Zwischen den realen Serienkiller und sein mediales Spiegelbild schieben sich bereits seit den ersten Zeitungsberichten zum Thema Ansätze der Verfälschung, die oft durch gesellschaftliche Normen und Schaulust (im weitesten Sinne) geprägt sind. Die folgenden Filmbeispiele berufen sich oft bereits im Vorspann auf die Authentizität der gezeigten Geschichten, entweder als „based upon a true story“ oder „inspired by…“. Die als real ausgewiesenen Fakten verleihen dem Gezeigten eine gewisse Unangreifbarkeit und Nobilitierung. Der Film bedient damit die gleiche Sensationslust, die zuvor von Zeitungen und durch das Fernsehen gedeckt wurde. Wie in vielen pseudowissenschaftlich-unterhaltenden Büchern, von Mark Seltzer „evil kitch“ genannt, geht es dem Serienkillerfilm darum, aus dem Stoff der Kriminaldelikte eine spannende Geschichte zu machen, die sich in ihrer Verfremdung, Stilisierung und oft auch Simplifizierung der Geschehnisse weiter vorwagen kann als andere Medien. Ohne einen peniblen Abgleich zwischen belegten Fakten über Serienmorde und eindeutigen künstlerischen Freiheiten innerhalb der Filme anzustellen, bietet es sich stellenweise an, zwischen filmischen Entwürfen und nicht-filmischen Dokumenten (Buchaufsätzen) Parallelen zu ziehen beziehungsweise Unterschiede aufzuzeigen.
Was die Verbindung von Killer und Gesellschaft bedeutet, wenn es um die Visualisierung von sexualisierten Gewalttaten geht, lässt sich besonders deutlich an den eben geschilderten Außenseiterpositionen festmachen, denn Serienkillerfilme „gestatten es, die gesamten Auswüchse gesellschaftlicher Brutalität auf ein exotisches, 'unmenschliches' Monster abzuschieben und tragen als Projektionsfeld zur kollektiven Stabilisierung der Gesellschaft bei.” Sie rütteln die Gesellschaft also auf und bestätigen gleichzeitig deren Ängste. Wieso jedoch ist es möglich, dass manche Killer wie Hannibal Lecter geradezu einen Kultstatus erreichen, während andere wie „Buffalo Bill“ in ihrer Funktion als abschreckende Beispiele verweilen? Inwieweit ist die (moralische) Wertung der Killerfigur abhängig von ihrer Sexualität? Diesen und anderen Fragen soll im Weiteren nachgegangen werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Thematische Einleitung
