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Seminararbeit, 2022
44 Seiten, Note: 1,0
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Ein Definitionsversuch von Systemischer Beratung
3. Angewandte Methodik im Beratungsgespräch
3.1 Visualisierung in Form eines Ressourcenbaumes
3.2 Stärken-Schatzkiste
4. Das Beratungsgespräch
4.1 Kontext des Gespräches
4.2 Beschreibung der Klientin
4.3 Analyse und Reflexion des Beratungsgespräches
4.3.1 Beziehungsaufbau
4.3.2 Zielformulierung
4.3.3 Finden einer Bearbeitungs- und Lösungsebene
4.3.4 Impulse geben
4.3.5 Gesprächsabschluss
5. Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
Einwilligungserklärung
Legende des Genogramms
Transkription des Beratungsgespräches
Ressourcenbaum der Klientin
Abbildung 1: Stärken-Schatzkiste für Therapie und Beratung (Quelle: Scholz, 2018)
Abbildung 2: Genogramm der Klientin (Quelle: Autorin)
Abbildung 3: Ausgewählte Karten aus der Stärken-Schatzkiste (entnommen aus: Scholz, 2018)
Menschen, die sich gut fühlen und in der Lage sind aufkommende Problemsituationen selbstständig zu lösen, würden wohl keine professionelle Beratung in Betracht ziehen. Wenn ein Mensch jedoch solche Situationen nicht mehr eigenständig bewältigen kann, er sich in einer Krise befindet, wenn sein Leben weiterhin stressig und anstrengend ist, kann eine Beratung einem oder mehreren Betroffenen Linderung verschaffen. Dabei muss es sich nicht um eine einzelne Person handeln, es zählen auch Partnerschaften, Familien oder andere Personengruppen darunter. Beratung ist in vielen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen ein essenzielles Mittel zur Hilfe in Problemsituationen, doch insbesondere im Berufsfeld der Sozialen Arbeit ermöglicht sie ein lösungs- und ressourcenorientiertes Arbeiten mit Menschen.
Aus diesem Grund erhalten Studierende der Dualen Hochschule Gera-Eisenach eine umfassende Ausbildung hinsichtlich professioneller Beratung im sozialen Kontext. Ziel ist die Studierenden zu befähigen, zielgerichtete Beratungen zu initiieren und durchzuführen, die sich an den Ressourcen der Klienten orientiert. Analyse und Reflexion sind dabei äußerst relevante Instrumente bei der Einschätzung der eigenen Beraterfähigkeiten und -kompetenzen. Sie dienen ebenso der Sensibilisierung der eigenen Fehler und Erfahrungen.
Die vorliegende Arbeit dient dem Zweck die eigene Beratertätigkeit einzuschätzen. Im Rahmen dessen erfolgt die Durchführung eines Beratungsgespräches mit einem Klienten durch die eigene Person. Anhand dieses Gespräches werden die individuellen Beraterkompetenzen analysiert und reflektiert. Im Voraus werde ich versuchen den Begriff der systemischen Beratung zu bestimmen. Die Bestimmung dieser dient dem Zweck, im Vorfeld ein einheitliches Grundverständnis zu schaffen sowie dem Ausschließen von Unklarheiten. Innerhalb des systemischen Beratungsfeldes gibt es zahlreiche Methoden, die praktiziert werden. Da die Nutzung aller verfügbaren Methoden den Rahmen einer Sitzung überschreiten würde und ebenso unangemessen wäre, beschreibe ich innerhalb der vorliegenden Arbeit, lediglich die von mir genutzten. Es handelt sich dabei, um die der Visualisierung und den Einsatz einer Stärken-Schatzkiste. Anschließend wird der Beratungsprozess beschrieben, wobei sowohl auf den Kontext des Gespräches als auch auf den Klienten selbst eingegangen wird. Der Fokus liegt allerdings auf der Analyse und der Reflexion des geführten Beratungsgespräches. In diesem Kontext gliederte ich das Gespräch in fünf Phasen. Die erste Phase unterliegt dem Aufbau der Beziehung zu dem Klienten. Darauf folgt die Formulierung der Zieldefinition, welche am Ende der Beratung erreicht werden sollte. Um dies zu erfüllen, wird in der folgenden Phase eine Lösungs- und Bearbeitungsebene erforscht. Als nächstes müssen dem Klienten Impulse gegeben werden, die zur Lösung des Problems beitragen können und gemeinsam mit dem Berater, durch unterschiedliche Fragestellungen, erarbeitet werden. Die letzte, und ebenso relevante, Phase bildet der Abschluss des Gespräches.
