Mit dem Begriff „Sexualität“, also sinngemäß der Geschlechtlichkeit verbindet man die Gesamtheit der Erscheinungen, also Lebensäußerungen, Verhaltensweisen, Empfindungen, Interaktionen, die sich aus den Besonderheiten des Geschlechtslebens ergeben. Im engeren Sinne versteht man darunter die Formen dezidiert geschlechtlichen Verhaltens zwischen Geschlechtspartnern.
Die Überprüfung des Sexualverhaltens im mittelalterlichen Europa ist ein bisher eher stiefmütterlich behandeltes Thema bei den Mediävisten. Die von Peter Dinzelbacher und Joyce E. Salisbury bemängelte Tatsache, dass der Wissenschaft noch keine Monographie zum konkreten Sexualverhalten der mittelalterlichen Menschen vorliegt, hat sicherlich mehrere Ursachen.1 Zum einen dominierte die katholische Kirche und damit Geschlechtsangst sowie Sexualfeindlichkeit die Quellen maßgeblich, so dass der Sexualalltag hier, wenn, dann nur in der Ehe und nur unter ganz bestimmten Umständen stattfand – ein Schaubild an späterer Stelle in dieser Arbeit soll dies noch einmal verdeutlichen. Mit dem Versuch den Naturtrieben der durchweg Gläubigen mit Hilfe von Bußbüchern und Kanonischen Rechtsschriften Einhalt zu gebieten, manifestierte sich eine rigide Sexualmoral, welche ihre Nachwirkungen bis heute deutlich spüren lässt. Dies geschieht in zweierlei Hinsicht. Denn einerseits gibt es laut Leah Otis-Cour einen einhelligen Grundtenor unserer Gesellschaft in Bezug auf das Bild, welches mittelalterliche Paarbeziehungen projizieren – nämlich eine lieblose, finanzpolitisch arrangierte, vom Mann vollständig dominierte Ehe mit durch die Kirche eingeschränktem Sex ohne Leidenschaft. Dieses doch sehr pauschalisierte Monotonkonstrukt demontiert sich dem Gefühl nach eigentlich von selbst, muss aber dennoch anhand von Quellenmaterial wie Notariatsakten, Gerichtsverzeichnissen, sowie Denkschriften und Briefwechseln falsifiziert werden. Andererseits entstehen im Zeitalter des Glaubens Ansichten, Befangenheiten und Triebesbeurteilungen den Geschlechtsakt betreffend, welche man heutzutage nicht nur reflektiert, sondern auch selbst diesem Jahrtausend alten Einfluss unfreiwillig ausgesetzt ist. Wenn Dinzelbacher und co. mit umfangreichen Quellenempfehlungen und ausgereiften Einleitungen für Aufsätze und ganze Aufsatzsammlungen zum Thema Sex im Mittelalter aufwarten, fragt man sich tatsächlich, warum es denn niemand monographisch umsetzt, vor allem nicht sie selbst. Dafür gibt es eigentlich nur zwei Erklärungen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Von kirchlichen Restriktionen zum weltlichen Diskurs
2.1. Sex im Zeichen der Bußbücher
2.2. Kanonisches Recht als Sexdoktrin und die Anfänge profanen Diskurses
2.3. Allmähliche Verweltlichung der Quellen zu Sexualität und Verkehr
3. Zur Projektion der „Sexualität“ auf das Mittelalter
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Mit dem Begriff „Sexualität“, also sinngemäß der Geschlechtlichkeit verbindet man die Gesamtheit der Erscheinungen, also Lebensäußerungen, Verhaltensweisen, Empfindungen, Interaktionen, die sich aus den Besonderheiten des Geschlechtslebens ergeben. Im engeren Sinne versteht man darunter die Formen dezidiert geschlechtlichen Verhaltens zwischen Geschlechtspartnern.
