer Unternehmensbeteiligungen massiv in Mitleidenschaft gezogen. Gefallene Aktienkurse, einbrechende Gewinne sowie unzureichende Prognosesicherheit für den weiteren Geschäftsverlauf haben nicht zu mehr Vertrauen, sondern umgekehrt zu Misstrauen und Argwohn der Eigentümer geführt.4
Dabei stellt das Vertrauen der Aktionäre einer Aktiengesellschaft, besonders in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten, die bedeutendste Grundlage für den Erfolg am Kapitalmarkt dar.5 Investiert ein Anleger in eine Aktie, ist dies eine Investition in eine ungewisse Zukunft. Der Investor trägt ein gewisses Risiko, ohne dabei im operativen Geschäft über jegliche Entscheidungsmacht zu verfügen. Demnach investiert er in die Leistungsfähigkeit des Managements und spricht diesem somit sein Vertrauen aus. Tritt ein Krisenfall ein, geht ein Teil des Vertrauens der Anteilseigner in die Unternehmensleitung verloren. Infolgedessen kann es beispielsweise zu Kursverlusten der Aktie oder, aufgrund erhöhter Risikoprämien, zu steigenden Eigenkapitalkosten kommen.6 Die Beziehungspflege zu der Financial Community, die Investor Relations (IR), soll helfen, diesen Vertrauensverlusten entgegenzuwirken. Grundlage für den Vertrauenserhalt bildet die Kommunikation mit der Financial Community, also mit Investoren, Analysten und Finanzmedien. Das Verhalten dieser Gruppe trägt in einem erheblichen Maß zum Erfolg oder Misserfolg der Aktiengesellschaft am Kapitalmarkt bei. Demgemäß erfahren Investor Relations als Instrument zur Schaffung und Erhaltung von Vertrauen seitens der Financial Community in das Unternehmen eine erhöhte Relevanz, vor allem in Zeiten des gesamtwirtschaftlichen Abschwungs und fallender Börsenkurse. Gerade der Umgang mit den hochsensiblen, hochvolatilen und psychologisch anfälligen Kapitalmärkten verlangt nach einem taktisch gut durchdachten Kommunikationsplan der Investor Relations.7
Die vergangenen Monate haben verdeutlicht, dass börsennotierte Aktiengesellschaften mit Hilfe professionell abgestimmter Investor-Relations- Aktivitäten die Verluste ihrer Anteilseigner verringern können. Dabei scheinen die Notwendigkeit und die erhöhte Bedeutung der IR in Krisensituationen in der Praxis augenscheinlich noch nicht verinnerlicht worden zu sein. So gibt eine Analyse des Finanzmarkt-Trendmonitors8 keinen Grund zur Entwarnung, sondern stellt das Gegenteil heraus: Jede dritte IR-Abteilung scheint gar nicht oder nur unzureichend auf Krisenfälle eingestimmt zu sein. Drei Prozent aller befragten IR- Experten seien überhaupt nicht auf eventuelle Krisensituationen vorbereitet. Darüber hinaus verdeutlichen die Ergebnisse einer weiteren aktuellen Studie der COREvalue GmbH und der Hochschule für Unternehmensführung (HFU) die steigende Bedeutung der IR: Die befragten Kapitalmarktexperten sind der Meinung, dass aktive Investor Relations der wichtigste Einflussfaktor für eine gute Aktienperformance darstellt; wohlgemerkt noch vor einer plausiblen Unternehmensstrategie und erfolgreichen Umsetzung der Equity Story.9 Zudem sehen 86% der befragten Teilnehmer aufgrund der Kapitalmarktkrise einen erhöhten Informationsbedarf der Financial Community.10
1.2 Relevanz der Themenstellung und Zielsetzung der Arbeit
Untersuchungen zu Investor Relations im Allgemeinen gibt es zur Genüge, während sich in der einschlägigen Literatur bisher nur vereinzelte wissenschaftliche Arbeiten oder Studien zu der Themenstellung dieser Arbeit finden. In den überwiegenden Fällen werden die Kapitalmarktkommunikation in ihrer Gesamtheit beleuchtet und die Ziele, Zielgruppen, Instrumente und rechtlichen Rahmenbedingungen der Investor Relations ausführlich dargestellt. Der aktive Beitrag, den IR zur Krisenbewältigung leisten kann, wird allerdings nur in sehr wenigen Fällen untersucht, die Diskussion hierüber findet hauptsächlich in Zeitungsartikeln statt. Vor diesem Hintergrund, der oben genannten Problemstellung und den aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen, erscheint eine Auseinandersetzung mit dem Thema der Investor Relations in Krisenzeiten als essentiell notwendig.
Die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit beinhaltet die Untersuchung aller kommunikativen Möglichkeiten, welche den Investor-Relations-Verantwortlichen von börsennotierten Aktiengesellschaften in Krisensituationen zur Verfügung stehen. Es soll untersucht werden, ob und wie die IR-Arbeit als vorbeugende Krisenvermeidungsmaßnahme in das gesamte Krisenmanagement eingebunden werden kann und wie Investor Relations während akuter Krisensituationen ihre volle Wirkung entfalten kann. Als Ergebnis wird eine Aussage darüber erwartet, welchen Beitrag Investor Relations zur Krisenvermeidung und Krisenbewältigung leisten kann und wie die Kommunikation mit der Financial Community sinnvoll und effektiv gestaltet werden sollte.