Weiterhin möchte ich anmerken, dass ich im Hinblick auf personenbezogene Begriffe versuchte geschlechtsneutrale Bezeichnungen zu verwenden. Sollten dennoch Ausdrücke vorhanden sein, die sich nur auf ein Geschlecht beziehen, bitte ich dies zu entschuldigen. Die Ausdrücke sind in keinem Fall diskriminierend zu verstehen. Die personenbezogenen Begrifflichkeiten sollen stets alle Geschlechter ansprechen.
Beratung beschreibt einen interaktiven Prozess zwischen einem oder mehreren Anfragenden und dem Beratenden. Ziele dabei sind Informationen sowie Kompetenzen zur Problembewältigung zu vermitteln und dadurch Entscheidungshilfen anzubieten (vgl. Schwarzer/Posse, 1993, S.634). Die Gestaltung des Beratungssystems muss so erfolgen, dass durch die Interaktion zwischen dem Berater und dem Klienten intrapsychische Prozesse, Kommunikationsmuster und veränderte Wirklichkeitskonstruktionen entstehen können (vgl. Barthelmess, M., 2014, S.115).
Die Grundprinzipien sind unter anderem die Prozessgedanken, wobei es darum geht dem Klienten durch den Beratungsprozess Unterstützung anzubieten. Ziel dabei ist, dass der Klient dazu befähigt wird, seine Anliegen selbstständig bewältigen zu können. Der Berater nimmt währenddessen eine begleitende Rolle im Prozess der Lösungsfindung ein. „Veränderungen werden als ständige Herausforderungen gesehen, die die Persönlichkeit, die Lebenssituation und die persönlichen Interessen des Ratsuchenden betreffen. Die Entwicklung neuer Ziele und Verhaltensweisen erfolgt im Einklang mit bestehenden Handlungsstrategien“ (Brüggemann, H./Ehret, K./Klütmann, C., 2016, S. 45).
Die Grundhaltung eines Beraters sollte Neugier, Wertschätzung und Offenheit für die Wirklichkeit des Klienten aufzeigen. Er ist Außenstehender für die Problemsituation und regt zu vielfältigen Sichtweisen an. Aus systemischer Sicht sollte stets bedacht werden, dass eine Problemsituation ein Hinweis auf ein Ungleichgewicht im System ist. Diese Disparität erzeugt einen Leidensdruck und ein Unwohlsein, was bei dem Adressaten den Wunsch nach Veränderung erweckt. Durch die oftmals unerwartete und ungewohnte Art und Weise der Intervention eines Beraters, verändert er die Sicht des Klienten auf die gegenwärtige Situation. Demgemäß kann er dem zu Beratenden die ihm schon vorhandenen Alternativen zur Lösung zugänglich machen. Die Haltung eines systemischen Beraters ist dadurch geprägt, dass allein der Klient weiß, was gut für ihn ist. Dieser gibt ihm keine expliziten Ratschläge, sondern bringt den Klienten und das System, welches seine Problemlage verursacht, in Bewegung. (vgl. insgesamt Brüggemann, H./Ehret, K./Klütmann, C., 2016, S. 46)
Zuvor wurden zahlreiche Materialien gesammelt mit der Intension einige davon im Beratungsprozess zu nutzen. Den Großteil der Materialien lieh ich mir von einer Kollegin, die eine Ausbildung zur systemischen Therapeutin absolvierte, ansonsten ließ ich eigener Kreativität genügend Raum und bastelte Einzelnes. Die Auswahl erfolgte intuitiv im Gespräch, da die Thematik und das exakte Ziel während des Prozesses seitens der Klientin formuliert wurden. Die zwei Methoden, die währenddessen hauptsächlich Anwendung fanden, werden im Folgenden beleuchtet.
