In einem einleitenden Teil der Examensarbeit muss zunächst geklärt werden, welche Bedeutung schöpferisches Tun für das Kind hat, was Kunsttherapie eigentlich bedeutet, welches Material verwendet wird und in welchen Bereichen auf welche Weise kunsttherapeutisch gearbeitet wird. Dazu ist es notwendig, die einzelnen Ausrichtungen der Kunsttherapie zu skizzieren, wobei der pädagogischen Kunsttherapie aufgrund der Ansätze, die sie für den Bereich der Förderungen von Kindern in der Primarstufe liefert, eine herausragende Rolle zukommt. Außerdem soll herausgearbeitet werden, warum Kunsttherapie überhaupt notwendig ist und welche Bedeutung sie in der pädagogischen Arbeit mit Kindern trägt, wozu es notwendig ist, einen Abriss über die Situation des Kindes in der heutigen Zeit zu geben.
In einem weiteren Schritt sollen die Ziele der Förderung von Kindern der Primarstufe durch den Einsatz kunsttherapeutischer Verfahren erarbeitet werden. Der Abschnitt wird sich daher mit der Leitfrage beschäftigen, welche Ziele die Kunsttherapie bei Kindern der Primarstufe verfolgen sollte und welche positiven Wirkungen diese Kinder von der Kunsttherapie erwarten können.
Anschließend an die Darlegung der Ziele, stellt sich die Frage danach, wie diese umgesetzt werden können. Hierfür sollen zunächst wichtige Komponenten der kunsttherapeutischen Praxis mit Kindern aufgezeigt werden. Im Vordergrund der Examensarbeit steht im weiteren Verlauf das Arbeiten mit dem Werkstoff Ton. Nachdem erörtert wurde, inwieweit dieser sich besonders gut für die Arbeit mit Kindern eignet, werden die Grundlagen des plastischen Gestaltens näher beleuchtet.
Im darauf folgenden praktischen Teil der Examensarbeit wird auf der Grundlage der im theoretischen Teil erarbeiteten Erkenntnisse und in Anlehnung an die Arbeitsweisen verschiedener praktizierender Kunsttherapeuten, wie Gertraud Schottenloher oder Heinz Deuser, eine praktische Arbeit mit Kindern konzipiert und durchgeführt. Dabei arbeite ich kunsttherapeutisch ausgerichtet mit einer Kindergruppe von vier Kindern einer Grundschule über einen Zeitraum von fünf Tagen hinweg im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft mit dem Werkstoff Ton. Den Kindern werden dabei verschiedene Möglichkeiten dargelegt, mit dem Material schöpferisch tätig zu sein.
Gliederung
1. Einleitung
2. Die Bedeutung schöpferischer Prozesse für das Kind
3. Was ist Kunsttherapie? – Begriffsklärungen und Definitionsansätze
4. Ansätze von Kunsttherapie
4.1. Der psychiatrische Ansatz
4.2. Der psychotherapeutische Ansatz
4.3. Der heilpädagogische Ansatz
4.4. Der anthroposophische Ansatz
4.5. Der künstlerisch- kunstpädagogische Ansatz
4.6. Der rezeptive Ansatz
4.7. Der integrative Ansatz
4.8. Der pädagogische Ansatz
4.9. Zusammenfassung und Überblick
5. Ziele der Förderung von Kindern der Primarstufe durch den Einsatz kunsttherapeutischer Verfahren
5.1. Die Situation der Kindheit heute
5.2. Ziele kunsttherapeutischer Förderung
6. Die kunsttherapeutische Praxis mit Kindern
6.1. Der Gestaltungsprozess
6.2. Die Rolle des Kunsttherapeuten
6.3. Das Material
6.4. Kunsttherapeutische Verfahren
6.4.1. Freies Arbeiten in der Kunsttherapie
6.4.2. Gelenktes Arbeiten in der Kunsttherapie
6.4.3. Gruppenarbeit in der Kunsttherapie
6.5. Beispiele aus der kunsttherapeutischen Praxis
6.5.1. Malen und Zeichnen
6.5.1.1. Kritzelbilder
