Um die Frage zu beantworten, inwiefern ein europäischer Handelsgerichtshof (European Commercial Court, ECC) als Instrument zur Beilegung grenzüberschreitender Streitigkeiten im Binnenmarkt und darüber hinaus sinnvoll und geeignet wäre, Herausforderungen wie den border effect zu minimieren und die Attraktivität des Rechtsstandorts EU zu stärken, drängt sich eine intradisziplinäre Betrachtung der Probleme im internationalen Handelsverkehr, der derzeitigen Streitbeilegungslandschaft und Attraktivität verschiedener Streitbeilegungsmechanismen, Rechtsordnungen und Gerichtsstandorten nach empirischen, ökonomischen und rechtsvergleichenden Überlegungen geradezu auf.
Erkenntnisse dieser Überlegungen sollen hier als Leitfaden gelten, um zu erörtern, welche Rolle das Europäische Kollisionsrecht bei der möglichen Ausgestaltung eines kompetitiveren europäischen Handelsgerichts in Relation zu spezialisierten internationalisierten nationalen Gerichten in Europa spielt. Ferner, wie dieses optimiert werden könnte, um Unternehmerinteressen in größerem Umfang gerecht zu werden.
Der Fokus liegt hierbei auf Gerichtsstands- und Rechtswahlklauseln. Wie diese Freiheiten als Instrument im Rahmen des europäischen Kollisionsrechts reformiert werden könnten, um das Erfolgsversprechen eines ECC zu erfüllen, wird im Folgenden in Hinblick auf bestehende attraktivitätsmindernde rechtliche Einschränkungen in den entsprechenden Verordnungen untersucht.
Inhaltsverzeichnis
- A) Bestandsaufnahme: Rechtliche Herausforderungen im Internationalen Handelsverkehr und der Status Quo von Commercial Courts in Europa
- I) Das Problem internationaler Transaktionen
- 1.) Starke Abweichungen in nebeneinanderstehenden nationalen Privat- und Verfahrensrechtsordnungen
- 2.) Law shopping through forum shopping
- II) Präferierte Wahl der Parteien - Jurisdiktionen und staatliche Gerichte im Wettbewerb
- 1.) „Wahlfreiheiten“ im internationalen Vertragsrecht
- a) Gerichtsstandsvereinbarungen - Parteiinteressen bei der Wahl des Forums
- b) Die Rechtswahl - Initiator eines Wettbewerbs der Rechtsordnungen
- 2.) Attraktivität der Schiedsgerichtsbarkeit gegenüber staatlichen Gerichten
- a) Schiedsgerichtsbarkeit in Zahlen
- b) Warum Schiedsverfahren so beliebt sind - Erklärungsversuch für die mangelnde Attraktivität staatlicher Gerichte
- c) Kritik an der Handelsschiedsgerichtsbarkeit
- III) Die EU - unattraktiver Streitbeilegungsort?
- 1.) Der europäische Markt - dominiert von London und der Schweiz
- 2.) Nationale Commercial Courts -enttäuschende Zahlen in Paris und Amsterdam und eingeschränktes Potenzial des Rechtsstandorts Deutschland
- a) Frankreich
- b) Niederlande
- c) Deutschland
- d) Fazit
- 3.) Fazit -die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen aufholen!
- IV) European Commercial Court als Game Changer?
- 1.) Die Idee eines kompetitiveren Europäischen Handelsgerichts
- a) Bedeutung für die Entwicklung des europäischen. Privatrechts und der europäischen Rechtsgemeinschaft
- b) Fairere und bessere Alternative für den Mittelstand und kleinere Unternehmen in Europa
- I2.) Errichtung, Ausgestaltung und Kompetenzen eines European Commercial Courts
- a) Sachliche Zuständigkeit eines Europäischen Handelsgerichts und auszulegendes Recht
- b) EU-Kompetenz zur Errichtung eines European Commercial Courts
- aa) Kein Fall des Art. 257 AEUV.
- bb) Art. 81 AEUV als Kompetenzgrundlage.
