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Hausarbeit, 2020
28 Seiten, Note: 1.0
1. Inhaltsverzeichnis
2. Einleitung
3. Bayerische Dialektgeschichte: Zwischen Hochdeutsch und bayerisch
3.1 Fruhes Mittelalter: Althochdeutsche Sprachbereich
3.2. Luthers Erbe und das Maul des Volkes
3.3 Die Zeit der Regeln und Normen: Sprachliche Normierung durch Normierungsbucher
4. Der Bayerische Dialekt
4.1 Regionale Eingrenzung
4.2 Binnengliederung
4.3. Sprachdimensionen des Dialekts:
5 Sprachverhaltnis: Dialekt-Standardsprache und Aspekte der Mehrsprachigkeit
5.1 Verhaltnis Standardsprache und Dialekt
5.2 Rationales Modell und romantisches Modell von Sprache
5.3 Anwendungsbereich Dialekt und Standardsprache
5.4 Schriftspracherwerb in der Grundschule als Erwerb der Standardsprache
5.5 Innere/dialektale Mehrsprachigkeit
6. Potenziale der inneren bzw. dialektalen Mehrsprachigkeit
6.1 Wissenschaftlicher Wegbereiter: Die PISA Studien 2012/13
6.2 Interkomprehensionsfahigkeit als Potenzial fur interlinguales Verstehen
6.3 Code Switching Fahigkeit als Potenzial fur abstraktes Denken und Erweiterung des Sprachbewusstseins
7. Sprachbarriere im dialektalen Sprachgebrauch
7.1 Der Terminus Sprachbarriere
7.2 Ergebnisse dialektaler Fehlerforschung im Bereich der Sprachbarriere
7.3 Analyse der Fehlerquellen
8. Fazit
9. Literaturverzeichnis
9.1 Beitrag
„Jede Provinz liebt ihren Dialekt, denn er ist doch eigentlich das Element, in welchem die Seele ihren Atem schopft“ (Goethe; Hettche 1998: 251)
Rund 210 Jahre nachdem Goethe diese Gedanken, zu seiner Begegnung mit dem MeiBner Dialekt, in sein Memoirenheft ubertrug und dem Zauber der regionalen Eigenheiten der Sprache somit auf poetische Weise einen neues Antlitz verlieh, unterzeichnete die bayerische Landesregierung ihren Koalitionsvertrag fur die kommende Legislaturperiode (2018-2023). Welche Zusammenhange bestehen zwischen diesem, zunachst nicht ungewohnlich erscheinendem politischen Vorgang und dem dialektalen Seelenelements Goethes? Nun, die bildungspolitische und kulturpolitische Agenda dieses Koalitionsvertrages enthalt eine klare dialektorientierte Auspragung. „Mundart ist Teil unserer Identitat. Daher fuhren wir einen Unterrichtsschwerpunkt „Mundart und regionale Kultur“ in der Schule ein“ (Landesregierung Bayern 2018: 37). Vor dem Hintergrund schwindender Zahlen von Grund- und Vorschulkindern, die des altbairischen1 oder mittelbairischen Dialekts machtig sind, beziehungsweise diesen zu verstehen wissen, und vor der Sorge des Sprachsterbens zahlreicher Heimatverbande des bayerischen Freistaats, mag dieser bildungspolitische Schritt verstandlich erscheinen, doch um welchem Preis? (vgl. Kratzer 2020). Der bayerische Dialekt nahm in der Dialektologie und in der linguistischen Auseinandersetzung seit jeher einen Sonderstatus ein. Die Rolle des bayerische Sprachorganismus spaltet sich seit Anbeginn der Erforschung der Dialekte zwischen Stirb und Werde, die sich seit Jahrhunderten ganz naturlich vollzieht. Die Errungenschaften des bayerischen findet Erwahnung in Brauchtumschriften und im alltaglichen Sprachgebrauch (vgl. Zehetner 1985: 12). Der Dialekt erscheint im Kontext der Landesregierung und der modernen Deutschdidaktik als ein „ausschlieBlich positives, kraftvolles und bildhaftes Element sprachlichen Ausdrucks, das dem Schuler nicht nur erhalten, sondern auch im Unterricht gepflegt werden soll“ (Reitmajer 1979: 7). Dass der Dialekt im Unterricht einen Hindernischarakter annehmen und schulische Leistung so auf verschiedenen Ebenen beeinflussen kann, steht vollig auBerhalb des Blickfeldes dieser Konzeption und findet diesbezuglich auch weniger Erwahnung (vgl. ebd.). Dieser kritischen Perspektive mochte ich mit dieser Arbeit Raum geben, um die sprachlichen Hurden und Potenziale im Umgang mit Dialekt in der Klasse und speziell im Kontext des Schriftspracherwerbs zu untersuchen und aufzuzeigen, dass die primare Dialektpragung2 des Bayerischen bei der schriftlichen Realisierung der Standardsprache in unterrichtlichen Prozessen des Deutschunterrichts eine Reihe von NormverstoBen bedingt und sich diese auf morphologischer, lexikalischer und orthographischer Ebene auch wiederspiegeln.