6.5.1.2. Wutbilder
6.5.2. Dreidimensionales Gestalten
6.5.2.1. Arbeit am Tonfeld
6.5.2.2 Plastisches Gestalten von Körperhaltung und Bewegung
7. Plastisch – therapeutisches Gestalten mit Ton
7.1. Der Werkstoff Ton - Eigenschaften und Wirkungen
7.2. Grundlagen des plastisches Gestaltens
7.3. Elementare Stufen der Tonbearbeitung
7.3.1. Das Arbeiten mit Tonschlamm - Matschen
7.3.2. Ton werfen und kneten
7.3.3. Aus Ton formen und gestalten - Modellieren
8. Praktischer Teil: Beispiel für die Gestaltung und Durchführung einer Arbeitsgemeinschaft mit kunsttherapeutischen Elementen
8.1. Ziele der praktischen Arbeit
8.2. Die Arbeitsform
8.3. Die Kindergruppe
8.4. Der Arbeitsraum
8.5. Der zeitliche Rahmen
8.6. Die Beobachtungskriterien
8.7. Festlegung der Untersuchungsmethode
8.8. Zur Durchführung der Arbeitsgemeinschaft
8.8.1. Ton mit allen Sinnen
8.8.2. Modellieren zu Fantasiereisen
8.8.3. Gefühle mit Ton ausdrücken
8.8.4. Gestaltübungen am Tonkasten
8.8.5. Abschlussphase
8.9. Auswertung der praktischen Arbeit
8.10. Zusammenfassung der Ergebnisse
9. Kunsttherapeutische Förderung in der Primarstufe – Möglichkeiten und
9.1. Kunsttherapie und der Rahmenplan
9.2. Grenzen von Kunsttherapie in der Primarstufe
10. Zusammenfassung und Ausblick
11. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Kunst spielt in meinem Leben eine besondere Rolle. Nicht nur das Betrachten von Kunstwerken, sondern auch der Gestaltungsprozess bildet für mich einen Ausgleich zum alltäglichen Leben. Während des Gestaltens mit verschiedenen Materialien, seien es Äste, Ton oder Sand, kann ich mich entspannen und Kräfte schöpfen. Dabei bilde ich keineswegs einen Einzelfall, sondern „vom Höhlenmenschen bis hin zum Sonntagsmaler- zu allen Zeiten haben gewöhnliche Menschen an gewöhnlichen Schauplätzen in der künstlerischen Betätigung eine Hilfe für ihr persönliches Leben gesehen“ (Rubin 1993, S. 269).
Auch die meisten Kinder malen, zeichnen und modellieren gern. Nach Kramer ist künstlerische Gestaltung vom dritten bis ins dreizehnte Lebensjahr eine selbstverständliche und befriedigende Art des Ausdrucks für viele Kinder (vgl. Kramer 2004, S. 41). Es scheint, dass die Kunst, bzw. das kreative oder schöpferische Tätigsein eine wichtige Funktion im Entwicklungsprozess erfüllt.
Als Studentin des Lehramtes an Grundschulen werde ich tagtäglich in Seminaren, Vorlesungen oder durch den Kontakt zu Lehrerinnen und Lehrern darüber informiert, wie „schwierig“ die Kinder in den Schulen geworden sind. Es gibt kaum mehr Schulklassen in denen nicht mindestens ein Kind von Verhaltensauffälligkeiten, Lernstörungen oder psychischen Störungen betroffen ist. Als mögliche Gründe dafür werden vielschichtige Faktoren angenommen, wobei „sozial beeinträchtigte Lebensverhältnisse“ verbunden mit „sich verändernden familiären Rahmenbedingungen“, „negativen Vorbildern in der sozialen Umwelt“, „erhöhtem Medienkonsum“, „unzureichenden Wohnbedingungen“ und „Leistungsversagen und Misserfolgserlebnissen“ als wesentliche Faktoren hervortreten (vgl. Hampe/ Ritschl/ Waser 1999, S.13). Weniger denn je werde den Kindern Gelegenheit geboten, aktiv und kreativ zu sein (vgl. Wilson 2004, S. 5). Nach Wilson ist die eigentliche Welt der Kindheit gefährlicher, als sie über Jahrhunderte hinweg war und die Möglichkeiten in produktive Arbeit zu entkommen sind rapide schwindend (vgl. ebd.).