1.1 Eingrenzung und Filmauswahl
1.2 Allgemeine Bemerkungen zur Darstellung des Serienkillers
2. Homosexualität im Serienkillerfilm
2.1 Die Geschichte des „schwulen Monsters“
2.2 Dahmer
2.2.1 Jeffrey Dahmer in Realität und Film
2.2.2 Dahmer und Rodney
2.2.3 Die Rückblenden
2.2.4 Jeffrey Dahmer: The Secret Life
2.3 All-American, Homosexual Serial Killers
2.3.1 Gacy
2.3.2 Henry: Portrait of a Serial Killer
2.4 Fazit zum homosexuellen Serienkiller
3. Die lesbische Killerin
3.1 Mordende Frauen im Film
3.2 Monster
3.2.1 Mordinszenierungen
3.2.2 Die Erotik von Monster im Vergleich zu Boys Don't Cry
3.3 Abschließende Betrachtung zur lesbischen Killerin
4. Der Serienkiller in Frauenkleidern
4.1 Transvestit oder Transsexueller?
4.2 The Silence of the Lambs
4.2.1 Die Figur des Jame Gumb in The Silence of the Lambs
4.2.2 Psycho als Vorlauf zu The Silence of the Lambs
4.3 Andere Entwürfe von Travestie und Gewalt
4.4 Abschlussbemerkung zur gewalttätigen Transsexualität
5. Hyper-Heterosexualität im Serienkillerfilm
5.1 Ted Bundy
5.1.1 Die Figur des Ted Bundy
5.1.2 Mord und Sex in Ted Bundy
5.1.3 Das innerfilmische Fazit
5.2 American Psycho
5.3 Das heterosexuelle Killerpärchen in Natural Born Killers
5.4 Fazit zuper-Heterosexualität
6. Abschließendes Fazit
6.1 Summer of Sam
6.2 Schlussbemerkung
7. Bibliografie der benutzten Literatur
7.1 Filmwissenschaftliche Literatur
7.2 Ergänzende Literatur zu den Themen Sexualität und Serienkiller
7.3 Quellenliteratur
7.4 Zeitungen, Zeitschriften
7.5 Online-Quellen (dem Anhang angefügt)
8. Filmografie
8.1 Schlüsselbeispiele
8.2 Die Analyse ergänzende Filme
8.3 Weitere Spielfilme
8.4 Serien
8.5 Dokumentarfilm
1. Thematische Einleitung
1.1 Eingrenzung und Filmauswahl
Um den Rahmen dieser Magisterarbeit festzulegen, erfolgt zunächst eine kurze Eingrenzung des Themas. Da nur filmisch umgesetzte Sexualität Gegenstand dieser Analyse ist, versucht die Arbeit nicht, allgemeine Fragen in Bezug darauf zu beantwortet, wie sich verschiedene sexuelle Orientierungen definieren und ob Sexualität mehr durch kulturelle oder biologische Bedingungen geprägt wird. Auch werden keine moralischen Wertungen erfolgen, selbst wenn sich gewisse subjektive Stellungnahmen nicht vermeiden lassen.
Die Filmauswahl zum Thema erfolgte unter verschiedenen Gesichtspunkten. Eine Konzentration auf Filme, deren Drehbücher sich auf wahre Kriminalfälle beziehen, wurde angestrebt. Diese Eingrenzung wurde aber nicht ganz eingehalten, da sonst wichtige Vergleichsfilme mit oft prägendem Charakter für das ganze Subgenre keine Berücksichtigung gefunden hätten (Seven, USA 1995, R: David Fincher; American Psycho, USA 2000, R: Mary Harron usw.).
Eine Definition des Serienkillerfilms als Subgenre wirft zunächst die Frage auf, zu welchem Genre sich dieses Subgenre rechnen lässt. Die Vielfältigkeit des Stoffs zeigt sich durch zahlreiche Überschneidungen, die sich sowohl mit dem Horrorfilm wie auch mit dem (Psycho-)Thriller und Kriminalfilm[1] finden lassen. Filmwissenschaftliche Eingrenzungen engen leider oft den Fokus der Betrachtung ein. So stellt zum Beispiel für Inga Golde der Verzicht auf fantastische oder übernatürliche Elemente ein wesentliches Kriterium dar, um den Psychothriller von anderen (Sub-)Genres abzugrenzen[2], was einen Film wie The Cell (USA 2000, R: Tarsmen Signh) mit seiner surrealistischen Bildsprache ausschließen würde. Da es viele weitere theoretische Ansatzpunkte gibt, sollen keine genauen Charakteristika eines Serienkillerfilms festgemacht werden, sondern wird lediglich eine Begriffsdefinition erfolgen.
Theoretisch kommt für eine Besprechung jeder Film in Frage, der die Figur eines Serienkillers in das Geschehen der Handlung einbindet. Der kriminalistische Terminus „Serienmörder“/ “serial killer“ - im festen Sprachgebrauch seit Ende der 1970er Jahre – betrifft jeden Täter einer Mordserie mit mindestens drei Toten, bei der Mörder und Opfer sich vor der Tat nicht kannten und die Morde an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten geschahen.[3] Diese Arbeit orientiert sich in erster Linie daran, ob der Serienmörder im Filmgeschehen auch als solcher gekennzeichnet wird. Goldes Arbeit macht deutlich, dass es an vielen Stellen sinnvoll wird, andere Filme zum Vergleich hinzuzuziehen, die nicht von ausgewiesenen Serienkillern sondern auch von Psychopathen und Mördern handeln (zum Beispiel Single White Female, USA 1992, R: Barbet Schroeder). Die jeweilige Filmauswahl der Kapitel zur (männlichen und weiblichen) Homosexualität, Transsexualität und zur Hyper-Heterosexualität des Serienkillers wird an entsprechender Stelle begründet.
