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Hausarbeit, 2022
14 Seiten, Note: 1,7
Psychologie - Klinische Psychologie, Psychopathologie, Prävention
II. Abkürzungsverzeichnis
1. Einführung
2. Theoretische Fundierung Selbstmitgefühl und Essstörung
2.1 KonzeptdesSelbstmitgefühls
2.2 Definition und Ätiologie Essstörung
3. Analyse des Selbstmitgefühls bei Essstörungen
3.1 Rolle des Selbstmitgefühls bei Essstörungen
3.2 Implikationen für die therapeutische und medizinische Behandlung
4 Fazit
III. Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„Wie fühlen Sie sich, wenn Sie sehr selbstkritisch sind (Neff, 2012, S. 27)?“
Diese Frageübung stammt von der Psychologie-Professorin Kristin Neff, welche den Begriff des Selbstmitgefühls in der westlichen Welt geprägt hat. Selbstmitgefühl meint eine innere, positive und emotionale Einstellung gegenüber sich selbst (Blickhan, 2015, S. 230). Eine selbstkritische Betrachtung kann sich sehr schnell durch die große Rolle von Essen in vielen Kulturen entwickeln. Das Angebot an Feinschmecker-Restaurants, TV-Kochshows, Blogs und Fast-Food-Ketten nimmt stetig zu. Es überrascht nicht, dass ein großer Teil der Bevölkerung übergewichtig ist (Nier, 2009). Hingegen stehen bei vielen Menschen Diäten auf der Tagesordnung, um einem Idealbild zu gerecht zu werden, welches besonders durch die Medien geformt wird. Dieses Verhalten kann störanfällig sein und sich in eine Essstörung entwickeln. Diese beginnen in der Kindheit oder in der Adoleszenz1 (Davison et al., 2007, S. 346). Essstörungen sind schwerwiegende psychische Erkrankungen, die erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit und die Lebensqualität haben. Solche Störungen stehen in engem Zusammenhang mit Sorgen um das Körperbild und dementsprechend einer zu selbstkritischen Betrachtung. Es ist wichtig, Behandlungen in Betracht zu ziehen, die unsere Fähigkeit, solche Fälle zu behandeln, verbessern könnten. In letzter Zeit gibt es immer mehr Forschungsergebnisse zum Thema Selbstmitgefühl im Zusammenhang mit solchen Problemen (Turk & Waller, 2020). Selbstkritik und geringes Selbstmitgefühl werden mit der Entstehung und Aufrechterhaltung von Essanfällen, Einschränkung in der Nahrungsaufnahme und Kompensationsmaßnahmen in Verbindung gebracht (Serpell et al., 2020).
Kann Selbstmitgefühl als ein Schutzfaktor einer Essstörung wirken? Welchen Einfluss hat Selbstmitgefühl auf den Verlauf einer Essstörung? Können Implikationen für eine therapeutische und medizinische Behandlung aufdem aktuellen Forschungsstand abgeleitet werden?
Die vorliegende Arbeit untersucht die Rolle des Selbstmitgefühls bei Essstörungen, um herauszufinden, inwiefern Selbstmitgefühl bei diesen einen positiven Einfluss haben kann. Ziel dieser Arbeit ist es, eine Einschätzung über den Einfluss von Selbstmitgefühl bei Essstörungen zu geben, damit das Therapierziel einer erfolgreichen Behandlung gesichert werden kann.
Die Thematik ist bereits sehr gut erforscht und es finden sich viele Metaanalysen zum Thema „Selbstmitgefühl“ in verschiedenen Zusammenhängen. Besonders die Positive Psychologie und die Emotionsforschung beschäftigen sich mit den Zusammenhängen zwischen Selbstmitgefühl und dem psychischen Wohlbefinden, das durch eine Essstörung gefährdet werden kann. Diese Metaanalysen bilden die Grundlage zur theoretischen Fundierung dieser Arbeit. Des Weiteren existieren einige validierte Studien zum Einfluss des Selbstmitgefühls auf eine Essstörung. Diese werden im Kapitel 3 ausführlich erörtert. Die zunehmende Forschung auf diesem Gebiet zeigt eine hohe Relevanz für die Thematik. Außerdem sind die körperlichen Folgeschäden der Essstörung immens und reichen von Nieren- und Magen-Darm-Problemen über Veränderungen des Hormon- und Elektrolythaushalts bis zum plötzlichen Tod oder sogar Suzid (Davison et al., 2007, S. 373). Aber auch die psychischen Folgeschäde können weitreichend sein. Zu den häufigsten komorbiden psychosomatischen Störungen gehören affektive Störungen (bipolar/depressiv) und Angststörungen, aber auch Substanzmissbrauch zeigt sich bei einer Essstörung häufig (APA - American Psychiatric Association, 2013). Selbstmitgefühl kann hier ein effektives Konzept zur Prävention und Behandlung darstellen.