In meiner Examensarbeit möchte ich der Frage nachgehen, wie man Kunst, bzw. den Gestaltungsprozess einsetzen kann, um den eben genannten Störungen und Missständen entgegen zu wirken, diese zu kompensieren, bzw. in welcher Form dem ästhetischen Ausdruck eine besondere Funktion in der Verarbeitung und Bewältigung von Lebenserfahrung zukommen kann. Es geht dabei nicht ausschließlich um Kinder mit besonderen Bedürfnissen und Schwierigkeiten, sondern auch um „normale“, gesunde Kinder und ihr „normales“, gesundes Bedürfnis, sich zu äußern, die Dinge zu meistern, sich selbst zu definieren und Mechanismen der Stressbewältigung zu finden; denen man ganz einfach die förderlichsten Bedingungen für ihr Wachstum und ihre Entwicklung schaffen muss.
Eine Antwort auf die Fragestellung bietet scheinbar die Kunsttherapie, die in den letzten Jahren insbesondere in der Arbeit mit Kindern zunehmend mehr Beachtung findet (vgl. Blohm 1998, S. 42). Es soll herausgearbeitet werden, welche Möglichkeiten der Förderung von Kindern der Primarstufe die Kunsttherapie bietet.
Der Begriff Kunsttherapie ist in der Literatur nicht eindeutig definiert, so dass von einigen Autorinnen synonyme Begriffe, wie Gestaltungstherapie (vgl. Franzke 1989) oder Kreativitätstherapie (vgl. Petzold/ Orth 1991) verwendet werden. In der Literatur scheint sich inzwischen durchzusetzen, dann von „Kunsttherapie“ zu sprechen, wenn eher pädagogisches Vorgehen angebracht ist und die therapeutische Intervention zurücksteht, also dem Prozess des Gestaltens selbst therapeutische Wirkung zugesprochen wird; dagegen von „Gestaltungstherapie“ zu sprechen, wenn das Gestalten als Möglichkeit betrachtet wird, Unbewusstes sichtbar und somit bearbeitbar und integrierbar werden zu lassen (vgl. Menzen 1986, S. 106; Schottenloher 1989, S. 11ff). In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff „Kunsttherapie“ als ein Oberbegriff verwendet.
Die Kunsttherapie ist eine Therapieform, die die heilende, fördernde und stärkende Kraft des gestalterischen Tuns nutzt und eine Form der Kommunikation bietet (vgl. Kramer 2004, S. 15). Sie ist besonders für Kinder geeignet, da diese sich mit gestalterischen Medien oft besser ausdrücken und mitteilen können, als durch Worte. Dabei geht es nicht um das Schaffen von Kunstwerken, sondern darum, den Kindern durch das Gestalten eine ihrem Wesen entsprechende Ausdrucksform zu bieten und ihre Entwicklung zu fördern (vgl. ebd.). Durch den Umgang mit unterschiedlichen künstlerischen Techniken und Materialien können sich die Heranwachsenden erproben, sich selbst erfahren, erleben und wahrnehmen. Das Kind kann in einem geschützten Raum Entwicklungsrückstände aufarbeiten, seinen Bedürfnissen, Wünschen, Sorgen, Gefühlen und Phantasien Ausdruck verleihen. Nach Kramer beziehen sich die Aufgaben der Kunsttherapie auf die Stützung des Ichs, die Förderung des Gefühls der persönlichen Identität und den Reifungsprozesse im Allgemeinen (vgl. Kramer 2004, S. 21). Türk sieht die Aufgaben der Kunsttherapie in der Schulung der Wahrnehmung, dem Wiedererkennen des Reichtums an Eindrücken und Empfindungen, über den Willensstoß zur handwerklichen Umsetzung bis zur Vollendung eines Werkes (vgl. Türk/ Thies 1986, S.36f).
In der Kunsttherapie gibt es unterschiedliche Ausrichtungen, die stark durch das jeweilige Einsatzfeld gelenkt sind. In meiner Examensarbeit möchte ich diese unterschiedlichen Ansätze in ihrer Bedeutung für die Förderung von Kindern der Primarstufe skizzieren. So geht es in unterschiedlichen Ausrichtungen beispielsweise um die Stärkung des Selbstwertgefühls, Selbstvertrauens und der Selbstständigkeit, um den Abbau von ängstlichem Verhalten, um den freien Ausdruck von Gefühlen, um die Verbesserung der sozialen Fähigkeiten oder um die Wahrnehmungsförderung.
Eine wichtige Rolle in der Kunsttherapie spielt das verwendete Material. Kramer postuliert, dass „[...] die Arbeit mit Farbe, Ton oder Buntstift das Kind zur Erschaffung einer selbstbezogenen Welt einlädt, in der alles, was geschaffen worden ist, ein Stück von seiner Person enthält“ (Kramer 2004, S. 46).
