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Bachelorarbeit, 2020
45 Seiten, Note: 2,0
1. Einleitung
2. Fragmente tarentinischer Grabbauten aus dem Akademischen Kunstmuseum der Universität Bonn
3. Untersuchung ausgewählter ikonographischer Aspekte
3.1. Ikonographisches Spektrum
3.1.1. Vergleiche zur Nereidenfigur
3.1.2. Mänadendarstellungen
3.1.3. Der Typus der Niobidenfigur
3.1.4. Vergleichbare Medeadarstellungen
3.1.5. Die Ikonographie des Pädagogen
3.2. Der Einfluss attischer Tragödien auf die unteritalische Vasenmalerei
3.2.1. Darstellungen der Medea auf unteritalischen Vasen
3.2.2. Pädagogen in der unteritalischen Vasenmalerei
3.3. Der Mythos der Medea auf römischen Sarkophagen
3.4. Zusammenfassung
4. Tarentinische Grabbauten
4.1. Topographie Tarents
4.2. Forschungsgeschichte zu Tarent und den Grabbauten
4.3. Historischer Kontext zur Nekropole von Tarent
4.4. Die Form der Naiskoi
4.4.1. Naiskoi auf Vasen
4.4.2. Bedeutung der Naiskoi
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
Das Akademische Kunstmuseum zählt zu den ältesten Museen in Bonn und fungiert als Antikensammlung der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Rund 2400 Gipsabgüsse von Statuen, Reliefs und Kleinkunst sowie eine Originalsammlung von antiken Werken aus Marmor, Ton, Bronze und Glas befinden sich in dem seit 1818 bestehenden Museum. Der Umzug in das Gebäude gegenüber dem Hauptgebäude der Universität erfolgte im Jahre 1879. Reinhard Kekulé, der erste deutsche Lehrstuhlinhaber für Archäologie, hatte dies bewirkt1. Von 1824 bis 1872 fungierte der klassizistische Bau, welcher von Karl Friedrich Schinkel entworfen worden war, als Alte Anatomie2 3. 1908 wurde dann der Anbau für die Bibliothek, den Hörsaal und die Fotosammlung eingeweiht, welcher von Georg Loeschke, Nachfolger Kekulés, veranlasst worden war 3. Von Anfang an wuchs die Antikensammlung kontinuierlich durch regelmäßige Schenkungen. So auch unter Nikolaus Himmelmann, Ordinarius von 1969 bis 19944, welcher eines der dieser Arbeit zugrundeliegenden sechs Objekte zu seiner Emeritierung 1994 gestiftet hatte.
Diese Untersuchung hat zum Ziel, die bisher zusammenhangslosen Fragmente der tarentinischen Grabbauten im Akademischen Kunstmuseum der Universität Bonn in einen Kontext einzubetten. Ikonographische Besonderheiten sollen dabei herausgearbeitet werden, indem ähnliche Darstellungsformen und Fragmente anderer Sammlungen zum Vergleich herangezogen werden. Außerdem werden die verschiedenen Einflüsse auf unteritalische Kunst und Grabdekoration betrachtet. Hierbei soll der Einfluss attischer Tragödien des 5. Jhs. v. Chr. auf die unteritalische Vasenmalerei und somit die Tradition der unteritalischen Darstellungsformen betrachtet werden. Im Anschluss daran wird eine Verbindung der griechischen Mythen zur Ikonographie der römischen Sarkophage des 2. Jhs. n. Chr. geprüft. Der darauffolgende Teil der Arbeit widmet sich der Einordnung der Objekte in einen Fundkontext. Der Fokus liegt hier auf den tarentinischen Grabbauten selbst, deren Forschungsgeschichte sowie deren historischer Kontext. Dabei werden die Verbreitung und eine mögliche Rekonstruktion herausgearbeitet. Zusätzlich wird ein Blick auf die unteritalischen Vasen geworfen, welche die Abbildungen verschiedener Naiskoi tragen. Es wird ebenfalls auf die Bedeutung der Naiskoi eingegangen.
