Für neue Kunden:
Für bereits registrierte Kunden:
Hausarbeit, 2018
32 Seiten, Note: 13,0
1. Einleitung
2. Das Thema Flucht und seine Bedeutung
3. Vorstellung des Lernarrangements
3.1. Flucht heute: Fluchtbewegungen in der Gegenwart
3.2. Flucht in der frühen Neuzeit: Die Hugenotten
3.3. Flucht und Vertreibung durch den zweiten Weltkrieg
3.4. Flucht durch die Jugoslawienkriege der 1990er Jahre
4. Erwartungshorizont der Arbeitsaufträge
5. Literaturverzeichnis
6. Internetquellen
7. Anhang: Längsschnitt „Flucht“
Wenn man in der Geschichtsdidaktik der Frage nachgeht, wie historische Themen den Schülerinnen und Schülern1 im Unterricht nähergebracht werden können, stößt man oft auf verschiedene Begriffe, wie „Darstellungskonzepte“, „Verfahrensweisen“, „Untersuchungsverfahren“ oder „thematische Strukturierungskonzepte“.2 Durch diese verschiedenen Konzepte soll es ermöglicht werden, die Inhalte des Faches Geschichte nachvollziehbar und verständlich zu machen. Nach Barricelli können solche Darstellungskonzepte die „unendlich komplex-verwickelte vergangene Wirklichkeit“3 durch gezielte Auswahl, Strukturierung und Anordnung geschichtlicher Erscheinungen für Lehrkräfte und SuS erkenntlicher und logischer machen. Barricelli betont, dass die Lernenden zunehmend kompetenzorientierter und selbstbestimmter arbeiten und daher entwickelt sich der Umgang mit solchen Darstellungskonzepten im Geschichtsunterricht als essenzielle Grundkompetenz. Damit die Lernenden im Laufe eines Schuljahres verschiedene Darstellungskonzepte kennenlernen, anwenden und reflektieren, werden spezifische Qualifikationen und die benötigten Kompetenzen auf Seiten der Lehrkräfte vorausgesetzt.4
Die Geschichtsdidaktik untersucht vermehrt, wie das Lernen und Verstehen im Unterricht von der Formgebung des Wissens abhängt. Neben genetisch-chronologischen Verfahren, Querschnitten, Fallanalysen, individualisierenden Verfahren und Konstellationsanalysen zählt auch der Längsschnitt zu den thematischen Strukturierungskonzepten, die im Geschichtsunterricht Anwendung finden.5
In der folgenden Hausarbeit werden jedoch nicht die verschiedenen Strukturierungskonzepte im Einzelnen vorgestellt, vielmehr wird die Thematik eingegrenzt und es wird speziell auf den thematischen Längsschnitt eingegangen.
In der Geschichtswissenschaft definiert man den Längsschnitt als ein darstellerisches Konzept. In der Regel wird der Längsschnitt epochenübergreifend angewendet, damit das zeitliche Nacheinander betont wird und man die historische Zeit beschleunigt betrachten kann.6 Mit einem Längsschnitt ist es also möglich, einen erhellenden Blick auf historische Zustände zu bestimmten Zeitpunkten zu erlangen. Es werden vergangene Ereignisse auf andere vergangene Ereignisse bezogen. Damit die Arbeitsmethode gewinnbringend angewendet werden kann, sollte das Arbeiten aus einer bestimmten Gegenwartserfahrung heraus geschehen. Der Ausgangspunkt dafür sind Dimensionen, wie beispielsweise Alltagskulturen, Eigenes und Fremdes, Raumnutzung, Reisen oder Herrschaft, die bis heute immer noch Aktualität vorweisen und als historische Themen behandelt werden können.7 Die Stärken und der didaktische Wert von Längsschnitten liegen unter anderem darin, dass die Tiefendimension der Geschichte schon in frühen Jahrgangsstufen erfahren und erlebbar gemacht werden kann. Epochen werden überbrückt und historische Erfahrungen mit der Gegenwart verknüpft.8 Vor allem werden durch die Gegenwartsbezüge Problemsituationen erkennbar gemacht, aber auch Problemlösungen offengelegt.