Ich werde anfangs ein historisches, soziolinguistisches Bild des bayerischen Dialekts und der Standard - bzw. Hochsprache zeichnen, wobei ich in diesem Zusammenhang meinen Schwerpunkt auf das historisch gewachsene Spannungsverhaltnis der beiden linguistischen Stromungen richten mochte. Ich halte diese historische Hinfuhrung fur sinnvoll, da ohne eine soziolinguistische und historische Analyse dieses Spannungsverhaltnis, zwischen der sprachwissenschaftliche Entwicklung und der besonderen Brisanz des Themas Dialekts in der bayerischen Kulturregion nicht zu verstehen ist. Den zentralen Gegenstand dieser Arbeit bilden kognitionspsychologische und padagogisch-linguistische Forschungsergebnisse zum Thema Mehrsprachigkeit und dialektale Prasenz in der Grundschule. Ich werde die Forschungsergebnisse hierbei auf zweierlei Wegen prasentieren. Einerseits werde ich ausgehend von der Defizittheorie (vgl. Oevermann 1963; Bernstein 1964) die Sprachbarrieren im schulischen Bereich untersuchen, andererseits werde ich die kognitionspsychologischen Potenziale, die der Umgang mit Dialekten mit sich bringt, im Kontext von Mehrsprachigkeit mit aktuellen Schwerpunkten aus der Sprachwissenschaft und Kognitionspsychologie belegen.
Zu Beginn der sprachgeschichtlichen Aufzeichnungen steht nicht irgendein Ur-Deutsch, sondern ein Flickenteppich aus vielfaltigen und in sich diversen regionalen Dialekten. Die regionalen Gefilde und Stamme, am Anfang der sprachgeschichtlichen Aufzeichnungen ab dem 8 Jhd. hatten keine, fur alle gultige und normierte Einheitssprache. Die stammesgeschichtliche Entwicklung lasst Ruckschlusse zu, dass es im fruhen Mittelalter, also in der Zeit der Volkerwanderung lediglich Stammesdialekte gab, die sich durch regionale Grenzen und linguistische Feinheiten mehr oder weniger stark voneinander unterschieden (vgl. Zehetner 1985: 26; Kaufmann 2020). Auch die Schriftsprache jener Zeit war keineswegs eine ur- deutsche Koproduktion mehrere Dialektregionen, sondern ein Produkt der kirchlichen Monopolstellung hinsichtlich der Schriftkultur. So zeigte sich, dass in dieser Zeit der Christianisierung durch beispielsweise iroschottische Missionare oder durch das Wirken Karls des GroBen und seiner Nachfolger, den ottonischen und salischen Kaisern, weder die Schrift- noch die Mundartsprache unter einheitlichen Vorzeichen stand (vgl. ebd). Die einzige Schriftsprache war das Lateinische, was zum einen an der damals niedrig gehaltenen Prestigestellung des Dialekts lag, „die Beschaftigung mit der als unkultiviert erachteten volkstumlichen Sprache galt als uberflussig“ (Zehetner 1985: 27) und andererseits an den limitierten Laut- und Zeichensysteme des romischen Schrift gelegen haben soll, welche in ihrer Struktur keine eigenen Buchstaben fur w, k, z, th, ch kannte und eine Ubersetzung somit unmoglich erscheinen lieBen. Ein soziolinguistischer Wandel setzte im 13 Jahrhundert ein, wobei sich der schriftliche Gebrauch des Deutschen auf flachendeckend ausweitete und die Volkssprache, die sich im Zuge der erhohten Mobilitat der Menschen in den jeweiligen Regionen ebenso erhohte und die Dialekte in starkere Mischverhaltnisse zwang, auch durch Lautwandlungen der gesprochenen Volkssprache vollzogen wurde, machte nun die Volkssprache auch in der Schrift greifbar (vgl. ebd. 32). Die Volkssprache, die mehrheitlich von den