Für neue Kunden:
Für bereits registrierte Kunden:
Hausarbeit (Hauptseminar), 2020
22 Seiten, Note: 1,7
Abkürzungsverzeichnis
Verzeichnis der Übersichten
Einleitung
1 Kinderarmut in Deutschland
1.1 Das Erleben von Armut aus dem Blickwindel betroffener Kinder
1.1.1 Wohnen und Wohnumfeld
1.1.2 Freizeitaktivitäten
1.2 Bildung in Armutslagen
1.3 Kinderarmut im Spiegel der Statistik
2 Institution Schule - Ergebnisse der ganztagschulbezogenen Forschung
2.1 Theoretische Bezüge im Kontext von Schule und Bildungsungleichheit
2.2 Auswirkungen auf Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten von betroffenen Kindern
3 Möglichkeiten und Herausforderungen für Chancen- und Bildungsgleichheit - Ergebnisse der StEG-Studie
3.1 Förderung und soziale Integration im Rahmen der Ganztagsschule
3.2 Ausweitung der pädagogischen Praxis und der Organisationsprozesse
3.3 Betreuung und erzieherische Versorgung
4 Fazit
5 Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„Kinder sind in Deutschland seit Jahren in besonderer Weise von Armut und ihren Folgen betroffen“ (Lietzmann/Wenzig 2020, S. 10)
Schichtspezifische Ungleichheiten im Bildungssystem stehen seit einigen Jahrzehnten im Mittelpunkt bildungssoziologischer Fragestellungen. Internationale Vergleiche von Peiserts (1967) die zeigen, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern bereits in den 1050er und 1960er Jahren eine hohe Bildungsungleichheit aufwies, werden hierfür von der Autorin Schlicht (2011) angeführt (vgl. Schlicht 2011, S. 24).
Folge dieser „deutschen Bildungskatastrophe“ und der zusätzlich wahrgenommenen technologischen Überlegenheit der östlichen Staaten waren Bildungsreformen, die zwischen den Jahren 1965 und 1985 zu einer Vervierfachung der Abiturientenquote führte. Die weitreichende Bildungsexpansion konnte die soziale Ungleichheit im Bildungswesen jedoch nur geringfügig reduzieren (vgl. Schlicht 2011, S. 24).
Der Verzahnung von hoch entwickelten Wohlfahrtsstaaten und das Problem der wachsenden Armut erregt zunehmend in den letzten Jahren öffentliche Aufmerksamkeit und fachliches Interesse. Eine besondere Fokussierung erhält hierbei die „Infantilisierung“ von Armut. Durchgeführte Studien belegen und schildern immer wieder die Situation von Menschen in prekären Lebenslagen und die Gefahren sozialer Desintegration (vgl. Koch 2010, S. 102).
Insbesondere mit der Erscheinung und Veröffentlichung der PISA-Studien rückte die Thematik Armut und soziale Benachteiligung in die pädagogische Forschung. Vor allem die Kovarianz von sozialen Lebensverhältnissen mit Bildungsaspirationen, Bildungsbeteiligungen, Bildungsabschlüssen, Lebensplänen und Lebenschancen sollten konstatiert werden (vgl. Koch 2010, ebd.).
Angelehnt an eine Hypothese der Autorin Schlicht (2011), dass „je größer das Angebot an frühkindlicher Bildung in einem Bundesland ist, desto geringer ist das Ausmaß sozialer Bildungsungleichheit“ (Schlicht 2011, S. 66), wird sich in dieser Arbeit der folgenden Fragestellung auseinandergesetzt, welche Möglichkeiten und Herausforderung bieten sich der Institution Schule unter der Berücksichtigung ganztagsschulbezogener Forschungsergebnisse im Kontext von herrschender Kinderarmut in Deutschland, um eine mögliche Benachteiligung von betroffenen Kindern und Jugendlichen auszugleichen.
