Wie stark spielt die Motivation, nachhaltig zu leben, eine Rolle bei der Wahl einer alternativen Wohnform? Wird DIY im Bereich Wohnen aus der Not heraus angewendet und ist Protest gegen Privatisierung, Gentrifizierung, Einkaufszentren, die Zerstörung von Kulturstätten oder führt der Rückgang von Natur zum Drang nach nachhaltigem Leben und damit zu handgemachtem Recycling?
Die Beantwortung der Frage geschieht anhand einer Fallstudie, indem das gewählte Beispiel auf den Faktor Nachhaltigkeit analysiert wird. Die Thematik ist auf die Möglichkeiten im geographischen Bereich Berlins eingegrenzt.
Einleitung
Im Zeitalter von Globalisierung, Auslöschung von Arten und dem Schwinden von Ressourcen streben viele Menschen nach einer nachhaltigen Lebensweise. „Nachhaltigkeit wird als ein Handlungsprinzip zur Ressourcen-Nutzung definiert, bei dem eine dauerhafte Bedürfnisbefriedigung durch die Bewahrung der natürlichen Regenerationsfähigkeit der beteiligten Systeme gewährleistet werden soll.“ (Wikipedia, 2020)
Seit geraumer Zeit rückentwickelte sich der Trend, aus eigenem Know-How und einfachen Mitteln Dinge herzustellen, die es sonst nur industriell hergestellt zu kaufen gibt: DIY, Do it yourself. Gleiches ausgeführt, wenn man dabei schon einmal verwendete Rohstoffe wiederverwertet und aufbereitet, nennt sich Recycling und stellt mit anderen Begriffen wie Upcycling eine soziale Bewegung und Lebenseinstellung dar, die Nachhaltigkeit gewähren soll.
DIY spielt sich heute auf den verschiedensten Ebenen ab. Man findet es in der Kleiderproduktion, in der Möbel- und Dekoproduktion, in der Technik und Reparatur. Eine weitere Kategorie betrifft das Wohnen. In dieser können, als Herangehensweise an die Herausforderungen unserer Zeit, alternative Wohn- und Lebensformen sein. Eine Neuorientierung findet man vor allem bei den Pionieren wie Transition Towns, Ökodörfern und Green Cities statt. („Gemeinschaftliches Wohnen in Wohnprojekten“, o.J). Doch geht es hierbei nicht nur um Naturverbundenheit und Abfallvermeidung, sondern auch um Solidarität, Entschleunigung und die Lösung von lokalen politischen Problemen, wie von steigenden Mieten und Obdachlosigkeit.
Eine Definition alternativer Wohn- und Lebensformen ist aufgrund ihrer Vielfältigkeit ihrer Ausprägungen und Mitglieder nicht möglich. Gemeinhin stellen alternative Wohn- und Lebensformen eine gewollte und bewusste Abweichung von der herrschenden gesellschaftlichen Norm da und äußern sich in Gemeinschaftlichkeit und Selbstbestimmung. (Drews-Shambroom, 2012) Der Soziologe Matthias Grundmann erklärt 2006, dass Gemeinschaften sich lediglich durch das konkrete Handeln einzelner individueller Akteure im Hinblick auf ein gemeinsames Handlungsziel bestimmen lassen und sich sozial verbinden, um gemeinsame Interessen besser vertreten zu können. (Kunze, 2009, S. 53)
Um diese Interessen soll es in dieser Hausarbeit gehen. Es soll der Motivation und Intention der Ausführenden von DIY in alternativen Wohngemeinschaften nachgegangen werden. Wie stark spielt die Motivation, nachhaltig zu leben, eine Rolle bei der Wahl einer alternativen Wohnform? Wird DIY im Bereich Wohnen aus der Not heraus angewendet und ist Protest gegen Privatisierung, Gentrifizierung, Einkaufszentren, die Zerstörung von Kulturstätten, oder führt der Rückgang von Natur zum Drang nach nachhaltigem Leben und damit zu hangemachtem Recycling?
Die Beantwortung der Frage geschieht anhand einer Fallstudie, indem das gewählte Beispiel auf den Faktor Nachhaltigkeit analysiert wird. Die Thematik ist auf die Möglichkeiten im geographischen Bereich Berlins eingegrenzt.
Die Stadtkommune Teepeeland bezeichnet sich auf ihrer Internetseite als eine Gemeinschaft jenseits gesellschaftlicher Zwänge aus unterschiedlichen Generationen und Nationen. In ihrem Fokus liegt außerdem das Leben im Einklang mit der Natur, weshalb sie alle vorhandenen Wohn- und Lebensmaterialien ausschließlich aus Gefundenem selbermachen. (Teepeeland, 2018)
Die, auf ersten Eindrücken basierende, These zur Beantwortung der Themenfragen ist, dass die Bewohner den gesellschaftlichen Normen trotzen und durch DIY ein Zeichen gegen Konsum, Ressourcenmangel und Vermüllung setzen und gleichzeitig selber keinen Beitrag zu dem Genannten beitragen wollen.