Die Überprüfung des Sexualverhaltens im mittelalterlichen Europa ist ein bisher eher stiefmütterlich behandeltes Thema bei den Mediävisten. Die von Peter Dinzelbacher und Joyce E. Salisbury bemängelte Tatsache, dass der Wissenschaft noch keine Monographie zum konkreten Sexualverhalten der mittelalterlichen Menschen vorliegt, hat sicherlich mehrere Ursachen.[1] Zum einen dominierte die katholische Kirche und damit Geschlechtsangst sowie Sexualfeindlichkeit die Quellen maßgeblich, so dass der Sexualalltag hier, wenn, dann nur in der Ehe und nur unter ganz bestimmten Umständen stattfand – ein Schaubild an späterer Stelle in dieser Arbeit soll dies noch einmal verdeutlichen. Mit dem Versuch den Naturtrieben der durchweg Gläubigen mit Hilfe von Bußbüchern und Kanonischen Rechtsschriften Einhalt zu gebieten, manifestierte sich eine rigide Sexualmoral, welche ihre Nachwirkungen bis heute deutlich spüren lässt. Dies geschieht in zweierlei Hinsicht. Denn einerseits gibt es laut Leah Otis-Cour einen einhelligen Grundtenor unserer Gesellschaft in Bezug auf das Bild, welches mittelalterliche Paarbeziehungen projizieren – nämlich eine lieblose, finanzpolitisch arrangierte, vom Mann vollständig dominierte Ehe mit durch die Kirche eingeschränktem Sex ohne Leidenschaft. Dieses doch sehr pauschalisierte Monotonkonstrukt demontiert sich dem Gefühl nach eigentlich von selbst, muss aber dennoch anhand von Quellenmaterial wie Notariatsakten, Gerichtsverzeichnissen, sowie Denkschriften und Briefwechseln falsifiziert werden. Andererseits entstehen im Zeitalter des Glaubens Ansichten, Befangenheiten und Triebesbeurteilungen den Geschlechtsakt betreffend, welche man heutzutage nicht nur reflektiert, sondern auch selbst diesem Jahrtausend alten Einfluss unfreiwillig ausgesetzt ist. Wenn Dinzelbacher und co. mit umfangreichen Quellenempfehlungen und ausgereiften Einleitungen für Aufsätze und ganze Aufsatzsammlungen zum Thema Sex im Mittelalter aufwarten, fragt man sich tatsächlich, warum es denn niemand monographisch umsetzt, vor allem nicht sie selbst. Dafür gibt es eigentlich nur zwei Erklärungen. Zunächst ist die zu leistende Quellenarbeit auf diesem Gebiet noch nicht weit genug entwickelt, da bisher eher normative Texte wie Gesetze und Sittenvorschriften, so auch in Hubertus Lutterbachs „Sexualität im Mittelalter“, zur Sprache kamen. Ein weiterer Grund: die pikante Seite des Themas könnte möglicherweise von Wissenschaftlern abgelehnt werden, da sie durch gewisse Eigennähe zum Themeninhalt und vergleichender Beurteilung desselben unweigerlich in das eigene Schlafzimmer führt. Zu Homosexualität, zu der man durch den Randgruppencharakter verhältnismäßig viel Literatur findet, haben die Mediävisten einen scheinbar genügenden Abstand. Schließlich kann die Nichtexistenz einer Mittelalter-Sex-Monographie auch mit der damit verbundenen Schwierigkeit, Mentalitäts- und Verhaltensgeschichte einer Gesellschaft mit deren prävalierenden Tendenzen zu untersuchen, erklären. Wie würde man Sexualverhalten heute beschreiben? Selbst hier scheint man ohne Michel Foucaults diskurstheoretische Schablonen nicht auszukommen und erhält dennoch kein Ergebnis.
Neben Joyce E. Salisburys Zusammenstellung von Aufsätzen haben sich im angelsächsischen Bereich vor allem die Mediävisten Vern L. Bullough und James A. Brundage mit Sexualität im Mittelalter beschäftigt und ihrerseits ebenfalls Aufsatzsammlungen, wie das „Handbook of Medieval Sexuality“ herausgegeben. Brundage behandelt dabei vornehmlich das Kanonische Recht und damit wieder eher die von der sexuellen Realität abgekehrte Seite des Mittelalters. Aber gerade diese eindeutig ausgerichteten Verbote können nicht über einen Doppelcharakter der mittelalterlichen Gesellschaft hinweg täuschen. Dies wird man auch so feststellen, wenn man sich die Geschichte des Ketzerdorfes Montaillou in Südfrankreich oder die von Rüdiger Schnell herangeführten medizinischen Quellen, in denen wiederum viele Widersprüche zwischen Mann und Frau bei deren sexuellen Vorlieben und Verhalten aufgeworfen werden, zu Rate zieht. Interessant in diesem Zusammenhang sind nicht zuletzt die Unterschiede innerhalb des Mittelalters in Bezug auf Abwehrhaltung der Menschen gegen die Bußbücher, verschiedene diskurstheoretische Gewichtungen im Verlauf des Mittelalters mit Ausblick auf die Übergangstendenzen zur Frühen Neuzeit und die damit verbunden entstandenen neuen Quellengattungen mit deutlicher Zunahme auf Seiten der weltlichen Literatur.