Kinderarmut und dessen Präsenz und Auswirkung dienen in der vorliegenden Arbeit als Ausgangslage und benötigen hierfür eine Erläuterung und statistische Veranschaulichung, damit weitere Schritte im Verständnis verfolgt werden können. Hierzu werden in Kapitel 1 die wichtigsten Lebenslagendimensionen im Kontext von Kinderarmut anhand von Butterwegge (2017) erläutert und in den jeweiligen Unterkapitel spezifiziert. Abgeschlossen wird Kapitel 1 mit einem statistischen Aufzeigen von aktuellen Zahlen durch Lietzmann und Wenzig (2020).
In Kapitel 2 wird die Institution Schule in Form des Ganztagsmodell und der Umgang mit sozialer Bildungsungleichheit betrachtet. Ausgangslage hierfür sind die durchgeführten Studien von PISA und den sich daraus ergebenen Bildungsreformen im Beriech des Ausbaus und der Weiterentwicklung von Ganztagsschulen zur Minimierung von Chancenungleichheiten.
Die Bearbeitung der Möglichkeiten und Herausforderungen für Ganztagsschulen in Kapitel 3 erfolgt hauptsächlich unter den Ergebnissen der StEG-Studie, welche von 2005 bis 2009 stattgefunden hat. Die Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen startete mit dem Ziel, den Ausbau von Ganztagsschulen in der deutschen Bildungslandschaft empirisch zu begleiten.
Das Resümee soll die vorliegende Arbeit im Ganzen zusammenfassen und einen Ausblick über die möglicherweise notwendigen Veränderungen in der Entwicklung von Ganztagsschulen und/oder Gesellschaftspolitik geben. Die vorliegenden Sachverhalte sollen in Beziehung gebracht werden und eine Gewichtung für Diskussionen erhalten.
Insgesamt sollen die Möglichkeiten und Herausforderungen für betroffene Kinder festgehalten, eine konzeptionelle Weiterentwicklung des Prozesses Vermeidung von sozialer Bildungsungleichheiten angestoßen und die Beteiligten in Bezug auf die Erkennung von spezifischen Belastungen sensibilisiert werden.
In Anlehnung an den internationalen Gebrauch des Children-Begriffs werden für die bessere Lesbarkeit in der folgenden Arbeit alle unter 18-Jährigen, d. h. nach deutschem Recht Minderjährige, unter dem Terminus „Kinder“ erfasst.
Kinderarmut in Deutschland kann als ein sozialpolitisches Problem höchster Priorität bezeichnet werden. Durch die Armutsforschung wird methodisch und analytisch die familiäre Einkommensarmut als auch die mehrdimensionale Kindesebene erfasst. Insgesamt lässt sich aus den Bewertungen ablesen, dass Kinder und Jugendliche aus Erwerbslosen- und alleinerziehenden Familien die Hauptrisikogruppe sind. Ergebnisse aus aktuellen Forschungen zeigen deutlich, wie eingeschränkt und benachteiligt sich die Lebenslagedimensionen des Wohnens, der kulturellen Entfaltung sowie der Freizeitmöglichkeiten für Kinder aus armen Familienverhältnissen darstellen. Die Ausprägung der lebenslangen Folgen steht oftmals in Abhängigkeit des zeitlichen Auftretens der Benachteiligung und der fortlaufenden Dauer. Je früher die Benachteiligung einsetzt und anhält, desto gravierender können die Folgen in Bezug auf Bildungsbenachteiligung und dauerhafte Armutsrisiken sein (vgl. Butterwegge 2017, S. 1).
Es muss sich inzwischen nicht mehr die Frage gestellt werden, ob es Kinderarmut in Deutschland gibt, sondern wie sie analytisch und methodisch zu erfassen und zu messen ist. Die Definition, dass Kinder aus Haushalten mit weniger als 60 % des Medians des Nettoäquivalenzeinkommens als arm bzw. armutsgefährdet gelten, gilt als die dominierende Definition in der Forschung zur relativen Armut. Diese Armutsschwelle wurde für das Jahr 2014 auf 917 € für eine alleinstehende Person beziffert (vgl. Butterwegge 2017, S. 2). Das Erleben von betroffenen Kindern und die einzelnen Auswirkungen und Folgen auf die Lebenslagedimensionen werden in den folgenden Unterkapiteln erläutert.