In einer Visualisierung hält der Berater das Anliegen als Momentaufnahme fest. Dadurch schafft er Transparenz, in dem er die Zusammenhänge der problematischen Situation übersichtlich darstellt und erarbeitet dementsprechend eine erfassbare Ausgangslage für die Beratung. Dem Klienten obliegt die Formulierung seines ein individuelles Anliegen, welches mithilfe eines Genogramms oder einer Skizze bearbeitet werden kann. Gegenstände oder Personen, die an dem Anliegen beteiligt sind, werden auf Papier oder einer Tafel aufgezeichnet und deren Beziehung gegebenenfalls visuell mit Pfeilen oder Symbolen dargestellt. Informationen über Unternehmen und Institutionen werden durch Organigramme erfasst und die zu Familien in Genogrammen. Die Visualisierung hilft einerseits dem Klienten, ermöglicht jedoch auch dem Berater eine schnelle Orientierung und dient zur Sicherstellung einer gemeinsamen Gesprächsgrundlage. (vgl. insgesamt Brüggemann, H./Ehret, K./Klütmann, C., 2016, S. 151 f.)
Innerhalb des von meiner Person geführten Beratungsgespräch diente die Visualisierung dem Aufzeigen von Ressourcen gegenüber der Klientin. Dafür wählte sie selbst drei Verwandte und skizzierte somit ein stark vereinfachtes Genogramm, welche auf einem, aus Papier gebastelten, Baum festgehalten wurden (vgl. Anhang 4). Zusätzlich wurde jenes manifestiert, was sie benötigt, um ihr Ziel zu erreichen. Dabei wurde ebenso auf das eingegangen, was sie bereits dafür unternimmt.
Die Stärkenschatzkiste bietet Fragen und Impulse zur Stärkung des Selbstwertgefühles. Im Kontext der Beratung sind Selbstachtung, Selbstbewusstsein und Selbstwert wesentliche Faktoren, die zum Lösen der Problemsituation beitragen. Die Karten der Stärkenschatzkiste sollen den Klienten dabei unterstützen sich aus eigenem Antrieb heraus zu aktivieren und weiterzuentwickeln. Die Vertiefungsfragen und Textsequenzen können zum Austausch anregen und zum Beziehungseinstieg oder zur Prozessbegleitung genutzt werden. Für eine angemessene Nutzung der Methode ist es äußerst relevant sich gemeinsam mit dem Klienten ausreichend Zeit zu nehmen, um über die Fragen und Impulse in Beziehung zu gehen. Dadurch kann eine Wirkung entstehen, die sich durch den gesamten Beratungsprozess zieht. Die bunten Stärkenkarten können dabei unterstützen diagnostische Fragenstellungen zu ergründen, die Erlebnis-, Gefühls-, und Gedankenwelt der Klienten besser zu verstehen, das Wohlbefinden und die Selbstachtung zu stärken, persönliche Ressourcen wahrzunehmen, Reflexionsprozesse anzustoßen sowie die intensive Auseinandersetzung mit einem Thema zu fördern. Sie können flexibel eingesetzt werden und bieten Beratern, neben den vorgeschlagenen Anwendungsbereichen, ebenfalls die Möglichkeit individuell kreativ zu werden. (vgl. insgesamt Scholz, 2018)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Stärken-Schatzkiste für Therapie und Beratung (Quelle: Scholz, 2018)
Um die Beratungssituation angemessen zu reflektieren, wird neben dem tatsächlichen Gespräch ebenso der Kontext herangezogen. Des Weiteren erfolgt eine Beschreibung der zu beratenden Klientin, wobei anzumerken ist, dass die Verfassung dieser erst nach dem Gespräch am 30. Juni 2022 erfolgte.
Der Rahmenplan des dualen Studiums an der Dualen Hochschule Gera-Eisenach umfasst im sozialen Bereich zahlreiche Module. Eines davon ist das Methodenseminar Beratung. Das Seminar bietet den Studierenden die Möglichkeit individuelle Fähigkeiten und Kompetenzen hinsichtlich der Führung und Leitung von Beratungsgesprächen auszubauen. Anfänglich war das eigene Empfinden bezüglich des Methodenseminars zwiegespalten. Einerseits existierte Interesse an dem Arbeitsfeld, auf der anderen Seite war ein gewisser Respekt gegenüber der Profession von Beratungsgesprächen vorhanden. Im Seminar bekamen die Studierenden die Möglichkeit sich in die verschiedenen Rollen einer Beratungssituation einzufühlen und dadurch verschiedene Blickwinkel zu betrachten. Zu Beginn war das persönliche Empfinden in der Beraterrolle durch ein allgemeines Unwohlsein und Unsicherheit geprägt. Durch das stetige Üben verschwand dieses Gefühl jedoch und allmählich gelang es in die Rolle hineinzufinden.