1.3 Struktur der Arbeit
Zur Erfüllung der genannten Zielsetzung ist diese Arbeit wie folgt gegliedert:
Das vorliegende Kapitel 1 beginnt mit der Erläuterung der Ausgangs- und Problemstellung und wird durch die Formulierung der Zielsetzung und der Strukturbeschreibung der Arbeit abgeschlossen.
Kapitel 2 bildet den theoretischen Teil und stellt die Grundlagen der Investor Relations auf Basis der vorhandenen wissenschaftlichen Literatur dar.
Das nachfolgende Kapitel 3 stellt den Hauptteil dieser Arbeit. Eingangs werden die Grundlagen der Krisenthematik zusammengestellt und daraufaufbauend wird der Frage nachgegangen, ob Investor Relations in den Prozess der Krisenfrüherkennung und Krisenvermeidung eingebunden werden kann. Abschließend werden dem Leser die Anforderungen an die Investor-Relations- Arbeit in akuten Krisensituationen aufgezeigt und näher erläutert.
Kapital 4 fasst die gewonnenen Erkenntnisse aus der Finanzmarktkrise für die Investor Relations zusammen und erläutert derzeitige Trends und zukünftige Herausforderungen innerhalb der IR-Branche.
Das Kapitel 5 bildet den Schlussteil der Arbeit. Es fasst die wichtigsten Erkenntnisse komprimiert zusammen und zeigt weitere Handlungsperspektiven auf.
2 Grundlagen der Investor Relations
2.1 Historie, Begriff und Bedeutung
2.1.1 Historische Wurzeln der IR
Die Unternehmensdisziplin Investor Relations blickt auf eine relativ junge Vergangenheit zurück, deren Ursprung bei dem US-amerikanischen Unternehmen General Electric zu finden ist.11 Dieses legte im Jahr 1953 ein Kommunikationsprogramm speziell für private Investoren mit dem Titel „Investor Relations“ auf. Demzufolge wird General Electric das „Copyright“ der Bezeichnung Investor Relations zugeschrieben. In Deutschland tauchte der Begriff erstmals im Rahmen einer Dissertation von Hanno K. Hartmann an der Uni München im Jahre 196712 auf. Jedoch bot diese nur wenige Übertragungsmöglichkeiten für den deutschen Kapitalmarkt, da die Arbeit überwiegend auf den US-Kapitalmarkt abzielte. Während der 60er-Jahre wurde IR in den USA oftmals als Marketinginstrument eingesetzt, um die Aktienkurse in die Höhe zu treiben.13 Diese Entwicklung war ebenfalls in der jüngeren Vergangenheit in Deutschland zu beobachten. Des Weiteren wurde IR in Deutschland bis Ende der 80er-Jahre als ein Teilbereich der Public Relations (PR) angesehen, was zu einer Erhöhung des Bekanntheitsgrades und zur Stabilisierung des Aktienkurses beitragen sollte. Erst gegen Anfang der 90er-Jahre erkannte man in Deutschland die Notwendigkeit einer eigenständigen Funktionseinheit für Investor Relations. Während dieser Zeit hatte sich IR in den USA bereits seit Langem als fester und eigenständiger Bereich der Kapitalmarktkommunikation innerhalb börsennotierter Unternehmen etabliert.14 Seither hat sich IR auch in deutschen Aktiengesellschaften als ein spezieller Funktionsbereich fest integriert und wird heute bei indexnotiertenUnternehmen wie selbstverständlich in die Unternehmensstrategie mit eingebunden.15
2.1.2 Begriffserläuterung und definitorische Abgrenzung
Definitionen zu dem Begriff IR gibt es in der Literatur zu Genüge, die sich teilweise erheblich voneinander unterscheiden. Zum einen kann IR als finanzmarktbezogener Teil der Unternehmenskommunikation gesehen werden. Zum anderen wird IR als die Gesamtheit aller pflichtgemäßen und freiwilligen Kommunikationsmaßnahmen von Gesellschaften gesehen, mit der Zielsetzung, finanzwirtschaftliche Ziele zu erreichen und die damit verbundenen Marktwiderstände zu überwinden.16 Vertretern der Financial Community, also Analysten, Ratingagenturen und Finanzmedien, werden zielgerecht, direkt und möglichst zeitnah alle relevanten Unternehmensdaten zur Verfügung gestellt.17 IR versteht sich als strategische Managementaufgabe, die versucht, die Unternehmensbereiche Finanzen, Marketing und Kommunikation sowie die rechtlichen Verpflichtungen zu integrieren, um dem Unternehmen am Kapitalmarkt zu einer fairen Bewertung zu verhelfen.18 Synonyme wie zum Beispiel Financial Relations, Public Relations, Finanzkommunikation, Produktmarketing oder Aktienmarketing finden Anwendung in weiten Teilen der Fachliteratur.19 Eine kurze Abgrenzung zwischen IR und PR folgt in Kapitel 2.5.