Auf Basis der theoretischen Grundlagen (Konzept Selbstmitgefühl, Definition und Ätiologie Essstörung) wird die Rolle von Selbstmitgefühl bei einer Essstörung erläutert. Aufbauend werden dann die Implikationen für die therapeutische und medizinische Behandlung reflektiert. Schließlich wird ein Fazit auf Basis der zuvor erlangten Erkenntnisse gezogen. Andere nicht näher bezeichnete Fütter- und Essstörungen finden aufgrund des Umfangs keine Anwendung in der Beantwortung der Forschungsfrage.
Nach dem Überblick aus Kapitel 1 zu der Problemstellung und Zielsetzung der anstehenden Untersuchung gilt es jetzt einen genauen Blick auf die Thematik zu werfen. Zunächst sollen die theoretischen Grundlagen zu Selbstmitgefühl und Essstörung erläutert werden. Dabei werden die Definition, das Konzept und die Bedeutung auf Grundlage des heutigen Forschungsstandes dargestellt, um im nächsten Schritt genauer auf Rolle des Selbstmitgefühls bei einer Essstörung einzugehen.
Das Konzept des Selbstmitgefühls erlangt besonders durch Kristin Neff in den letzten Jahren immer mehr Beachtung in der westlichen Psychologie (Blickhan, 2015, S. 230). Dabei verweist Neff ausdrücklich auf den Ursprung in der östlichen Psychologie, besonders im Buddhismus, wobei Selbstmitgefühl schon seit vielen Jahren in dessen Grundstein verwurzelt ist (Neff, 2012, S. 25). Selbstmitgefühl umfasst nach Kristin Neff (2012) drei Kernkomponenten (S.59):
- Freundlichkeitsich selbst gegenüber
- Verbundenheit mit allen Menschen
- Achtsamkeit
Mit der Freundlichkeit sich selbst gegenüber meint Neff (2012), „dass wir die permanente Selbstverurteilung und die abwertenden inneren Kommentare (Überidentifizierung) beenden, die die meisten längst für normal halten (S.60)“. Dabei geht es vielmehr um ein Verstehen dieser Fehler als um eine Verurteilung des eigenen Selbst. Weiterhin beschreibt die Selbstfreundlichkeit ein aktives Verhalten, indem sich die Person selbst tröstet, sorgenvollen Gedanken beruhigt und sich von der Selbstkritik löst (Neff, 2012, S. 62).
Bei der Verbundenheit mit allen Menschen steht, nach Neff, besonders das Mitgefühl im Zentrum (Neff, 2012, S. 86). „Mitgefühl bedeutet buchstäblich mitzuleiden, was eine grundlegende Gegenseitigkeit in der Erfahrung impliziert (Neff, 2012, S. 86)“. Hierbei differenziert Neff die Begriffe Selbstmitgefühl und Selbstmitleid. Fühlt sich eine Person im Vergleich zu anderen Menschen schlechter, beschreibt dieser Zustand das Selbstmitleid. Fühlt sich eine Person allerdings mit andern Menschen stärker verbunden, dann handelt es sich um Selbstmitgefühl (Neff, 2012, S. 86).
Die dritte Kernkomponente ist die Achtsamkeit und meint „den gegenwärtigen Augenblick klar wahrzunehmen und vorurteilsfrei zu akzeptieren (Neff, 2012, S. 109)“. Achtsamkeit führt zu einer ausgeglichenen Wahrnehmung und bringt uns zurück in die Gegenwart. Das bildet die Grundlage für unser Selbstmitgefühl (Neff, 2012, S. 115). Diese sorgt dafür, dass Personen den Augenblick ohne Verzerrung wahrnehmen und sich nicht in einer persönlichen „Seifenoper“ (Neff, 2012, S. 116) verlieren, sondern sich selbst trösten können. Somit fällt darunter die Anerkennung und nicht die Verurteilung dereigenen Person (Blickhan, 2015, S. 230).