„Im wohlhabenden Deutschland wachsen die meisten Kinder und Jugendlichen unbelastet von materiellen Mangelsituationen auf und blicken zwar pragmatisch, aber dennoch optimistisch in die eigene Zukunft (Quenzel et al. 2015, S. 384).“
Der benannte Optimismus kann den deutlich herrschenden Unterschied der Lebenswelten von jenen Kindern zu Kindern aus einkommensarmen Familien nicht minimieren. Die Unterschiede sind vor allem in den Bereichen der materiellen Teilhabe einschließlich des Wohnens sowie in den Bereichen kulturelle, soziale und gesundheitliche Lage der Kinder anzutreffen. Im aktuellen Forschungsstand erscheinen die Lebenswelten armer Kinder und den multidimensionalen Erscheinungsformen von familiärer Armut bei Kindern durch die Kinderarmutsforschung ausreichend, so fehlt es im Vergleich der Lebenslagen im Gegensatz dazu bei Minderjährigen aus wohlhabenden Familien (vgl. Butterwegge 2017, S. 12).
Untersuchungen der Kinderarmutsforschung belegen, dass einkommensarme und kinderreiche Familien besonders von beengten Wohnverhältnissen betroffen sind. Die Autorin Butterwegge (2017) benennt für ihre Zahlen die Studie AWO-ISS-Vertiefungsstudie und veranschaulicht, dass der Anteil von armen Grundschulkindern ohne eigenes Zimmer bei 58 % liegt, wobei der Anteil bei nichtarmen Kindern bei nur rund 19 % zutraf. Ausgehend von der Wohnfläche in Quadratmeter bewohnten 33 % der armen Kinder weniger als 15 qm. Bei nichtarmen Kindern zum Vergleich waren es rund 3 %. Bei der Befragung der armen Grundschulkinder wurde deutlich, dass diese das räumliche Defizit wahrnehmen und artikulieren. Aus den Antworten zeigte sich ein großer Wert an einem eigenen Zimmer, auf einen Raum für ungestörtes Lernen und Spielen. Häufig wurde auch der Wunsch nach einer größeren Wohnung geäußert insbesondere die Räume Küche und Wohnzimmer (vgl. Butterwegge 2017, S. 13).
Ein Familienleben auf stark beengten Wohnraum bringt vielschichtige Folgen für das Aufwachsen betroffener Kinder mit sich. Die Wohnung fällt zunächst als Spiel- und Aufenthaltsort mit Gleichaltrigen weg, soziale Kontakte werden beschränkt, Kindergeburtstage können nicht zuhause gefeiert werden, fehlende Rückzugsmöglichkeiten, Teilung der vorhandenen wenigen Räume auf mehrere Kinder und damit einhergehende fehlende Privatsphäre oder das Fehlen eines ruhigen Arbeitsplatzes für die Hausaufgaben (vgl. Butterwegge 2017, ebd.). Das Defizit im Wohnbereich ist das eheste was Kinder wahrnehmen und artikulieren, da sie bspw. durch Vorschuleinrichtungen oder Schulen sehr früh zu Vergleichsmöglichkeiten von „normalen“ Wohnverhältnissen einkommensstärkerer Schichten kommen und spätestens ab dem Grundschulalter aktive Vergleiche vornehmen (vgl. Butterwegge 2017, ebd.).
Fehlende oder mangelhafte Möglichkeit der Unterrichtsvor- und -nachbereitung kann frühzeitig dazu führen, dass betroffene Kinder den Anschluss an die geforderten Lerninhalte verlieren. Die entstehenden Defizite haben zur Folge, dass es zu Leistungs- und Versetzungsproblemen kommen kann. Zusammenhänge zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen werden auch über die durchgeführten PISA-Studien plausibel und gewinnen an wichtiger Präsenz (vgl. Butterwegge 2017, ebd.).
