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Hausarbeit, 2022
16 Seiten, Note: 2,0
1. Einleitung
2. Formale Textanalyse
2.1 Tagesaktuelle Berichterstattung
2.2 Teil einer Fallreihe
2.3 Kurze Rückblicke
2.4 Buchbesprechungen
2.5 Zeitzeugengespräch
3. Allgemein vergleichende Analyse
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
5.1 Primärquellen
5.2 Sekundärliteratur
Er ist bis heute einer der bekanntesten Serienmörder der Weimarer Republik. Peter Kürten versetzte von Februar 1929 bis Mai 1930 mit seiner brutalen Mord- und Verbrechensserie, die ihm den Beinamen „Vampir von Düsseldorf“ einbrachte, die lokale Bevölkerung in Angst und Schrecken. Gebannt verfolgte man im In-und Ausland die neuesten Entwicklungen zu diesem Fall. Seine Verhaftung war trotz intensivster Fahndung von polizeilicher Seite und tatkräftiger Unterstützung durch die Öffentlichkeit eine reine Glückssache. Die Taten waren so grauenvoll, dass sie die Menschen selbst nach seiner Hinrichtung nicht losließen. Auch über 90 Jahre später begegnet uns sein Vermächtnis noch immer in der täglichen Presse. In verschiedenen Formen und zu unterschiedlichen Anlässen werden die Taten des Kölners wachgehalten. Denn die „ Gerichtsberichterstattung ist seit ihren Anfängen immer auch die Verbreitung von Sensationen gewesen [.]“.1 In der vorliegenden Hausarbeit soll daher exemplarisch das retroperspektive Wiederaufgreifen der Taten Peter Kürtens durch die (über-)regionale Tagespresse, im Zeitraum von 1930 bis 2021, untersucht werden. Dafür wurden Beiträge verschiedener Zeitungen stichprobenartig ausgewählt.2 Von diesen wird ausschließlich der schriftliche Teil analysiert. Dabei soll der Fragestellung auf den Grund gegangen werden, wieso die Fälle berühmter Gewaltverbrecher uns immer wieder in Tageszeitungen begegnen und ob sie dabei Konjunkturen oder Veränderungen unterworfen sind.
Im zweiten Kapitel, welches in thematische Unterkapitel geordnet und chronologisch aufgebaut ist, werden daher die Texte, nach einer kleinen Erklärung zur Stichprobenwahl, formal untersucht. Indem Zeitpunkt der Veröffentlichung, Platzierung3 und der Anlass für die Retroperspektive, sowie die Art und Weise desErzählens,genauer beleuchtet werden. So wird bei Letzt genanntem ein besonderes Augenmerk auf inhaltliche Schwerpunkte, die Bezeichnung des Täters und sprachliche oder sonstige Auffälligkeiten in den Beiträgen gelegt. Im nachfolgenden dritten Kapitel wird eine zweite allgemein vergleichende Analyse aller Artikel stattfinden, die die Konjunkturen und Veränderungen ergründet.
Es gibt eine Bandbreite an Methoden, mit denen die Veränderungen von Texten über einen längeren Zeitraum hin ausgewertet werden können. Dazu zählt die qualitative und quantitative Inhaltsanalyse oder die sozialwissenschaftliche Hermeneutik. Ebenso weist die Sekundärliteratur zahlreiche Beispiele an ähnlichen empirischen Studien auf. Doch der Umfang dieser Arbeit zwang zur Annahme eines deutlich kleineren Untersuchungsrahmens. Deshalb beschränkt sich diese wissenschaftliche Abhandlung hauptsächlich darauf, die anfangs aufgeworfenen Forschungsfragen mittels reiner Textanalyse, nach obigen Gesichtspunkten, zu beantworten.
Wie es für die Tagespresse üblich ist, informierte sie, während der gesamten Dauer der Mordserie von Anfang Februar 1929 bis zum Abschluss der Gerichtsverhandlung Ende April 1931, die Öffentlichkeit über die neuesten Erkenntnisse. Allein das Deutsche Zei- tungsportal4 liefert an die 350 Zeitungsartikel, die sich in dieser Periode dezidiert mit der Thematik des „Vampirs von Düsseldorf“ beschäftigen. Für die vorliegende Arbeit wurden Artikel von Mai 1930, kurz nach der Verhaftung Peter Kürtens, ausgesucht, da dieser Zeitpunkt die meisten Treffer in der Datenbank aufweist.