Kat. 1: Das Giebelfragment einer Nereide (Abb. 1, 2)
Inv. B236; H: 34cm; D in Brusthöhe: 12cm
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das aus einem Tarentiner Privatbesitz stammende Fragment zeigt eine sitzende Frauenfigur aus weichem Kalkstein. Arme und Unterschenkel fehlen. Die Oberschenkel sind stark beschlagen. Am Rücken befindet sich ein Zapfenloch. Sie scheint also an einem Hintergrundfeld wie dem eines Giebels angebracht gewesen zu sein . Die Haare bestehen aus leichten Locken und es finden sich Reste roter Farbe daran. Ihr Kopf ist leicht zur Seite geneigt und trägt einen pathetischen Gesichtsausdruck, welcher ebenfalls bei Objekt Nr. 3 zu finden ist. Die Figur trägt einen unter der Brust gegürteten Chiton, der vertikale Falten wirft und dessen Überschlag in den Schoß fällt. An der rechten Schulter ist der Chiton hinabgeglitten und entblößt die rechte Brust. Den Bruchstellen zufolge waren die Arme erhoben und an ihrer rechten Seite befinden sich Reste eines Mantels.
Carter sah in diesem fragmentarischen Teil die Reste einer zweiten Figur, die Ajax darstellen sollte5. Klumbach sowie Carter vermuteten, dass die Figur Kassandra darstellen könnte6. Herdejürgen betont jedoch, dass die Stoffmasse hinter dem Rücken weitergeführt wird und somit keine erkennbare Verbindung zu einer zweiten Figur besteht7. Deshalb ist Herdejürgens Deutung der Figur als Nereide, eine Meeresnymphe und Tochter des Meeresgottes Neureus und der Doris, wahrscheinlicher. Sie gehört damit zum maritimen Thiasos, der in Tarent mehrmals dargestellt wurde8. Vermutlich wurde sie von einem Meeres- oder Fabelwesen über die Wellen getragen. Der leidende Geschichtsausdruck kann mit dem um 300 v. Chr. vorherrschenden Stil erklärt werden, weshalb Dittmers- Herdejürgen das Stück in diese Zeit datiert9.
Literatur: Carter 1975, 65 Kat.-Nr. 169 Taf. 27c; Klumbach 1937, 28 Kat.-Nr. 145; Dittmers-Herdejürgen 1979, 817; Scholl 1998, 22 Kat.-Nr. D1.
Datierung: 300 v. Chr. nach Scholl und Dittmers-Herdejürgen.
Kat. 2: Das Friesfragment einer Mänade (Abb. 3)
Inv. B65; L: 21cm, T: 3cm
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Wie auch die anderen Objekte besteht dieses aus weichem Kalkstein, welcher für die Dekoration der tarentinischen Grabbauten verwendet wurde10. Dieses Relieffragment weist eine Leiste am oberen Rand auf, die sich 2cm vom Hintergrund des Reliefs abhebt. Erhalten ist der Oberkörper einer Frau in Profilansicht, die sich nach rechts bewegt. Die lockigen Haare bewegen sich im Wind und der Mantel, den die Frau über einem ärmellosen Chiton trägt, flattert in weitem Bogen hinter ihr. Mit der rechten Hand spielt sie auf einem großen Tympanon. Hinter der Frauenfigur ist ein wehender Mantelbausch einer weiteren Figur zu sehen. Rechts von ihr befindet sich ein Thyrsosstab, der von einer dritten Person gehalten wird, dessen Arm aber nur im Ansatz erhalten ist. Die Identifikation als Mänade ist sehr eindeutig in Anbetracht der dionysischen Merkmale des Tympanons und des Thyrsosstabes. Mänaden gelten als mythische Begleiterinnen des Gottes Dionysos und tauchen oft gemeinsam mit Satyrn auf.
Das Objekt wurde laut Inventar des Museums im Jahre 1902 vermutlich in Tarent erworben. Das Inventar gibt außerdem an, dass das Fragment „durch Watzinger erworben“ wurde, welcher 1899 bei Georg Loeschke seine Dissertation verfasst hatte11. Die Zugehörigkeit zu der Gattung der tarentinischen Grabreliefs ist sehr wahrscheinlich in Anbetracht des Materials und der Gestaltung, die das Objekt als Friesfragment kennzeichnet. Für die Datierung schlägt Scholl die zweite Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. vor12.
Literatur: Carter 1975, 95 Kat.-Nr. 39; Scholl 1998, 24 Kat.-Nr. D5; Kressirer - Rumscheid 2017, 52 f Kat.-Nr. 31 Abb. S. 53; Klumbach 1937, 8 Kat.-Nr. 34 Beil. A34.
Datierung: Zweite Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. nach Scholl.