Neben diesen Vorteilen bringt diese Methode im Geschichtsunterricht aber auch Nachteile mit sich: Einzelne historische Probleme wirken losgelöst und isoliert aus dem Strukturzusammenhang ihrer Epoche. Somit kann die Komplexität der Geschichte missverstanden werden und es kann schnell zu gedankenlosen Aufreihungen von Fakten und Ereignissen seitens der Lernenden kommen. Dadurch, dass gewisse Merkmale einer Epoche nicht behandelt werden, sondern geschichtliche Zusammenhänge isoliert voneinander betrachtet werden, kann es passieren, dass zu abstrakt unterrichtet wird und wenige bis keine Kenntnisse des chronologischen Zusammenhangs weitergegeben werden.9
Der Schwerpunkt der Hausarbeit liegt in der Konzeption solch eines Längsschnitts. Als Grundlage dient das Thema „Flucht“, welches bereits im vergangenen Semester aufgearbeitet und in einer Präsentation im Seminar vorgestellt wurde.
Zunächst wird die Wahl des Themas begründet und der Stellenwert für den historischen Lern- und Erkenntnisprozess der Lernenden aufgezeigt. Im darauffolgenden Kapitel wird das entwickelte Lernarrangement vorgestellt. Es werden die Schwerpunkte des Längsschnittes anhand der ausgewählten Materialien verdeutlicht. Die Einsichten, Erkenntnisse und Überlegungen, die die Lernenden aus den Arbeitsaufträgen erhalten sollen, werden dargestellt und begründet (didaktisches Potenzial). Ebenso wird ein Erwartungshorizont skizziert.
Der hier vorgestellte Längsschnitt befasst sich mit dem Thema „Flucht“. Zunächst gilt es, die Entscheidung für das Thema „Flucht“ zu begründen und dessen Wichtigkeit in der heutigen und zukünftigen Gesellschaft aufzuzeigen. Es ist wichtig, zu erläutern, warum das Thema für den historischen Lern- und Erkenntnisprozess der Kinder und Jugendlichen im Geschichtsunterricht von Bedeutung ist.
Migrationen aller Art, friedliche und kriegerische, erzwungene und freiwillige, kurzfristige und langfristige, massenhafte und individuelle, erfolgreiche und katastrophale, haben das Leben der Menschen zu fast allen Zeiten bestimmt.10 Diese Arten von Migrationen galten auch schon immer für den deutschsprachigen Kulturraum. Es gab Flucht- und Zwangsabwanderungen von Deutschen ins Ausland und von Ausländern nach Deutschland. Im Zusammenhang mit der Bewegung von Menschen über Ländergrenzen und über kulturelle Räume hinweg, ergeben sich wirtschaftliche, soziale und politische Interessen. Es entstehen daher besondere Herausforderungen für die Bildungspolitik, Kulturpolitik und auch für die heutige und zukünftige Gesellschaftspolitik.11
Warum ist also heutzutage das Thema „Flucht“, oder „Fluchtbewegungen“ für die Lernenden im historischen Unterricht so wichtig? Durch die gestiegene Mobilität der Gesellschaft und durch die aktuelle Flüchtlingspolitik haben viele Lernenden in Deutschland zu einem großen Teil selbst einen Migrationshintergrund und sind selbst von dem Thema Flucht und Migration umgeben und betroffen. In diesem Zusammenhang treten Erscheinungen auf, die für das interkulturelle Geschichtsbewusstsein wichtig sind. Durch „Migrationen“ entstehen „Kulturzusammenstöße und Kulturkontakte“, „Minderheits- und Mehrheitsgruppen“ sowie „multikulturelle Gesellschaften“. Es ist daher umso wichtiger, dass das „Fremdverstehen“ toleriert wird und sich dadurch neue „Gruppen-Identitäten“ ausprägen können. Für die Heterogenität ist diese Vernetzung kein Nachteil, sondern ein Gewinn.12 Im Unterricht ist es wichtig zu verstehen, dass die interkulturelle Herausforderung in der Wirklichkeit oft auch durch Spannung, Reibung, und Konflikt bestimmt wurde und bis heute vorhanden ist.13