- c) Verhältnis zum EuGH und mitgliedstaatlicher höchstrichterlicher Rechtsprechung und Akzeptanz
- aa) EuGH
- bb) Mitgliedstaatliche Gerichte
- d) Integration in den europäischen Rechtsraum
- e) Fazit
- 3.) Kritik an der Idee internationaler Handelsgerichte bezogen auf den ECC
- 1.) Die Idee eines kompetitiveren Europäischen Handelsgerichts
- B.) Reformvorschläge und die Rolle des Europäischen Kollisionsrechts
- I.) Verbesserung der Verfahrensvorschriften - Expedited Procedure (EECP)
- II) Rechtswahlfreiheit als Instrument in den Rom-Verordnungen
- 1.) Rom I-Verordnung
- a) Art. 3 Rom I-VO - Restriktionen der Rechtswahl aufheben
- aa) Liberales Verständnis von Parteiautonomie
- bb) Gegenstand der Rechtswahl auf nichtstaatliches Recht erweitern
- b) Reine Inlandssachverhalte (Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO) und Binnenmarktklausel (Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO)
- c) Fazit
- a) Art. 3 Rom I-VO - Restriktionen der Rechtswahl aufheben
- 2.) Rom II-Verordnung
- III) Brüssel Ia VO
- 1.) Liberale Regelung der Zuständigkeit nach der Brüssel Ia-VO - Art. 25 Brüssel Ia-VO und der ECC
- 2.) Bilateral-konsensuale Wahl für den European Commercial Court.
- 3.) Vollstreckbarkeit - auch außerhalb der EU?
- IV.) Expertise aufbauen!
- 1.) Rom I-Verordnung
- C) Kritische Beurteilung der Attraktivität eines European Commercial Courts - Eine sinnvolle Überlegung auch unter Berücksichtigung des europäischen Kollisionsrechts?
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Text analysiert die Herausforderungen des internationalen Handelsrechts und die Möglichkeiten, die ein Europäischer Gerichtshof für Internationale Handelssachen (European Commercial Court, ECC) bieten könnte. Dabei wird insbesondere die Bedeutung der Rechtswahl und der Zuständigkeit im internationalen Kontext beleuchtet. Die Arbeit geht auf die aktuelle Situation der Streitbeilegung im internationalen Handelsverkehr ein, betrachtet die Kritik an der Handelsschiedsgerichtsbarkeit und untersucht die Attraktivität von bestehenden nationalen Handelsgerichten in Europa.
- Rechtliche Herausforderungen im internationalen Handelsverkehr
- Die Attraktivität des europäischen Marktes für Streitbeilegung
- Die Idee und die Vorteile eines European Commercial Court
- Die Rolle des europäischen Kollisionsrechts
- Eine kritische Beurteilung der Attraktivität eines European Commercial Courts
Zusammenfassung der Kapitel
Der erste Teil der Arbeit widmet sich den rechtlichen Herausforderungen des internationalen Handelsverkehrs. Er analysiert die Problematik unterschiedlicher nationaler Privat- und Verfahrensrechtsordnungen, den sogenannten „border effect“, und beleuchtet den Wettbewerb zwischen Jurisdiktionen im Kampf um internationale Streitigkeiten. Der zweite Teil behandelt die Frage der EU-Kompetenz zur Errichtung eines ECC und geht auf die möglichen Auswirkungen auf die europäische Rechtsgemeinschaft und die Attraktivität des europäischen Rechtsraums für Unternehmen ein. Der dritte Teil befasst sich mit Reformvorschlägen, die die Attraktivität des europäischen Rechtsraums für internationale Handelsstreitigkeiten verbessern könnten, darunter die Verbesserung der Verfahrensvorschriften und die Optimierung der Rechtswahlfreiheit in den Rom-Verordnungen.
Schlüsselwörter
Internationales Handelsrecht, Europäisches Kollisionsrecht, Rechtswahl, Gerichtsstand, Schiedsgerichtsbarkeit, European Commercial Court (ECC), International Commercial Courts, Streitbeilegung, Rechtsgemeinschaft, EU-Kompetenz, Binnenmarkt.
- 1.) „Wahlfreiheiten“ im internationalen Vertragsrecht
- I) Das Problem internationaler Transaktionen
- Arbeit zitieren
- Natalie Elisabeth Wüstneck (Autor:in), 2023, Zur Idee eines Europäischen Gerichtshofs für Internationale Handelssachen (European Commercial Court). Eine sinnvolle Überlegung auch unter Berücksichtigung des europäischen Kollisionsrechts?, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1361911