Kat. 3: Das Friesfragment einer Niobidenfigur (Abb. 4, 5, 6)
Inv. B237; H: 15cm
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dieses Fragment stammt laut Inventar des Museums aus der Sammlung Barsanti und wurde 1957 erworben. Erhalten ist der Oberkörper einer Frauenfigur. Der Kopf befindet sich in Dreiviertelansicht und ist stark nach links oben geneigt. Neben der entblößten linken Brust umklammert ihr linker Arm Falten eines Chitons. Der rechte Arm ist nicht erhalten. Die Bruchstelle lässt vermuten, dass der Arm hoch erhoben war. Sie trägt einen ärmellosen Chiton, der an der rechten Schulter von einem Ring gehalten wird und an der linken heruntergeglitten ist. Die Augen liegen tief und die Augenbrauen sind zusammengezogen, was der Figur einen flehentlichen oder auch verwirrten Gesichtsausdruck verleiht, der häufig bei Niobidendarstellungen zu finden ist. Niobiden sind die Kinder der Niobe und des Amphion, welche von Artemis und Apollo getötet werden, da ihre Mutter Niobe vor Leto, Mutter von Artemis und Apollo, mit der Anzahl ihrer Kinder prahlte. Die Anzahl der Kinder variiert in manchen Überlieferungen, doch es waren stets gleich viele weibliche wie männliche Kinder. Die Tötung der Kinder findet in Theben statt, wobei Artemis die weiblichen tötet und Apollo die männlichen. Niobe kehrt danach zu ihrem Heimatort zurück und erstarrt dort zu einer Steinsäule13.
Das Bonner Fragment wäre somit die einzige erhaltene Darstellung einer Niobide in der tarentinischen Grabkunst. Da der Anteil der Mythendarstellungen in der plastischen Grabkunst Tarents sehr groß war14, ist es nicht verwunderlich, eine Niobidendarstellung in diesem Kontext zu finden. Vor allem in der tarentinischen Vasenmalerei war dieser Mythos der Tragödie der Niobe beliebt und von großer Bedeutung. Die Identifizierung als eine der Niobiden mag dazu führen, andere Fragmente von Frauenfiguren ebenfalls der Niobidentötung zuzuordnen, jedoch fehlt in den meisten Fällen der Gesamtkontext, was sich für die Identifizierung als hinderlich erweist15. Weitere Deutungsmöglichkeiten für bewegte Frauenfiguren sind Mänaden, Thalia, Kassandra oder Amazonen.
Himmelmanns datiert das Stückes um 300 v. Chr.16 Das Inventar des Akademischen Kunstmuseums bleibt in der Datierung ungenauer und ordnet es in das 3. oder 2. Jh. v. Chr. ein. Genauere Untersuchungen zur Datierung des Objekts würden den Rahmen dieser Arbeit übersteigen.
Literatur: Carter 1975, 65 Kat.-Nr. 170 Taf. 27d, 28a; Himmelmann 1972, 43f. Taf. 39; Scholl 1998, 23 Kat.-Nr. D3; Geominy 1984, 289 Anm. 850; LIMC VI (1992) 917 Nr. 15a, 922 f. Nr. 50 s. v. Niobidai (W. Geominy).
Datierung: 300 v. Chr. nach Himmelmann.
Kat. 4: Palmettenakroter (Abb. 7)
Inv. B240; H: 7,8cm; B: 9cm
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das Palmettenakroter, welches vollständig erhalten ist, besteht aus sehr feinem, dichten Kalkstein. Der giebelförmige Einschnitt am unteren Ende lässt erkennen, dass es ein Mittelakroter oder die Bekrönung eines Dachfirsts war. Unter der neunblättrigen Palmette liegen zwei S-förmige Ranken. Von der polychromen Fassung des Akroters lassen sich noch Reste roter und blauer Farbe an der Palmette erkennen. Stifter und Erwerbungsjahr sind unbekannt. Erworben wurde das Stück laut Inventar des Museums in Tarent, was die Stadt als Fundort nahelegt, jedoch nicht komplett bestätigen kann.
Vegetabile Motive bei ornamentalen Akroteren kommen vor allem im 7. und 6. Jh. v. Chr. in der Tempelarchitektur vor. Doch auch in der klassischen Zeit waren es noch weit verbreitete Motive17. Auch wenn Akrotere meist zu der Ornamentik von Tempelbauten oder Grabstelen gehören, geht Scholl davon aus, dass es sich bei dem Bonner Stück um einen Mittelakroter eines Sarkophags handelt18. Für die Datierung dient ein Vergleich mit einem Sarkophag aus der ersten Hälfte des 5. Jhs. v. Chr., der 1959 in einer unterirdischen Grabkammer der tarentinischen Nekropole gefunden wurde19. Die dazu gehörigen Palmettenakrotere haben eine gestrecktere Proportionierung als das Bonner Stück, womit es als Anhaltspunkt für die frühere Datierung des Bonner Akroters dient.