Ursprünglich geplant war das Beratungsgespräch in der Wohngruppe mit einem Klienten zu führen, zu dem bereits in vergangenen Praxisphasen eine gute Beziehung aufbaut werden konnte. Allerdings wurde im Rahmen des Standards für Studenten des Trägers in dem Bearbeitungszeitraum der vorliegenden Arbeit ein vereinsinternes Fremdpraktikum absolviert. Aus diesem Grund führte ich das Beratungsgespräch nicht in der Praxiseinrichtung, in der ich für gewöhnlich eingesetzt werde, sondern im Familienwohnen. Dort waren mir sowohl die räumlichen Gegebenheiten als auch die Klienten weitestgehend unbekannt. Dies begünstigte die Rahmenbedingungen für ein systemische Beratungsgespräch. Am ersten Tag des Fremdpraktikums verzichtete ich auf die Höflichkeitsform und bot somit ich allen Klienten das Du an.
Das systemische Beratungsgespräch findet am Donnerstag, den 29. Juni 2022 um 13.00 Uhr im Wohnzimmer der Klientin des Familienwohnens statt. Die Wohnung befindet sich im Erdgeschoss. Die Klientin ist momentan schwanger und befindet sich im Mutterschutz, weshalb sie sich in der Einrichtung befindet. In der Regel hat sie zu diesem Zeitpunkt bereits Mittag gegessen und ihr verbleiben noch zwei Stunden bevor sie ihre Tochter von der Kindertagesstätte abholen muss. Die Dauer des Beratungsgespräches sollte ungefähr 45 Minuten betragen, abhängig davon wie umfangreich der Gesprächsbedarf und die zu besprechende Problemsituation der Klientin ist. Das Datum, die Uhrzeit und die Räumlichkeit der Beratung legten die Klientin und ich in einem zuvor geführten kurzweiligen Gespräch gemeinsam fest. In diesem klärte ich Die Klientin über mein Vorhaben auf. Im Rahmen dessen wurde sie darüber informiert, dass der Auftrag von der Dualen Hochschule Gera-Eisenach erfolgte, um mich in der Rolle einer systemischen Beraterin zu reflektieren. Im Nachhinein unterschrieb sie die Einwilligungserklärung (vgl. Anhang 1), die es mir gestattete eine Tonaufnahme des Beratungsgesprächs aufzuzeichnen. Die Weitergabe an Außenstehende untersagte sie, weshalb die vorliegende Arbeit lediglich die Transkription (vgl. Anhang 3) beinhaltet.
Adressatin ist die 21-jährige Klientin. Anfang 2020 ersuchte Die Klientin vorerst Hilfe im Übergangswohnen für Mütter, Väter und Kinder. Im Rahmen der Hilfe zur Erziehung, die im Herbst 2021 begann, zog die Klientin in das Familienwohnen. Somit erhält die Klientin Hilfeleistungen in Form von Eingliederungshilfe gemäß §53 und §54 des zwölften Sozialgesetzbuches. Seitdem ist S.G. ihre Kontakterzieherin, die ihr in sämtlichen Lebenslagen und Problemsituationen zur Seite steht.
Aus gegenwärtiger Sicht erlebe ich die Klientin als eine kommunikative, hilfsbereite und gewissermaßen eigenständige Frau, die mit ihren alltäglichen Aufgaben verhältnismäßig gut zurechtkommt.