Abschließen im Bereich des beengten Wohnens und des Wohnumfelds ist der weiter verbreitete Fernseh- und Videospielkonsum in den Familien zu benennen. Es kann durch den erhöhten Konsum zu negativen Folgen in der motorischen Entwicklung und der Gesundheit der Kinder kommen (vgl. Butterwegge 2017, ebd.).
Fortführende Kriterien für ein kindgerechtes Wohnen können aus der Kinderarmutsforschung unter Bezugnahme der ökologischen Sozialforschungen von Urie Bronfenbrenners entnommen werden, welche der Auto Chassé et al. 2010 in der Monografie „Meine Familie ist arm“ ab Seite 122 ausführlich benennt.
Der Bereich von Freizeitaktivitäten gründet einen weiteren gewichtigen Faktor im Erlebnis-, Erfahrungs- und Sozialisationsraum von Kindern sowie für die non-formale Bildung. Die außerschulischen Freizeitangebote für Kinder in Deutschland haben sich in den letzten Jahren beachtlich ausdifferenziert und positiv bedingt durch den Ausbau von schulischen Ganztagsangeboten. Zusätzlich zu den existenten nichtkommerziellen und offenen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe und von Vereinen hat sich eine weitere Sparte an kostenpflichtigen kinderkulturellen Angeboten wie Musik- und Computerschulen, Freizeit- und Erlebnisparks etabliert (vgl. Butterwegge 2017, S. 17).
Für gemeinsame Freizeitgestaltungen der Familien sind häufig die fehlenden materiellen und teils auch die kulturellen Ressourcen ausschlaggebend, was zur Folge hat, dass gemeinsame kindbezogene Freizeitgestaltungen eher selten stattfinden können. Vor allem betroffen sind durch nicht ausreichend vorhandenen materiellen Ressourcen die Wünsche nach gemeinsamen Urlauben, die für eine Regeneration und Erholung des familiären Systems dienen könnten. Der regenerative Spielraum von betroffenen Kindern steht somit in Abhängigkeit der materiellen Rahmenbedingungen und führt bei nicht ausreichendem Maße zur Einschränkung und Benachteiligung (vgl. Chassé et al. 2010, S. 191). Nötige Regeneration und Muße für Kinder sind dadurch eingeschränkt und sie können sich bspw. nicht von ihrer schulischen Arbeit oder von ihren vielfältigen Entwicklungsaufgaben entspannen. Durch das Fehlen dieser Phasen oder Möglichkeiten ist das Ausbilden von Persönlichkeiten und Fähigkeiten verzerrt (vgl. Chassé et al. 2010, S. 190).
„Die Familie [M.B.] ist der Anfang und die Grundlage aller Bildung“ (Züchner 2011, S. 291)
Armut und Benachteiligung sind gem. dem Lebenslagenansatzes nicht ausschließlich durch Einkommensprobleme gekennzeichnet, sondern betroffene Menschen werden in mehreren Lebensbereichen in ihren Handlungsmöglichkeiten beeinträchtigt. Die Lebenslage der Bildung ist insbesondere bei tradiert benachteiligten Familien beeinträchtigt. Den betroffenen Menschen fehlt es häufig an der Fähigkeit Angebote und Leistungen sinnerfassend zu lesen, ihren Inhalt und die Bedeutung für sich zu erkennen und dann für sich nutzbar zu machen. Das führt zu einem Stillstand im Alltag sowie zu Verhaltensunsicherheiten und eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten. Auswirkungen von eingeschränkten Informationserfassungen und -verarbeitungen sind u.a.
- die Nichtinanspruchnahme von Rechten und Dienstleistungen
- die fehlende Kompetenz, eigene Interessen durchzusetzen
- die fehlende Bereitschaft bzw. Fähigkeit zu experimentieren
- die räumliche Reduzierung auf den Stadtteil (vgl. Becher 2008, S. 43f.).