In der Examensarbeit steht die Arbeit mit dem Werkstoff Ton im Vordergrund, denn dieser hat bestimmte Eigenschaften, die in der Kunsttherapie positiv genutzt werden können.
In einem einleitenden Teil der Examensarbeit muss zunächst geklärt werden, welche Bedeutung schöpferisches Tun für das Kind hat, was Kunsttherapie eigentlich bedeutet, welches Material verwendet wird und in welchen Bereichen auf welche Weise kunsttherapeutisch gearbeitet wird. Dazu ist es notwendig, die einzelnen Ausrichtungen der Kunsttherapie zu skizzieren, wobei der pädagogischen Kunsttherapie aufgrund der Ansätze, die sie für den Bereich der Förderungen von Kindern in der Primarstufe liefert, eine herausragende Rolle zukommt. Außerdem soll herausgearbeitet werden, warum Kunsttherapie überhaupt notwendig ist und welche Bedeutung sie in der pädagogischen Arbeit mit Kindern trägt, wozu es notwendig ist, einen Abriss über die Situation des Kindes in der heutigen Zeit zu geben. In einem weiteren Schritt sollen die Ziele der Förderung von Kindern der Primarstufe durch den Einsatz kunsttherapeutischer Verfahren erarbeitet werden. Der Abschnitt wird sich daher mit der Leitfrage beschäftigen, welche Ziele die Kunsttherapie bei Kindern der Primarstufe verfolgen sollte und welche positiven Wirkungen diese Kinder von der Kunsttherapie erwarten können.
Anschließend an die Darlegung der Ziele, stellt sich die Frage danach, wie diese umgesetzt werden können. Hierfür sollen zunächst wichtige Komponenten der kunsttherapeutischen Praxis mit Kindern aufgezeigt werden. Im Vordergrund der Examensarbeit steht im weiteren Verlauf das Arbeiten mit dem Werkstoff Ton. Nachdem erörtert wurde, inwieweit dieser sich besonders gut für die Arbeit mit Kindern eignet, werden die Grundlagen des plastischen Gestaltens näher beleuchtet.
Im darauf folgenden praktischen Teil der Examensarbeit wird auf der Grundlage der im theoretischen Teil erarbeiteten Erkenntnisse und in Anlehnung an die Arbeitsweisen verschiedener praktizierender Kunsttherapeuten, wie Gertraud Schottenloher oder Heinz Deuser, eine praktische Arbeit mit Kindern konzipiert und durchgeführt. Dabei arbeite ich kunsttherapeutisch ausgerichtet mit einer Kindergruppe von vier Kindern einer Grundschule über einen Zeitraum von fünf Tagen hinweg im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft mit dem Werkstoff Ton. Den Kindern werden dabei verschiedene Möglichkeiten dargelegt, mit dem Material schöpferisch tätig zu sein. Es stehen nicht die Produkte der Kinder im Vordergrund, sondern der schöpferische Prozess. Die Kinder sollen bei ihren Aktivitäten beobachtet werden und es soll untersucht und beobachtet werden, wie diese sich auf die „ungewöhnliche“ Arbeit mit dem Material und auf das Material selbst einlassen, wie sie damit arbeiten und ob sich diese Arbeit auf das Befinden und Verhalten der Kinder auswirkt. An die Tätigkeiten in der Arbeitsgemeinschaft anschließende Reflexionsphasen sollen die Erkenntnisse unterstützen.
In einem Schlussteil soll anhand der gewonnen Erkenntnisse durch Theorie und praktische Arbeit erörtert werden, ob und inwieweit die Kunsttherapie eine Chance für Kinder der Primarstufe bildet. Schließlich soll herausgearbeitet werden, welche Möglichkeiten des Einsatzes kunsttherapeutischer Elemente sich zur Förderung von Kindern in der Primarstufe realisieren lassen und wo die Grenzen sind. Hierbei sollen grundlegende Arbeitsweisen und Ansichten der Kunsttherapie mit den Bestimmungen, des aktuellen Rahmenplans für Grundschulen in Hessen verglichen werden. Im abschließenden Teil der Arbeit werden die wesentlichen Erkenntnisse dieser zusammengefasst und die Bedeutung der Erkenntnisse wird in einem Ausblick dargelegt.