Dazu geht die Autorin als Erstes näher auf die Forschung zum Thema ein, indem Interesse und Methodik erläutert werden. Danach folgt eine beschreibende Vorstellung des Projekts Teepeeland im Bezug auf seine Entstehung, das Leben der Mitglieder vor Ort und dem Aufbau. Im nächsten Teil wird eine Analyse der Beziehung des Beobachteten zu den zentralen Forschungsaspekten Nachhaltigkeit, DIY-Wohnen und Antikapitalismus stattfinden. Immer mit Blick auf die Auseinandersetzung mit class, gender und race, um zu klären, ob Gruppen in dieser Lebensform exkludiert oder bevorzugt werden.
Um die inneren Strukturen des Teepelands darzustellen, werden dann die Mitgliedschaftsregeln, Wohnpolitik und Aufgaben der dort Wohnenden aufgezeigt. Darauf folgt die Beantwortung der Fragestellungen und das Fazit.
Forschungsinteresse
Im Bezug auf das Seminar „Nachhaltigkeit und Geschlecht: DIY-Praktiken aus geschlechtersoziologischer Perspektive“ an der Universität Potsdam richtete sich die in Folge beschriebene Forschung grob der Frage danach, was aktuelle DIY-Praktiken mit Nachhaltigkeit und Geschlecht zu tun haben. Das Thema auf seinen Anwendungsbereich im Wohnen zu beziehen, interessierte die Forschenden aufgrund der Idee, dass es ein ausschlaggebender Teil des Menschen ist, zu wohnen, und Methoden zur Einhaltung von Nachhaltigkeit hierbei unerforscht und zukunftsweisend sein könnten.
Methodik der Arbeit
Um dieses Thema und die gelernte Theorie praktisch zu beleuchten, wurde ein Forschungsbeispiel gewählt. Die Ergebnisse dieser Fallstudie liefern keine repräsentativen Aussagen für alternative Wohn- und Lebensformen, können aber Hinweise auf deren Verhältnis zu Nachhaltigkeit und dessen Umsetzung in Großstädten geben.
Der Forschungsvorgang bestand aus der Durchsuchung der im Seminar gelesenen Texte nach, auf DIY- Wohnen zutreffende, Theorien. Danach recherchierten die Forschenden im Internet nach Fakten rund um die Themengebiete DIY, Nachhaltigkeit und Gender im Bezug auf das Teepeeland und nach Forschungsarbeiten, die sich mit der Nachhaltigkeit von Kommunen weltweit beschäftigten. Um weitere Fragen zu klären, entschieden die Forschenden sich für einen Besuch vor Ort. Nach einem gestattetem Fotorundgang, fand eine Beobachtung und ein halbstandardisiertes Interview mit Husseyin, einem der „Häuptlinge“, wie er sich selber nannte, und einem seiner Freunde statt, die grade grillten. Die Forschenden bekamen durch das Eintreten in ein Wohntipi und die Küchenjurte einen repräsentativen Einblick in das alltägliche Leben der Bewohner.
Durch das Zusammentragen aller Informationen und Anwendung des Gelernten, konnte eine Analyse des Fallbeispiels Kommune „Teepeeland“ vollzogen werden. Schwierigkeiten entstanden durch die zeitliche Lage der Forschung: Die Bewohner des Projekts sind im Winter aufgrund von niedrigen Temperaturen häufig nicht vor Ort, wodurch wir nur 2 Bewohner antreffen konnten, die bereit für ein Interview waren. Hier kam es zusätzlich zu Komplikationen der Kommunikation, da Sprachbarrieren vorlagen. Die Befragung einer Frau, einem Kind und anderen Mitbewohnern wäre aufschlussreich gewesen.
Vorstellung des Projekts
Im Folgenden wird das ausgewählte Projekt Teepeeland vorgestellt, um einen Überblick über seine Entstehung, Entwicklung, Aufbau und Ziele zu geben. Dabei wird Fokus auf Nachhaltigkeit, den Selfmade-Charakter und die damit verbundenen Überzeugungen gelegt.
Geschichtlicher Hintergrund
Flieger, ein aus dem Norden Deutschlands stammender Mann mit Wildschweinzahn um den Hals, gründete und lebte viele Jahre in der Cuvry-Brache in Berlin. Die Cuvry-Brache, auch Berliner Favela, genannt, war eine illegale Besetzer-Siedlung auf einer privaten Baufläche an der Spree, die sich innerhalb weniger Jahre in „ein Kuriosum, handelnd von Zuflucht, Elend und Vertreibung, bis hin zu Protesten, Hilflosigkeit und einem Musterbeispiel für misslungene Stadtentwicklung“ (Winternitz, 2017) verwandelte. Aufgrund von unkontrolliertem Bewohnerzuwachs entstanden Probleme mit Drogenkonsum, Prostitution, Bandenkriegen und allen voran: Müll.