Literatur: Scholl 1998, 24 Kat.-Nr. D6.
Datierung: Ende 6. / Anfang 5. Jh. v. Chr. nach Scholl.
Kat. 5: Das Giebelfragment der Medea (Abb. 8, 9, 10)
Inv. B310; H: 16,2cm; B: 13cm, T: 4,5cm
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das Stück kam ursprünglich als Leihgabe aus dem Schweizer Kunsthandel in das Museum20 und wurde 1994 von Nikolaus Himmelmann zu seiner Emeritierung21 dem Museum als Geschenk übereignet. Es zeigt den Oberkörper einer Frau, die ein liegendes Kind trägt. Der rechte Arm ist nicht erhalten. Unter der phrygischen Mütze treten wellige nach hinten gestrichene Haare hervor. Die Laschen der Mütze kommen am Hals zum Vorschein. Die Frau trägt einen ärmellosen Chiton. Vor der Brust hält sie ein liegendes Kind, welches bis zu den Füßen in einen Mantel gehüllt ist. Der zurückfallende Kopf kennzeichnet es als tot. Ein Bruch teilt das Kind in zwei Hälften. Der rechte Arm der Figur scheint erhoben gewesen zu sein und der linke Arm hält das Kind. Von diesem linken Arm ist nur die linke Hand zu sehen ist, die unter dem Kind hervorkommt. Die untere Hälfte Medeas ist zwar nicht erhalten, doch an der Unterseite des Kindes gibt es keine Bruchstelle, die darauf hindeuten würde, dass Medea das Kind im Sitzen hielt. Hinter dem Kopf des Kindes befindet sich der Rest eines weiteren Objekts, welches wegen der Einkerbungen an der rechten Seite als Schlange gedeutet werden kann.
Die Figurengruppe ist fast freistehend und ragt über den Reliefgrund hinaus, von dem an der linken Schulter der Figur ein Stück erhalten ist. Ein dünner Steg am Hinterkopf und Hals Medeas lässt zusätzlich erkennen, dass die Darstellung hauptsächlich rundplastisch gearbeitet war. Die Tatsache, dass das Fragment zum Großteil freigearbeitet ist, lässt vermuten, dass es eine Giebelgruppe und kein Friesfragment ist22. Die erhaltenen Friesfragmente weisen stets einen durchlaufenden Reliefhintergrund auf. Himmelmann datiert das Stück in die zweite Hälfte des 4. Jhs. v. Chr23. Scholl gibt eine genauere Datierung von 330-320 v. Chr. an24. Von den wenigen Fragmenten, die von den Naiskoi erhalten sind, ist dieses Stück das einzige, welches Medea zeigt.
Die ikonographischen Merkmale der Mütze, der Schlange und des toten Kindes identifizieren die Hauptfigur als Medea25. Medea hilft Iason und den Argonauten das Goldene Vlies zu erbeuten, woraufhin sie zusammen mit ihnen flieht. Sie heiratet Iason und die beiden leben zusammen mit zwei Söhnen in Korinth, wo jedoch Iason Medea bald verstößt, damit er die Tochter des dortigen Königs Kreon heiraten kann. Aus Rache tötet Medea ihre gemeinsamen Kinder mit Iason, flieht nach Athen und heiratet dort den König Aigeus, wodurch sie zu Theseus Stiefmutter wird. Dieser Mythos erfreute sich in der Antike großer Beliebtheit. Die bekanntesten Werke über die Rache der Medea waren die Tragödien des Euripides und später des Seneca. Apollonios von Rhodos verfasste ein Argonateunepos und Ovid brachte seine eigene Version des Mythos in den Metamorphosen hervor26.
Literatur: Scholl 1998, 23 Kat.-Nr. D2; Himmelmann 1986, 193-195 Taf 35, 1-4; Himmelmann 1994, 25 Taf. 4,1; Himmelmann 1996, 271 f. Abb. 145.
Datierung: Erste Hälfte 4. Jh. v. Chr. nach Himmelmann, 330-320 v. Chr. nach Scholl.