In dieser Hausarbeit soll es nun weniger um die Frage, wie die Menschen im Mittelalter Sex hatten, gehen. Natürlich werde ich versuchen auch diese Frage wenigstens anzuschneiden, aber dennoch wird auf den folgenden Seiten eher die mosaikartige Situation beschrieben, inwiefern Mediävisten etwas über Sex herausfinden konnten, wobei auch Quellen in Erscheinung treten sollen.
Die vorangegangenen beschriebenen Probleme und die Brisanz des Themas führen zu den Fragen: „Welche diskursiven Rahmenbedingungen hatten die Menschen des Mittelalters für ihre Sexualität und wie wurden diese reflektiert? Welche (schriftlichen) Quellen(arten) stehen für die Beantwortung zur Verfügung?“
2. Von kirchlichen Restriktionen zum weltlichen Diskurs
2.1. Sex im Zeichen der Bußbücher
Aus dem frühen Mittelalter sind praktisch nur kirchliche Quellen überliefert. Dies impliziert eine weitgehende Eliminierung alles Erotischen. „Weitgehend“ heißt, dass es zwar beginnende Überlieferungen der Ovid’schen Ars amatoria und der Amores als Rezeption der Antike gegeben hat, diese jedoch nichts über die Epoche selbst aussagt. Das nahezu nichtige Lese-Schreib-Vermögen der Laienkultur hüllt deren Sexleben in Schleier.
Die ergiebigsten Quellen für Sex im frühen Mittelalter sind die Bußbücher (Paenitentialien), welche als normative Texte nur Ahnungen von reellem Sexleben zulassen. Es handelt sich dabei um Beicht-Manuale für Priester. Diese seit dem 6. Jahrhundert bekannten Bußkataloge sind gestaffelt nach der Art des Vergehens einerseits und nach dem Status des Sünders, also Kleriker oder Laie, verheiratet oder unverheiratet andererseits. Für ihre monastische Herkunft haben die Schreiber der Bücher erstaunlich gute Kenntnisse über viele Varianten des Sexualverkehrs, sowie Masturbation und Sodomie im heutigen Sinne. Unter verbotenen Orgasmusmöglichkeiten finden sich „retro“ (vaginal bei Bauchlage der Frau), „in tergo“ (anal), „in os“ (oral), „coitus in femoribus“ (Schenkelverkehr) und „coitus in manu“ (Masturbation). Die oft recht detaillierten Beschreibungen konnten auch als Anleitungen missbraucht werden, weshalb die Lektüre der Bußbücher durch Laien auch von Papst Nikolaus I. 866 verboten wurde und ihr Gebrauch auf verschiedenen Regionalkonzilen im 9. Jahrhundert ganz außer Gebrauch gesetzt wurde. Dennoch gingen ihre Lehren zum Teil mittelbar in die spätere Kanonistik ein.