Flieger fühlte sich dort nicht mehr wohl weil die Situation eskalierte und baute dort deshalb sein Tipi 2012 ab und stellte es auf ein viel kleineres, unbebautes aber sehr verwachsenes Gelände. Hierbei handelte es sich um das öffentliche Gebiet um die stillgelegte Eisfabrik neben der Schillingbrücke mit Zugang zum Spree-Ufer. Flieger sagt in einem Interview: „Und ich suchte nach einem öffentlichen Gelände - es sollte kein Privatgelände wie bei der „Cuvry“ sein.“ (Urban Space 2015 and 2016 and 2017 and 2018, 2016) Damals zog ein spanischer Freund Fliegers mit einem Tipi hinzu und baute daraufhin eine Küche, mit deren Bau der erste Baustein für eine neue Siedlung gelegt war: Teepeeland. Schnell kamen Bekannte dazu, bauten sich ihre Tipis. Besonders handwerklich geschickte bauten die Küche aus und starteten mit dem Bau der Bühne, einem weiteren gemeinschaftlichen Ort. Die Bewohner und Bewohnerinnen waren oft auf der Durchreise, und verbrachten mal mehr und mal weniger Zeit im Teepeeland, setzten sich für ein paar Monate fest oder entschlossen sich ihren dauerhaften Wohnort in der alternativen Zeltstadt zu haben. Aufgrund dessen und dass es weder gemeinsames Ziel, noch Regeln gab, erwies sich das Leben laut Flieger anfangs als ziemlich chaotisch. Es gab Messis und Störenfriede, die ausgeschlossen wurden. Das Teepeeland konnte diese Zeiten nur durch Regulationen überkommen.
Mit der Zeit entstanden organisatorische Strukturen. Flieger nahm sich vor, die Fehler der Cuvry- Siedlung nicht zu wiederholen und setzte Regeln fürs Zusammenleben: die Bewohner- und Bewohnerinnenanzahl sehr gering halten, keine Drogen, kein harter Alkohol, immer nur zwei Menschen einer Nationalität, um Grüppchenbildung zu verhindern.
Trotz regelkonformem unauffälligem Verhalten der Bewohner, wird das Teepeeland von der Stadt Berlin nur geduldet. (Borufka, 2014) Teile des Gebiets gehören der Immobilienfirma TLG, die seit Jahren mit einer Bebauung droht, gegen die die Siedlungsbewohner ankämpfen.
Das Teepeeland unterliegt einem stetigen Wandel mit jedem Bewohner, der hinzuzieht oder wieder geht. Heute bezeichnet sich das Teepeeland als ein antikapitalistisches, nachhaltiges basisdemokratisches, multikulturelles Nachbarschafts- und Wohnprojekt. (Teepeeland, 2018)
Leben im Teepee-Land
„Hier leben Menschen, jenseits gesellschaftlicher Zwänge aus unterschiedlichen Generationen und Nationen in einer Gemeinschaft zusammen.“ (Teepeeland, 2018)
Die Zeltstadt Teepee-Land liegt am Ufer der Spree Berlins, nahe der Schillingbrücke in Kreuzberg. Sie existiert dort nun schon seit 8 Jahren und beherbergt im Moment 21 feste Bewohner, darunter Frauen und Männer.
Acht Tipis, fünf Jurten, ein paar Igluzelte, eine Bühne, ein Lagerfeuerplatz, Natur und auch Beete lassen sich hier finden.
Aufbau
Über einen versteckten Weg entlang des Kreuzberger Spreeufers hinter der Schillingbrücke erreicht man einen stark begrüntes Areal, das im Schutz der Bäume liegt. Der Eingang beziehungsweise Ausgang, der an ein altes Stück Berliner Mauer angrenzt, wird von einem Regelschild geschmückt, dessen Regeln wie folgt sind: „NO SEXISM, NO RACISM, NO AGGRESSION, NO HOMOPHOBIC.“
Zur Linken liegt die aus einem Brett und einer Tonne selbst gezimmerte Gemeinschaftstoilette, die von allen Bewohnern geteilt wird. Kurz dahinter befindet sich der Kultur- und Gemeinschaftsbereich. Hier finden sich wöchentlich Freunde und Familien kostenlos zu Jam Sessions, Poetry Slam Auftritten oder Fridays For Future- Diskussionen auf der aus Paletten bestehenden Bühne zusammen. Getränke, natürlich nur unter 15% Alkohol, erhält man an der Bar gegenüber, die kreativ mit Kunst und Statuen geschmückt ist. Dem Weg tiefer ins Teepeeland gefolgt, kommt der „Chill-Bereich“ (Hüsseyin, persönliche Kommunikation, 2019), der auch als Esszimmer genutzt wird. Hier kann man auf sichtbar recycelten Couches unter einem Pavillon Zeit verbringen. Die genannten Bereiche sind zugänglich für Touristen und Schaulustige, abgesehen von Wohntipis und dem Küchenzelt. Im Küchenzelt gibt es einen gemeinschaftlichen Kühlschrank, Geschirr, Besteck, Wasserkocher und Herd. Weiter hinten findet man den Selbstversorgungsbereich; einen Freilandkäfig mit Hühnern und Tauben und dem Gemeinschaftsgarten mit Kompost. Rechts und links des Hauptweges ziehen sich die Tipis entlang, in denen man wohnt.
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