Für die SuS ist das „Fremdverstehen“ wohl einer der wichtigsten interkulturellen Kompetenzen im Geschichtsunterricht, die es zu fördern gilt. Es bedeutet, die eigene Perspektivität wahrzunehmen, die fremde Ansicht mit all ihren Wertungen und Normen zu realisieren und auch Eigenes und Fremdes zusammenzubringen. Fremdverstehen bedeutet auch, Grenzen zu kennen und zu verstehen.14 Die Lernenden sollten mittels Empathie zum einen andere Lebenswelten verstehen und zum anderen die eigene Situation besser einschätzen, also die eigene Perspektive erweitern. Mit einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Fremden, lernen die SuS somit auch sich selbst besser verstehen.15
Aufgegriffen kann das Thema „Flucht“ in der Sekundarstufe I und II. In der Sekundarstufe I lässt es sich anhand der Inhaltsfelder, die in fünf Dimensionen und einer Basisnarrative gegliedert sind, gut einordnen. Die Dimension „Eigenes und Fremdes“ ist für das Thema Flucht, Fluchtbewegungen und Migration sehr passend. In Jahrgangsstufe 8, im Kontext der Behandlung des Unterrichtsinhaltes „Die Angst vor dem Fremden“, bietet sich ein Längsschnitt an. Auch in der Jahrgangsstufe 10 zum Thema Nationalsozialismus und der Flucht und Vertreibung der Menschen durch den Zweiten Weltkrieg ist ein Längsschnitt passend. In der gymnasialen Oberstufe (Q4), im Themenfeld „Öffentliche Debatten über die Vergangenheit als Selbstverständigung der Gesellschaft“ im Kontext mit den Auseinandersetzungen und dem Ende des Zweiten Weltkriegs kann „Flucht und Vertreibung“ mit Hilfe eines Längsschnitts thematisiert werden.16
Grundidee
Der Längsschnitt gliedert sich in verschiedene Schwerpunkte, die Fluchtbewegungen in unterschiedlichen Epochen aufzeigen. Die jeweiligen Schwerpunkte werden inhaltlich vorgestellt und die Auswahl erläutert. Im Zuge dessen ist es wichtig zu zeigen, welche Überlegungen und Gedanken die SuS durch die Auseinandersetzung mit den Materialien und Aufgabenstellungen erhalten können.17
Die Grundidee des Längsschnittes liegt einem problemorientierten Ansatz zu Grunde und ist für die 8. Klasse angedacht. Die Leitfragen ergeben sich für die Lernenden bereits aus der ersten Sequenz des Unterrichts, die in der Gegenwart angesiedelt ist. Anhand des Umgangs der heutigen Gesellschaft mit dem Thema „Flucht“ und „Fluchtbewegungen“ soll aufgezeigt werden, welche möglichen Perspektiven es auf diese Thematik gibt. Es soll erfahren werden, aus welchen unterschiedlichen Gründen Menschen flüchten und welcher Umgang mit den Geflüchteten stattfindet. Den SuS soll die Begegnungen mit dem Fremden und die gegenseitige Fremdheitserfahrung der Menschen bewusst gemacht werden. Dahingehend können eigenständige Urteile und Gedanken der SuS folgen.
Ziele
Die Ziele des Längsschnitts gehen den Beantwortungen der Fragen nach, auf welche Art und Weise Flucht und Migration in verschiedenen Zeiten der Geschichte stattgefunden hat und aus welchen Gründen Menschen aus ihren Heimatregionen flüchteten und bis heute noch flüchten. An den jeweiligen historischen Migrationsbewegungen lassen sich Ursachen, Auslöser, Mittel und Wege analysieren und miteinander oder mit heutigen Beispielen vergleichen. Die Reaktion der Gesellschaft spielt in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle und es soll verdeutlicht werden, dass Eigenes und Fremdes schon immer den Verlauf der Geschichte prägte und bis heute oft als Herausforderung gesehen wird. Die Ankunft und Aufnahme von flüchtenden Gruppen sowie Spannungen und Abgrenzungen soll von den SuS herausgestellt werden. Deutlich sollte auch werden, dass in vermeintlich homogenen und unveränderten Gesellschaften Migration kein modernes Phänomen ist.
