Der Essay arbeitet den historischen Kontext des dominanten Paradigma der Transformationsforschung heraus und gibt einen Überblick über dessen Stärken und Schwächen. So wird die Frage beantwortet, warum die erwartete Transition to Democracy in vielen Ländern nicht eingetreten ist.
Einführung
Nach der Ausgabe des Democracy Index vom Economist für das Jahr 2021 verschlechterte sich der globale Index von 5,37 auf nunmehr 5,28 Punkte. Diesen Zahlen zufolge leben nun noch 45,7 % der Weltbevölkerung in einem demokratischen Land (Vgl. Economist Intelligence, 2022).
Länder, die demokratisch werden, durchlaufen nach Carothers (2002) die sogenannte Transition to Democracy. Dabei bewegen sich Länder von einer diktatorischen Herrschaft weg und hin zu einer liberalen und oftmals demokratischen Regierungsführung (Carothers, 2002: 5).
Das Paradigma der Transition to Democracy basiert auf fünf Kernannahmen. Länder, die sich von diktatorischen Mustern entfernen, werden als sich demokratisch entwickelnde Länder betrachtet. Dabei folgen besagte Länder einem bestimmten Muster: dem “opening”, dem “breakthrough” und der “consolidation” (Carothers, 2002:7). Die dritte Kernannahme ist der Glaube an den wichtigen Stellenwert von Wahlen. Für den Übergangsprozess eines Landes hin zu einer Demokratie sind Faktoren wie das wirtschaftliche Niveau, die politische Geschichte, das institutionelle Erbe, die ethnische Zusammensetzung und Traditionen nicht ausschlaggebend. Die letzte der fünf Annahmen ist, dass die demokratische Wandlung der dritten Welle auf kohärenten, funktionierenden Staaten beruht (Carothers, 2002: 6-9).
Im Folgenden werden der Historische Kontext des dominanten Paradigma der Transformationsforschung und seine Stärken und Schwächen herausgearbeitet und erläutert sowie die Frage beantwortet, warum die erwartete die erwartete „Transition to Democracy“ in vielen Ländern nicht eingetreten ist.
Historischer Kontext
Das dominanten Paradigma der Transformationsforschung findet seine zeitliche Entstehung zeitgleich in der dritten Welle der Demokratisierung, welche 1974 in Portugal mit einem Militärputsch und der Nelkenrevolution begann und mit den sozialistischen, ehemals der Sowjetunion zugehörigen Ländern Osteuropas gemeinsam mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1989 endete. Dazwischenerstreckte sich die dritte Welle der Demokratisierung über Griechenland, Spanien, Lateinamerika, Südostasien und Teile von Afrika (Schmotz, 2013).
Schwächen und Stärken der Transition to Democracy
Eine der Schwächen der Transition to Democracy ist, dass einige Länder nicht aus der sogenannten politischen “Gray Zone” (Carothers, 2002: 9) herauskommen. Viele Länder der dritten Welle haben das Ziel einer gut funktionierenden Demokratie (noch) nicht erreicht. Teilweise sind in ihnen demokratische Fortschritte gescheitert, sodass sich autoritäre Regierungen wieder re-etablieren konnten. Sie zeichnen sich damit aus, weder auf einem erkennbaren Weg zu demokratischen Werten zu sein, sind jedoch auch nicht diktatorisch (Carothers, 2002: 9). Der politischen Grauzone kann somit zum Beispiel Ungarn unter Viktor Orban und seiner Partei Fidesz – Ungarischer Bürgerbund zugeschrieben werden.
Merkel (2007) beschreibt diesen Zustand als den von defekte Demokratien. Das sind Demokratien, in welchen mindestens eines der Herrschaftskriterien in ihrer demokratischen und rechtsstaatlichen Funktionsweise beschnitten ist (Merkel, 2007: 23). Unter dem Schutz der „Transition to Democracy“ können sich so Länder als zum Wandel hin zur Demokratie inszenieren, obwohl sie bei genauerer Betrachtung Wahlautokratien sind. Wahlen in Wahlautokratien sind jedoch kein Anzeichen von Demokratie - viel eher formen sie geradezu autokratische Politik.
Die Mängel des dominanten Paradigma der Transformationsforschung können jedoch als Möglichkeit für zukünftige Transformationsforschungen betrachtet werden. Die aufgeführten Mängel wie beispielsweise die Kernannahmen, bieten die Chance, die Grundlagen eines nachfolgenden Paradigmas besser und umfangreicher zu definieren.
Warum ist die erwartete „Transition to Democracy“ in vielen Ländern nicht eingetreten?
Schaut man sich die Eingangs beschriebenen fünf Kernannahmen der Transitionstheorie an, fällt auf, dass, wenn sich ein Land von einer Diktatur weg entwickelt, es nicht bedeutet, dass dieses Land automatisch demokratisch wird. Auch tritt die erwartete „Transition to Democracy“ nicht zwangsweise ein, wenn demokratische Wahlen stattfinden. Es gibt Beispiele von Ländern wie Nepal, in denen sich die politische Partizipation auf die Stimmabgabe limitiert und die Rechenschaftspflicht der Regierung schwach ausfällt.
Die Annahme, dass bestimmte Faktoren sich nicht auf den Übergangsprozess von Ländern hin zu einer Demokratie auswirken, stellt sich als nicht richtig heraus. Die Chancen auf einen demokratischen Erfolg eines Landes erhöhen sich, wenn dieses Land relativen wirtschaftlichen Wohlstand und Erfahrungen mit politischem Pluralismus hat (Carothers, 2002: 16). Zusätzlich stellt sich der Staatsaufbau als komplexer heraus als anfänglich beschrieben.