Die Klientin neigt zu einem impulsiven Verhalten mit häufig verbalem Ausdruck und zu Stimmungsschwankungen, was durch eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung des Borderline-Typs zu begründen ist. Im Umgang mit ihr ist die Wortwahl äußerst entscheidend darüber, wie die Klientin Gesagtes aufnimmt und interpretiert. Die Klientin selbst gibt an unter einem geringen Selbstwert, Interessensverlust und Trennungsängsten zu leiden. Ihre Partnerschaften sind instabil und von täglichen Konflikten geprägt. Des Weiteren wurden eine Störung des Sozialverhaltens mit Beginn der Kindheit sowie eine Lernbehinderung diagnostiziert. Dennoch gelang es der Klientin die Hauptschule erfolgreich abzuschließen. Aufgrund dieser Beeinträchtigungen ist die Klientin nicht in der Lage gewisse Angelegenheiten selbstständig zu erledigen, weshalb ihr eine gerichtliche Betreuerin zugeteilt wurde. Diese betreut die Vermögenssorge, die Wohnungsangelegenheiten sowie die Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden, Einrichtungen, Sozial- und Versicherungsträgern.
Die Klientin wuchs bei ihrem Stiefvater auf, der ihr während des 14. Lebensjahres mitteilte, dass er nicht der leibliche Vater sei. Seitdem hegt sie den Wunsch diesen kennenzulernen.
Außerdem hat die Klientin zwei Halbgeschwister, die beide von verschiedenen Vätern sind. Die Klientin hat eine Tochter und ist momentan in der 36. Schwangerschaftswoche. Von den Kindesvätern ihrer Tochter und des ungeborenen Kindes lebt sie getrennt. Bei der Erziehung ihrer Tochter kommt es regelmäßig vor, dass die Klientin sich überschätzt, wodurch die niedrigschwellige Frustrationsgrenze häufig überschritten wird. Dabei kommt es zu lautstarken verbalen Äußerungen ihrerseits gegenüber ihrer Tochter.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Genogramm der Klientin (Quelle: Autorin)
Ein gut geführtes Beratungsgespräch besteht aus verschiedenen Phasen, die sich in ihren Funktionen unterscheiden. Innerhalb der vorliegenden Arbeit wird die geführte Beratung in fünf Etappen gegliedert, die nacheinander analysiert und ausgewertet werden.
Erstgespräche in Beratungssituationen, haben eine besondere Bedeutung. Sie können von Unsicherheiten und großen Erwartungen gekennzeichnet sein. Im Rahmen des Erstgespräches sollte ein gemeinsamer Ausgangspunkt gefunden werden. Dabei sind die Dauer des Gespräches, das Beratungssetting und Datenschutzrechtliche Belange zu klären. Der Berater sollte für eine möglichst angenehme Atmosphäre für den Klienten schaffen, damit dieser sich öffnen kann, um seine Problemsituation präzise zu schildern. (vgl. insgesamt Brüggemann, H./ Ehret, K./ Klütmann, C., 2016, S. 25) Unglücklicherweise setzten Die Klientin und ich uns mit diesen Themen bereits vor dem tatsächlichen Beratungsgespräch auseinander. Entgegen dem ursprünglichen Beratungsgedanken trat Die Klientin nicht auf meine Person zu, um Rat zu ersuchen, sondern ich erfragte am 27. Juni 2022 persönlich, ob sie eine Problemsituation hätte, die sie bereitwillig mit mir besprechen würde. Aufgrund der Tatsache, dass sie dies affirmierte, besprachen wir im Anschluss den Rahmen, in dem sich das Beratungsgespräch befinden sollte. Die Klientin schilderte meiner Person komprimiert ihre Problemlage. Des Weiteren besprachen wir den Zeitrahmen von ungefähr 45 Minuten sowie die Räumlichkeit, in der das Gespräch stattfinden soll. Die Klientin äußerte dabei den Wunsch, dass sie das Beratungsgespräch gern in ihrem Wohnzimmer führen würde. Dem stimmte ich zu, da es meiner Zielvorstellung, eine angenehme und vertraute Atmosphäre für die Klientin zu schaffen, entsprach. Vor der Beratungssituation nahm ich keine Einsicht in die Akte der Klientin. Flüchtige Gespräche, die bei Gelegenheit im praktischen Alltag im Familienwohnen entstanden, waren die einzigen Kommunikationsmöglichkeiten, die zum Aufbau einer Beziehung zwischen Klientin und Betreuer beitrugen. Im Beratungsgespräch am 30. Juni 2022 ging ich nicht noch einmal auf diese Themen ein.