Kompetenzschwerpunkte
Die geschichtsdidaktischen Kompetenzen des Unterrichtskonzepts liegen zum einen in der Urteils- und Orientierungsfähigkeit und zum anderen auch in der eigenen Perspektivität der Lernenden. Die SuS sollen durch das Unterrichtskonzept in der Lage sein, die Thematik im Zusammenhang mit der Vergangenheit und der Gegenwart einzuordnen. Der Einfluss von Fluchtbewegungen und Migrationen in der Vergangenheit bis hin zur Gegenwart soll dabei verstanden werden. Historische Sachverhalte können also als Instrument benutzt werden, um gegenwärtige Ereignisse zu verstehen und die eigene Lebenswirklichkeit zu erklären. Die SuS sollten in der Lage sein, durch stimmige und triftige Argumentation zu einem Sachurteil über die Fluchtbewegungen aus der Vergangenheit zu kommen. Die SuS ordnen die verschiedenen Themenschwerpunkte historisch ein. Anhand der geschichtlichen Dimension „Eigenes und Fremdes“ interpretieren die SuS die historischen Wurzeln und Ursachen von Flucht- und Migrationsgründen. Die Wahrnehmung der SuS kann somit von einer Sachanalyse, über ein Sachurteil bis zu einem Werturteil führen.18
Die Orientierungsfähigkeit hilft, die historischen Zusammenhänge einzuordnen und auf die Gegenwart, die aktuellen politischen Ereignisse und Entwicklungen zu beziehen. Auch in Diskussionen und Gesprächen mit den Mitschülerinnen und Mitschülern hilft Orientierungskompetenz die eigene Einstellung, Vorurteile, Haltungen und Deutungsmuster gezielter in den Unterricht einzubringen und Aussagen besser zu reflektieren und kritisch zu hinterfragen.19 Wichtig ist auch, dass den Lernenden ermöglicht wird, eine eigene Position zu der Thematik zu finden und dass es auf ein politisches Problem unterschiedliche Perspektiven gibt, die auch unterschiedliche Lösungsvorschläge bieten.20
Sachanalyse
Durch Kriege, bewaffnete Konflikte und politische Verfolgung im 21. Jahrhundert sind immer mehr Menschen dazu gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Weltweit sind es mittlerweile 50 Millionen Menschen, die sich auf der Flucht befinden. Viele Menschen suchen Zuflucht im direkten Nachbarland und kleinere Anteile versuchen, nach Europa zu flüchten. Im Jahre 2014 haben circa 626.000 Menschen in der EU Asyl beantragt und nehmen dafür lebensbedrohliche Wanderungen oder Überseefahrten über das Mittelmeer auf sich.21 Flucht bedeutet im Grunde genommen, das Ausweichen von Gewalt, welche heutzutage meist aus politischen, religiösen, rassistischen oder genderspezifischen Gründen ausgeübt oder angedroht wird. Häufig begeben sich Menschen daher über einem längeren Zeitraum auf die Flucht und müssen sich an verschiedenen Fluchtorten niederlassen. Migrantinnen und Migranten sind daher gewillt, ihren Aufenthaltsort andernorts dauerhaft oder temporär zu gewährleisten. Ziele der Fluchtbewegungen sind natürlich die eigene Sicherheit zu gewährleisten, aber auch das Streben nach Autonomie, Schutz und die Chance auf Erwerbsund Bildungsmöglichkeiten.22 Es gibt verschiedene Gründe der Flucht. Viele Flüchtlinge ergreifen die Flucht, da in ihrem Heimatland Krieg herrscht, ebenso gibt es politisch Verfolgte Flüchtlinge. Politisch Verfolgte sind all diejenigen, die im Falle der Rückkehr in ihrem Heimatland einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung ausgesetzt sind. Dies kann durch die Nationalität, politische Überzeugung, religiöse Grundentscheidung oder Zugehörigkeit bestimmter sozialer Gruppen sein. Je nachdem, aus welchen Gründen Menschen fliehen, streben sie eine dauerhafte oder temporäre Asylberechtigung an.23
Didaktische und methodische Überlegung
Der erste Schwerpunkt behandelt das Thema Flucht und Fluchtbewegungen in der heutigen Gesellschaft und ist für den Längsschnitt essenziell, da die Lernenden sich durch die Gegenwartserfahrung mit diesem Thema identifizieren können. Die Migration und die Flüchtlingsdebatte gelten als gesellschaftliche Herausforderung im 21. Jahrhundert. Das Thema Migration und Flucht hat den Lebensbereich Schule durchdrungen und auch die Schülerschaft verändert. Diese Ausgangslage ändert auch die Herangehensweise im Geschichtsunterricht. Migration und Flucht soll weiterhin mit Beispielen aus der Vergangenheit verdeutlicht werden, aber die aktuelle Ausgangslage kann und soll als Grundlage im Unterricht genutzt werden.24 Wichtig ist, wie auch bei den noch folgenden Schwerpunkten, dass herausgearbeitet wird, aus welchen unterschiedlichen Gründen die Menschen die Flucht ergriffen. Was veranlasste sie dazu ihre Heimat zu verlassen? Dementsprechend ist es von Bedeutung, dass die Lernenden auch erfahren, wie der Umgang mit den Geflüchteten in ihrer neuen Umgebung war und bis heute ist. Diese Punkte sollen in den Arbeitsaufträgen integriert werden.