2. Die Bedeutung schöpferischer Prozesse für das Kind
Was bedeutet es für ein Kind, mit Kunst umzugehen, Kunst zu schaffen und kreativ und schöpferisch tätig zu sein? Wie erlebt sich das Kind, wenn es matscht, malt oder formt? Dies sind Fragestellungen, welche in diesem Abschnitt behandelt werden sollen.
Zunächst ist festzustellen, dass die Kunst eine große Ähnlichkeit zum Spiel des Kindes aufweist und dass Kunst und Spiel zeitweise ineinander über gehen können. Im Spiel, wie auch in der Kunst ist nach Kramer die Macht des Realitätsprinzips teilweise aufgehoben, so dass verbotene Wünsche und Impulse ausgedrückt und Affekte sich gefahrlos entladen können (vgl. Kramer 2004, S. 41). Bloch fügt dem hinzu, dass, wie das Spiel auch die gestalterische Tätigkeit von den Wünschen und Fantasien des Kindes bestimmt ist. Einen wesentlichen Unterschied der Kunst zum Spiel sieht sie jedoch in der Notwendigkeit, ein Symbol schaffen zu müssen, das Verständigungswert hat und die Bedeutungsträchtigkeit erhält (vgl. Bloch 1982, S. 53). Außerdem ist das Kind in dem Sinne begrenzter als im Spiel, als dass es innerhalb des Gestaltens auf ein Objekt begrenzt ist.
Bei gestalterischen Tätigkeiten, die von den Wünschen und Fantasien des Kindes bestimmt sind, wird dieses in seiner ganzen Person und in allen Bereichen seiner Persönlichkeit angesprochen. Bei gestalterischen Tätigkeiten kann das Kind aus der Fülle seines fantastischen Materials frei auswählen und seine Vorstellungen in einer, durch das zur Verfügung stehende Material und den Entwicklungsstand des Kindes geprägten Form, darstellen (vgl. ebd.). Zwischen Kind und Objekt wird eine Beziehung hergestellt. Der gestalterische Prozess ist dabei abhängig von den Vorstellungen, die das Kind entwickelt. In diesem Prozess kann es sich dem Aufforderungsgehalt des Materials hingeben und unter Umständen nie erlaubten Schmierbedürfnissen nachgehen, diese erleben und ausagieren, wobei die Befriedigung in einem aktiven Erinnerungsprozess erreicht wird (vgl. Bloch 1982, S. 54). Auch Amendt- Lyon bestätigt, dass dem Kind durch den Einsatz kreativ- gestalterischer Techniken und Materialien die Möglichkeit geboten werden kann, „[...] Erfahrungen und Erlebnisse zu sammeln, die zu einem früheren Zeitpunkt unvollständig, beeinträchtigt oder gar nicht gemacht werden konnten“ (Amendt – Lyon 2006, S. 871).
Während der Tätigkeit des Gestaltens inszeniert das Kind bestimmte Situationen, die in einen neuen Zusammenhang gebracht werden. Bloch meint dazu: „Die innere Wirklichkeit wird durch die bildnerische Darstellung zu einer äußeren, mit der das Kind sich in Verbindung setzen kann und die nachträglich zurückwirkt“ (Bloch 1982, S. 56). „Das Kind erfährt, wer es ist, was es empfindet und was es machen kann“ (Kramer 2004, S.46). Zinker fügt dem hinzu, dass der „Künstler“ (das Kind), wenn er Gestalten als Prozess erlebt, sich selbst in einer relativ kurzen Zeitspanne als „einen ganzen Menschen“ erleben könne (vgl. Zinker 1982, S. 19).
Kindern fällt es schwer, sich in Worten auszudrücken. Laut Bloch verstehen sie sehr viel, können dieses Verständnis jedoch nicht in der Art formulieren, wie es Erwachsene gewohnt sind, d.h. auf sprachlicher Ebene (vgl. Bloch 1982, S. 58). So sind auch die ersten Begriffe, die sich das Kind von sich und seiner Umgebung, seiner Welt, macht, vorsprachlicher Art in Form von Gefühlen und bildhaften Eindrücken, die es durch sinnliche Erfahrungen gewinnt (vgl. ebd.). Das Bild, bzw. das gestalterische Produkt sprengt die Grenzen des Wortes und schafft einen umfassenden Ausdruckswert (vgl. Zinker 1982, S. 19f). Das Kind will sich durch sein gestalterisches Produkt mitteilen. Es will verstanden werden und sich selbst besser verstehen und begreifen können, um mit den unverständlichen, oft chaotischen und beängstigenden Gefühlen, Wünschen und Eindrücken umgehen zu können (vgl. Bloch 1982, S.57).