Kat. 6: Das Friesfragment eines Pädagogen (Abb. 11)
Inv. B241; H: 28cm; T: 7,6cm
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das Fragment zeigt eine stehende männliche Person, die sich mit dem linken Arm auf einen Stab stützt. Die Beine sind gekreuzt und der Oberkörper ist leicht schräg. Es fehlen der Kopf, große Teile des linken Armes, die rechte Hand sowie beide Füße. Die Person trägt ein langärmeliges Untergewand, welches kurz über den Knien endet, einen gegürteten Chiton mit kleinen Ärmeln darüber und eine Chlamys, die an der rechten von einer Fibel zusammengehalten wird. Erworben wurde das Stück in Tarent und stammt laut Inventar des Museums aus Massafra. Erwerbungsjahr und Stifter bleiben unbekannt. Scholl datiert das Stück in das 3. Jh. v. Chr27.
Scholl und Carter sehen in der Kleidung die typische Tracht eines Epheben bzw. Jüngling28. Im vorklassischen Athen und bis in den Hellenismus hinein galten hochgeschnürte Krepides mit langen Ligulae, eine Chlamys und eine Tracht als typische Kleidung der Epheben29. Da die Schuhe, die über das Gesamtbild der Tracht Aufschluss geben könnten leider nicht erhalten sind, und weil ein langärmeliges Untergewand eher untypisch für Epheben war30, ist es wahrscheinlicher, dass diese Person einen Pädagogen darstellen soll.
Mit dem Wandel in der Pädagogenikonographie, welcher um 360 v. Chr. in der apulischen Vasenmalerei beginnt, werden ein langärmeliges Untergewand, darüber ein Chiton mit Streifenverzierung und eine Chlamys, die an der Schulter oder über der Brust von einer Fibel geschnürt wird, zur gängigen Tracht der Pädagogen. Dazu gehören noch Fell- oder Filzstiefel mit überfallenden Laschen, ein Knotenstock sowie eine Kopfbedeckung31. Da der Kopf und die Füße sowie die Verzierung der Kleidungsstücke des Bonner Fragments nicht erhalten sind und der Stock nur angedeutet zu sehen ist, kann dazu keine Aussage getroffen werden. Die Kleidung des Pädagogen ist jedoch eindeutig als „barbarische Theatertracht“32 zu deuten, da lange Hosen und lange Ärmel galten als Hinweise auf barbarische Tracht33. Mit einem Kostüm aus dem Theaterbereich wird die Person des Pädagogen also in einen mythologischen Kontext gebracht34. Die physiognomischen Merkmale tragen normalerweise ebenfalls dazu bei, was hier jedoch nicht erörtert werden kann, da der Kopf der Figur fehlt.
Literatur: Carter 1975, 59 Kat.-Nr. 122 Taf 21 b; Scholl 1998, 24 Kat.-Nr. D4.
Datierung: 3. Jh. v. Chr. nach Scholl.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der folgende Teil der Arbeit widmet sich der Ikonographie der Objekte. Zuerst werden vergleichbare Darstellungen derselben oder anderer Medien vorgestellt und verglichen. Dann wird der Einfluss des attischen Theaters auf die Ikonographie in der unteritalischen Vasenmalerei geprüft, wobei die unteritalische Vasenmalerei als weiterer Einfluss auf den Grabdekor gesehen wird und somit als Vergleich zur Veränderung der Ikonographie dient. Besonders deutlich wird dies in der Ikonographie der Medea und des Pädagogen. Abschließend soll der Zusammenhang der tarentinischen Grabkunst mit der Motivik der späteren römischen Sarkophage untersucht werden.
Schon Carter versuchte die Themen der Fragmente der Naiskoi zu erfassen. Er ordnete die 442 Stücke, welche er in seinem Werk vorstellt, in verschiedene Gruppen ein und unterteilt sie in „heroische Kämpfe“, „Entführungen“, „Alltagsszenen“ sowie „Prozessionen und dionysische oder maritime Thiasoi“35. Carter merkt an, dass einige der Stücke, welche Teile des dionysischen Thiasos zeigen, weniger genau ausgearbeitet wurden, was wohl durch die Beliebtheit des Themas zu erklären ist, wodurch sich die Darstellungen des Thiasos häuften36.