Die Autorin Becher (2008) benennt die Benachteiligung von armen Kindern in ihrer Bildungssituation als signifikant und führt dazu an, dass bspw. Hamburger Grundschulkinder mit gleicher kognitiver Lernvoraussetzung und gleicher Leistung aus sozioökonomisch deprivierten Familien eine bedeutend geringere Chance haben, eine schulische Übergangsempfehlung für das Gymnasium zu erhalten, als Kinder aus sozioökonomisch privilegierten Elternhäusern (vgl. Becher 2008, S. 44).
Die geringe Chance wird auf die Einschätzung der Schule sowie auf das mangelnde Vertrauen in arme und benachteiligte SchülerInnen zurückgeführt. Sie können den Anforderungen an Realschule und Gymnasium nicht genügen und erhalten deshalb seltener eine Empfehlung für eine höherqualifizierte Schulstufe, obwohl die entsprechenden intellektuellen Leistungen der SchülerInnen vorhanden sind (vgl. Becher 2008, S. ebd.).
Soziale Isolation aufgrund von Ausgrenzungsprozessen behindern die Bildungs- und Entwicklungschancen von armen und benachteiligten Kindern erheblich und führen zur Beeinträchtigung der sozialen Integration in das System Schule. Betroffene junge Menschen, die keine ausreichende Unterstützung oder Förderung durch ihre Familie oder ihrem sozialen Umfeld erfahren, leiden häufig unter Schulschwierigkeiten. Es folgt eine Stigmatisierung und Ausgrenzung aufgrund der Unterversorgung in den Lebenslagen Ernährung, Kleidung, materielle Ausstattung, kulturelles Verständnis und Verhalten (vgl. Becher 2008, S. 45).
Eltern von betroffenen Kindern sehen sich oft hilflos und ohnmächtig gegenüber dem System Schule und der Bildungssituation ihrer Kinder. Dabei variieren die Verhaltensweisen bei der Bewältigung der Situation von Phasen der Bestrafung und Resignation bis hin zu aktiven Phasen der Unterstützung (vgl. Becher 2008, S. ebd.).
Die betroffenen SchülerInnen kompensieren ihre Frustrationen und Trauer über erfahrene Demütigungen und Ausgrenzungen meist durch unangepasstes, rebellisches Verhalten. Sie zeigen Aggressivität und teils auch Gewalt als Reaktion der erfahrenen Ablehnung. Demütigende und einschränkende Erfahrungen innerhalb der Schulzeit haben Auswirkungen auf die Identität und Personalität von betroffenen Schülerinnen (vgl. Becher 2008, S. ebd.).
Der Begriff der Armutsbetroffenheit kann mit unterschiedlichen Messkonzepten bestimmt werden. Die häufigste Bestimmung von Armut erfolgt über die relative Einkommensarmut. Die Armutsgefährdungsquote benennt den Anteil der Personen, die in ihren Haushalten weniger als 60 % des Medians aller Einkommen in Deutschland zur Verfügung haben (vgl. Lietzmann/Wenzig 2020, S. 10).
Ein zweites Messkonzept ist die sozialstaatliche Definition der Armutsgrenze. Hier gelten Kinder als arm, wenn diese in einem Haushalt leben, der Leistungen nach den Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende beziehen (vgl. Lietzmann/Wenzig 2020, S. 11).
Die Armutsgefährdungsschwelle lag für einen Ein-Personen-Haushalt in Deutschland insgesamt bei 1.035 € und für einen Vier-Personen-Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kinder unter 14 Jahren bei 2.174 € (vgl. Lietzmann/Wenzig 2020, ebd.).
