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Seminararbeit, 2022
16 Seiten, Note: 2,0
Germanistik - Komparatistik, Vergleichende Literaturwissenschaft
1 Einleitung
1.1 Aufbau der Seminararbeit
1.2 Die Entwicklung des Reisens
2 Fanny Lewald – Italienisches Bilderbuch (1847)
2.1 Fanny Lewald – Eine Frau auf Reisen
2.2 Lewalds Mailand-Bericht
3 Mark Twain – Bummel durch Europa (1880)
3.1 Mark Twain und der humoristische Reisebericht
3.2 Mark Twains Mailand-Bericht
4 Die Mailand-Berichte im Vergleich
5 Konklusion
Literaturverzeichnis
Fanny Lewald und Mark Twain verbringen beide Zeit ihres Lebens damit zu reisen und entsprechend Berichte über ihre Erlebnisse zu verfassen. So führte es auch beide nach Italien, worüber Lewald in ihrem Werk Italienisches Bilderbuch (1847) und Twain in seinem Werk Bummel durch Europa (1880) schreibt. Das Ziel der Seminararbeit besteht darin jene Reiseberichte miteinander zu vergleichen und die Gemeinsamkeiten sowie die Unterscheidungsmerkmale herauszuarbeiten und diese anhand des Stils der zu dieser Zeit vorherrschenden ästhetischen Bildungsreise zu vergleichen.
Dabei wird die These untersucht, dass sich Mark Twains Reisebericht stark von Fanny Lewalds Aufzeichnungen unterscheidet. Die Formen von Reiseberichten sowie die generelle europäische Haltung bezüglich des Reisens wird von Twain parodiert. Währenddessen besteht die These, dass Fanny Lewalds Reisebericht sich mit dem Stil der ästhetischen Bildungsreise deckt.
Zu Beginn der Seminararbeit wird kurz die Entwicklung des Reisens beschrieben. Dabei wird auch auf die entsprechenden Reisemotive eingegangen und schließlich die ästhetisch motivierte Bildungsreise skizziert, über welche der Hauptteil der Seminararbeit eingeleitet wird.
Im Hauptteil dieser Seminararbeit werden daraufhin die genannten Reiseberichte untersucht: Fanny Lewalds Italienisches Bilderbuch und Mark Twains Bummel durch Europa. Sowohl Lewald als auch Twain besuchen auf ihrer Reise durch Italien die Stadt Mailand. Die Berichte der beiden Autoren über diese Stadt werden einzeln analysiert, wobei die zentralen Elemente der Berichte im Vordergrund stehen werden. Außerdem werden beide Berichte mit dem Stil der ästhetischen Bildungsreise verglichen. Folgend werden beide Reiseberichte miteinander verglichen, um zu untersuchen, wie viele Gemeinsamkeiten und Unterschiede sie aufweisen.
Abschließend wird im Schlussteil ein Fazit gezogen, in welchem die Ergebnisse der Kontrastanalyse zusammengefasst werden. Dabei wird auch die aufgestellte These bestätigt oder entkräftet.
Der genaue Zeitpunkt für den Beginn des Reisens lässt sich nicht genau datieren, doch, laut Klöber, deuten bereits weit vor ersten schriftlichen Überlieferungen archäologische Funde auf Reisebewegungen der Menschen hin (vgl. Klöber 2019, Abs. 3). Bis heute ist das Reisen für die Menschen mit einer Faszination verbunden. Nur reisen wir heute aus völlig anderen Gründen, als es Menschen früher taten. Von Völkerwanderungen und religiös motivierten Reisen beziehungsweise Wallfahrten, über Entdeckungsreisen und Forschungsreisen, bis hin zum heutigen Tourismus variieren die Motive für eine Reise.
Parallel dazu entwickeln sich auch die Berichte über das Reisen. Aus den Mitschriften hat sich eine eigene literarische Gattung, nämlich der Reisebericht herausgebildet. Die ersten Reiseaufzeichnungen stellen Seefahrtberichte sowie Gedanken von Forschern und Künstlern dar (vgl. Klöber 2019). Mit der zunehmenden Erschließung des geographischen Raumes entstehen kontinuierlich neue Richtungen der Reiseliteratur. So werden bald Studienreisen und Bildungsreisen unternommen, welche beispielsweise dem Zweck dienen, dass die jungen Adligen sich in Sachen Verhaltensregeln und Recht weiterbilden können, um für ihre spätere Karriere bereit zu sein (vgl. Meier 1989, 285).