Eine Palette an Retroperspektiven löste die tagesaktuelle Berichterstattung ab. Damit erfolgte eine erste grundlegende Veränderung des Charakters des Untersuchungsgegenstandes. Denn der bisherige Grund für die wiederkehrenden Nachrichten zu diesem Thema entfiel späterstens nach der Urteilsvollstreckung am 02. Juli 1931. Dennoch lassen sich mit einer andauernden Regelmäßigkeit bis heute Zeitungsberichte über den Düsseldorfer Massenmörder finden. Die Vorkommnisse um Peter Kürten begegnen uns in Form von kriminalistischen Fallreihen, kurzen Rückblicken, als Buchbesprechungen im Feuilleton Teil oder aus anderen Anlässen, wie beispielsweise einem Zeitzeugengespräch, heraus.
Die weiteren Zeitungsbeiträge der Stichprobe stammen aus den Jahren 1950, 1965, 1971, 1998, 2013, 2016 und 2021.5 Der Verfasser hat sich darum bemüht aus jedem untersuchten Jahrgang zwei Artikel zur Analyse heranzuziehen, um eine gewisse Repräsentativität zu erreichen.6
Beide Zeitungsberichte wurden in kurzen Abstand zueinander verfasst und bei beiden erfuhren die Reporte eine prominente, mittige und seiteneinnehmende Platzierung auf der dritten Seite. Der Beitrag im Jeverschen Wochenblatt wurde am 26. Mai 1930, zwei Tage nach der Verhaftung Peter Kürtens, publiziert. Er beschreibt, durch Unterüberschriften in Sinnabschnitte gegliedert, genauestens den Vorgang der Verhaftung und die dazugehörigen Hintergründe. Der zwei Tage später gedruckte Beitrag im Karlsruher Tagblatt, beschäftigt sich hauptsächlich mit den neuesten Erkenntnissen der polizeilichen Ermittlungen, die mit dem ersten Geständnis neuen Anstoß erfahren hatten. Wohingegen sich die Karlsruher Tagespresse einer nüchternen Sprache bediente und sich auf eine neutrale Schilderung der bekannten Tatsachen beschränkte. Hier wird Peter Kürten nur mit seinem Namen7 oder „Täter“, „Massenmörder“ angesprochen. Dies war zum Zeitpunkt der Erscheinung eine berechtigte Anrede, da ihm bereits mehrere Morde nachgewiesen waren. Weist der zweite untersuchte Artikel, zwar augenscheinlich auf den ersten Blick, ebenfalls eine objektive Bezeichnung Peter Kürtens auf. Es wird in unterschiedlichen Kombinationen von einem „mutmaßlichem (Massen-) Mörder“ oder „Verhafteten“ gesprochen. Aber es lassen sich immer wieder Bezeichnungen wie „Bestie“, „Scheusal in Menschengestalt“ oder „Unhold“ finden. Dies sind Wörter mit einer eindeutig negativen Konnotation und können als eine Verunglimpfung der Person Peter Kürtens gesehen werden. Es müsste verglichen werden, wie zu dieser Zeit in anderen Zeitungen über andere Gewalttäter berichtet wurde, um heraus finden zu können, ob eine solche Wortwahl der übliche Stil war. Auffällig ist, dass man keinen der später gängigen Titel, wie „Werwolf bzw. Vampir von Düsseldorf“, in den Texten von 1930 findet. Ebenso misst man genauere Details zu den Tathergängen. Diese wurden der Polizei mittels Geständnisses mitgeteilt, aber scheinbar nicht an die Öffentlichkeit weitergegeben. Allerdings werden die
Methoden der Polizei bei der Fallaufklärungen detailliert aufgeführt und die Mitarbeit der Zeugen und des Inhaftierten in beiden Berichten hervorgehoben. Von den Fehlern in der Polizeiarbeit während der Fahndung wird kaum bis gar nicht berichtet. Beim Karlsruher Tagblatt fand sogar eine Art von Opfer-Tadel8 statt, als dass die im Verborgenen gebliebenen Zeugen die späte Festsetzung des Mörders teilweise mitzuverschulden hätten.9
In den Ausgaben der Badischen Neuesten Nachrichten vom 23. Oktober 1950 und der FAZ vom 10. Juli 1971 war der Anlass für die retroperspektivische Betrachtung der Handlungen Peter Kürtens in der Tagespresse, die Eingliederung in Fallreihen. In diesen wurden die spektakulärsten Prozesse der Welt bzw. die bekanntesten deutschen Serienmörder der vergangenen Jahrzehnte zusammengefasst behandelt. Während die Fallreihe von 1950 jedem Verbrecher einen eigenen Auftritt widmete, sodass sie sich über mehrere Ausgaben der Tageszeitung erstreckte, ist Peter Kürten bei der FAZ Anfang der 1970er Jahre nur ein Teil einer Aufzählung verschiedener Gewaltverbrecher.10
