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Essay, 2023
6 Seiten, Note: 2,0
Manager verbringen den größten Teil ihrer Zeit in Meetings.1 Eine der größten Herausforderungen für vielbeschäftigte Manager besteht darin, ihren Terminkalender so zu gestalten, dass sie so viele Besprechungen wie möglich unterbringen können. In der Tat hat man oft das Gefühl, vor lauter Besprechungen den ganzen Tag nichts mehr erledigen zu können. Besprechungen werden oft als Hindernis für die Erledigung der Arbeit angesehen und nicht als Mittel zur Erledigung der Arbeit. Die Grundsätze effektiver Besprechungen sind dieselben, unabhängig davon, ob es sich um eine eher routinemäßige Besprechung zur Entscheidungsfindung oder um eine große, strategische Besprechung handelt. Nudging- Ansätze aus der Verhaltensökonomie sollen dabei zum Einsatz kommen, um die Besprechungen effektiv und pragmatisch zu verbessern.
Auch ich habe an zahlreichen Meetings in meiner bisherigen beruflichen Laufbahn teilgenommen, die keinen nennenswerten Mehrwert liefern konnten. Dieselbe Meinung wurde im Austausch mit diversen Kollegen und Kolleginnen geteilt. Schlechte Besprechungen rauben den Beteiligten wertvolle Zeit und verursachen Stress, der weit über die verlorene Stunde hinaus anhält.2 Viele Unternehmen integrieren dem zufolge robuste Nudging-Methoden im beruflichen Alltag mit ein. Was ist jedoch das Geheimnis effektiver Besprechungen und können sanfte Stupser zu messbaren Ergebnissen führen? In dem folgenden Essay werden die Maßnahmen, die zu einer scheinbar erhöhten Meetingeffizienz beitragen, näher analysiert. Dabei wird darauf eingegangen, ob es sich bei den beschriebenen Maßnahmen tatsächlich um Nudges handelt, ob die gewählte Strategie zur Verhaltensänderung sinnvoll ist und welche weiteren Alternativen bestehen, um Meetings effizienter zu gestalten.
In jedem Unternehmen finden sowohl persönliche als auch virtuelle Besprechungen statt, und der Ort, an dem sie abgehalten werden, kann deren Erfolg oder Misserfolg beeinflussen.3 Gestalterische Entscheidungen beeinflussen unterschwellig die Erfahrungen der Menschen am Arbeitsplatz - sogar ihre Arbeitszufriedenheit. Der relative Erfolg oder Misserfolg von Besprechungen, sei es mit Kunden, Kollegen oder externen Referenten, hängt zum Teil davon ab, wie sich die Menschen im Raum fühlen. Das Unternehmen B. Braun Melsungen konnte eine sinkende Produktivität der abgehaltenen Meetings feststellen.4 Die Teilnehmer verschwinden während laufenden Besprechungen hinter ihren aufgeklappten Laptops, statt zuzuhören oder zu interagieren. Daraufhin wurden Maßnahmen ergriffen, die die Meetingeffizienz um 100 Prozent gesteigert hat. Der Schlüssel dazu, so Jürgen Stihl, ist der verantwortungsvolle Einsatz von Nudges - subtilen Eingriffen, die Entscheidungen lenken, ohne sie einzuschränken.5 Im Laufe der Jahre haben Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie, der Psychologie und der Neurowissenschaft gezeigt, dass strategisch angelegte Nudges das Verhalten wirksam beeinflussen. Durch Nudges wie zum Beispiel das Austauschen von Tischen und Stühlen zu Stehtischen, die Nutzung von Pinnwänden und das Aufstellen einer Stoppuhr konnte eine immense Effizienzsteigerung festgestellt werden. Zudem konnte die Meetingdauer enorm reduziert werden, da die Fokussierung auf wesentliche Informationen beschränkt wurde. Die Vorgabe Präsentationsinhalte auf eine gewisse Zeit an Redeanteil und Folieninhalten zu minimieren kann eine neue soziale Norm schaffen.