In der Positiven Psychologie wird besonders der Zusammenhang zwischen Selbstmitgefühl und Well-Being (deutsch: Wohlbefinden) untersucht. Nach einer Metaanalyse von Zessin et al. (2015) korreliert Selbstmitgefühl mit Well-Being (r=.47), wobei kognitives und psychologisches Well-Being stärker korrelierten, als affektives Well-Being. Zudem verweisen die Forscher auf einen kausalen Effekt von Selbstmitgefühl auf das Wohlbefinden hin (S. 340). Eine weitere Studie nach Neff und Vonk (2009) zeigt einen starken Zusammenhang zwischen Selbstmitgefühl und Selbstwert. Auch in der Emotionsforschung wird Selbstmitgefühl intensiv erforscht. Die Basis hierbei bildet, dass Selbstmitgefühl durch Wärme und Freundlichkeit aktiviert wird (Blickhan, 2015, S. 231).
Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2017 von dem Psychologen James Kirby untersuchte den spezifischen Erfolg von Selbstmitgefühlinterventionen anhand von 1.285 Probanden aus 21 Studien mit Kontrollgruppen. Diese zeigte signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen und somit potenzielle Vorteile in Interventionen durch das Selbstmitgefühl (S. 432). Eine weitere Metaanalyse nach Phillips und Hine (2021) mit 29.588 Probanden aus 94 Studien zeigt eine Korrelation zwischen Selbstmitgefühl und körperlicher Gesundheit (r=.18) und zwischen Selbstmitgefühl und Gesundheitsverhalten (r.=26) (S.113). Diese Erkenntnisse können einen Hinweis auf den positiven Einfluss von Selbstmitgefühl auf Essstörungen geben.
Das Konzept des Selbstmitgefühls ist besonders sinnvoll bei unangenehmen Umständen, sprich wenn sich die Person eben zu selbstkritisch betrachtet. Erlebt eine Person im Gegensatz positive affektive Zustände und persönlichen Erfolg ist dieses Konzept nicht notwendig. Eine sinnvolle Ergänzung ist das konzeptionell ähnliche Zweifaktoren-Modell der Selbstwertschätzung nach Mruk (Blickhan, 2015, S. 232). Dieses erweitert das Selbstmitgefühl um das Kompetenzerleben und um die Wertschätzung (Mruk, 2013, S. 163).
Die 5. Auflage des "Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders" (DSM-V) definiert drei verschiedene Arten einer Essstörung: Anorexia nervosa (Anorexie), Bulimia nervosa (Bulimie) und die Binge-Eating Störung. Dabei wird die Anorexie in den restriktiven Typus und in den Binge-Eating/ Purging Typus unterteilt (APA - American Psychiatric Association, 2013).
Die Grundsymptome einer Anorexie sind Nahrungsrestriktion und Untergewicht. Personen mit dieser Störung schränken ihre Nahrungsaufnahme stark ein und der Body-Mass-Index (BMI) liegt unter dem Normwert von 17,5 (APA - American Psychiatric Association, 2013). Es ist wichtig bei dieser Störung zu verstehen, dass anorektische Menschen nicht ihren Appetit oder das Interesse am Essen verlieren (Davison et al., 2007, S. 347). Symptomatisch ist im Gegenteil die beherrschende Angst vor der Gewichtzunahme. Zudem weisen anorektische Personen eine Störung des Körperbildes auf, also eine verzerrte Wahrnehmung des eigenen Körpers (APA - American Psychiatric Association, 2013). Der Schweregrad einer Anorexie wird durch den BMI bestimmt. Der restriktive Typus erreicht die Gewichtsabnahme durch eine starke Einschränkung der Nahrungsaufnahme, wobei der Binge- Eating-/Purging-Typus zudem regelmäßige Essanfälle mit selbstinduziertem Erbrechen kompensiert (Davison et al., 2007, S. 347).
Die Grundsymptomatik einer Bulimia nervosa ist gekennzeichnet durch Essanfällen mit Erbrechen. Dazu gehören wiederholte, häufige Episoden von Essanfällen mit einer überdurchschnittlich hohen Kalorienanzahl und gegensteuernde Kompensationsmaßnahmen (u.a. selbstherbeigeführtem Erbrechen). Kompensationsmaßnahmen können auch Fasten, exzessiver Sport oder Medikamente (Abführmittel) sein (APA - American Psychiatric Association, 2013). Auch bei dieser Störung nimmt die Figur und das Gewicht einen zentralen Einfluss auf Selbstwert und Selbstachtung (Davison et al., 2007, S. 353). Der Schweregrad der Störung wird durch die Häufigkeit des Erbrechens bzw. anderer Kompensationsmaßnahmen ermittelt (APA-American PsychiatricAssociation, 2013).