Wörtlich übersetzt bedeutet Investor Relations so viel wie „Beziehungen zu den Anteilseignern“. Hieraus wird ersichtlich, dass die primäre Zielgruppe von IR die Eigentümer des Unternehmens darstellen.20 Laut DÜRR21 umfasst IR „alle jene Maßnahmen eines Unternehmens, die es zur Pflege seiner Beziehung zu Aktionären, Investoren, Finanzfachleuten und ähnlichen Zielgruppen einsetzt.“ Der weltweit größte Investor Relations Verband NIRI (National Investor Relations Institute, Vienna/USA) definiert IR wie folgt:
„Investor Relations is a strategic management responsibility that integrates finance, marketing and securities laws compliance to enable the most effective two-way communication between a company, the financial community, and other constituencies, which ultimately contributes to a company’s securities achieving fair valuation.”22
Das deutsche Pendant zum NIRI ist der DIRK (Deutscher Investor Relations Verband e.V.). Dieser hat zu Beginn des Jahres 2008 den IR-Begriff neu definiert:
„Investor Relations ist eine Managementaufgabe mit dem strategischen Ziel, in der Öffentlichkeit und insbesondere am Finanzmarkt eine möglichst realistische Wahrnehmung des Unternehmens zu erreichen. Mit einer effizienten Investor Relations soll auch das Ziel, die Kapitalkosten zu optimieren, verfolgt werden.“23
In der vorliegenden Arbeit findet die aktuelle Definition des DIRK Verwendung, da diese einen wichtigen Grund für das Bestehen und die starke Fokussierung auf die Investor Relations in der jüngeren Vergangenheit aufgreift - die Optimierung der Kapitalkostenbeschaffung.
2.1.3 Wachsende Bedeutung der IR
Seit Beginn der 90er-Jahre haben sich die Finanzierungsmöglichkeiten für Unternehmen deutlich erschwert. Durch die weltweit immer weiter zusammenwachsenden Kapitalmärkte ist ein starker Wettbewerb um das nationale und internationale Kapital entstanden. Die Nachfrage nach Informationen vonseiten der Analysten und Investoren bzgl. der Unternehmen ist seither stark gestiegen.24 Darüber hinaus hat sich die Entwicklung unserer Gesellschaft hin zu einer global vernetzten Informationsgesellschaft merklich auf die IR-Arbeit ausgewirkt.25 Nicht nur Unternehmen agieren global, sondern auch Investoren operieren international und fordern seither ein offenes und aktives Informationsverhalten vonseiten der Unternehmen. Aufgrund des technologischen Fortschritts, vor allem was die Möglichkeiten des Internets betrifft, verfügen Anleger heutzutage über ein weitaus höheres Maß an Unternehmensinformationen und können demnach Investitionsentscheidungen effizienter ableiten.26
Inzwischen wird Investor Relations in den meisten börsennotierten Unternehmen zur „Chefsache“ erklärt und ist in der Regel direkt dem Vorstandsvorsitzenden (CEO) oder dem Finanzvorstand (CFO) unterstellt.27 Der Aufwand ist beträchtlich: Pro Jahr absolvieren die Unternehmen bis zu 50 Roadshows, mehrere hundert Einzelgespräche und nationale sowie internationale Konferenzen mit Analysten und Investoren an allen wichtigen Finanzplätzen rund um den Globus. Hieraus wird ersichtlich wie zeitaufwändig die IR-Arbeit ist. Hinzu kommt der finanzielle Aufwand, wie z.B. die Vorbereitungen der Konferenzen, Flug- und Übernachtungskosten, Raummieten und vieles mehr.28
2.2 Ziele der Investor Relations
Die oberste Maxime der IR-Aktivitäten geht einher mit dem obersten Ziel der Unternehmensführung - die langfristige Steigerung des Unternehmenswertes gilt als bedeutungsvollsteZielsetzung jeder erfolgreichen IR-Arbeit.29 Um den so genannten Fair Value30 einer Unternehmung bestimmen zu können, müssen Mitglieder der Financial Community offen und vollständig informiert werden. Nur eine offene und lückenlose Informationsbereitstellung vonseiten des Unternehmens fördert die Entwicklung eines langfristigen Vertrauensverhältnisses zwischen Kapitalgebern und Management. Wurden das Geschäftsmodell, die Unternehmensstrategie und weitere Einflussgrößen umfassend dargestellt, ist die Voraussetzung für ein gerechtfertigtes Kursniveau der Aktie erfüllt. Die Ermittlung des Kursniveaus wird anhand der Faktoren Erwartungswert und Risiko derzukünftigen Zahlungsströme (Free-Cashflows) eingeschätzt.31 An dieser Stelle sei der in der aktuellen gesellschaftlichen und wirtschaftspolitischen Diskussion oft gebrauchte Shareholder-Value-Gedanke genannt, dessen Leitmotiv die wertorientierte Unternehmensführung darstellt und die Steigerung des Unternehmenswertes als Zielsetzung verfolgt. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet Shareholder Value nichts anderes als die Steigerung des Aktionärsnutzens und die erhoffte Wertsteigerung der Aktie über den Zeitverlauf.32 Jedoch wurde besonders in der jüngeren Vergangenheit der Shareholder-Value-Ansatz von vielen IR- Verantwortlichen nicht als nachhaltiges Wertsteigerungsprinzip, sondern als reines Profitstreben und Maximierung des Aktienkurses missverstanden. Die alleinige Unternehmenswertsteigerung reicht indes nicht aus. Vonseiten der IR bedarf es einer transparenten und anlegerorientierten Informationspolitik, um dem Kapitalmarkt die Wertsteigerung kommunizieren zu können.33
Der Ausgangspunkt weiterer Investor-Relations-Ziele besteht darin, dass keine vollkommenen informationseffizienten Kapitalmärkte existieren. Nicht alle Informationen sind in den Kursen verarbeitet (eingepreist). Wäre dies der Fall, hätte Investor Relations seine Daseinsberechtigung verloren.34 In Bezug auf die übrigen IR-Ziele erscheint eine Unterteilung in Primärziele (finanzwirtschaftliche Ziele) und Sekundärziele (kommunikationspolitische Ziele) sinnvoll. Die Sekundärziele gelten als Grundlage für die spätere Verwirklichung der Primärziele.35
2.2.1 Finanzwirtschaftliche Ziele - Primärziel
Das ausgegebene Hauptziel von IR ist es, eine nachhaltige Unternehmensbewertung zu bewerkstelligen, die das aktuelle und zukünftige Geschäft fair widerspiegelt. Im Folgenden werden die bedeutsamsten finanzwirtschaftlichen Ziele vorgestellt.