Nicht einbezogen wurde der große Komplex der Slasher-Filme (Friday 13th, USA 1980, R: Sean S. Cunningham; Halloween, USA 1978, R: John Carpenter , etc.), da dort die interessanteren Figuren für eine Analyse eher die Opfer darstellen, wie Carol J. Clover mit ihrer These zum Identifikationspotential des final girls verdeutlicht hat.[4]
Die folgende Analyse konzentriert sich auf den amerikanischen Serienkillerfilm. Sicherlich bieten europäische Entwürfe wie Der Totmacher (D 1995, R: Romuald Karmakar) oder Peeping Tom (GB 1960, R: Michael Powell) wichtige Ansatzpunkte für eine breitere Auseinandersetzung mit dem Thema. In dieser Arbeit tauchen sie allerdings nur als indirekte Anregungen auf und werden nicht explizit als Forschungsgrundlage verstanden. Dies soll weder den Eindruck erwecken, der Serienkiller sei nur ein amerikanisches Phänomen, noch soll impliziert werden, dass sich nicht auch im europäischen Film homophobe Darstellungsweisen finden lassen (so zum Beispiel die Inszenierung der Schwulen-Szene in Irreversible, F 2002, R: Gaspar Noe).
Viele der hier besprochenen Filme sind bereits Thema von zahlreichen Diskussionen gewesen - vor allem Hollywoodproduktionen wie The Silence of the Lambs (USA 1991, R: Jonathan Demme) - und sollen daher nicht noch einmal in ihrer Gänze analysiert werden. Ein besonderes Gewicht liegt auf aktuellen Independent- und Low-Budget-Filmen, da es in diesen Fällen möglich scheint, eigenständige Ansätze zu formulieren.
Wie bereits im Vorwort erwähnt, gründet die gesamte Auseinandersetzung auf die Analyse der Konstruktion von Homosexualität im Film Dahmer. Darauf aufbauend sollen in den darauf folgenden Abschnitten die sexuellen Konzepte von Monster (USA 2003, R: Patty Jenkins), The Silence of the Lambs und Ted Bundy (USA 2002, R: Matthew Bright) abgeglichen werden. Hinzugenommen werden verschiedene wichtige Vergleichsbeispiele (Jeffrey Dahmer: The Secret Life, USA 1993, R: Rick Bowen; Gacy, USA 2003, R: Clive Saunders; Henry: Portrait of a Serial Killer, USA 1986, R: John McNaughton; Boys Don't Cry, USA 1999, R: Kimberly Pierce; Psycho, USA 1960, R: Alfred Hitchcock; Dressed to Kill, USA 1980, R: Brian De Palma; American Psycho; Natural Born Killers, USA 1994, R: Oliver Stone; und Summer of Sam, USA 1999, R: Spike Lee). Da diese Filme in einer Gegenüberstellung mit Dahmer besprochen werden und seine besondere Stellung illustrieren, wurde nicht jeder Abschnitt hinsichtlich Umfang und verwendetem Filmmaterial gleich behandelt.