Später untersuchte Lippolis die Ikonographie der Fragmente und wertete sie prozentual aus. Seine ausgearbeitete Tabelle zeigt die Häufigkeit der verschiedenen Themen37. Es darf nicht vergessen werden, dass der Erhaltungszustand der Stücke oftmals sehr schlecht ist bzw. so wenig vom Kontext der Darstellungen erhalten ist, sodass sich manche Fragmente nicht eindeutig in ein Thema einordnen lassen. Bei der Auswertung der Tabellen von Lippolis lässt sich feststellen, dass der dionysische Thiasos mit 20,2 Prozent den größten Anteil ausmacht. Im Gegensatz dazu hat der maritime Thiasos nur einen Anteil von 2,8 Prozent. Amazonomachien sowie pflanzliche Friesdekorationen machen jeweils 16,2 und 12,9 Prozent aller untersuchten Fragmente aus. Außerdem untersuchte Lippolis die Häufigkeit der Darstellung unter Berücksichtigung des Anbringungsplatzes an den Naiskoi38. Im Giebel finden sich meist Amazonomachien sowie Darstellungen des Meeresungeheuers Skylla. Die Nereide aus Bonn scheint die einzige erhaltene Darstellung eines maritimen Thiasos zu sein, welche sich an einem Giebel befand. Was die Friesdekorationen betrifft, so lassen sich dort vor allem der dionysische Thiasos (41 Fragmente) finden. Keine andere Thematik scheint so oft wie dieser an den Friesen dargestellt worden zu sein. Nur jeweils neun Fragmente zeigen Tier- und Kampfdarstellungen. Alle anderen Themen sind mit weniger Fragmenten vertreten. Fragmente der Friesdekorationen sind außerdem am meisten erhalten geblieben39.
Die Fragmente aus dem Akademischen Kunstmuseum passen in das ikonographische Spektrum der tarentinischen Grabdekorationen. Besonders das Friesfragment der Mänade spiegelt die Gattung der Tarentiner Kalksteinreliefs wieder. Die Niobide scheint auch in die Themen hineinzupassen, da sich viele eilende weibliche Figuren mit wehenden Gewändern unter den anderen Darstellungen befinden40. Leider können viele dieser weiblichen Figuren nicht eindeutig als Niobiden bestimmt werden, weshalb auch andere Deutungen für sie in Frage kommen. Die Beliebtheit der pflanzlichen Dekorationen könnte auch den Palmettenakroter erklären. Es liegt nahe, dass die vegetabilen Verzierungen ebenfalls an den Sarkophagen angebracht worden waren. Nur die Figur der Medea und der Nereide scheinen herauszufallen. Das Ungewöhnliche an der Nereide ist, dass sie eine Giebelfigur ist, während mehrere Fragmente dieser Thematik als Metopen gefunden wurden. Medea hingegen ist bis jetzt einzigartig in ihrem Vorkommen als Giebelfigur und als dargestellte Figur überhaupt.
Eine unteritalische Terrakotte41 (Höhe 26cm) aus rötlich gebranntem Ton zeigt eine sitzende Frau mit gekreuzten Füßen (Abb. 12). Der Kopf, die Arme sowie die Füße sind nicht erhalten. Den rechten Arm streckt sie nach oben, den linken streckt sie nach vorne, was das Herabgleiten des Chitons verursachte. Am Rücken sind Reste eines Mantels zu erkennen, welcher nur noch den Rücken einhüllt. Wie auch bei dem Naiskosfragment fallen die Oberschenkel stark ab, was vermuten lässt, dass die Frauenfiguren auf Tieren saßen. Herdejürgen deutet die Figur ebenfalls als Nereide, welche evtl. von einem Delphin, Ketos oder Seepferd getragen wurde42. Als Datierung schlägt sie die Wende des 5. zum 4. Jh. v. Chr. aufgrund der Stilistik der Kleidung vor43.
Ein Vasenfragment mit Relieffigur44 (Höhe 12,5cm), welches um 300 v. Chr. datiert wird45, zeigt die Ähnlichkeit im Gesichtsausdruck (Abb. 13). Die erhobenen Augenbrauchen, die tiefliegenden Augen selbst und die weichen Formen des Mundes scheinen stilbedingt und rühren weniger von einer leidenden Gefühlswelt her.
Ein ebenfalls vergleichbarer Gesichtsausdruck lässt sich bei einem weiteren Fragment einer Kalksteinplastik finden46 (Abb. 14). Es handelt sich um eine Frauenfigur, welche nach links eilt. Der an der linken Schulter zerrissene Chiton weht im Wind. Im rechten Arm hält sie ein Palladion. Carter deutet die Figur als Kassandra47. Ähnlichkeiten zum Bonner Fragment lassen sich in der ovalen Kopfform finden sowie in den eingesunkenen Augen, dem kleinen Mund und den hohen Wangenknochen.