Gestalterische Produkte der Kinder setzen in einem nicht – sprachlichen Verständnisbereich an und bieten dem Kind die Möglichkeit, sich in seiner gesamten Persönlichkeit mit Formen, die nicht dem sprachlichen Diskurs unterliegen, auszudrücken.
Das Kind benutzt dabei Zeichen oder Symbole, die von den Vorstellungen der für es augenblicklich wichtigen Welt bestimmt sind. Nach Bloch bieten die Symbole ihm „eine selbst geschaffene Möglichkeit der Harmonisierung in einem selbst geschaffenen Spielraum“ (Bloch 1982, S. 60). Weiterhin bezeichnet sie die Symbolbildung als eine Kommunikationsform, die dem Kind ermöglicht, mit seinen unbewussten Inhalten in einen Dialog zu treten und durch die Ausdruckskraft und den Vermittlungswert für die Umgebung und das Kind Zusammenhänge und Erkenntnisse aufzudecken, die sich auf das Verhalten auswirken und Veränderungen hervorrufen können (vgl. Bloch 1982, S. 61). Durch das Schaffen eines Symbols werden Wünsche, Neigungen und Fantasien eingefangen, mit denen das Kind in Verbindung treten und die es bewältigen kann (vgl. ebd.). Der erste Schritt in eine Ordnung, die Sicherheit bietet und einen Ausgangspunkt darstellt, innerhalb dessen neue Ansätze gefunden werden können, wird getan (vgl. ebd., S. 63). Sowohl gelebte Gefühle, als auch gewünschte Verhaltensmuster können durch das Symbol ausgedrückt werden, so dass das Kind während des schöpferischen Prozesses Vergangenes erlebt und Gegenwärtiges, bzw. Neues ausprobiert (vgl. Bloch 1982, S. 64). Ein Übergang zu einer neuen Entwicklungsstufe kann somit geschaffen werden (vgl. ebd.).
„In der bildnerischen Arbeit schafft das Kind sich eine eigene Perspektive, durch deren Richtung und Form seine Persönlichkeitsbereiche bestimmt sind, die seine Einsichten in die Umweltstrukturen bedingen“ (Bloch 1982, S. 64).
Nach Kramer sind in der künstlerischen Arbeit viele Kinder dazu im Stande, starke Spannungen zu ertragen, die sie außerhalb der künstlerischen Situation nicht bewältigen können (vgl. Kramer 2004, S. 47). Bloch meint, eine gelungene Realitätsanpassung könne durch die Antizipation neuer Lösungsmöglichkeiten vorbereitet werden (vgl. Bloch 1982, S. 64).
Kreatives oder schöpferisches Tätigsein bedeutet eine Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit. „Jede Auseinandersetzung mit sich bedeutet, eine Einsicht in innere Strukturen und Zusammenhänge und ruft neue Beziehungen und Komplexe hervor, die sich mit anderen vereinigen und Verhalten, Willen und Gefühle zu einem harmonischen Ganzen verbinden, das sich als eine in sich gesicherte und ganzheitliche Persönlichkeit darstellt“ (Bloch 1982, S. 64). Bilder und Figuren des Kindes vermitteln somit einen ganzheitlichen Eindruck über Wünsche, Ängste, Erleben, Fantasie und Entwicklung dessen.
Zusammenfassend ist zu erkennen, dass Kunst, erlebt als Prozess, das gestalterische Schaffen, bzw. die Kreativität eine bedeutende Rolle für das Kind haben kann. „Die Kunst kann mehr rohe Triebe absorbieren und ertragen als die meisten anderen komplizierten und zivilisierten Bemühungen. In der Kunst kann ein Kind […], das tief in seinen Konflikten gefangen ist, den Übergang von Fantasie zu Vorstellung finden und die Fähigkeit zu schöpferischer Arbeit entwickeln, die seine Gefühle ausdrückt. Es kann dadurch lernen, was es bedeutet, erfolgreich zu wirken. […]“ (Wilson 2004, S. 6).
Im Folgenden soll verdeutlicht werden, wie die Kunsttherapie, die diese Bedeutung erkannt hat, das Kind durch die Anregung zu künstlerischen, bzw. schöpferischen Tätigkeiten, unterstützt und fördert.