(1) Kapitalkostenminimierung
Eine erfolgreiche Finanzkommunikation vereinfacht die langfristige Eigenkapitalbeschaffung eines Unternehmens. Die Risikoprämie, die Anleger für ihre Investition verlangen, reduziert sich aufgrund der erhöhten Transparenz des Unternehmens am Kapitalmarkt und verringert somit die Eigenkapitalkosten. Ebenso ist eine Kapitalrücklagenbildung ohne größere Widerstände möglich. Insgesamt führt dies zu einer Verbesserung der Eigenkapitalsituation des Unternehmens.36 Effektive IR-Maßnahmen wirken sich ebenso positiv auf das Unternehmensrating aus und erleichtern dadurch die Aufnahme von Fremdkapital. Ein verbessertes Rating verringert die Risikozuschläge und führt demzufolge zu einer geringeren Zinsbelastung des Unternehmens.37
(2) Sicherung der Finanzmittelbeschaffung
Bei der Möglichkeit einer jederzeitigen Eigen- und Fremdkapitalbeschaffung zu fairen Konditionen handelt es sich um einen großen Wettbewerbsvorteil der Gesellschaft gegenüber seinen Mitbewerbern. Durch die Sicherung der Liquidität erhöht sich, vor allem in Krisenzeiten, die Flexibilität der Unternehmung. Gleichzeitig werden der Fortbestand und das Wachstum des Unternehmens gesichert.38
(3) Stabilisierung des Aktienkurses
Die Volatilität des Aktienkurses soll im Zeitverlauf gering gehalten werden, um die Bestimmung des Emissionspreises bzgl. zukünftiger Kapitalerhöhungen und Kapitalplanungen zu erleichtern. Geringere Schwankungen der Aktie erhöhen das Vertrauen der Anteilseigner, was durch gezielte IR-Arbeit erreicht werden kann. Zudem führt ein hoher Free Float39 der Aktie zu ausreichender Liquidität im Börsenhandel, wodurch der Aktienkurs zusätzlich stabilisiert wird.40
(4) Schutz vor feindlichen Übernahmen
Liegt der Kurswert der Aktie deutlich unter dem tatsächlichen Wert der Unternehmung, gilt eine feindliche Übernahme („hostile take-over“) als wahrscheinlicher.41 Eine durch Investor Relations herbeigeführte hohe Börsenkapitalisierung der Aktiengesellschaft kann die Gefahr einer feindlichen Unternehmensübernahme maßgeblich verringern.42 Zudem können weitere IR- Maßnahmen es ermöglichen, die Aktionäre stärker an das Unternehmen zu binden, um somit zumindest den Übernahmepreis zu erhöhen. Der Reiz einer Übernahme für den Übernehmer wird folglich geringer ausfallen.43
(5) Hoher Aktienkurs als Akquisitionswährung
Hinsichtlich der stark zugenommenen Anzahl von M&A-Transaktionen in den vergangenen Jahren erfreuen sich eigene Aktien als Zahlungsmittel immer größerer Beliebtheit.44 Umso wichtiger erscheint in diesem Zusammenhang ein hohes Kursniveau des übernehmenden Unternehmens. Je höher das Kursniveau, desto günstiger wird eine durch Aktientausch finanzierte Unternehmensübernahme oder Unternehmensfusion ausfallen.45
(6) Beeinflussung der Aktionärsstruktur
Die Veränderung der Aktionärsstruktur auf eine möglichst breite und internationale Streuung der Aktien ermöglicht es starken Schwankungen bei Verkäufen größerer Aktienpakete entgegenzuwirken. Darüber hinaus ist die Unternehmensführung nicht von einigen wenigen Großaktionären weisungsgebunden und wird in ihrem Handeln nicht beeinträchtigt.46
2.2.2 Kommunikationspolitische Ziele - Sekundärziel
Neben den finanzwirtschaftlichen Zielen gibt es die so genannten Sekundärziele von Investor Relations, die im Folgenden näher erläutert werden. Vertrauensbildende Maßnahmen stehen bei den kommunikationspolitischen Zielen im Vordergrund.47
(1) Schaffung von Vertrauen bei der Financial Community
Es muss als ein wesentliches Ziel der Kommunikation mit Investoren angesehen werden, nachhaltiges Vertrauen in die Unternehmensleitung zu generieren, um die Aktionäre langfristig an das Unternehmen zu binden.48 Das Vertrauen der Mitglieder der Financial Community in das Management ist maßgeblich für ihr Verhalten und ihre Zuverlässigkeit in Krisenzeiten. Schlechte Unternehmensnachrichten werden somit nicht zwangsläufig zu einem Ausverkauf der Aktie führen.49
(2) Bekanntheitsgrad des Unternehmens erhöhen