Innerhalb dieser Bildungsreisen nimmt, laut Meier, vor allem Italien eine zentrale Rolle ein, da es „aufgrund seiner jahrtausendealten kulturellen Tradition immer im Zentrum des Interesses blieb und sogar zunehmend an Gewicht gewann.“ (Meier 1989, 285). Zu den prominentesten Italienreisenden zählen unter anderem Johann Wolfgang von Goethe, Johann Gottfried Seume und etwas später auch Ida Hahn-Hahn, Fanny Lewald sowie auch der amerikanische Schriftsteller Mark Twain. Nach einiger Zeit verändert sich die vordergründige Reisemotivation der Italienreisenden. Diese verschiebt sich vom ethisch-politischen zum ästhetischen Reisestil, was Meier wie folgt erklärt:
Das bisherige Primat des Ethisch-Politischen wird dabei ersetzt durch das Primat des Ästhetischen; die traditionelle und im großen und ganzen normierte enzyklopädische bzw. kritische Reise differenziert sich dabei zu individuelleren, sensualistischeren Formen, bei denen es weniger um den Erwerb und die Verarbeitung von Wissen geht als um die Kultivierung der Persönlichkeit des Reisenden (Meier 1989, 291).
Dieser Wechsel zur ästhetischen Bildungsreise kennzeichnet sich besonders durch zwei bestimmte Kernmerkmale. Eines dieser Merkmale ist die sogenannte ‚Gräzisierung Italien‘, was bedeutet, dass die ästhetische Seite der italienischen Kultur als eine Art erstrebenswertes Vorbild für den Reisenden gilt (Meier 1989, 292). Darüber hinaus nimmt auch der kritische Blick auf gesellschaftliche Verhältnisse eine wichtige Rolle ein (Meier 1989, 293).
Fanny Lewalds Italienisches Bilderbuch aus dem Jahre 1847 umfasst eine ihrer ersten großen Reisen durch Europa. Sie beginnt ihre Reise im Jahre 1845 und ist bis 1846 durch ganz Italien unterwegs, dabei gilt sie als eine der ersten Frauen ihrer Generation, die überhaupt eine Reise nach Italien unternimmt (Nositschka 2004, Abs. 16).
Im 19. Jahrhundert gibt es nicht viele Frauen, die reisen. Darüber hinaus gibt es noch weniger Frauen, deren Reiseberichte zudem publiziert werden und von einer breiten Masse an Leuten gelesen werden beziehungsweise als relevant erachtet werden. Fanny Lewald ist eine der Frauen, die beides erreicht hat. Dass dies ein wertvolles Privileg ist, ist ihr, laut Ulrike Böhmel Fichera, bewusst, denn sie musste dieses Privileg gegen einen starken familiären Widerstand durchsetzen (Böhmel Fichera 2000, 280). Lewald versucht früh unabhängig zu sein, so sagt sie sich von der Vormundschaft ihres Vaters los und lehnt immer wieder mögliche arrangierte Ehen ab (vgl. Nositschka 2004, Abs. 14).
Ein derartiges Streben nach Selbstbestimmung, welches zu diesem Zeitpunkt äußerst selten zu finden ist, deutet bereits hier ihre Rolle als eine der Vorreiterinnen der Emanzipation an. Das Reisen wird schließlich zu einer ihrer großen Leidenschaften, da es ihr ein Gefühl von unmittelbarer Freiheit gibt, die sie Zuhause in dieser Form nicht richtig ausleben kann:
Mehr noch als ihre Konvertierung und den Namenswechsel der Familie erlebte Fanny eine ausgedehnte Reise mit ihrem Vater im Jahr 1832 über Berlin an Rhein und Neckar als einen Eintritt in eine Welt der Freiheit. Sie sprach von „Seelenbefreiung“ (Nositschka 2004, Abs. 11).
Dies illustriert Lewalds Gefühlswelt, die sich während ihrer Reisen von dem ‚gesellschaftlichen Gefängnis‘ ihrer Rolle als Frau und zugleich als Jüdin befreien kann.