3. Was ist Kunsttherapie? – Begriffsklärungen und Definitionsansätze
Bei dem Begriff „Kunsttherapie“ handelt es sich um den Basisbegriff „Therapie“ verknüpft mit dem Attribut „Kunst“ im Sinne von Therapie durch oder mit Kunst. Im kunsttherapeutischen Arbeiten werden Anteile der Kunst und Therapie im heilenden Sinn miteinander verknüpft, wobei die Grenzen zwischen den Bereichen „Kunst“ und „Therapie“ fließend und eher im ganzheitlichen Sinne zu sehen sind (vgl. Menzen 1990, S. 3f).
Die Kunsttherapie, welche auch als „Gestaltungstherapie“ (vgl. Franzke 1989) oder „Kreativitätstherapie“ (vgl. Petzold/ Orth 1991) bezeichnet wird, ist ein ausgesprochen weites Feld mit unterschiedlichen Ausrichtungen, Konzepten und Einsatzmöglichkeiten. So kommt diese z.B. in der Jugendarbeit, im Strafvollzug, in der Frühförderung, in Psychiatrien und Kliniken oder in der Erziehungshilfe zum Einsatz. Die Liste könnte noch um andere Einsatzgebiete erweitert werden, so dass das folgende Zitat bestätigt werden kann:
„Die Kunsttherapie gibt es nicht. Es gibt so viele Kunsttherapien wie Kunsttherapeuten“ (Kraus 1996, S. 9). Auch Lammers meint, dass es „die Kunsttherapie“ nicht gibt, da gegenwärtige kunst- und kreativtherapeutische Verfahren von zahlreichen Theorien beansprucht werden (vgl. Lammers 1998, S. 25). Petzold formuliert sein Verständnis von Kunsttherapie folgendermaßen: „Der Begriff Kunsttherapie soll für alle Therapieformen verwendet werden, die auf Möglichkeiten künstlerischen Ausdrucks zurückgreifen: die Musik- und die Poesietherapie, die Therapie mit bildnerischen Mitteln, Behandlung durch dramatisches Spiel, therapeutische Arbeit mit Puppen und Masken“ (Petzold 1990, S. 586f). Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich ausschließlich mit der Kunsttherapie im engeren Sinne, die Menzen als „Therapie mit bildnerischen Mitteln“, wie beispielsweise der Malerei, der Zeichnung oder der Plastik zusammenfasst ( vgl. Menzen 1990, S. 3).
Die Gemeinsamkeiten der „Kunsttherapien“ bestehen darin, dass angestrebt wird, Menschen mit künstlerischen Mitteln zu helfen, diese zu unterstützen und zu fördern. Sie werden mit der Absicht einer positiven Lebensveränderung betrieben (vgl. Bröcher 2006, S.11).
Eine umfassende Definition der Kunsttherapie, die alle Aspekte berücksichtigt, versucht Menzen zu bieten:
„Kunsttherapie ist ein Behandlungsverfahren im rehabilitativen, klinisch- psychologischen und psychotherapeutischen Bereich. Sie wird auch in kunstdidaktischen und gestaltungspädagogischen Verfahrensweisen angewandt, vor allem im sozialarbeiterischen und heilpädagogischen Bereich. Kunsttherapie ist eine spezifische Form der Kommunikation des menschlichen Miteinanders […]; sie geht auf die spezifisch- künstlerisch begriffenen Weisen des kulturellen Ausdrucks zurück, macht das Künstlerische zum Mittel, zum Instrument der Therapeutik“ (Menzen 1990, S. 3).
Rubin fügt dem hinzu, dass ihr therapeutischer Nutzen nicht auf Klinik, Krankenhaus oder bestimmte Gruppen von Menschen beschränkt ist, sondern jedem Menschen bekannt ist, „[...] dem ästhetische Erfahrungen einen Abbau seiner Spannungen, sinnliche Beglückung oder ein Gefühl der Integration vermittelt haben“ (Rubin 1993, S. 269).
Der Prozess der Kunsttherapie basiert auf der Erkenntnis, dass die grundlegendsten Gedanken und Gefühle der Menschen, die sich aus dem Unterbewussten ableiten, besser in Bildern, bzw. bildnerischen Gestalten, als in Worten zum Ausdruck gebracht werden können (vgl. Dalley 1986, S. 11). So arbeitet diese mit averbalen oder vorsprachlichen Mitteln, mit dem zeichnerischen, malerischen, plastischen, dem körperhaften Ausdruck eines Menschen (vgl. Menzen 1984, S. 25).