Der Unterschied zeigt sich, visuell schnell ersichtlich, am Umfang und der Platzierung. Als Teil einer längeren Reihe widmet sich der Text der Badischen Neuesten Nachrichten ausführlich auf fast zwei Drittel der Seite 7 den Geschehnissen in Düsseldorf. Die Berichterstattung ist wiederum in Unterpunkte gliedert. Es wird dabei vermehrt auf das Wesen des Massenmörders eingegangen. So wird dem Leser beispielsweise durch das Zitieren einer Zeugin berichtet: „ Kürten war ein freundlicher Mann. Er hatte ja allerhand Mädchenbekanntschaften. Aber wenn er ein Kind auf der Straße sah, dann ging er nie vorüber, ohne ihm ein paar freundliche Worte gesagt zu haben.“11 Oder der*die Autor*in fasst gegen Ende schlicht Peter Kürtens Verhalten vor Gericht zusammen: „ Wie ein Kaufmann nach dem Konkurs ist er nur bestrebt, sachlich und nüchtern reinen Tisch zu ma- chen.“12 Mittels Zitaten beteiligter Personen, wie Zeug*innen, Ehefrau oder Richter wird hier erstmalig versucht die Distanz des Vergangenen zu überbrücken und den Lesern so die Geschichte näher zu bringen. Gleiches liest man an einer Stelle auch in der Kurzzusammenfassung von 1971, hier bekam der Abriss der Mordserie eine von vier Spalten der Aufmachung auf Seite 32, bei der das Geständnis Peter Kürtens seiner Frau gegenüber nachgezeichnet wird. Dieses Stillmittel findet sich in fast allen nachfolgenden Artikeln in unterschiedlichem Ausmaß wieder. Ebenso lässt sich in den Ausführungen der Tageszeitungen über Peter Kürten ab den 1950er Jahren die Verbreitung von Tatdetails nachweisen, die je nach thematischem Schwerpunkt geschickt in die Beiträge einarbeitet sind. So schildert die badische Tagespresse: „[.] unter verkohlten Tannenzweigen, die mit Petroleum übergossene Leiche [.], die er durch 13 Stiche getötet hat.“13
Die untersuchten Kriminalreihen berichten ausschließlich neutral über den Mörder. An einigen wenigen Stellen der Badischen Neuesten finden sich themenbezogene Anreden, wie beispielsweise: „der Angeklagte“. Als Titel und am Ende des Zeitungsartikels wurde die Bezeichnung „Werwolf von Düsseldorf“ verwendet, die allein hier verwendet wurde. Außerdem liest man weder in der eben genannten Zeitung noch in der FAZ ähnliche stark negativ konnotierte Wörter, wie im Bericht des Jeverschen Wochenblatts.14
Jubiläen beschäftigen uns Menschen seit jeher. Kein Wunder, dass dies der häufigste Kontext ist, in welchem Berichte über Peter Kürten gefunden wurden. Immer wieder stolpert man in den analysierten Zeitungsberichten über die Formulierung: „Heute vor . Jahren“.15 Eben damit beginnen ferner die kleinen Rückblicke der Süddeutschen Zeitung vom 24. Mai 1965 und 22. April 1971. Während sich im Mai 1965 die Verhaftung des Straftäters zum 35. Mal jährte, war es im April 1971 die Urteilsverkündung, die sich zum 40. Mal jubilierte. Beide Artikel weisen leicht verschiedene inhaltliche Schwerpunkte auf. Der Rückblick von 1971 handelt von der Verhaftung und der Verhandlung bzw. dem Urteil. Der aus dem Jahre 1965 gibt eine Übersicht über Vorgeschichte, Taten und Gesinnung des Verbrechers. Zu eigen ist ihnen eine gewisse Ähnlichkeit in der Sprache, die von einer identischen Autorenschaft herrühren könnte. So steht in Beiden das veraltete Wort „Sittlichkeitsverbrechen“. Ein Ausdruck, der in den folgenden Texten, nicht mehr zu finden ist. Interessant ist die jeweilige Bezeichnung Peter Kürtens. So las man 1965
„Massenmörder“, wohingegen im anderen Fall „Gewohnheitsverbrecher“ die gewählte Ausdrucksweise war. Beschreiben doch beide die gleiche Person, deuten aber aufgrund ihrer Konnotation auf unterschiedliche Stärkegrade von Verbrechen hin. Die Rückblicke haben eine ähnliche Platzierung gefunden, 1965 auf Seite 4 und 1971 auf Seite 7, umringt von überwiegend internationalen Meldungen.16