Ein gesteigerter Bekanntheitsgrad ermöglicht es neue nationale sowie internationale Investorengruppen auf das Unternehmen aufmerksam zu machen.50 Ebenso kann der Absatz durch Gewinnung von Neukunden gesteigert werden. Als weiterer Nebeneffekt wirkt sich der erhöhte Bekanntheitsgrad positiv auf die Rekrutierung neuer Mitarbeiter aus.51
(3) Verbesserung des Unternehmensimage
Das Image eines Unternehmens gibt Aufschluss darüber, ob die Unternehmung als glaubwürdig eingeschätzt wird.52 Die Kommunikation fundamentaler Unternehmensdaten reicht nicht aus, das Ziel der Glaubwürdigkeit zu erreichen. Kriterien wie Sympathie, Zuverlässigkeit, Seriosität, Ehrlichkeit, Vertrauen und Dynamik sind entscheidende Faktoren, die der Financial Community übermittelt werden müssen. Gezielte IR-Maßnahmen können die öffentliche Wahrnehmung des Unternehmens positiv beeinflussen. Anlagewillige Investoren können überzeugt werden, ihr Kapital langfristig in die Unternehmung einfließen zu lassen. Zudem fördert ein positives und stabiles Unternehmensimage die Loyalität bestehender Aktionäre und bietet in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten Schutz vor abwertenden Kommunikationsversuchen seitens der Konkurrenz.53
Abb. 1: Zielsystem der Investor-Relations-Arbeit
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene, leicht modifizierte Darstellung in Anlehnung an Tiemann (1997), S. 25.
(4) Steigerung der Attraktivität für neue Mitarbeiter
Potentiell hoch qualifizierte Mitarbeiter werden von einem sympathischen Unternehmensimage, einer hohen Börsenkapitalisierung und dem damit einhergehenden hohen Bekanntheitsgrad der Gesellschaft angezogen. Demzufolge vereinfacht sich üblicherweise die Rekrutierung so genannter High Potentials.54 Zusätzlich steigt die Motivation neuer Mitarbeiter, da bei vielen börsennotierten Aktiengesellschaften ein Teil des Gehalts aus Stock-Optionen besteht.55
Abschließend wird das Zielsystem der Investor Relations nochmals anhand der Abbildung 1 (siehe oben) verdeutlicht.
2.3 Zielgruppen der Investor Relations
Die folgenden Ausführungen befassen sich mit den verschiedenen internen und externen Zielgruppen der IR-Verantwortlichen. Um die zuvor beschriebenen IR- Ziele erreichen zu können, müssen die Zielgruppen identifiziert und individuell angesprochen werden. Dieses Vorgehen ist erforderlich, da sich die Motive und Anforderungen der einzelnen Bezugsgruppen teilweise merklich voneinander unterscheiden.56 Sie sind zwar differenziert zu betrachten, jedoch bleiben die Kommunikationsinhalte meist nahezu identisch. DÜRR formulierte die erfolgreiche Beziehung zu den Zielgruppen folgendermaßen: „Die Zuhörerschaft verstehen und deren Probleme und Bedürfnisse erkennen.“57
Wie bereits in Kapitel 2.2.1.1 angesprochen, greift die vorliegende Arbeit die Beziehungspflege zu Fremdkapitalgebern nicht näher auf. Jedoch sei an dieser Stelle erwähnt, dass eine Trennung zwischen Investor Relations und Creditor Relations grundsätzlich nicht als sinnvoll erachtet wird. Gravierende Unterschiede zwischen den Interessen und Bedürfnissen von Eigenkapital- und Fremdkapitalgebern sind nicht erkennbar, da beide Gruppen an einer dem Risiko entsprechenden Verzinsung ihres eingesetzten Kapitals interessiert sind. Zur Beurteilung dieses Risikos bedarf es zumindest sehr ähnlicher Unternehmensinformationen, die von der IR-Abteilung bereitgestellt werden müssen. Vielmehr sollte nach dem Prinzip „One Company, one Voice“ aus einer Hand vorgegangen werden, unabhängig ob Eigen- oder Fremdkapitalgeber, um die nach außen getragenen Informationen so einheitlich und transparent wie möglich zu gestalten.58
Betrachtet man die Financial Community als Gesamtheit aller Zielgruppen, so lassen sich diese in drei große Segmente aufteilen: private Investoren, institutionelle Investoren und Multiplikatoren.59
2.3.1 Private Investoren