„Die Techniken der Kunsttherapie basieren auf der Erkenntnis, dass jedes Individuum, ob für Kunst ausgebildet oder nicht, eine latente Fähigkeit besitzt, seine inneren Konflikte in eine visuelle Form zu projizieren“ (Dalley 1986, S. 12).
Im Gegensatz zu vielen anderen Therapieverfahren leitet sich „die“ Kunsttherapie nicht aus theoretischen Überlegungen einer Gründerfigur oder einer spezifischen Krankheitslehre ab. Die Arbeit mit kreativen Medien und künstlerischer Gestaltung als Methode findet in zahlreichen therapeutischen Ansätzen Verwendung (vgl. Menzen 1984, S. 25f).
So spiegelt sich auch die Kunsttherapie in verschiedenen Ansätzen und Konzepten wider, die sich auf unterschiedliche Grundannahmen und die jeweiligen wissenschaftlichen Theorieansätze beziehen und in ihrer praktischen Umsetzung sehr vielfältig sind. Das Gemeinsame aller kunsttherapeutischen Ansätze, trotz unterschiedlicher Zielsetzungen und Methoden, ist die Annahme, „[...] dass die ästhetische Produktionsweise, bzw. der Gestaltungsprozess ein therapeutisches Potential darstellt“ (Hartwig 1984, S. 18).
Um einen Überblick über die kunsttherapeutische Praxis zu verschaffen, werden im Folgenden grundlegende Ansätze nach Baukus und Thies (vgl. Baukus/ Thies 1997) skizziert, wobei der Schwerpunkt auf den pädagogischen Ansätzen liegt, da diesen eine besondere Rolle im Rahmen der kunsttherapeutischen Förderung in der Primarstufe zukommt.
4. Ansätze von Kunsttherapie
Die gegenwärtigen kunst- und gestaltungstherapeutischen Ansätze sind sehr vielfältig und variieren hinsichtlich ihrer Inhalte, Intentionen und Methoden (vgl. Bröcher 2006, S. 12). Daher erweist sich eine Einteilung in klar definierte kunsttherapeutische Ausrichtungen, bzw. Ansätze als schwierig, so dass auch in der Literatur keine Einigkeit darüber besteht. Versuche der Einteilung geschehen meist bezüglich der unterschiedlichen Arbeitsfelder und Zielgruppen der Kunsttherapie.
So nehmen beispielsweise Baukus und Thies eine Gliederung in einen psychiatrischen, einen künstlerisch- kunstpädagogischen, einen (heil-) pädagogischen, einen psychotherapeutischen, einen anthroposophischen, einen rezeptiven und einen integrativen Ansatz vor (vgl. Baukus/ Thies 1997).
Es scheint mir an dieser Stelle nicht sinnvoll, die einzelnen Ansätze nach Baukus und Thies ausführlich vorzustellen, da dies den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Außerdem bezieht sich die vorliegende Arbeit auf das Arbeitsfeld Pädagogik, bzw. auf die Arbeit mit Kindern der Primarstufe, wobei vordergründig die als „pädagogische Kunsttherapie“ definierte Ausrichtung bedeutsam ist.
Bei pädagogisch orientierter Kunsttherapie, bzw. der Anwendung kunsttherapeutischer Verfahren bei Kindern und Jugendlichen geht es nach Bröcher nicht um „die Erschließung eines neuen Applikationsfeldes“, sondern um die „Ausdifferenzierung, Akzentuierung bereits vorhandener theoretischer Grundlagen und praktischer Arbeitsweisen“ (Bröcher 2006, S.12). Er deutet damit an, dass die verschiedenen kunsttherapeutischen Ausrichtungen nicht klar untereinander abgegrenzt werden können, sondern teilweise miteinander verwoben sind, so dass es zu Überschneidungen und Mischformen kommt. So stellt auch die pädagogische Kunsttherapie keinen abgeschlossenen Bereich innerhalb der Kunsttherapie dar, sondern wird von anderen Ansätzen beeinflusst und bereichert. Ich halte es daher an dieser Stelle für wichtig, einen Überblick über die verschiedenen kunsttherapeutischen Bereiche zu verschaffen und diese kurz zu skizzieren.
[...]
- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2008, Möglichkeiten kunsttherapeutischer Förderung von Kindern der Primarstufe. Das plastische Gestalten mit Ton, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/127385