Die Erscheinung von Sachbüchern ist ebenfalls einer Rekapitulation der Straftaten Peter Kürtens wert. In der überregionalen Presse, FAZ und SZ, erschienen am 16. März 1998 und 4. April 1998 in den jeweiligen Rubriken „Neue Sachbücher“ und „Literatur“ zwei Buchbesprechungen zur Neuauflage eines Sachbuches von 1974 mit dem schmissigen Titel: „Peter Kürten, genannt der Vampir von Düsseldorf“. Dieser hat wahrscheinlich seinen Beitrag dazu geleistet, dass er heute der gängigste und passendste Beinamen Peter Kürtens ist, da er sowohl die Erscheinung - stets gepflegt, im Anzug gekleidet und nur nachts unterwegs - als auch seine Gier nach Blut miteinschließt.17
Der FAZ-Artikel versucht die Gesellschaft und sein Umfeld freizusprechen von vermeintlichen Einflüssen auf Peter Kürten, die die Gründe für die begangenen Verbrechen bilden könnten. Eher werden natürliche Veranlagungen in Form von psychischen und physischen Leiden und Erfahrungen mit Serienmördern aus den USA ins Feld geführt. Zusätzlich wird der Standpunkt vertreten, dass der Perspektivwechsel vom Täter hin zum Opfer bestenfalls „ gut gemeint “18 ist. Da sich auch heute noch aus dem Täter-Studium Antworten auf den richtigen Umgang mit solchen Individuen ergeben. Die SZ andererseits schlussfolgert, dass die damalige Gesellschaft vor der Verrohung ihrer Zeit versagte und Peter Kürten nach einer harten „[...] Kindheit und mehreren Zuchthausaufenthalten me- tamorphosier[en] [...]“19 ließ. Gleichsam wohne unserer heutigen Gesellschaft die „[...] systemimmanente Indolenz der sublimen und nicht ungefährlichen Art [..]“20 21 immer noch 21 inne.
[...]
1 Höbermann, Frauke: Der Gerichtsbericht in der Lokalzeitung. Theorie und Alltag, Baden-Baden 1989, S. 13.
2 Ab den 2000ern vor allem Online-Artikel.
3 Dies gilt vor allem für die Berichte der Printausgaben.
4 Das Deutsche Zeitungsportal stellt online eine Auswahl an historischen deutschsprachigen Zeitungsausgaben der Jahre 1671 bis 1952 zur Verfügung.
5 Für die zwölf Jahre des Nationalsozialismus konnten keine passenden Zeitungsartikel gefunden werden.
6 Dies konnte für alle Jahre außer 1950, 1965 und 2013 erreicht werden.
7 Peter Kürten wird in allen analysierten Zeitungsartikeln mit seinem Namen angesprochen, da dies jedoch nicht untersuchungsrelevant ist, wurde dieser Umstand hiermit exemplarisch einmal mit aufgeführt und wird im weiteren Verlauf der vorliegenden Hausarbeit nicht weiter thematisiert. Ebenso die Bezeichnung mit dem Personalpronomen „er“, da dies eine der gängigsten Personenumschreibungen ist. Sollte ein Artikel ausschließlich diese beiden Anreden gebrachen, fällt dieser Untersuchungsaspekt für das betreffende Unterkapitel weg.
8 Im Englischen: „vicitm blaiming“.
9 Vgl. Der Düsseldorfer Massenmörder verhaftet. In Düsseldorf, in: Jeversches Wochenblatt (1930), Nr. 122, S. 3; Neue Feststellungen in der Mordsache Kürten. Die Zahl der Opfer bisher größer als bekannt, in: Karlsruher Tagblatt (1930), Nr. 147, S. 3.
10 Vgl. Der Werwolf von Düsseldorf. Die Geschichte des Massenmörders Peter Kürten, in: Badische Neueste Nachrichten (1950), Nr. 214, S. 7; Massenmörder der letzten fünfzig Jahre. Großmann, Haarmann, Kürten, Seefeldt, Pleil, Pommerenke, Bartsch..., in: Frankfurter Allgemeine (1971), Nr. 156, S. 32.
11 Werwolf von Düsseldorf, S.7.
12 Ebd., S.7.
13 Ebd., S. 7.
14 Vgl. Ebd., S. 7; Massenmörder der letzten fünfzig Jahre, S. 32.
15 Weitere Ausführung dazu erfolgt in Kapitel 3.
16 Vgl. Rückblick, in: Süddeutsche Zeitung (1965), Nr. 123, S.4; Rückblick, in: Süddeutsche Zeitung (1971), Nr. 96, S. 7.
17 Ob dies auch der Ursprung des Beinamens ist, konnte nicht geklärt werden.
18 Es war die Natur und nicht die Gesellschaft. Der Täter im Wortlaut: Die Furien des Serienkillers Peter Kürten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (1998), Nr. 63, S. 15.
19 Semper Sanitas. Medienkult um Massenmord: der Vampir von Düsseldorf, in: Süddeutsche Zeitung (1998), Nr. 79, S. V.
20 Ebd., S. V.
21 Vgl. Ebd., S. V; Der Täter im Wortlaut, S. 15.