1.2 Allgemeine Bemerkungen zur Darstellung des Serienkillers
Das heutige Sexungeheuer hat viele Gesichter, die alle in unserer Kultur erkennbar sind: der Sadesche Wüstling, Mister Hyde, der Gruselroman-Schurke, das Monstrum, der Bucklige; oder auf der anderen Seite der gesellschaftlich/geistig Abartige; der Besessene, der Psychopath, der existentielle Rebell.[5]
Zwischen den realen Serienkiller und sein mediales Spiegelbild schieben sich bereits seit den ersten Zeitungsberichten zum Thema Ansätze der Verfälschung, die oft durch gesellschaftliche Normen und Schaulust (im weitesten Sinne) geprägt sind. Die medialen Beliebigkeiten in der Konstruktion einer Serienkillerfigur, die ganz ähnlich wie die Konstruktion von Geschlecht nach Judith Bulter verlaufen, führt Natural Born Killers exemplarisch vor. Das Medium Film nimmt wie TV-Berichte folgenden Aspekt auf: „[S]erial murder is bound up through and through with a drive to make sex and violence visible in public.“[6]
Die folgenden Filmbeispiele berufen sich oft bereits im Vorspann auf die Authentizität der gezeigten Geschichten, entweder als „based upon a true story“ oder „inspired by…“. Die als real ausgewiesenen Fakten verleihen dem Gezeigten eine gewisse Unangreifbarkeit und Nobilitierung. Der Film bedient damit die gleiche Sensationslust, die zuvor von Zeitungen und durch das Fernsehen gedeckt wurde. Wie in vielen pseudowissenschaftlich-unterhaltenden Büchern, von Mark Seltzer „evil kitch“[7] genannt, geht es dem Serienkillerfilm darum, aus dem Stoff der Kriminaldelikte eine spannende Geschichte zu machen, die sich in ihrer Verfremdung, Stilisierung und oft auch Simplifizierung der Geschehnisse weiter vorwagen kann als andere Medien. Ohne einen peniblen Abgleich zwischen belegten Fakten über Serienmorde und eindeutigen künstlerischen Freiheiten innerhalb der Filme anzustellen, bietet es sich stellenweise an, zwischen filmischen Entwürfen und nicht-filmischen Dokumenten (Buchaufsätzen) Parallelen zu ziehen beziehungsweise Unterschiede aufzuzeigen. Dies soll später im Rahmen der Besprechung von Dahmer am eingehendsten geschehen.
Die Übergänge von Realität und Fiktion werden im verwendeten Vokabular offensichtlich. Eine verständliche und für den Rezipienten akzeptable Darstellungsweise hat ihre Wurzeln zum Teil in jahrhundertealten kulturellen Traditionen und Diskursen. Besonders einflussreich in diesem Zusammenhang ist sicherlich die gothic culture, denn
[…] deren Bildsprache hat sich nachträglich als Quelle für jene Filmgenres entpuppt, die sich dem Anderen, dem Unheimlichen, dem Chimärenhaften zuwenden, egal ob es sich dabei um Vampir- oder Dämonenfilme handelt, um Film noir oder um psychologische Thriller.[8]
Demgemäß wird nicht umsonst wiederholt in Film und Forschungsliteratur die Figur des Vampirs in Analogie zum Serienkiller betrachtet (beispielhaft in Martin, USA 1977, R: George A. Romero), vorausgesetzt der Vampir wird „als Widergänger, der sich gottgleich wähnt, weil er den Tod bringt und aufhebt [und als] Metamorphose des perversen Sexualneurotikers in einen Blut- und Sexbesessenen“[9] gesehen. In der finalen Logik muss der Vampir/Serienkiller zerstört werden; für das Halbwesen, das er darstellt, wenn ihn die Bilder als (nahezu) übermenschliche Figur inszenieren, scheint es keine Heilung zu geben. Doch ungleich dem Vampir, als Projektion sozialer Ängste, steht der Serienkiller nicht außerhalb der Gesellschaft, denn diese hat ihn indirekt (und real) erst hervorgebracht.
Was diese Verbindung von Killer und Gesellschaft bedeutet, wenn es um die Visualisierung von sexualisierten Gewalttaten geht, lässt sich besonders deutlich an den eben geschilderten Außenseiterpositionen festmachen, denn Serienkillerfilme „gestatten es, die gesamten Auswüchse gesellschaftlicher Brutalität auf ein exotisches, 'unmenschliches' Monster abzuschieben und tragen als Projektionsfeld zur kollektiven Stabilisierung der Gesellschaft bei.”[10] Sie rütteln die Gesellschaft also auf und bestätigen gleichzeitig deren Ängste. Wieso jedoch ist es möglich, dass manche Killer wie Hannibal Lecter geradezu einen Kultstatus erreichen, während andere wie „Buffalo Bill“ in ihrer Funktion als abschreckende Beispiele verweilen? Inwieweit ist die (moralische) Wertung der Killerfigur abhängig von ihrer Sexualität? Diesen und anderen Fragen soll im Weiteren nachgegangen werden.