Ikonographische Vergleiche lassen sich bei anderen Fragmenten der Naiskoi finden. Die bei Carter besprochenen Stücke mit Mänaden wurden weniger sorgfältig ausgearbeitet als die übrigen Dekorationen der Naiskoi48. Der Grund dafür könnte die Beliebtheit des dionysischen Thiasos und die damit verbundene Häufigkeit des Motivs sein. Vor allem auf römischen Sarkophagen war die Mänade eine beliebte Figur, gehörte sie doch zum dionysischen Thiasos.
Die größte Gruppe der tarentinischen Kalksteinreliefs machen bewegende Frauenfiguren aus, welche entweder als Niobiden oder als Mänaden gedeutet werden können. Die bei Carter bearbeiteten Fragmente, welche zur Gruppe S gehören, können alle als Mänaden gedeutet werden49 50. Die Beliebtheit der dionysischen Dekorelemente erklärt Graepler damit, dass die Dionysosmysterien zu einem „Massenphänomen“ in Tarent wurden 50. Das bedeutet nicht, dass der Großteil der Stadt direkte Anhänger der Mysterien waren, sondern es besteht durchaus die Möglichkeit, dass die Bräuche und Vorstellungen der Kultgemeinschaft übernommen wurden51. Somit könnten die Elemente dieses Kultes, also der Symposionkultur, Teil der allgemeinen Polisidentität Tarents geworden sein. Vielleicht haben auch die umliegenden Nicht-Griechen diesen Teil der Identität übernommen, weshalb dort auch dionysische Gefäße zu finden sind52. Gegen Anfang des 2. Jhs. v. Chr. nehmen Grabbeigaben dieser Art stark ab. Dies kann mit der römischen Eroberung Tarents erklärt werden53. Im Jahre 186 v. Chr. wurde ein Senatsbeschluss durchgesetzt, welcher die Teilnahme an Bacchanalien verbot54.
Das Fragment aus dem Akademischen Kunstmuseum folgt laut Geominy einem bestimmten Typus der Niobidendarstellung55. Dieser Typus der zusammenbrechenden Niobide geht aus einem phidiasischem Vorbild heraus, welches durch römische Repliken bekannt ist56 (Abb. 15). Dieser Niobidenfries befand sich auf der Armlehne des Zeusthrons, welcher von Phidias im 5. Jh. v. Chr. geschaffen worden war57. Aus der Haltung der Figur geht heraus, dass das Bonner Fragment die Figur 14 des Niobidenfrieses als Vorbild hatte58. Himmelmanns Datierung des Stückes um 300 v. Chr.59 würde die Entstehungszeit des Frieses vor 300 v. Chr. bezeugen60.
Der Mythos der Niobe erfuhr in der Tarentiner Grabkunst mehr Anklang als in Griechenland selbst. Auch in der attischen Vasenmalerei lassen sich kaum Darstellungen der Niobidentötung finden61. Anders verhält es sich in Unteritalien. Die Vasenmalerei hat einige Beispiele62, welche den Mythos zeigen sowie die tarentinische Grabkunst, wo sich in der Gestaltung Anlehnungen an die phidiasische Gruppe finden lassen.
Das Bonner Fragment der Niobide lässt sich ebenfalls mit der Figur der oben genannten Kassandra vergleichen (Abb. 14). Vor allem die weite Kleidung mit dem schweren Faltenwurf sowie die runden Schultern und die feste Brust erinnern an das Fragment der Niobide.
Eine Urne aus Volterra63 aus dem 3. Jh. v. Chr. verdeutlicht die Komposition und gibt somit einen Anstoß für eine Rekonstruktion der ganzen Darstellung der Medeafigur (Abb. 16). Hier befindet sich Medea frontal dargestellt in einem Wagen, der von vier nach oben steigenden geflügelten Drachen symmetrisch umgeben ist. In der erhobenen Hand trägt sie ein Schwert. Himmelmann geht so weit, in dem tarentinischen Fragment eine Vorlage für die Ikonographie dieser Urne zu sehen64.
Der Medeakrater aus München65 verdeutlicht die Zugehörigkeit der Schlangen an den Wagen der Medea (Abb. 17). Auch hier ist der Wagen, an welchem zwei Schlangen symmetrisch aufsteigen, frontal abgebildet. Im Wagen selbst steht jedoch nicht Medea, sondern Oistros, die personifizierte Raserei.
