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Seminararbeit, 2016
14 Seiten, Note: 1,3
Einleitung
Inhalt und Erzählperspektive
The Murders in the Rue Morgue
The Adventure of the Speckled Band
Murder in the Mews
Charakter und Methodik
C. Auguste Dupin
Sherlock Holmes
Hercule Poirot
Resümee
Literaturverzeichnis
Das sogenannte locked-room mystery bezieht sich im traditionellen Sinne auf ein Verbrechen, das in einem abgeschlossenen Raum begangen wurde und somit eigentlich unmöglich und vor allem unlösbar ist. Das Verbrechen, bei welchem es sich fast immer um Mord handelt, wurde unter Umständen begangen, die es zunächst unmöglich erscheinen lassen, dass jemand dieses Verbrechen begehen konnte und die Frage aufwerfen, wie der Mörder ins Zimmer kam und wie er wieder hinaus gelangte. Es wirkt so, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Die Unmöglichkeit des Verbrechens und die Suche nach einer rationalen Erklärung für das scheinbar übermenschliche Verschwinden des Täters ist es, was den Protagonisten (den Detektiv) in seinen Ermittlungen vorantreibt. Dabei versucht er, hinter diese vordergründigen Gegebenheiten zu blicken und dadurch das Rätsel zu lösen.
Bereits in der Bibel finden sich locked-room mysteries (Scaggs 2005, S. 8) und der erste locked-room mystery Roman erschien im Jahre 1892 unter dem Titel „The bog bow mystery“ von Isreal Zangwill (Westlake). Dennoch wird allgemein die Kurzgeschichte „The Murders in the Rue Morgue“ von Edgar Allan Poe (1841) als das erste moderne locked-room mystery angesehen. Somit gilt Poe nicht nur als Urvater des Krimigenres allgemein, sondern auch als Wegbereiter des locked-room mystery, das sich danach als Motiv im Krimigenre etablierte und bis heute beliebt ist (Kayman 2006, S. 44). Des Weiteren fanden sich bereits kurz nach dem Erscheinen von Poes Kurzkrimi Nachahmer des von ihm eingesetzten Thema vom vermeintlich hermetisch abgeriegelten Raum. So ermittelten auch Arthur Conan Doyles Detektiv Sherlock Holmes und Agatha Christies Hercule Poirot mehrfach in Fällen, bei denen ein Mord in einem geschlossenen Raum stattfindet. Das Schema des locked-room entstand aus dem Realismus des 19. Jahrhundert. Der vorherrschende Zeitgeist wurde vor allem von der Wissenschaft und ihren Methoden beeinflusst und die Menschen glaubten, dass alles durch Logik oder rationale Beweise erklärbar ist. Selbst für die mysteriösesten Verbrechen musste es eine logische Erklärung geben und die Aufgabe des Detektivs war es, eben jene zu finden. Er musste jeden noch so kleinen Hinweis finden und ihm nachgehen, bis er schließlich wusste, wer der Mörder bzw. Täter war. Letzten Endes bedeutete dies, dass auch zunächst absolut verrückt wirkende Fälle gelöst werden konnten und zwar durch pure Logik und durch ein Investigationsgenie wie Dupin, Holmes oder Poirot.
Im Rahmen dieser Arbeit sollen vor allem die Werke „The Speckled Band“ von Doyle und „Murder in the Mews“ von Agatha Christie näher beleuchtet und mit „The Murders in the Rue Morgue“ verglichen werden. Dabei wird auf Inhalt und Erzählperspektive sowie Charakter der Hauptpersonen und deren detektivische Methoden eingegangen.
Die Kurzgeschichte „The Murder in the Rue Morgue” wird als eine der ersten detective stories erachtet und wurde erstmals 1841 in der Zeitschrift „Graham’s“ veröffentlicht (Encyclopaedia Britannica). Die Geschichte handelt von der Entdeckung eines brutalen Doppelmordes in der „Rue Morgue“, einer Straße in Paris: Eine alte Frau und ihre Tochter wurden in ihrem Appartement ermordet aufgefunden und der Täter hatte den Tatort verlassen, obwohl dieser quasi hermetisch abgeriegelt war. Die Polizei steht nun vor dem Rätsel, wie der Mörder in den von innen verschlossenen Raum hinein gelangt und vor allem, wie er wieder hinaus gekommen war. Mehrere Nachbarn hatten die Schreie der Frauen gehört und Zeugenaussagen abgegeben, die der Polizei bei ihren Ermittlungen jedoch nicht sonderlich halfen. Dupin und sein namenloser Helfer, der die Geschichte erzählt, nehmen sich des Falles an und ermitteln auf eigene Faust. Nach der Besichtigung des Tatorts und einigen brillanten Schlussfolgerungen Dupins geben die beiden eine Zeitungsannonce auf und schaffen es, den Besitzer eines wilden Orang-Utans zu sich zu locken. Der Mann gesteht auf Druck von Dupin, dass es sein entflohener Orang-Utan war, welcher die beiden Frauen getötet hatte.