2. Homosexualität im Serienkillerfilm
Auch wenn ein deutscher Facharzt und Medizinjournalist wie Reiner Gödtel feststellt: „Gewalt ist immer der Feind von Sexualität und Zärtlichkeit.“[11], scheinen eben diese Pole, Gewalt und Intimität, ihren gemeinsamen filmischen Ausdruck in einer Sexualität gefunden zu haben, der oftmals jedwede zärtlichen Gefühle abgesprochen werden. Homosexualität, wie sie in den folgenden Filmen inszeniert wird, orientiert sich weniger an den Vorgaben von Bildwelten schwuler Künstler und Undergroundfilmer - von Kenneth Anger bis zu Andy Warhol –, von denen scheinbar keine Notiz genommen wird. Weder ironische, hyper-maskuline Sexobjekte wie die des Künstlers Tom of Finland, noch die kitschigen Welten der Fotografen Pierre & Gilles[12] (beide Momente werden unter anderem vereint in Rainer Werner Fassbinders Querelle, D/F 1982) scheinen in Betracht gezogen zu werden, wenn es um die Darstellung von Homosexuellen im durchschnittlichen amerikanischen Film geht. Dies könnte daran liegen, dass dort traditionellerweise Homosexualität höchstens sekundär mit einem wirklichen Gefühl von Liebe verbunden wird. Einigen allgemeinen Bemerkungen zur Inszenierung von Homosexualität in Hollywoodfilmen folgt in diesem Kapitel eine Tiefenanalyse der behandelten Filme.
2.1 Die Geschichte des „schwulen Monsters“
Die Figur des homosexuellen Serienkillers lässt sich nur durch das Verständnis ihrer filmhistorischen Vorgänger entschlüsseln. Diese Geschichte beschreibt Harry M. Benshoff ausführlich in Monsters in the Closet – Homosexuality and the Horror Film[13], weshalb sie nicht mehr komplett aufgeführt werden soll. Wichtig ist vor allem seine These, dass die Darstellung von Film-Monstern Analogien zum Verhältnis der Gesellschaft zu Homosexuellen aufweist, wobei sich ähnliche Modelle in der Darstellungsweise finden ließen. Benshoff schreibt: „Both movie monsters and homosexuals have existed chiefly in shadowy closets, and when they do emerge from these proscribed places into the sunlit world, they cause panic and fear. [...] Monster is to 'normality' as homosexuality to heterosexuality.”[14] Und er fährt fort:
Certain sectors of the population still relate homosexuality to bestiality, incest, necrophilia, sadomasochism, etc. – the very stuff of classical Hollywood monster movies. The concept “monster” and “homosexual” share many of the same semantic charges and arouse many of the same fears about sex and death.[15]
Wichtig für die Entwicklung des Serienkillerfilms wird die Phase in den 1960er und 1970er Jahren, in der sich im amerikanischen Film eine Verschiebung vom klassischen Horrormonster zu real begründeten Figuren und Kontexten vollzieht.
Films such as The Boston Strangler [USA 1968, R: Richard Fleischer] demonstrated that “real-life” psychosexual deviants were far more terrifying and posed a much more “real” threat to society than did mad scientists or teenage werewolves.[16]
Nach 1970 wird im Zuge der Zensurlockerungen und der offensiveren Darstellung von Gewalt, Sexualität und Perversitäten, nun auch Homosexualität deutlicher thematisiert. Besonders bedrohlich scheint daraufhin der Aspekt des „Verborgenseins“ innerhalb der Gesellschaft zu werden. Das Monster, der Serienkiller, der Schwule - sie alle leben mitten unter denen, die sie fürchten und eben diese Furcht in filmischen Schreckensvisionen immer wieder heraufbeschwören, was in der Inszenierung je nach Jahrzehnt variiert.
Der Serienkillerfilm, wie generell der Psychothriller und Horrorfilm, zeigt sich bis heute zurückhaltend bezüglich der direkten Darstellung von Intimität zwischen schwulen Männern. Dort ersetzen weiterhin offene Gewalt und/oder tragische Schicksalsschläge die offen ausgelebte Sexualität. Auch melodramatische und komödiantische Hollywoodfilme verzichten auf den visuell expliziten „Beweis“ der homosexuellen Neigung eines Charakters. Äußerlichkeiten, Lebensstil und Partnerschaft scheinen zu genügen, um die Figuren als homosexuell zu charakterisieren.