Fanny Lewald strebt zwar nach Emanzipation, dennoch sieht sie die Zeit für bestimmte Zugeständnisse für die Gesellschaft der Frauen noch nicht als gekommen an, eines dieser Zugeständnisse ist der Herrschaftsanspruch von Frauen (vgl. Nositschka 2004, Abs. 13). Den Grund dafür sieht sie in der mangelnden Bildung der meisten Frauen, denn nur die wenigsten Frauen erhalten während ihrer Erziehung einen Zugang zu Bildung (vgl. Nositschka 2004, Abs. 13). Bildung ist auch ein weiterer Grund dafür, warum für Lewald das Reisen wichtig ist. So taucht Lewald bereits auf ihrer ersten Reise mit ihrem Vater tief in kulturelle Aktivitäten ein:
Während ihr Vater für sie einen Heiratskandidaten finden wollte, sog Fanny die Ausstellungen der Berliner Museen, die Theateraufführungen, den Frühling an der Badischen Weinstraße und die Diskussionen mit neuen Bekanntschaften auf (Nositschka 2004, Abs. 12).
Lewalds Drang sich weiterzubilden und jede Chance, insbesondere Reisen, dafür zu nutzen, wird hier sehr stark deutlich. Es ist ein weiteres Indiz für Lewalds Überzeugung, dass Bildung eines der höchsten Güter ist und einer der Schlüssel zur Emanzipation.
Außer für die Bildung nutzt Lewald ihre Reisen auch zur Selbstbildung, welche ein zentrales Element der ästhetischen Bildungsreise verkörpert (vgl. Meier 1989, 297). Direkt zu Beginn im ersten Kapitel des Italienischen Bilderbuchs beschreibt Lewald die Sehnsucht eines jeden ‚Nordländers‘ nach dem Süden (Lewald 1847, 5). So treibt auch Lewald selbst diese Sehnsucht nach Italien. Albert Meier erklärt, dass bei derartigen Reisen es „nicht mehr um eine literarische Rundreise durch die Sehenswürdigkeiten des Landes, sondern um das Erlebnis der südlichen, ästhetischen Kultur ging“ (Meier 1989, 297).
Lewalds Bericht über Mailand ist in vier Kapitel aufgeteilt und ist somit klar strukturiert. Nach der Ankunft in Mailand, welche im vorherigen Kapitel geschildert ist, unternimmt Lewald zusammen mit ihren Reisegefährten am ersten Tag direkt einen Spaziergang durch die Stadt, um zum Mailänder Dom zu gelangen, wo sie der Messe beiwohnen will (vgl. Lewald 1847, 15). Dabei versucht Lewald die ruhige morgendliche Stimmung beziehungsweise noch unbelebte Atmosphäre der Stadt genau zu beschreiben, wozu sie unter anderem die Menschen, Gebäude, Plätze und Straßen detailliert beschreibt, zum Beispiel:
Die Straßen sind mit kleinen Kieseln gepflastert, für die Fußgänger Trottoirs, für die Wagen Reihen von großen Sandsteinquadern, auf denen sie geräuschlos dahinrollen. […] Die Leute bewegen sich so leise und schweigend, als ob sie in einem Krankenzimmer wären (Lewald 1847, 15).
Am Dom angekommen zeigt sich Lewald von dessen Schönheit beeindruckt und es folgt eine umfassende Beschreibung seiner äußeren und inneren Gestalt, was jedoch im Kontrast steht zu dem, was sie in der Kirche erlebt: „War der Eindruck dieser Pracht für mein an protestantische Einfachheit gewöhntes Auge groß und imponierend, so war der Anblick des Treibens in der Kirche mir befremdlich“ (Lewald 1847, 16). Lewald bezieht ihren eigenen protestantischen Glauben mit ein und äußert sich ablehnend gegenüber den Praktiken der katholischen Kirche. Böhmel Fichera sieht dies als eine zentrale religiöse Kritik, die sich durch den gesamten Bericht über die Italienreise erstreckt: „Mit scharfen Worten kritisiert die zum Protestantismus konvertierte Jüdin die katholische Kirche und die überall wahrgenommene bedrückende religiöse Kultur, die die Entwicklung des Landes verhindern“ (Böhmel Fichera 2000, 282).