„The Murders in the Rue Morgue“ wurde, wie auch die beiden anderen Kurzgeschichten über Dupin, als Ich-Erzählungen (Stanzel) aus Sicht des namenlosen Chronisten geschrieben (vgl. Genette 1998, S. 133). Nach Genette handelt es sich dabei fast ausschließlich um autodiegetische Erzählinstanzen (Genette 1998, S. 175 ff) und interne Fokalisierung (Genette 1998, S. 134 ff). Das bedeutet, dass der namenlose Erzähler die Geschehnisse aus seiner Sicht und als interessierter Zuschauer wiedergibt (Ich-Erzähler ist nicht selbst der Held, sondern Freund oder Bewunderer des Protagonisten, vgl. Depken 1977, S. 77). Edgar Allan Poe hat diesem interessierten Zuschauer jedoch nie einen Namen gegeben. Dennoch wurde sein Erzählprinzip geradezu berühmt und von vielen anderen Krimiautoren kopiert. Der namenlose Freund wird als eher beschränkt und der Intelligenz Dupins deutlich unterlegen dargestellt. Die Krimiautorin Dorothy Sayers ist der Meinung, dass dies vor allem daran liegt, dass es für die Autoren äußerst praktisch ist. (vgl. Sayers 1977, S. 148) Die Beobachtungen, Schlüsse und Gedanken des eigentlichen Helden können dadurch verschleiert werden, da der Erzähler selbst sie ja auch nicht kennt (ebda). Und dennoch hat der Leser das Gefühl, hautnah dabei zu sein und den Kriminalfall mit lösen zu können. Er merkt meist erst am Schluss, wieviel ihm eigentlich vorenthalten wurde bzw. wieviel er nicht wusste oder lösen konnte. Der namenlose Freund beobachtet oft entschieden weniger als Dupin oder erkennt die Bedeutung der Beobachtungen nicht: „I saw nothing beyond what had been stated in „Gazette des Tribunaux“ (Poe 2008, S.7). Auch teilt er dem Leser zwar mit, dass Dupin detaillierte Beobachtungen und Untersuchungen durchführt, jedoch nicht welcher Art diese sind: „Dupin, meanwhile examining the whole neighborhood, as well as the house, with a minuteness of attention for which I could see no possible object“ (Poe 2008, S. 7).
Poe benutzt in „The Murders in the Rue Morgue“ hauptsächlich extradiegetische Erzählinstanzen, nur einige wenige intradiegetische sind zu finden. So wird die Rahmenhandlung und auch die Auflösung des Falles komplett von Dupins namenlosem Chronisten erzählt, die Erläuterungen zu Dupins Schlussfolgerungen über die Gedanken seines Freundes jedoch, werden in wörtlicher Rede von Dupin selbst wiedergegeben (Poe 2008, S. 3-4).
Conan Doyles Kurzgeschichte “The Adventure of the Speckled Band” ist eines seiner frühesten Werke und gehört meines Erachtens zu den Besten seiner Krimis. Wie die anderen Erzählungen aus dem Sammelband „The Adventures of Sherlock Holmes“, wurde auch „The Speckled Band“ für die britische Zeitschrift „The Strand Magazine“ geschrieben und 1982 veröffentlicht. Die Geschichte behandelt einen der wohl bizarrsten Fälle von Sherlock Holmes und wird uns, wie immer, von Holmes treuem Freund Dr. Watson erzählt: Eine junge Frau sucht Holmes auf und bittet um Hilfe, da sie fürchtet, ihr Stiefvater plane sie zu ermorden. Ihre Zwillingsschwester war zwei Jahre zuvor unter mysteriösen Umständen in einem geschlossenen Raum zu Tode gekommen. Die junge Frau lebt zusammen mit ihrem Stiefvater in einem relativ abgeschiedenen Landhaus. Der Stiefvater hält einige exotische Tiere, lässt Zigeuner auf seinem Land leben und ist insgesamt unsympathisch, jähzornig und sogar gewalttätig. Weil der jungen Frau selbst nun die gleichen seltsamen Dinge passieren wie ihrer Schwester vor deren Tod, und weil ihr Stiefvater sie in das Zimmer der Schwester umquartiert hat, fürchtet sie um ihr Leben. Holmes und Watson fahren zu dem Landhaus und untersuchen es gründlich. Holmes löst den Fall nahezu augenblicklich. Um seine Theorie zu überprüfen schleichen sich Holmes und Watson nachts ins Haus und sperren sich in dem Zimmer der Schwester ein. Nach ein paar Stunden hören sie ein Zischen aus dem Ventilator und Holmes schlägt mit seinem Stock auf ihn ein. Anschließend finden sie den Stiefvater tot in seinem Zimmer – eine gefleckte Sumpfnatter um seinen Hals. Der Stiefvater hatte diese darauf abgerichtet, über ein Seil am Ventilator in das andere Zimmer zu kriechen und die Person dort anzugreifen. Wie fast immer in den Sherlock Holmes Geschichten, tritt der Täter schon zu Beginn der Geschichte auf. Das eigentlich Interessante ist meiner Meinung nach nicht die Lösung selbst, sondern, wie Holmes den Fall nach und nach aufrollt und verschiedenen Hinweisen nachgeht.