Nach Thaler sollten drei Prinzipien den Einsatz von Nudges leiten: Anstöße sollten transparent und niemals irreführend sein.6 Es sollte so einfach wie möglich sein, den Anstoß abzulehnen und es sollten gute Gründe für die Annahme geben, da das Verhalten in eine positive Richtung gelenkt werden soll. Es ist fraglich, ob es sich hierbei wirklich um einen Nudge handelt, da der Stupser - in diesem Fall Stand-Up-Meetings - nicht einfach von Mitarbeitenden aufgrund von nicht vorhandenen Tischen und Stühlen abgelehnt werden kann. Die Teilnehmer sollten im Vorhinein über die neue Art der Meetings informiert werden, umso Verwirrung zu vermeiden. Auch wenn es schwer ist, den Erfolg der dynamischen Umstellung zu bestreiten, lohnt es sich, einen Moment lang die Weisheit einer Organisation zu hinterfragen, die Stand-up-Meetings auf breiter Basis einführt. Sie eignen sich nicht für alle Interaktionen, und wie bei allem kann es unbeabsichtigte Folgen haben, wenn man sie als Einheitslösung betrachtet. Komplikationen können auftreten, wenn es bspw. zu einer schwierigen Verhandlung zwischen einem gesunden 25-Jährigen und einem 65-jährigen Kollegen, der an einem leichten Herzleiden leidet, kommt. Beide Teilnehmer müssen während der gesamten Dauer des Gesprächs stehen, wobei die größere Ausdauer des jüngeren Arbeitnehmers sicherlich einen unbemerkten Vorteil darstellt. Der Versuch, diese Unterschiede auszugleichen, indem man z. B. die kleinen Leute nach vorne bittet oder dem älteren Arbeitnehmer einen Sitzplatz anbietet, während alle anderen stehen, verstärkt diese Unterschiede nur noch. Stühle verlängern zwar die Sitzungen, aber je nach Anordnung des Tisches sorgen sie auch dafür, dass alle sozusagen gleichberechtigt sind. Aber jede Organisation, die regelmäßig Stand-up-Meetings ansetzt, sollte überprüfen, wie, wann und warum sie abgehalten werden. Das Medizintechnikunternehmen hat sich dafür entschieden, die Abteilungsleiterkonferenz zwei Mal im Monat als stehendes Meeting anzusetzen. Ein ganzer Vormittag, den die Teilnehmer im Stehen verbringen. Erbringen die Mitarbeiter wirklich bessere Leistungen bei der gewünschten Tätigkeit - Brainstorming, Diskussion, Entscheidungsfindung usw. -, wenn sie für mehrere Stunden auf den Beinen sind?
Bei schwierigeren Themen kommen außerdem Walking Meetings - Besprechungen beim Spazierengehen- zum Einsatz, bei denen kleinere Meeting-Gruppen (2-3 Personen) einen gemeinsamen Weg in der Natur zurücklegen.7 Dr. Wolfgang Freibichler, Experte für New Work, setzt sich für den Einsatz von Walking Meetings ein. Während des Meetings können Mitarbeiter zum einen ihre eigene Gesundheit fördern und so dem weit verbreiteten Bewegungsmangel entgegenwirken. Der „ Global Status Report on Physical Activity 2022” der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bestätigt, dass ein Viertel der Weltbevölkerung sich nicht ausreichend bewegt -vor allem die Menschen in den Industrienationen.8 Dadurch steigen die Gesundheitsrisiken, wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes und Krebs.