Neben den Bußbüchern sind Predigten, Historien, Hagiographien, Reformschriften, Lastertraktate und (vor allem angelsächsische) Missionarsbriefe weitere Vertreter von klerikalen Quellen, die das Thema Sex mehr oder minder berühren.[2]
Unter den wenigen profanen Quellen befinden sich die Volksrechte der Germanen, also die Leges barbarorum, welche bereits unter kirchlichem Einfluss Bestimmungen gegen „widernatürliche“ Sexualvergehen Vorgaben für das Intimleben von Paaren beinhalteten. Das Lex Baiuvariorum beispielsweise bestrafte Sexualverkehr mit einer willigen Frau (weil sie noch nicht vermählt und somit befleckt war), sofern man sie nicht anschließend heiratete.[3] Vorher enthielten die Germanenrechte keine solchen normierenden Maßnahmen außer bei Ehebruch. In der Karolingischen Gesetzgebung waren dann bereits alle Geschlechtsakte ohne Fortpflanzungszweck verboten. Wörterbücher wie die althochdeutschen „Gesprächsbüchlein“ ergänzen diese mageren Quellen, dagegen sind Bildquellen nahezu ausgeschlossen.[4]
Hans-Werner Goetz bemängelt, dass die Genderwissenschaftler, welche sich mit Alltag und Sexualität beschäftigen, dies meist im Kontext von Frauengeschichte verarbeiten. Mit „Frauen im frühen Mittelalter“ gibt er selbst eben jenen Kontext vor, was nicht weiter stört. Zunächst schließt Goetz aus dem Praxisbezug der Bußbücher, dass deren Verbote genau das einschränken sollten, was im Alltag wirklich stattgefunden hat, ohne ein Maß dessen belegen zu können.[5]
Auch Goetz bezieht sich bei seiner Alltagsstudie zunächst auf die nie offiziell anerkannten und untereinander wenig einheitlichen Bußbücher, die ausschließlich Verbote in den Blick bringen. Unter diesem Gesichtspunkt berühren diese eher moralische Grenzbereiche als Normalität des Sexuallebens. Alles außerhalb ehelicher Sexualität galt hier als „fornicatio“, also Unzucht. Nach kirchlicher Theorie stiftete die Kinderzeugung einerseits den Sinn der Ehe, Sexualität war daher notwendig und auch als menschliches Bedürfnis anerkannt, andererseits sollte sie auf diesen Zweck beschränkt bleiben und wurde zudem durch weitere Regulierungen beeinträchtigt. Goetz beruft sich oft auf die Schriften des Bischofs Jonas von Orléans (Amtszeit 818-843), nach dem Sexualität aus Wollust beweinenswert, Sexualverkehr mit der Ehefrau unrein und geil sei, sofern er nicht der Fortpflanzung diene. Hingegen erklärt Jonas in Übereinstimmung zum Kirchenlehrer Augustinus von Hippo, dass der Zeugungsbeischlaf (concubitus generandi causa) keinerlei Schuld berge. Somit waren die Geschlechtsorgane auch für Jonas von der Schöpfung her gut, soweit sie nach Gottes Willen zu seiner Zeit und Ordnung gebrauchte. Jonas’ Einschränkungen für ehelichen Sex beschränkten sich auf die Zeit der Menstruation („körperliche Unreinheit“) und der Schwangerschaft (kein Sex mit Kinderzeugungshintergrund). Die Bußbücher erweiterten dies um eine ganze Reihe von Bestimmungen. Zu Sonn- und Feiertagen kamen Mittwoch, Freitag und Sonnabend, Fastenzeiten und die Zeit kurz nach der Geburt. Außerdem durfte der Mann nach einigen Bußbüchern seine Frau nicht nackt sehen. Passend dazu hat James A. Brundage eine schematische Darstellung erarbeitet, welche zugegeben mit einem ironischen Unterton die prekäre Situation aus männlicher Sicht visualisiert. Dass der „geile“ Mann hier Entscheidungsträger ist und nicht die Frau mag entweder vom Zufall oder aber bewusst von der allgemeinen Vernunftzuschreibung sowie dem aktiveren Sexualbedürfnis des Mannes abhängen, wie es in den Köpfen damals verbreitet war.[6]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der sexuelle Entscheidungsprozess in Anlehnung an die Bußbücher[7]
Jonas von Orléans stellte fest:
„Viele, die ein Eheleben führen, bemühen sich, die Zeiten auf das sittsamste zu unterscheiden; andere aber weisen solche Unterscheidungen nicht nur zurück, sondern sie pflegen darüber hinaus sogar denjenigen, die sie zurechtweisen und bezichtigen, Unverschämtes zu entgegnen.“[8]
Es ließ sich also auch im frühen Mittelalter nicht jeder vom Priester in sein Sexualleben hinein reden:
„Unsere Frauen […] sind uns gesetzmäßig verbunden; wenn wir uns aus reiner Lust, wann und wie auch immer wir wollen, bedienen, so ist das keine Sünde. […] Unsere Geschlechtsorgane sind von Gott, dem obersten Schöpfer, in beiden Geschlechtern dazu erschaffen worden, daß sie sich zur gleichen Zeit vermengen. Wie können wir uns also vergehen, wenn wir den Beischlaf nach unserer Lust vollziehen?“[9]
Diese Männer versuchten die Diskrepanz in der kirchlichen Sexualtheorie zu nutzen und schrieben dagegen der Enthaltung ein größeres Vergehen bei Verletzung der Zeugungspflicht zu.