Menschen auBerhalb von Hofadel und Kirche gesprochen wurde, entwickelte sich zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz zum Lateinischen, war es im Urkundenwesen, in Gesetztestexten oder in der Geschichtsschreibung an vielen Orten der Schriftkultur zeigte das Deutsche seine Erscheinung. „Im nichtdichterischen Schrifttum kommen nun die einzelnen Mundarten wieder starker zum Vorschein, nachdem die uberregionale Hochsprache der hofischen Klassik sie weitestgehend verstellt hatte“ (Zehetner 1985: 42). Obwohl die Dialekte weiterhin an regionale Eigentumlichkeiten gebunden blieben, ubernahmen die landschaftlichen Schreibsprachen nun eine Art von hochsprachlicher Funktion (vgl. ebd. ). Der dokumentarischen Funktion der Schriftkultur zum trotzt, entwickelt sich in der fruhen Neuzeit die Standardsprache zunachst als eine reine Schriftsprache. Die mundliche Kommunikation erfolgte weiterhin in dialektaler Form ohne einheitliche Normierungsgrundlage. Ein Umstand, der dem niedrigen Bildungsniveaus vom GroBteil der Landbevolkerung zugerechnet werden kann. Die Schriftsprache per se entwickelt sich zu einer Literatursprache erst durch die Synthese aus den ober- und mitteldeutschen Dialekten Bairisch, alemannisch(schwabisch), Mittelfrankisch, Thuringisch im 13-14 Jhd. (vgl. Ebd. 33). Hinzu kam, die einigende Kraft des habsburgerischen Staates, die ab 15 Jhd. eine verhaltnismaBig einheitliche Schriftsprache zustande brachte, die von Augsburg bis Wien und von Nurnberg bis Innsbruck an Geltung gewann und bis weit in den mitteldeutschen Raum ausstrahlte. „Kennzeichen des habsburgerischen Deutsch jener Zeit und zugleich ein wesentliches Merkmal des Neuhochdeutschen ist in erster Linie die Diphtongisierung (d.h Verzwielautung) der alten Langvokale“ (Zehetner 1985: 43). Dennoch wurde im weiteren Verlauf dieser Zeitspanne aus 5 diesem Wirrwarr der Schreibungen allmahlich eine uberregionale Schriftsprache, wobei sicherlich der Buchdruck ab 1445 und Luthers Ubersetzung der Bibel einen epochalen Teil beizusteuern wusste (vgl. ebd.).
Man musse dem Volke aus Maul schauen (vgl. Gregor Delvaux de Fenffe 2020). Diese Worte Luthers charakterisieren auBerst punktiert die Rahmenbedingungen der Bibelubersetzung im 16 Jahrhundert. Nach wie vor gespalten in uber 20 GroBdialektregionen, aggregierten sich die Dialekte zu dieser Zeit um zwei groBe Sprachfamilien, dem Niederdeutschen und dem Oberdeutschen. Oberdeutsch im Suden, Niederdeutsch im Norden. Luther selbst verbrachte sein Leben in beiden Sprachraumen. Aufgewachsen im (niederdeutschen) Eisleben und lange ansassig im (hochdeutschen) Wittenberg, war es fur ihn selbstverstandlich, sich beider Sprachen zu bedienen (vgl. Gunther 2019). Luther schuf mit seiner Ubersetzung erstmals eine vereinheitlichte Form deutscher Sprache, ein epochaler Schritt, wenn man bedenkt, dass die dialektalen Unterschiede nach wie vor Bestand hatten (vgl. ebd.). Daher verwendete Luther ganz bewusst eine Ausgleichssprache. „Seine Sprache ist das im meibnisch-sachsischen Raum unter deutlichem Einfluss bairisch-osterreichischer Elemente entstandene Deutsch“ (Zehetner 1985: 49). Luther ist somit kein alleiniger Schopfer einer neuen Sprache, sondern er griff lediglich bereits vorhandenes auf und schuf dadurch auch ein reglementiertes Verstandnis deutscher Sprache (vgl. ebd.; Gunther 2019).