Was Erzählsituation und -instanzen betrifft, orientierte sich Arthur Conan Doyle, wie bereits erwähnt, stark an Edgar Allan Poe. Bei fast allen Sherlock Holmes Geschichten handelt es sich um homodiegetische bzw. autodiegetische Erzählinstanzen, die nach Stanzel als Ich-Erzähler auftreten und auf intradiegetischer bzw. extradiegetischer Ebene erzählen (vgl. Genette 1998, S. 133). „The Adventure of the Speckled Band“ beginnt mit einer extradiegetischen, homodiegetischen Erzählsituation, in der die Rahmenhandlung von Watson wiedergegeben wird, der vor seinen Notizen sitzt und über vergangene Fälle sinniert (Doyle 2011, S.1). Der Rest der Geschichte besteht aus autodiegetischen und intradiegetischen Erzählinstanzen (vgl. Genette 1998, S. 175 ff).
Auch Holmes interessierter Zuschauer Dr. Watson kann nur feststellen, dass Holmes eine Reihe von Beobachtungen durchführt, jedoch nicht welche das genau sind: „Holmes drew one of the chairs into a corner and sat silent, while his eyes travelled round and round and up and down, taking in every detail of the apartment.“ (Doyle 2011, S.8). Welche Entdeckungen Holmes bei seinen Beobachtungen macht, erfährt der Leser meist erst später. Wenn er sie doch einmal direkt erfährt, so werden ihm weder die Bedeutung mitgeteilt, die Holmes ihnen beimisst, noch die Schlüsse die er aus den gemachten Beobachtungen zieht Diese Verschleierungstaktik schließt Fairplay aus und verhindert, dass der Leser vor Holmes oder gleichzeitig mit ihm auf die Lösung des Falles kommen kann (vgl. Sayers 1977, S. 172). Dennoch bildet sie die Grundlage für den Spannungsaufbau der Sherlock Holmes Geschichten – der Leser stellt permanent Vermutungen über den Tathergang an und versucht den Fall selbst zu lösen (Depken 1977, S. 77). Depken ist weiterhin der Meinung, dass der eher durchschnittlich intelligente Watson dem Leser die Möglichkeit bietet, sich mit ihm statt mit Holmes zu identifizieren. Somit wird er nicht gezwungen, sich in den überdurchschnittlich intelligenten, mit geradezu abnormen Geisteskräften ausgestatteten Holmes zu versetzen. Das Gleiche gilt auch für Dupin bzw. Poirot.
Bei „Murder in the Mews“ handelt es sich um eine Kurzgeschichte von Agatha Christie, die 1937 zusammen mit drei weiteren im Sammelband „Murder in the Mews and Other Stories“ erschien. Alle vier sind Hercule Poirot Fälle.