Gemäß dem Fall die Beratungssituation ließe sich wiederholen, würde ich allerdings diese Sachverhalte nochmals aufgreifen. Damit soll gesagt werden, dass ich mit der Klientin innerhalb des Gespräches besprechen würde, welche Vorstellungen sie bezüglich der Dauer hätte, ob für sie das Nähe-Distanz-Verhältnis akzeptabel ist sowie betonen, das Besprochenes nicht an Außenstehende weitergetragen wird. Des Weiteren würde ich Die Klientin bitten trotz der Außentemperaturen von 32 Grad Celsius die Fenster zu schließen, da in regelmäßigen Abständen Sirenen von Rettungsfahrzeugen zu hören waren und teilweise den Redefluss beider Parteien unterbrachen (vgl. Anhang 3, 00:10:07 und 00:25:04).
Eine wesentliche Voraussetzung im Veränderungsprozess ist eine wertschätzende Haltung des Beraters. Die Qualität und die Ressourcen bisheriger Situationen werden durch die Würdigung von Vorangegangenem besser wahrgenommen und anerkannt. Dadurch betont der Berater die Notwendigkeit von Veränderung, wodurch dies für den Klienten besser erkennbar ist und er es leichter akzeptieren kann. (vgl. Brüggemann, H./ Ehret, K./ Klütmann, C., 2016, S. 31)
Aus diesem Grund fragte ich zu Beginn nach dem Wohlbefinden der Klientin (vgl. Anhang 3, 00:00:00 bis 00:00:27). Diese Frage sollte mir Aufschluss geben in welcher Verfassung sie sich befindet. In vorgegangenen allgemeinen Gesprächen betonte die Klientin oftmals ihre psychische Erkrankung, weshalb ihre Grundstimmung ausschlaggebend für die Art und Weise des Umgangs mit ihr ist. Aufgrund dessen war die Beantwortung der Frage sehr bedeutend für den weiteren Verlauf des Gespräches.
Besonders relevant in Erstgesprächen ist die Frage nach der Erwartungshaltung. Der Berater kann den Klienten in seiner Darstellung unterstützen, indem er dessen Ansprüche, und die damit in Zusammenhang stehenden Vorstellungen hinsichtlich des Gespräches, erfragt. (vgl. Brüggemann, H./ Ehret, K./ Klütmann, C., 2016, S.40) Allerdings ließ ich versehentlich die explizite Frage nach der Erwartungshaltung der Klientin aus. Dadurch vermute ich, dass die Klientin zu Beginn mit einem verzerrten Anspruch an dem systemischen Beratungsgespräch teilnahm. Dies interpretiere ich aus einer Aussage ihrerseits (vgl. Anhang 3, 00:00:48).
Allgemein kann ich zum Gesprächsbeginn äußern, dass ich insbesondere am Anfang außerordentlich nervös war, was deutlich an einer zittrigen Stimmlage meinerseits zu bemerken war. Weiterhin vergaß ich die allgemeinen Rahmenbedingungen ein weiteres Mal innerhalb der Gesprächssituation zu erfragen beziehungsweise zu erläutern sowie die Frage nach der Erwartungshaltung. Trotz dieser Schwierigkeiten gelang es mir eine gewisse Beziehung zu der Klientin aufzubauen, was im weiteren Verlauf der Beratung einigermaßen deutlich wird. Diese Art von Beziehung könnte allerdings ebenso auf den flüchtigen Gesprächen und den Hilfeleistungen im praktischen Alltag des Familienwohnens basieren.