Meiner Meinung nach handelt es sich bei Walking-Meetings um einen Nudge, da die Entscheidung zur Ablehnung des Stupsers einfach und transparent gestaltet ist und zugleich ein positiver gesundheitlicher Nutzen offensichtlich ist. Über ein Computersystem können Mitarbeitende frei entscheiden, ob sie für die gewünschte Besprechung einen Meetingraum oder lieber ein Walking-Meeting bevorzugen. Es gibt gute Gründe für die Annahme des Nudges, da das Wohlergehen derjenigen verbessert wird, die angestupst werden. Allerdings eignen sich nicht alle Besprechungen für Walking-Meetings, da nicht jeder körperlich in der Lage ist, an Besprechungen im Gehen teilzunehmen. Manchmal ist es nützlich, Materialien oder ein Whiteboard in der Nähe zu haben, und manchmal, wie bei einer intensivenVerhandlung, ist es wichtig, von Angesicht zu Angesicht zu sein. Am besten eignen sich Besprechungen im Gehen, bei denen sich die Kollegen über Entscheidungen beraten oder mögliche Lösungen ausloten. Um die Belegschaft für Walking Meetings zu begeistern, könnten Aussagen, wie z.B. "Beliebteste" oder "Von den meisten Personen gewählt" bei der Auswahl des WalkingMeetings im Computersystem des Medizintechnikunternehmens hinzugefügt werden. Sobald einige Menschen alte Gewohnheiten und vermeintliche Ängste überwinden können, werden andere folgen. Wenn den Menschen veranschaulicht wird, was anderen Kolleginnen und Kollegen in der Vergangenheit gefallen hat, ist es wahrscheinlicher, dass weitere Mitarbeitende davon überzeugt werden, dies auch zu tun. Meetings, die zu Fuß abgehalten werden, nehmen den Meetings das Firmengefühl. Die Mitarbeiter können die gleichen Ziele erreichen wie bei einem traditionellen Meeting, aber sie können sich auf einer viel persönlicheren Ebene austauschen. Eine physische Atmosphäre, die sich von den normalen weißen Wänden eines Büros unterscheidet - Bäume, Sonne, eine schöne Landschaft - kann kreative Gedankengänge auslösen. Allerdings sind die jahreszeitlichen Bedingungen für Meetings in der Natur als zusätzlicher Faktor zu berücksichtigen. Es sind zudem einige Ablenkungen beim Gehen zu erwarten. Man muss nämlich einen Fuß nach dem anderen setzen und darauf achten, wohin man geht, auch wenn es ein bekannter Weg ist. Man muss sein Tempo kontrollieren und es an das Tempo des Gesprächspartners anpassen: nicht zu schnell, nicht zu langsam. Diese Ablenkungen sind kognitiv anstrengend.
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1 Vgl. Schandeler, F. & Buchrieser, J. (2019). Erfolgreiche Meetings: Tipps zur Abhaltung effizienter Meetings, Belgien: 50Minuten.de, S. 6-15
2 Vgl. Janson, S. (2022). Hilfe! Meeting! Effiziente Besprechungen & Konferenzen: Zeit sparen, Erfolg planen Ziele erreichen, Gespräche führen & moderieren, Protokolle schreiben, erfolgreich Projekte leiten. Deutschland: Best of HR - Berufebilder.de®, S.33-35
3 Vgl. Prieß, A. et al. (2020). Digital Overload Management: Modernes Zeitmanagement als Überlebenshilfe in der New Work, Deutschland: Haufe Lexware, S. 123-127
4 Vgl. Freibichler, M. & Gropp, M. (2020), Appell ans Unbewusste. Nudges: Wie subtile Hinweise die Arbeitsproduktivität erhöhen - manager magazin (manager-magazin.de)
5 Vgl. Freibichler, M. & Gropp, M. (2020)
6 Vgl. Thaler, R. & Sunstein, C. (2021). Nudge: the final edition / Richard H. Thaler and Cass R. Sunstein, London: Allen Lane, S. 22-26
7 Vgl. Freibichler, M. & Gropp, M. (2020)
8 Vgl. World Health Organization (Ed.) (2022). Global status report on physical activity 2022. https://www.who.int/publications/i/item/9789240059153