Bei der Binge-Eating-Störung gehören zur Grundsymptomatik wiederkehrende Heißhunger- bzw. Essattacken, wobei über die Sättigung hinaus und viel schneller als im normalen Maße gegessen wird. Dabei werden keine gegensteuernden Maßnahmen, wie bei der Anorexie oder der Bulimie gewählt. Die Nahrungsmenge ist dabei viel größer als gewöhnlich (Davison et al., 2007, S. 353). Die Essattacken geschehen in der Regel im Alleinsein, da sich die Person mit der Störung für ihre großen Portionen schämt. Schuldgefühle, Deprimiertheit und ein Ekelgefühl treten nach den HeißhungerAttacken auf. Der Schweregrad einer Binge-Eating-Störung wird durch die Anzahl der episodischen Essattacken definiert (APA-American PsychiatricAssociation, 2013).
Die Lebenszeitprävelenz einer Essstörung liegt bei 1% (Davison et al., 2007, S. 349). Nach klinischen Untersuchungen sind Frauen zehnmal häufiger von einer Anorexia nervosa betroffen als Männer (Hoek & van Hoeken, 2003, S. 389). Dies scheint ebenfalls der Fall bei einer Bulimie zu sein (APA - American Psychiatric Association, 2013). Das aktuelle Schlankheitsideal und die erhöhten Ansprüche an das äußere Erscheinungsbild bei Frauen kann damit in Verbindung gebracht werden (Davison et al., 2007, S. 365). Bei einer Binge-Eating-Störung wird die Lebenszeitprävelenz auf 1,9% geschätzt (Kessler et al., 2013), wobei Frauen doppelt so häufig betroffen sind wie Männer (APA - American Psychiatric Association, 2013). Nach dem Robert Koch-Institut (2008) zeigen 17,8% der Jungen im Alter zwischen 11 bis 13 Jahren und 23,5% der Mädchen (insgesamt 20,6%) Hinweise auf eine Essstörung (S. 52).
Ziel dieses Kapitels ist es die Rolle des Selbstmitgefühls bei einer Essstörung zu analysieren. Dafür wird zuerst der evidenzbasierte Einfluss von Selbstmitgefühl auf eine Essstörung auf Basis des aktuellen Forschungsstandes herausgearbeitet, wobei der Fokus auf den Verlauf der Erkrankung liegt. Anschließend werden die Implikationen für die therapeutisch und medizinische Behandlung thematisiert.
Selbstmitgefühl spielt eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung einer Essstörung, darauf weisen mehrere validierte Studien hin. Nach einer Metaanalysen von Turk und Waller (2020) mit 59 Studien war ein höheres Selbstmitgefühl mit geringerer Esspathologie, geringeren Körperbildsorgen und einem positiveren Körperbild verbunden, mit mittleren bis starken Effektstärken (jeweils r=.-34, r =-.45, r=.52). Darüber hinaus waren Interventionen mit Selbstmitgefühl bei Essstörungen und Körperbild wirksam und den Kontrollgruppen überlegen. Diese Ergebnisse unterstützen die Rolle des Selbstmitgefühls für das Verständnis und die Bewältigung von Ess- und Körperbildproblemen. Selbstmitgefühl scheint nach diesen Ergebnissen eine adaptive Emotionsregulationsstrategie bei Essstörungen und Körperbild zu sein.
Selbstmitgefühl ist ein evidenzbasierter Schutzfaktor bei Essstörungen, das durch verschiedene Studien belegt wird. Eine Studie nach Ferreira et al. (2013) zeigt, dass Selbstmitgefühl in einem negativen Zusammenhang mit der Symptomatik von Essstörungen steht. Der Drang nach Schlankheit, der Fremdscham und die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper entsteht unter anderem durch ein geringes Selbstmitgefühl. Eine weitere Studie nach Stutts und Blomquist (2018)
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1 Adoleszenz = Lebensphase zwischen Kindheit und Erwachsenenalter (Kuhn und King, 2021, S.1303)