Poirot und Inspector Japp ermitteln zusammen, nachdem eine junge Frau von ihrer Mitbewohnerin in einem geschlossenen Raum in ihrem Haus tot aufgefunden wurde. Die Polizei nimmt zunächst an, dass es sich um Suizid handelt. Da jedoch die Tote die Pistole in der rechten Hand hält und der Einschuss sich an der linken Kopfseite befindet, kommen sie schnell zu dem Schluss, dass es sich um Mord handeln muss, getarnt als Selbstmord. Im Verlauf der Ermittlungen stoßen Poirot und Japp schnell auf einen gewissen Major Eustace und finden heraus, dass dieser die Verstorbene erpresst hatte. Er wird somit zum Hauptverdächtigen. Poirot merkt jedoch sofort an, dass normalerweise der Erpresser ermordet wird und nicht der Erpresste. Major Eustace wird trotzdem nach einigen weiteren Indizien für seine Schuld verhaftet. Die Auflösung des Falles kommt, wie üblich bei Agatha Christie und bei locked-room mysteries generell, am Schluss. Wie in allen Poirot Geschichten, werden die beteiligten Personen unter einem Vorwand versammelt. Auf möglichst dramatische Weise präsentiert ihnen dann Poirot plötzlich die Auflösung des Falles: „‘Yes,’ he said. ‘It was murder. The willful destruction on one human being by another human being.’” (Christie 2008, S. 72). Poirot führt anschließend seine Beobachtungen und Schlussfolgerungen aus und es zeigt sich, dass die junge Frau tatsächlich Selbstmord begangen hatte und ihre Mitbewohnerin es wie Mord hatte aussehen lassen, um den Erpresser Major Eustace an den Galgen zu bringen. Damit wollte sie die Bestrafung des Majors erreichen, der ihre Freundin in den Tod getrieben hatte. Poirot überzeugt sie, dass Major Eustace für all seine anderen Verbrechen ins Gefängnis kommen wird und sie erklärt sich einverstanden, die Wahrheit zu sagen und ihn so vor dem Galgen zu retten.
Auch bei dieser Geschichte handelt es sich um ein klassisches locked-room mystery, wenn auch um ein umgedrehtes, denn es wird nicht versucht einen Mord zu verschleiern, sondern einen Selbstmord.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Poirot Geschichten fehlt sein Freund und Bewunderer Hastings komplett, stattdessen wird die Geschichte von einem unbekannten dritten erzählt. So liegt nach Stanzel ein auktorialer Erzählstil vor. Genette nennt dies eine „nicht-fokalisierte heterodiegetische Narration“ (vgl. Genette 2010, S. 245). Der Erzähler ist eher unzuverlässig, da er zunächst allwissend erscheint und beim Leser das Gefühl erweckt, dass er alle Fakten und Hinweise präsentiert bekommt. Im Nachhinein muss er dann feststellen, dass das keineswegs so war und sich der Fall komplett anders verhält. Die Rolle des interessierten Zuschauers (vgl. Depken 1977, S. 77) übernimmt Inspektor Japp, der ebenfalls eher durchschnittlich intelligent ist und Poirot bewusst zur Hilfe zieht, um diesen komplizierten Fall zu lösen.
Die Persönlichkeit des Protagonisten Dupin wird dem Leser fast ausschließlich durch die Erzählungen des namenlosen Chronisten der Geschichte vermittelt. Dieser verfügt selbst über eher beschränkte Geisteskräfte und bewundert Dupin geradezu maßlos. Er führt dem Leser ein unglaubliches analytisches Genie vor. Dieser Effekt wird dadurch unterstützt, dass Dupins Schlussfolgerungen immer richtig sind und zur Lösung des Falls führen. Auch die Reaktionen des Erzählers auf Dupins Deduktionen bestärken das Bild des überdurchschnittlichen Genies weiter:
“‘Dupin,’ said I gravely, ‘this is beyond my comprehension. I do not hesitate to say that I am amazed, and can scarcely credit my senses. How was it possible you should know I was thinking of –?’” (Poe 2008, S. 3)
C. Auguste Dupin ist Franzose und stammt zwar aus einer aristokratischen Familie, ist jedoch mittlerweile verarmt und lebt auf Kosten seines Freundes und von einer kleinen Erbschaft (Poe 2008, S. 2). Dies scheint ihn nicht weiter zu stören und er unternimmt scheinbar keine Anstrengungen um etwas daran zu ändern. Dupin ist eine absolute Nachteule und wird erst spätabends bzw. nachts aktiv um seiner Leidenschaft, dem Analysieren, nachzugehen: „It was a freak of fancy in my friend […] to be enamored of the Night“ (ebda.). Er ist ein absoluter Exzentriker, wobei sein namenloser Freund dies als belebend und fantastisch empfindet (ebda.). Auch andere soziale Werte und Normen scheinen keine große Rolle für ihn zu spielen. So übt er beispielweise keinerlei Kritik am Besitzer des Orang-Utans, der dadurch, dass er das Tier hält, eigentlich auch Mitschuld am Tod der beiden Frauen trägt.
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