Jonas hielt dagegen, dass man alle Körperteile sowohl erlaubter- wie verbotenermaßen gebrauchen könne und wandte sich gegen ein allgemeines männliches Bestimmungsrecht:
„Die schamlosen Ehemänner sollen doch davon Abstand nehmen, ihre vergnügungssüchtigen Gelüste zu ihrem Recht zu machen; sie sollen vielmehr von den zitierten Autoritäten lernen, daß es ihnen nicht zusteht, ihre Ehefrauen über die Maßen zu ‚benutzen’.“[10]
Sexualverkehr sollte demnach etwas Gemeinsames für beide Geschlechter sein. Nach Haimo von Auxerre, dessen Paulus-Kommentar Goetz heranzieht, sollten Mann und Frau innerhalb der Ehe gewissermaßen gegenseitig über die Geschlechtsorgane des Partners verfügen und statt dessen Verteufelung wurde Sex zur ehelichen Pflicht:
„Der Mann soll der Frau geben, was er ihr schuldig ist, und ebenso die Frau dem Mann […] daß sie sich nicht gegenseitig dem Geschlechtsverkehr entziehen sollen. Wenn der Mann mit seiner Frau schlafen will, so soll sie ihm dazu Gelegenheit und Erlaubnis erteilen. Genauso aber diene der Mann der Frau und erfülle ihr gegenüber die Pflicht zum Beischlaf, wenn sie es wünscht.“[11]
Haimo legte die Worte des Apostels „die Frau habe nicht die Gewalt über ihren Körper noch der Mann über den seinen“ so aus, dass die Frau dem Mann und der Mann der Frau den Beischlaf nicht verwehren darf. Sie wären sich und dem naturgesetzlichen Willen Hörige (paulinisches Debitum).
Dies gebot sich schon zur Vermeidung außerehelichen Beischlafes. Dazu schrieb der Bischof Vulfrad von Bourges:
„Die Männer sollen ihren Frauen gegenüber gelegentlich ihre Pflicht erfüllen und sich nicht anderweitig besudeln. Die Frauen aber sollen ihre Männer ganz ähnlich lieben und ihnen in allem zu gefallen trachten, damit sie sie ja nicht durch Abscheu zu anderen Taten zwingen.“[12]
Aus diesen Worten spricht eine unterschiedliche Einschätzung des Sexualverhaltens von Männern und Frauen, welche sich vor allem als Konfliktfälle auf Synoden äußerten. Es gab demnach öffentlich vorgebrachte, gegenseitige Vorwürfe, dass die Ehe nicht vollzogen werde, wahrscheinlich um damit einen Scheidungsgrund zu erwirken, denn Impotenz des Mannes wurde gelegentlich als ein solcher anerkannt, wenn die Frau das beweisen konnte.
Neben dem Nichtvollziehen der Ehe war der Ehebruch ein notarisch festgehaltener Ehealltagsaspekt, der einen Einblick in eine geringe Teilmenge des (un)ehelichen Sexualverhaltens gibt, von dem man uns nur in Extremfällen berichtet und dann auch eher über sträfliche und politische Dimensionen der Tat denn über den Akt selbst.[13]
[...]
[1] Dinzelbacher 1994, S. 47 und Salisbury 1991, S. xi. Mit Hubertus Lutterbachs „Sexualität im Mittelalter“ erschien 1999 (nur) eine weitere Sexualitätsstudie anhand von Bußbüchern. Einen umfangreicheren Zugriff nach Dinzelbachers Vorstellung könnte zeitlich nach dessen obiger Aussage eher noch Rüdiger Schnell 2002 mit seinem Buch „Sexualität und Emotionalität in der vormodernen Ehe“ gelungen sein.
[2] Vgl. Dinzelbacher 1994, S. 53-55.
[3] Goetz 1995, S. 232.
[4] Dinzelbacher 1994, S. 55.
[5] Goetz 1995, S. 63f.
[6] Mit Hilfe Rüdiger Schnells werde ich auch dieser Zuschreibung an späterer Stelle ein Gegenstück vorhalten.
[7] Brundage 1987, S. 162.
[8] Goetz 1995, S. 234.
[9] Goetz 1995, S. 235.
[10] Ebd., S. 235.
[11] Ebd., S. 236.
[12] Goetz 1995, S. 236.
[13] Ebd., S. 237f.
- Arbeit zitieren
- Robert Leuck (Autor:in), 2006, Gelebte Sexualität im Mittelalter, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/135050