[...]
1 Mielsch, 5.
2 Himmelmann 1972, 7.
3 Mielsch, 5.
4 Mielsch, 7.
5 Carter 1975, 65 Nr. 169.
6 Carter 1975, 65; Klumbach 1937, 28.
7 Dittmers-Herdejürgen 1979, 817.
8 Lippolis 1994, 126.
9 Dittmers-Herdejürgen 1979, 817.
10 Siehe Kapitel 4.4.
11 Kinne 2004, 220. Zudem war er Reisestipendiat des DAI von 1899 bis 1902.
12 Scholl 1998, 24.
13 LIMC VI (1992) 914 s. v. Niobidai (W. Geominy).
14 Lippolis 1994, 126.
15 Scholl 1998, 23.
16 Himmelmann 1972, 44.
17 Schollmeyer 2013, 43.
18 Scholl 1998, 24.
19 Scholl 1998, 24.
20 Himmelmann 1996, 271.
21 Vgl. Inventar des Museums.
22 Himmelmann 1986, 192.
23 Himmelmann 1986, 194.
24 Scholl 1998, 23. Er legt jedoch keine Begründung oder Quelle für die Datierung vor.
25 LIMC VI (1992) 396 s. v. Medeia (M. Schmidt 1992).
26 Apoll. Rhod.; Eur. Med., Ov. met. 7,53.; 7,55; 7,7-158; 7,20 f.; 7,92 f.; 7,159-424; Sen. Med.
27 Scholl 1998, 24.
28 Scholl 1998, 24; Carter 1975, 59.
29 Sichtermann 1965, 72-73.
30 Carter 1975, 59 Anm. 25. Carter argumentiert, dass die warme Kleidung Erkennungsmerkmal für eine Person aus dem Norden ist und zieht eine Mamorstatue als Vergleich heran, die von Dohrn 1968, 37 als Thessaloniker gekennzeichnet wird.
31 Schulze 1998, 70f.
32 Schulze 1998, 71.
33 Schulze 1998, 71 Anm. 452.
34 Geominy 1984, 319.
35 Carter 1975, 17.
36 Carter 1975, 20. V.a. die Mänaden wurden nicht so sorgfältig wie andere mythologische Figuren ausgearbeitet.
37 Lippolis 1994, 126 Tab. 2.
38 Lippolis 1994, 127 Tab. 3.
39 Lippolis 1994, 126 Tab. 2. 127 Tab. 3.
40 Ruhardt 2019, 85 spricht von der größten Gruppe.
41 Herdejürgen 1978, 35 Kat.-Nr. A 26.
42 Herdejürgen 1978, 35
43 Herdejürgen 1978, 35.
44 Herdejürgen 1978, 63 Kat.-Nr. A 67.
45 Herdejürgen 1978, 63.
46 Luzern, Kollektion Hirsch.
47 Carter 1975, 65.
48 Carter 1975, 20.
49 Carter 1975, 94-96 Nr. 382-403.
50 Graepler 1997 185; Ruhardt 2019, 124-125. Die Grabbeigaben aus den Kammergräbern sind vor allem Elemente des Symposions, wie z. B. Ess- und Trinkgeschirr.
51 Ruhardt 2019, 125.
52 Graepler 1997, 186 Anm. 301.
53 Ruhardt 2019, 126.
54 Liv. 39, 8-19.
55 Geominy 1984, 489 Anm. 850.
56 LIMC VI (1992) 917-918 Nr. 15a-m s. v. Niobidai (W. Geominy).
57 Paus. 5, 11, 2.
58 Nummerierung nach Sieveking - Buschor 1912, 138f.; unter LIMC VI (1992) 917 Nr. 15a s. v. Niobidai (W. Geominy) als Typus Nr. 3 benannt.
59 Himmelmann 1972, 44.
60 Vgl. Geominy 1984, Anm. 850. Es gibt immer wieder Vermutungen, dass die phidiasischen Reliefs doch nicht zum Zeusthron gehört hatten.
61 Klumbach 1937, 62.
62 Niobeamphora: Neapel, Archäologisches Nationalmuseum, Inv. 3246 und Ruveser Amphora: Ruvo, Sammlung Jatta, Inv. 424.
63 Volterra, Museo Guarnacci, Inv. 497.
64 Himmelmann 1986, 194.
65 Neapel, Archäologisches Nationalmuseum, Inv. H 3221, 400-320 v. Chr.