Wie bereits im vorherigen Abschnitt erwahnt, war die sprachliche Besonderheit Luthers eine dialektale Synthese aus ober- und niederdeutschen Dialekten. Dieser Vermischung blieb nicht ohne Folgen, so kam es in den darauffolgenden Jahren zu einer sprachliche Kluft zwischen dem normgebenden protestantischen Norden und dem katholischen Suden, die bis heute nicht uberwunden ist (vgl. Zehetner 1985: 52). Seit die Orthographie und Aussprache in Normbuchern festgeschrieben wurde, 1889 erschien erstmals das Vollstandige orthographische Worterbuch der deutschen Sprache von Konrad Duden, waren erstmals sprachliche Codefixierung in die Sprache integriert wurden, denn Duden kodifizierte mit diesem Werk die Standarddeutschen Regeln erstmalig in breiter Form (vgl. ebd.). Diese Regelungen, die Duden in sein Werk inkorporierte sind grundsatzlich Lautsprachliche Regelungen rund um das Thema Aussprache, die sich schon im Vorfeld in dem Spannungsverhaltnis sudlicher Dialekte und der Hochsprache wiederspiegelten. Weiterfuhrende Normierungsversuche unternahm 1898 der Germanist Theoder Siebs, der in seinem Werk der Deutschen Buhnensprache die Hochsprachlichen Regeln erneut furs kulturschaffende Theater und so fur breite Gesellschaftsschichten zuganglich und verbindlich machte. (vgl. ebd). Die Siebschen Regelung gingen jedoch eindeutig zu Lasten des Sudens, da in vielen Lautsprachlichen Regelungen, die norddeutsche Aussprache priorisiert wurde. Dieser Schritt erfolgte nach dem Grundsatz, dass die norddeutsche Aussprache der hochdeutschen Schreibform (s-B) weniger problematisch gegenuberstand als ihr bayerisches oder schwabisches Pendant (vgl. Zehetner 1985: 52). So sollten bis zur strikten Vereinheitlichung aber noch drei- bis vierhundert Jahre vergehen bis sich die Standardsprache in Wort und Schrift allgemein durchsetzte und beispielsweise auch den schulische Zweig die Hochsprache vollends integrierte (vgl. Gunther 2019). „Erst im 19. Jahrhundert bildete sich auch auf der gesprochenen Ebene, jenseits der Dialekte, eine gemeinsame deutsche Sprache heraus“ (Gunther 2019).
Das Bairische hat als Dialekt, wie im vorherigen Abschnitt herausgekommen sein sollte, seit dem 8 Jhd. eine entscheidende Rolle in der Auseinandersetzung mit hochsprachlichen Elementen gespielt. Doch, „streng genommen, gibt es das Bairische uberhaupt nicht“ (Zehetner 1985: 58). „Im heutigen Freistaat gibt es neben dem bayerischen Dialekt auch noch das Schwabische, das Ostfrankische und in einem kleinen Gebiet im Nordwesten das Rheinfrankische, im auBeren Norden sogar das Thuringische“ (Zehetner 1985: 16). So speist sich der Sprachorganismus bairisch aus verschiedenen dialektalen Mischformen. Dies wird deutlich, wenn man die einzelnen Erscheinungsformen verstarkt in den Blick nimmt.
Nach Auskunft der Sprachwissenschaft sind die drei groBen Unterdialekte, das Mittel-, Sud- und Nordbairische die pragenden Saulen der bairischen Dialektfamilie (vgl. Zehetner 1985: 60). Im Rahmen dieser Hausarbeit werde ich lediglich auf die mittelbairischen Dialektmerkmale eingehen, da diese die modernste und fortschrittlichste Form des Bairischen darstellt und die Variante des Dialektes ist, die uberwiegend von den Baiern gesprochen wird, jedoch falschlicherweise auch von vielen AuBenstehenden als ,,das Bairisch,, angesehen wird (vgl. ebd.). Das Mittelbairische Sprachgebiet umfasst den Donau-Isar Raum entlang den Achsen Munchen und Wien, die tschechischen Grenzgebiete, vom Alpenrand bis sudlich der Donau bei Regensburg bis in den ostlichen Bayerischen Wald hinein (vgl. ebd.).
[...]
1 „Die Schreibweise des Landesnamens von der ursprunglichen Schreibweise Baiern mit „i“ auf Bayern mit „y“ geht auf eine Anordnung Konigs Ludwigs I. von Oktober 1825 zuruck. Der Ersatz von „i“ durch das „griechische ypsilon“ war Ausdruck fur des Konigs Philhellenismus“ (Giegerich 2019)
2 In der Arbeit werden verschiedene Formulierungen dieses Sachverhalts anzutreffen sein z.B mundartgepragt, dialektal sozialisiert. All diese Begriffe bezeichnen ein und den selben Umstand: Dass eine Person in einem Umfeld aufgewachsen ist, was sich durch starke dialektale Pragung auszeichnete und der Dialekt dort die sogenannte Erstsprache/Primarsprache darstellt