Conclusio
Carothers kann in seiner Folgerung, dass es Zeit ist für ein neues Paradigma, nur zugestimmt werden. Die Kernannahmen der Transition to Democracy sind nicht vollends zu Ende gedacht beziehungsweise zum Teil nicht mehr anwendbar.
“Denn nur wenn die einzelnen Herrschaftstypen genau definiert und gegeneinander abgegrenzt sind, können wir überhaupt entscheiden, ob die Transformation eines politischen Systems, also ein wirklicher Systemwechsel, vorliegt oder nicht” (Merkel, 2007: 22). Es fehlt an der genaueren Definition einzelner Herrschaftstypen, mit deren Hilfe sich besser erkennen lässt, ob ein politischer Systemwechsel in einem Land stattgefunden hat. Auch ein engeres Verständnis oder die Eingrenzung von Demokratie als Maßstab wäre sicherlich von Vorteil. Hier bietet sich das Konzept der embedded democracy nach Merkel an, da diese intern wie extern eingebettet ist und ausschließlich auf dem institutionellen Aufbau basiert anstelle der Output Dimension von Policy- und Politik Ergebnissen (Vgl. Merkel, 2007).
Die Schwächen des dominanten Paradigma der Transformationsforschung können jedoch als Chance betrachtet werden. Durch die Analyse der Mängel können diese in zukünftigen Paradigmen verbessert werden.
Literatur
Carothers, T. (2002). THE END OF THE TRANSITION PARADIGM Thomas Carothers. Journal of Democracy, 13(1), 5–21. https://www.journalofdemocracy.org/articles/the-end-of-the-transition-paradigm/
Economist Intelligence. (2022). Democracy Index 2021: The China challenge. In Economist Intelligence. Economist Intelligence. https://www.eiu.com/n/campaigns/democracy-index-2021/#mktoForm_anchor
Merkel, W. (2007). Systemtransformation: Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung (2., überarb. u. erw. Aufl. 2010). VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Häufig gestellte Fragen
Was ist das Hauptthema des Textes?
Der Text behandelt das dominante Paradigma der Transformationsforschung, insbesondere die "Transition to Democracy", und untersucht dessen historische Kontext, Stärken, Schwächen sowie die Gründe, warum die erwartete Transition in vielen Ländern nicht eingetreten ist.
Was ist die "Transition to Democracy"?
Die "Transition to Democracy" beschreibt den Übergang von Ländern von einer diktatorischen Herrschaft hin zu einer liberalen und oftmals demokratischen Regierungsführung.
Welche Kernannahmen liegen dem Paradigma der "Transition to Democracy" zugrunde?
Die fünf Kernannahmen sind: Länder, die sich von diktatorischen Mustern entfernen, werden als sich demokratisch entwickelnde Länder betrachtet; sie folgen einem bestimmten Muster ("opening", "breakthrough", "consolidation"); Wahlen sind von wichtiger Bedeutung; Faktoren wie wirtschaftliches Niveau, politische Geschichte usw. sind nicht ausschlaggebend; und die demokratische Wandlung beruht auf kohärenten, funktionierenden Staaten.
Was sind einige der Schwächen des Paradigmas der "Transition to Democracy"?
Eine Schwäche ist, dass einige Länder in einer politischen "Grauzone" verbleiben, weder vollständig demokratisch noch diktatorisch. Zudem können sich unter dem Schutz dieses Paradigmas Länder als auf dem Weg zur Demokratie inszenieren, obwohl sie in Wirklichkeit Wahlautokratien sind.
Warum ist die erwartete "Transition to Democracy" in vielen Ländern nicht eingetreten?
Die Annahmen der Transitionstheorie sind nicht immer zutreffend. Beispielsweise bedeutet die Abwendung von einer Diktatur nicht automatisch die Entwicklung zu einer Demokratie. Auch demokratische Wahlen garantieren keine Transition, wenn politische Partizipation auf die Stimmabgabe beschränkt ist und die Rechenschaftspflicht der Regierung schwach ist. Zudem beeinflussen Faktoren wie wirtschaftlicher Wohlstand und Erfahrung mit politischem Pluralismus den Übergangsprozess stärker als ursprünglich angenommen.
Was sind "defekte Demokratien"?
"Defekte Demokratien" sind Demokratien, in denen mindestens eines der Herrschaftskriterien in ihrer demokratischen und rechtsstaatlichen Funktionsweise eingeschränkt ist.
Welche Rolle spielte die dritte Welle der Demokratisierung im Kontext der Transitionsforschung?
Das dominante Paradigma der Transformationsforschung entstand zeitgleich mit der dritten Welle der Demokratisierung, die 1974 begann und mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1989 endete.
Was schlägt der Autor abschließend vor?
Der Autor stimmt Carothers zu, dass es Zeit für ein neues Paradigma ist, da die Kernannahmen der "Transition to Democracy" nicht mehr vollständig anwendbar sind. Es wird eine genauere Definition einzelner Herrschaftstypen und ein engeres Verständnis von Demokratie als Maßstab gefordert.
Welche Literatur wird im Text erwähnt?
Der Text verweist auf Werke von Carothers (2002), Economist Intelligence (2022), Merkel (2007) und Schmotz (2013).
- Quote paper
- Anonym (Author), 2022, Zum Ausbleiben der Transition to Democracy. Ein Paradigma der Transformationsforschung, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1333983