Private Anleger stellen zahlenmäßig die größte Investorengruppe dar. Es handelt sich hierbei um eine heterogene Gruppe, die pro Aktionär über das geringste Anlagekapital verfügt. Dies stellt die IR-Abteilungen vor einige Herausforderungen. Ein hoher Zeit- und Kostenaufwand steht einem geringen Anlagevolumen pro Anteilseigner gegenüber. Hinzu kommt, dass durch die in Deutschland derzeitige Anlageform der Inhaberaktie der Aktionär dem Unternehmen namentlich nicht bekannt ist. Demzufolge werden die direkte Ansprache des „Kleinaktionärs“ und die Bereitstellung individueller Informationen erheblich eingeschränkt.60 Seit geraumer Zeit ist in Deutschland jedoch eine Abkehr von Inhaberaktien hin zu Namensaktien zu beobachten. Mitte 2005 lauteten bereits ein Drittel der Aktien der 30 DAX-Unternehmen auf die Namen ihrer Eigentümer, was die direkte Ansprache von privaten Aktionären technisch vereinfacht.61 Neben den Privatanlegern gehören auch die Mitarbeiter einer Aktiengesellschaft zu der Zielgruppe der privaten Investoren. In diesem Fall ist die Basis für eine kontinuierliche Kommunikation gegeben und gilt folglich eher als unproblematisch.62
Trotz der genannten Schwierigkeiten bleibt die Investorengruppe der privaten Anleger für die Unternehmen interessant. Gerade in Deutschland werden jedes Jahr erhebliche Vermögen vererbt. Dieses Kapital bedarf anschließend neuer Investitionsmöglichkeiten. Obwohl die deutsche Aktienkultur durch die Finanz- und Weltwirtschaftskrise weiter in Mitleidenschaft gezogen worden ist, wird in Zukunft insbesondere die jüngere Generation zunehmend an der Aktie als Geldanlage interessiert sein.63 Darüber hinaus gelten Privatanleger eher als anlagetreu, was langfristig zu einer Erhöhung der unternehmerischen Planungssicherheit und einer Verringerung der Volatilität des Aktienkurses führen kann. Sie stehen nicht wie institutionelle Investoren unter permanentem Performancedruck und verhalten sich in Krisenzeiten meist loyaler.64 Zu den weiteren Charakteristiken privater Investoren zählen erfahrungsgemäß unvollständiges fachliches Know-how, geringe Umschichtungshäufigkeit sowie eine gewisse Neigung zu subjektiven und emotionalen Anlageentscheidungen.65
2.3.2 Institutionelle Investoren
Bei institutionellen Investoren handelt es sich um professionelle Großanleger, die nicht ihr eigenes Geld investieren, sondern das ihrer Kunden.66 Zu ihrer Klientel zählen Versicherungen, Pensionsfonds, Kapitalanlagegesellschaften, Banken, Stiftungen und Investmentfonds.67 Sie verfügen meist über sehr große Anlagevolumina und können demzufolge erhebliche Kursbewegungen verursachen. In der einschlägigen Literatur werden institutionelle Investoren häufig als die bedeutendste Investorengruppe angesehen.68 Vor allem Investmentfonds seien in diesem Zusammenhang genannt, da deren Bedeutung seit den 80er-Jahren stark zugenommen hat und sie im Besitz von ca. 20% der in Deutschland nicht in Festbesitz befindlichen Aktien sind.
Grundsätzlich zeichnen sich institutionelle Investoren meist durch eine hohe fachliche Kompetenz aus und unterliegen in der Regel einem hohen Performancedruck. Häufiges Umschichten der verwalteten Portfolios, was zu einer höheren Rendite des eingesetzten Kapitals führen soll, verkürzt die Anlagedauer der Investments. Infolgedessen fällt die Loyalität gegenüber den investierten Unternehmen nicht selten gering aus.69
Im Gegensatz zu privaten Anlegern bildet die Zielgruppe der Großanleger zahlenmäßig die kleinste Investorengruppe. Ungeachtet dessen stehen diese bei den meisten Aktiengesellschaften im Mittelpunkt der IR-Arbeit, da pro Großinvestor das größte Anlagekapital zur Disposition steht.70 Solch hohe Anlagevolumina eröffnen den institutionellen Anlegern die Möglichkeit, starken Einfluss auf die Unternehmensleitung auszuüben, um die eigens ausgegebenen Ziele zu erreichen.71 Trotz dieses „Risikos“ eines Unabhängigkeitsverlustes kann sich ein institutioneller Investor durchaus positiv auf die langfristige Unternehmensentwicklung auswirken. Die Beteiligung eines Großinvestors bringt nicht nur einen Prestigegewinn mit sich, sondern kann ebenso Signalwirkung für private Investoren auslösen und zu steigenden Aktienkursen führen.72 Die nachfolgend angeführte Tabelle 1 veranschaulicht die verschiedenen Charakteristiken der zuvor erläuterten Investorengruppen.
Tabelle 1: Charakteristiken individueller und institutioneller Anleger
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene, leicht modifizierte Darstellung in Anlehnung an Kirchhoff (2009), S. 51.