Sobald der erste Kontakt zwischen dem Berater und dem Gesprächspartner hergestellt wurde und sie sich angenähert haben, wird ein gemeinsamer Prozess initiiert. In der nächsten Phase des Beratungsprozesses sollte zunächst geklärt werden, was das exakte Anliegen des Klienten ist und weshalb dieser überhaupt eine Beratung in Anspruch nimmt. Das Ziel sollte demnach sein mit dem Klienten gemeinsam den Beratungsauftrag herauszuarbeiten. Die Berateraufgabe dabei ist, im Beratungsprozess für Orientierung und Transparenz zu sorgen. Es sollte beachtete werden, dass der primär vorgestellte Auftrag des zu Beratenden nicht das endgültige Beratungsziel sein muss. Im Verlauf der Kontextanalyse können sich diese Ziele wandeln. Möglicherweise steht das Thema für etwas anderes, in manchen Fällen sogar für etwas, das nicht angesprochen wurde oder das für den Klienten noch unklar ist. Mithilfe der in der Definition erwähnten systemischen Grundhaltung eines Beraters, sollte ebenso in Erwägung gezogen werden, dass die Sachverhalte ganz anders sein könnten als vom Klienten dargestellt. In dem Fall sollte der Berater seine Kompetenz erweisen und das Problem umdefinieren sowie dem Hilfesuchenden verschiedene Perspektiven und Sichtweisen anbieten. (vgl. insgesamt Brüggemann, H./ Ehret, K./ Klütmann, C., 2016, S. 45)
Obwohl die Klientin meiner Person bereits vor dem Beratungsgespräch kurz schilderte, worum es sich bei ihrer Problemsituation handelt, nahm die Formulierung innerhalb der Beratung erneut verhältnismäßig viel Zeit in Anspruch (vgl. Anhang 3, 00:00:27 bis 00:04:18). Dies könnte unter anderem auch auf der Erwartungshaltung der Klientin basieren, die ich zu Beginn vergaß zu erfragen. Die erste Zielformulierung stellte die Klientin äußerst umfassend dar (vgl. Anhang 3, 00:00:48), weshalb ich versuchte Schlüsselbegriffe wie Familie, Partnerschaften, Beziehungen und später Manipulation für mich persönlich herauszufiltern. Das Ansprechen solcher Begriffe ist sehr bedeutsam, da sie im Beratungsverlauf weiterhin relevant sein können. Füllwörter, Negierungen, Wiederholungen sowie symbolreiche Sprache können demnach erste Anhaltspunkte für Hypothesen sein (vgl. Brüggemann, H./ Ehret, K./ Klütmann, C., 2016, S.46 f.). Das Aufgreifen der Schlüsselbegriffe war äußerst hilfreich, um mir schrittweise Hypothesen für das laufende Beratungsgespräch zu bilden. Hypothesen dienen der Ableitung von mutmaßlichen Alternativperspektiven, die innerhalb des Systems existieren können (vgl. Brüggemann, H./ Ehret, K./ Klütmann, C., 2016, S. 58). Anhand von Verständnisfragen (vgl. Anhang 3, 00:01:36) wollte ich im Anschluss überprüfen, ob ich den genannten Anspruch an das Gespräch richtig eingeordnet hatte, um die eigenen Hypothesen weiter zu überprüfen und zu ergänzen.
Mithilfe der gestellten Fragen (vgl. Anhang 3, 00:03:16 und 00:03:54) versuchte ich, das Ziel der Klientin allmählich einzuschränken, zu definieren und mir neue Sichtweisen auf die Problemlage eröffnen. Dies war ein wichtiger Prozess, denn je komplexer ein Anliegen ist, desto herausfordernder ist ein klare und kurze Zielformulierung (vgl. Brüggemann, H./ Ehret, K./ Klütmann, C., 2016, S. 50). Insbesondere fiel mir auf, dass die Klientin gewisse Schlüsselbegriffe, darunter Familie und Beziehungen, wiederholt zur Antwort gab, wodurch mir eine bestimmte Richtung, in die die Beratung anscheinend ihren Lauf nehmen sollte, schon an dieser Stelle bewusst wurde. Letztendlich umfasste die finale Zieldefinition tatsächlich die Beziehungsstärkung zu den Familienmitgliedern, welches die Klientin am Ende des Prozesses der Zieldefinition in einem Satz zusammenfassen sollte (vgl. Anhang 3, 00:03:31).
Nach meinem Ermessen gelang die Eingrenzung der Zielformulierung gut, obwohl sich dieses gewiss noch optimaler einschränken lässt, da es tatsächlich noch immer zwei Ziele beinhaltet. Ressourcen meinerseits sehe ich darin, gestellte Fragen prägnanter und zusammengefasster beziehungsweise komprimierter zu äußern, um eine Verwirrung des Klienten zu vermeiden, was insbesondere im weiteren Verlauf des Gespräches zu bemerken ist.