Übersicht 1: Entwicklung der finanziellen Lage von Kindern unter 18 Jahren 2009-2018 (Angaben in %)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Übersicht 1: vgl. Lietzmann/Wenzig 2020, S. 10)
Bezugnehmend auf die Daten des Mikrozensus lebten 2018 etwas über 20 % aller Kinder unter 18 Jahren in einkommensarmen Haushalten. Wird der zeitliche Verlauf der Armutsgefährdungsquote betrachtet, so lässt sich ein grundsätzlich hohes und konstantes Niveau ablesen mit einer leicht steigenden Quote (siehe Übersicht 1). Insgesamt sind die Quoten für Kinder kontinuierlich höher im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Im Jahr 2018 lag der Wert hier vergleichend bei 15,5 % (vgl. Lietzmann/Wenzig 2020, ebd.).
Bei der Betrachtung des zweiten Messkonzeptes der SGB II-Hilfsquote für Kinder unter 18 Jahren lässt sich ebenfalls im Zeitverlauf ein hohes Niveau mit gewisser Stabilität feststellen (siehe Übersicht 1). Für das Jahr 2018 waren es hier fast 14 % aller Kinder unter 18 Jahren und somit eine Gesamtzahl von zwei Millionen Kinder, die in einem Haushalt aufgewachsen sind, welcher auf Grundsicherungsleistungen angewiesen war. Die benannte Altersgruppe liegt damit deutlich über der insgesamten SGB II-Hilfsquote von 8,9 % (vgl. Lietzmann/Wenzig 2020, S. 11).
Bezugnehmend auf die materielle Unterversorgung von Kindern unter 15 Jahren und ihren Familien zeigt sich auch hier die Prämisse, dass die Wohnraumsituation und die gesellschaftliche Teilhabe aufgrund von finanziellen Nöten eingeschränkt werden. Die aktuellen und früheren Studien Ergebnisse von Lietzmann et al. (2020) zeigen, dass die grundlegenden Bereiche der Wohnungsausstattung und elementaren Gütern für Kinder in Haushalten mit Grundsicherung gut ausgestattet sind. Ein Badezimmer inkl. Toilette im Innenbereich, eine Waschmaschine, ein Fernseher und eine warme Mahlzeit fehlen weniger als 1 % der Kinder. Die aufkommenden Zahlungen für Miete und Nebenkosten könne auch in der Regel gedeckt werden. Auffallend bei der Auswertung waren zwei Aspekte in der Wohnausstattung im Bereich der erhöhten Unterversorgungslage. In etwa 10 % haben feuchte Wände oder Fußböden in der Wohnung, darunter 4 % aus finanziellen Gründen. Bei der Frage zur beengten Wohnsituation gaben ca. 20 % an, dass nicht für jedes Haushaltsmitglied ein eigenes Zimmer aufgrund von finanziellen Gründen zur Verfügung steht. Hierbei sind beträchtliche Unterschiede zu verzeichnen zu Kindern in einer gesicherten Einkommenssituation (vgl. Lietzmann/Wenzig 2020, S. 14).
In den Bereichen der Finanzen sowie sozialer kulturelle Teilhabe gibt es hohe Anteile an Unterversorgungen. Insgesamt kann hier benannt werden, dass in 60 % der Fälle es für die Familien aus finanziellen Gründen nicht möglich ist zu sparen, neue Möbel zu kaufen oder einmal im Jahr in den Urlaub zu fahren (vgl. Lietzmann/Wenzig 2020, ebd.).
Mit der Tatsache, dass die deutsche Regelschule soziale Nachteile offensichtlich nur unzureichend ausgleicht, wurden eine Reihe von Reformbemühungen durchgeführt. Anhand der Ergebnisse der PISA-Studie konnte erkannt werden, dass Länder mit regulären Ganztagsschulen ein besseres Gesamtergebnis haben. Resultierenden daraus sei eine Förderung von benachteiligten SchülerInnen in einer Ganztagsschule wirkungsvoller. Mit dieser Erkenntnis wurde 2003 von der Bundesregierung das Investitionsprogramm „Zukunft, Bildung und Betreuung (IZBB)“ verabschiedet. Kern des Programms war es den Aus- und Aufbau von Ganztagsschulen in den nachfolgenden Jahren zu fördern (vgl. Koch 2010, S. 102).
[...]