2.3.3 Multiplikatoren
Eine weitere bedeutsame Zielgruppe der Investor Relations bilden die so genannten Multiplikatoren. Diese stehen den direkten Eigentümern gegenüber. Unter der Gruppe der Multiplikatoren versteht man alle Personen, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit alle erhaltenen oder recherchierten Unternehmensinformationen bündeln bzw. auswerten und diese einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen.73 Hierzu zählen vor allem Wirtschaftsjournalisten, Wertpapieranalysten, Anlageberater und Ratingagenturen. Besonders im Hinblick auf private Investoren kommt den Multiplikatoren eine essentielle Bedeutung zu. Die Anlageentscheidungen privater Anleger beruhen oftmals auf den Meinungen und Publikationen der Journalisten und Analysten und beeinflussen demnach in hohem Maße zukünftige Investitionsentscheidungen.74 Ihnen fällt somit eine gewisse meinungsbildende Funktion zu, die vonseiten der IR-Abteilungen besonders zu berücksichtigen ist. In der Regel zeichnen sich Multiplikatoren durch hohe fachliche Vorkenntnisse aus und sind unabhängig von den zu bewertenden Unternehmen, was ihren Aussagen zusätzliche Glaubwürdigkeit und Akzeptanz bei den Investoren verleiht.75
(1) Finanzanalysten
Die Beschaffung, Überprüfung und Verarbeitung von bewertungsrelevanten Unternehmensinformationen ist die Kernaufgabe von Analysten, um im Ergebnis eine Anlageempfehlung aussprechen zu können.76 Grundsätzlich wird zwischen zwei Arten von Finanzanalysten unterschieden: Sell-Side-Analysten und Buy-Side- Analysten. Sell-Side-Analysten sind in der Regel bei Brokern, Universalbanken und Investmentbanken als unabhängige Mitarbeiter angestellt und verkaufen ihre Untersuchungen an institutionelle Anleger. Buy-Side-Analysten sind hingegen Angestellte institutioneller Investoren und geben ihre Investitionsempfehlungen direkt an diese weiter. Hierbei ist der Adressatenkreis deutlich kleiner als bei der Sell-Side, jedoch ist das zu investierende Anlagevolumen pro Investor erheblich größer.77 Beide Gruppen haben starken Einfluss auf die Analageentscheidung potentieller und zukünftiger Investoren. Die Meinung der Analysten genießt in der breiten Öffentlichkeit und in der Wirtschafts- und Fachpresse hohes Ansehen.
Aufgrund dieses Multiplikatoreneffekts sind Finanzanalysten eine der bedeutendsten Zielgruppen der Investor-Relations-Arbeit und haben entscheidenden Einfluss auf Kauf-, Verkauf- und Halteentscheidungen von Anlegern.78
(2) Wirtschaftsjournalisten, Anlageberater und Ratingagenturen
Als weitere wichtige Multiplikatoren werden Wirtschafts- und Finanzjournalisten, Anlageberater sowie Ratingagenturen angesehen.79 Die Wirtschaftsberichterstattung erfüllt im Grunde drei Funktionsbereiche: die Informationsfunktion, die Wissensvermittlungsfunktion und die Meinungsbildungsfunktion.80 Journalisten verarbeiten gleichermaßen Researchberichte von Analysten, direkte Informationen vom Management der Aktiengesellschaft sowie selbst recherchierte Informationen und stellen diese anschließend der Öffentlichkeit zur Verfügung. Diese schnelle und weit reichende Verbreitung der Informationen beeinflusst die Mitglieder der Financial Community erheblich, wodurch die Multiplikatoren eine zusätzliche wichtige IR- Zielgruppe darstellen.81 An dieser Stelle sei erwähnt, dass Wirtschaftsjournalisten nicht „nur“ Unternehmensinformationen verarbeiten und somit Anlageempfehlungen ableiten. Darüber hinaus beobachten und analysieren sie auch die Art und Qualität der Investor-Relations-Arbeit, z.B. mit welcher Glaubwürdigkeit und Aktualität die IR-Verantwortlichen die Situation des Unternehmens den Aktionären darstellen. Insofern ist davor zu warnen, Journalisten zu unterschätzen oder gar zu ignorieren, da sie Beobachter und Schiedsrichter in einer Person darstellen.82
Die folgende Abbildung 2, Zielgruppen im IR-Fokus, veranschaulicht die verschiedenen IR-Zielgruppen anhand ihrer Relevanz in der Praxis. Sie manifestiert die Aussage in Kapitel 2.3.2., dass grundsätzlich institutionelle Investoren und speziell die Gruppe der Fondsmanager die wichtigsten Zielgruppen der IR-Verantwortlichen darstellen.
Abb. 2: Zielgruppen im IR-Fokus
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Abbildung in Anlehnung an Wolf (2009a), S. 4.
2.4 Instrumentarien der Investor Relations
Nachdem die Ziele und Zielgruppen der Investor-Relations-Arbeit definiert wurden, wird in Kapitel 2.4.1 kurz veranschaulicht, dass IR einer Reihe von gesetzlichen Vorschriften und Verordnungen unterliegt sowie dem Anlegerschutzgedanken entsprechen muss.83 In einem weiteren Schritt werden dem Leser in Kapitel 2.4.2 die freiwilligen IR-Maßnahmen in komprimierter Form vorgestellt.
[...]
2 Vgl. Wolf (2009), S. 2.
3 Vgl. Kirchhoff (2009), S. 35.
4 Vgl. Deter/Gremmler (2009), S. 44.
5 Vgl. Kirchhoff (2009), S. 35.
6 Vgl. Schewe (2004), S. 2.
7 Vgl. Bassen/Zöllner (2005), S. 483 - 484.
8 Finanzmarkt-Trendmonitor 2/2008. Hierfür wurden die Antworten von 282 Fach- und Führungskräften aus IR-Abteilungen ausgewertet. Der Befragungszeitraum lief vom 1. Juli bis 22. September 2008.