In den ersten beiden Phasen sollte eine gewisse Metastabilität aufgebaut worden sein, die die Basis für das Beratungsgespräch bildet und die einen zuverlässigen Ausgangspunkt bietet. Die dritte Phase ist die der gemeinsamen Suche und Erarbeitung von Lösungsmöglichkeiten für die Problemlage des Klienten. Damit eine Veränderung eintreten kann, ist das Verlassen von gewohnten Mustern und vertrauten Prinzipien unumgänglich. Der Klient muss diesen Wandel jedoch zulassen. Im Rahmen der systemischen Beratung gibt es zahlreiche Möglichkeiten Lösungswege zu erforschen, die für den zu Beratenden hilfreich sein könnten. Während der Suche und der Wahl der Methode, sollte stets der Nutzen für den Klienten und dessen Ziel bedacht werden. (vgl. insgesamt Brüggemann, H./ Ehret, K./ Klütmann, C., 2016, S. 67 ff.)
Aufgrund der Tatsache, dass die Klientin mehrfach betonte sie wolle sich von anderen nicht mehr manipulieren lassen, zog ich daraus meine Entscheidung Materialien und Methoden zu nutzen, die auf der Ressourcenarbeit basieren. Diese ergründe ich aus dem Gedanken heraus, das Selbstbild der Klientin anzuheben und ihren Selbstwert zu forcieren. Damit sie sich nach dem Gespräch in ihrer eigenen individuellen Persönlichkeit gestärkt fühlt. Neben dem Schlüsselbegriff der Manipulation griff ich ebenso den der Familienbeziehung auf, die beide in der finalen Zieldefinition vertreten waren. Aufgrund dessen kam mir der Gedanke, dass die Klientin und ich in Zusammenarbeit einen Baum gestalten (vgl. Anhang 4), der ihre Ressourcen auflistet (vgl. Anhang 3, 00:05:22).
Dabei sollte sie nicht nur ihren eigenen Blickwinkel aufgreifen, sondern sich in die Perspektive selbstgewählter Familienmitglieder, zu denen sie weiterhin den Kontakt pflegen möchte, hineinversetzen. Meine Intension dazu war mithilfe von zirkulären Fragestellungen einen solchen Perspektivwechsel zu initiieren und zu unterstützen (vgl. Anhang 3, 00:10:31, 00:17:57 und 00:22:21). Dadurch wollte ich eine Wechselwirkung erzeugen, die die Klientin zu einer Reflexion über ihre eigene Person bewegen sollte. Hinsichtlich der Klientin und der von ihr gewählten Verwandten versuchte ich kontinuierlich Verständnisfragen (vgl. Anhang 3, 00:06:15, 00:07:37, 00:09:59 und 00:10:20) zu stellen, um mir ein persönliches Bild von dem System, in dem Die Klientin und ich uns bewegen, herauszubilden. Persönlich finde ich die zirkulären Fragen in dem geführten Gespräch, auch bei der Reflexion gut eingesetzt. Optimierungspotenzial sehe ich in dem Maß, in dem ich sie anwendete und nutzte. Ich zog sie in einer Art Schema heran, weshalb auch die Situation (vgl. Anhang 3, 00:22:16 bis 00:22:21) entstand, die ich zum einen als ein wenig unangenehm, andererseits als amüsant, empfand. Das bedeutet ich fragte die Klientin nacheinander, welche Ressourcen, die von ihr gewählten Personen, nennen würden, säßen sie mit uns gemeinsam im Wohnzimmer. Dabei ging ich in der Reihenfolge vor, die auch die Klientin beim Aufschreiben der Familienmitglieder wählte. Allerdings ging ich mit der Beantwortung dieser gewissermaßen oberflächlich um. Die Antworten die die Klientin gab, ließ ich von ihr auf die blattförmigen Papierstücke schreiben, damit die Klientin die Möglichkeit hat, diese für sich selbst noch einmal visuell wahrzunehmen. In der Rolle der Beraterin ging ich bedauerlicherweise in diesen Situationen nicht tiefgründiger auf das Niedergeschriebene ein. Nachdem sie sich in die drei gewählten Familienmitglieder hineinversetzt hatte, fragte ich die Klientin, ob sie mit der Gestaltung des Ressourcenbaumes zufrieden ist oder, ob sie noch Ergänzungen hinzufügen möchte (vgl. Anhang 3, 00:24:27).
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