Das zweite Kapitel über Mailand handelt vom Theaterbesuch in der Mailänder Scala, ein Stück von Verdi wird gespielt (Lewald 1847, 19 ff.). Neben einer Beschreibung des Theatersaals, schildert Lewald das Verhalten und die Eigenarten der Italiener während der Vorstellung, außerdem beschreibt sie die gesangliche Leistung der Akteure auf der Bühne. Im folgenden Kapitel wird die Vorliebe vor allem der männlichen Italiener für das Ballett aufgegriffen: „Kein Laut regte sich, es war viel stiller als in der Kirche […] (Lewald 1847, 22).
Lewald ist bemüht die Gedanken beziehungsweise Denkweisen der Italienerinnen und Italiener sachlich wiederzugeben, greift selten jedoch auch auf Stereotypen zurück, so wie bei der Umwandlung des Trauerspiels Faust von Goethe: „Den Völkern des glücklichen, heiteren Südens sind jene Qualen ziemlich fremd, die, von innerem Zerwürfnisse ausgehend, gleichgültig machen gegen den Genuß der irdischen Erscheinungen“ (Lewald 1847, 23). Dies geschieht zumeist, wenn sie deutsche und italienische Denkweisen miteinander vergleicht (vgl. Böhmel Fichera 2000, 285). Die neue Inszenierung von Goethes Faust, ‚Cardenuto‘, wird wiederum detailliert beschrieben und analysiert die Wirkung des Stückes im Detail, dabei zeigt sie sich von der Inszenierung aufrichtig begeistert, besonders von der Darstellung des Mephistos: „Unsere berühmtesten Darsteller des Mephisto hätten viel von ihm lernen können. Er hatte ganz unübertreffliche Momente“ (Lewald 1847, 25).
Im letzten Kapitel geht es, nach einer Beschreibung des Corso, um die Geselligkeit der Italiener, welche der Grund für die Beschaffenheit und Anordnung vieler Orte ist, so sind zum Beispiel die Corsos mit Haltepunkten versehen, welche immer wieder Unterhaltungen der Fahrenden auf ihren Spazierfahrten ermöglichen (vgl. Lewald 1847, 27 f.). Ein weiterer Ort, welcher die Geselligkeit des italienischen Volkes unterstreicht, sind die Cafés, in denen nur wenige Leute für sich selbst Zeitung lesen, wie Lewald beobachtet, sondern die meisten sich rege unterhalten (vgl. Lewald 1847, 29). Auch an dieser Stelle lassen sich Stereotypen nicht vollständig vermeiden.
Abschließend schildert Lewald eine Veranstaltung in der Arena. Wie bereits zuvor, geht dem Bericht der Veranstaltung zunächst eine Beschreibung der Arena sowie den Besonderheiten bei der Platzwahl und beim Einlass voraus (vgl. Lewald 1847, 30). Die Veranstaltung war der Start eines Heißluftballons, gefolgt von einem großen Feuerwerk. Lewald stellt die große Begeisterung der Menschen heraus, die dem Spektakel beiwohnen (vgl. Lewald 1847).
Lewalds Reisebericht orientiert sich entlang der wichtigsten Sehenswürdigkeiten Mailands, ohne diese zu sehr in den Mittelpunkt zu rücken. Er zeichnet sich aus durch genaue Beschreibungen der Orte, die sie besucht. Das Hauptaugenmerk liegt dennoch auf den Menschen. Ihr Verhalten und ihre Denkweisen, werden sehr detailliert beobachtet und beschrieben, wobei eine sehr sachliche Sprache genutzt wird und auf Wertungen größtenteils verzichtet wird: „Geschrieben in einer sachlichen, neutralen Sprache, er tendiert nirgends dazu, Emotionen zu schüren, weil die Verfasserin […] das ‚scharfe, nackte Schwert der hellen Vernunft‘ führt“ (Böhmel Fichera 2000, 285).
Mark Twains Bummel durch Europa erscheint im Jahre 1880, nachdem dieser sich für knapp zwei Jahre mit seiner Familie nach Deutschland zurückzog, um besser arbeiten zu können und es gilt als eine Art Nachfolger seines Reiseberichts Die Arglosen im Ausland von 1869, in dem bereits das Aufeinanderprallen von Europa und den Vereinigten Staaten als einer der zentralen Aspekte thematisiert wurde (vgl. Breinig 2011, 42).
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