9 Vgl. Böning (2009), S. 36. Die komplette Studie ist unter folgendem URL ersichtlich: http://www.dirk.org/images/stories/A_Neue_IR_Studien/090610_kapitalmarktstudie_2009_prof_ wegmann.pdf.
10 Vgl. Müller (2009), S. 56.
11 Vgl. Streuer (2004), S.5.
12 Erschienen 1968: „Die große Publikumsgesellschaft und ihre Investor Relations“.
13 Vgl. Dürr (1995), S. 2.
14 Vgl. Schnorrenberg (2008), S. 11.
15 Vgl. Piwinger (2009), S. 13.
16 Vgl. Piwinger (2001), S. 5.
17 Vgl. Bassen/Zöllner (2005), S. 484.
18 Vgl. Kirchhoff (2009), S. 35.
19 Vgl. Kiss (2001), S. 16.
20 Vgl. Schnorrenberg (2008), S. 13.
21 Vgl. Dürr (1995), S.1.
22 NIRI (2003).
23 Piwinger (2009), S. 17.
24 Vgl. Kiss (2001), S. 19.
25 Vgl. Braun (2002), S. 29.
26 Vgl. Braun (2002), S. 30.
27 Vgl. Amereller (2003), S. 15 und Braun (2002), S. 30.
28 Vgl. Piwinger (2009), S. 15.
29 Vgl. Ridder (2006), S. 39.
30 Laut Schmidt (2007), S. 225 kann der Fair Value als ein fiktiver Transaktionswert beschrieben werden, zu dem sachverständige, vertragswillige und voneinander unabhängige Geschäftspartner einen Vermögenswert oder eine Schuld tauschen würden.
31 Vgl. Steiner/Hesselmann (2001), S. 101.
32 Vgl. Dürr (1995), S. 23.
33 Vgl. Kirchhoff (2009), S. 36 - 37.
34 Vgl. Braun (2002), S. 33.
35 Vgl. Ridder (2006), S. 40.
36 Vgl. Kirchhoff (2009), S. 38.
37 Vgl. Bartscherer (2004), S. 128; Die Einflüsse der Investor Relations auf die Fremdkapitalkosten (-aufnahme) sei hier nur am Rande erwähnt und wird in dieser Arbeit nicht näher betrachtet.
38 Vgl. Bartscherer (2004), S. 128 - 129.
39 Siehe z.B. Rudolf/Witt (2002), S. 114: Free Float bedeutet, ein hoher in Streubesitz befindlicher Anteil aller ausgegebenen Aktien.
40 Vgl. Kirchhoff (2009), S. 38.
41 Vgl. Kiss (2001), S. 25.
42 Vgl. Drill (1995), S. 67.
43 Vgl. Kirchhoff (2009), S. 39.
44 Vgl. Walter (2008), S. 41.
45 Vgl. Kirchhoff (2009), S. 39.
46 Vgl. Kiss (2001), S. 25.
47 Vgl. Fieseler (2008), S. 56.
48 Vgl. Braun (2002), S. 36 - 37.
49 Vgl. Drill (1995), S. 59 und Kirchhoff (2009), S. 40.
50 Vgl. Kiss (2001), S. 26.
51 Vgl. Kirchhoff (2009), S. 40.
52 Vgl. Ridder (2006), S. 44.
53 Vgl. Braun (2002), S. 37 und Ridder (2006), S.44.
54 Vgl. Braun (2002), S. 38.
55 Vgl. Kirchhoff (2009), S. 41 und Braun (2002), S. 38.
56 Vgl. Kiss (2001), S. 27 und Braun (2002), S. 40.
57 Dürr (1995), S. 110.
58 Vgl. Ridder (2006), S.33.
59 Vgl. Kirchhoff (2009), S. 51.
60 Vgl. Kirchhoff (2009), S. 48.
61 Vgl. Ridder (2006), S.35 - 36.
62 Vgl. Kiss (2001), S. 29 und Kirchhoff (2009), S. 49.
63 Vgl. Kirchhoff (2009), S. 49.
64 Vgl. Braun (2002), S. 42 und Kirchhoff (2009), S. 49.
65 Vgl. Braun (2002), S. 42.
66 Vgl. Ridder (2006), S.34.
67 Vgl. Kirchhoff (2009), S.49 und Ridder (2006), S.34.
68 Vgl. Ridder (2006), S.34.
69 Vgl. Braun (2002), S. 41.
70 Vgl. Kirchhoff (2009), S. 50.
71 Vgl. Ridder (2006), S. 35.
72 Vgl. Braun (2002), S. 41.
73 Vgl. Braun (2002), S. 43.
74 Vgl. Kirchhoff (2009), S. 51.
75 Vgl. Huchzermeier (2006), S. 73.
76 Vgl. Braun (2002), S. 43 - 44.
77 Vgl. Frank (2004), S. 305.
78 Vgl. Kirchhoff (2009), S. 52 und Braun (2002), S. 44.
79 Vgl. Kirchhoff (2009), S. 52.
80 Vgl. Kiss (2001), S. 30.
81 Vgl. Braun (2002), S. 45.
82 Vgl. Ebel (2003), S. 131 - 132.
83 Vgl. Kirchhoff (2009), S. 53.
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- Gerrit Böckenhoff (Autor:in), 2009, Investor Relations für Krisenzeiten am Finanzmarkt, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/139204