Da sich Sexualität als Diskurs (gerade im Film) auf außergewöhnliche und daher interessante Aspekte konzentriert[17], wird auch der Schwule als „besonders“ und nicht objektiv inszeniert. Diese Inszenierung fällt allerdings häufig negativ aus, denn wenige Hollywoodfilme wollen Homosexualität als „normal“ in den Erzählfluss eingliedern; gängiger ist ihre Thematisierung innerhalb eines Konfliktes, wie die folgenden Filmbeispiele zeigen. Oft schwingen dabei Ängste vor einer Bedrohung wie AIDS oder vor einer Verführung zur Homosexualität mit, die sich zum Teil ganz ähnlich ausdrücken, wie generelle Phobien vor dem Anderen, sei es in Gestalt von Kommunisten, Farbigen oder Ausländern. Im Gegensatz dazu transportiert ein Film wie Philadelphia (USA 1993, R: Jonathan Demme) ein gewisses Maß an Sympathie gegenüber dem an AIDS erkrankten Schwulen. Bezeichnenderweise jedoch infizierte sich Andrew (Tom Hanks) bei einem anonymen Seitensprung in einem Pornokino. Seine Beziehung mit Miguel hingegen ist nicht gekennzeichnet durch sexuelle Intimität, sondern viel mehr durch mitfühlende, partnerschaftliche Gefühle.
[...]
[1] Knut Hickethier sieht den Serienkillerfilm als eine Variante des Gangsterfilms, der wiederum ein Subgenre des Kriminalfilms darstelle. Vgl. Hickethier, Knut (Hg.): Filmgenres - Kriminalfilm, Stuttgart 2005, S. 20.
[2] Vgl. Golde, Inga: Der Blick in den Psychopathen – Struktur und Wandel im Hollywood-Psychopathenthriller, Kiel 2002, S. 19.
[3] Vgl. Murakami, Peter und Julia: Lexikon der Serienmörder – 450 Fallstudien einer pathologischen Tötungsart, München 2001, S. 13-14.
[4] Vgl. Clover, Carol J.: Her Body, Himself: Gender in the Slasher Film, In: Prince, Stephen (Hg.): Screening Violence, New Jersey 2000, S. 125-174.
[5] Cameron, Deborah/ Frazer, Elizabeth: Lust am Töten – Eine feministische Analyse von Sexualmorden, Berlin 1990, S. 72.
[6] Seltzer, Mark: The Serial Killer as a Type of Person, In: Gelder, Ken (Hg.): The Horror Reader, London 2000, S. 97-107, S. 97.
[7] Seltzer: The Serial Killer as a Type of Person, London 2000, S. 99.
[8] Bronfen, Elisabeth: Wenn es dunkel wird – Die Nacht als Endeckungsort des Anderen im Kino bei Martin Scorsese, In: Rüffert, Christine/ Schenk, Irmbert/ Schmid, Karl-Heinz/ Tews, Alfred/ Bremer Symposium zum Film (Hg.): Unheimlich anders – Doppelgänger, Monster, Schattenwesen im Kino, Berlin 2005, S. 129-140, S. 130.
[9] Kühn, Heike: Blut – ein ganz besonderer Saft: Über Vampire und das Kino, In: Rüffert/Schenk/Schmid/Tews: Unheimlich anders, Berlin 2005, S. 25-38, S. 26-27.
[10] Schwab, Angelica: Serienkiller in Wirklichkeit und Film – Störenfried oder Stabilisator? Eine sozioästethische Untersuchung, Hamburg 2001, S. 74.
[11] Gödtel: Sexualität und Gewalt, Hamburg 1992, S. 286.
[12] Vgl. Néret, Gilles: Homo Art, Köln 2004.
[13] Benshoff: Monsters in the Closet, Manchester 1997, S. 2.
[14] Benshoff: Monsters in the Closet, Manchester 1997, S. 3.
[15] Ebenda.
[16] Ebenda, S. 176.
[17] Vgl. unter anderem Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen, Sexualität und Wahrheit Band 1, Frankfurt am Main 1994.