Der Schwerpunkt wird zu Beginn des Unterrichts behandelt, da er Grundlage, Voraussetzung und Einstieg für die weitere Thematik ist. Der Einstieg in die Thematik soll durch ein Zitat des einstigen Bundespräsidenten Johannes Rau, aus dem Jahre 2002 eingeleitet werden:
„[...] inzwischen ist Deutschland nämlich ein Einwanderungsland geworden, inzwischen leben Millionen Menschen hier - zu einem immer größeren Teil auch als deutsche Staatsbürger - deren historische und kulturelle Wurzeln in ganz anderen Ländern und Kulturen liegen. Wir sind uns einig darüber, dass Integration, also das Finden eines ,Wir‘, das Gebot der Stunde ist.“25
Den SuS wird schon im Austausch untereinander und unter Einbezug der aktuellen Flüchtlingsdebatte bewusst werden, dass die Gesellschaft, in der sie leben, kulturell unterschiedlich verwurzelt ist. Es sollte klar werden, warum und wie es zu solch einer multikulturellen Gesellschaft kommt. Welche Faktoren dafür ausschlaggebend waren und immer noch sind und ob dies ein Phänomen der aktuellen Zeit ist, oder ob es in der Geschichte schon immer Ereignisse wie Flucht, Migration und Auswanderung gegeben hat. In seinem Zitat spricht Rau das Finden eines ,Wir‘ an. Im Zuge dessen und mit Berücksichtigung der Dimension „Eigenes und Fremdes“ kann darüber gesprochen und diskutiert werden, was das ,Wir‘ bedeutet und inwiefern sich die SuS zusammengehörig fühlen oder auch das ,Wir‘ als fremd auffassen.
Zur weiteren Bearbeitung dient ein kurzer Text zu den heutigen Fluchtursachen (T1). Der Text bietet sich als Einstiegstext an, da er Informationen zu Fluchtursachen aufzeigt und historisches und politisches Hintergrundwissen bereithält. Die Informationen aus dem Text helfen den Lernenden, die Fluchtbewegung in der heutigen Gesellschaft zu verstehen und einzuordnen. Die Quelle T2 ist ein biographischer Text und schildert die gefährliche Flucht von Syrien nach Deutschland. Diese Quelle wurde ausgewählt, um zu zeigen, welche Strapazen, Mühen und Gefahren eine Flucht aus dem eigenem Land in ein sicheres Europa birgt. Durch die Auseinandersetzung der SuS mit dem Text kann vor allem das Verstehen anderer Lebenswelten gefördert werden. Das Reflektieren über das „Fremdverständnis“ und den Umgang mit dem „Fremden“ soll hierbei eine Rolle spielen.26 T3 zeigt, dass es in der Gegenwart unterschiedliche Gründe zum Verlassen des Heimatlandes gibt und unterscheidet die Begriffe „Flüchtling“ und „Migrant“ voneinander. Durch das Scannen des QR-Codes (M1) können die SuS ein Zeitungsinterview aus dem Jahr 2015 aufrufen. Das Interview zeigt eine Frau, die vor 70 Jahren selbst nach Deutschland flüchtete und in der DDR aufwuchs. Es werden ihre Ansichten zu den Unterschieden und Ähnlichkeiten zur heutigen Flucht und Vertreibung dokumentiert. Diese beiden Materialien liefern den SuS Informationen, aber auch Anregungen zur dazugehörigen Aufgabenstellung und zum eigenständigen Transferdenken. Die SuS sollen die aktuellen Fluchtbewegungen mit denen aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkriegt vergleichen und auch auf die Begrifflichkeiten „Flüchtling“ und „Migrant“ richtig anwenden. Die SuS können hier erstmals Parallelen der heutigen Fluchtbewegungen mit denen aus der Vergangenheit ziehen. Mit den Informationen aus dem Interview ist es möglich die Aufgabe zu bearbeiten. Um hier eine Binnendifferenzierung zu schaffen, kann für leistungsstärkere SuS diese Aufgabe als eine eine Art Anregung dienen und sie können versuchen weitere historische Fluchtbewegungen aus der Vergangenheit mit heute zu vergleichen. Auch im Kontext mit der eigenen familiären Vergangenheit kann geforscht werden und Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zu heutigen Ereignissen festgestellt werden. Die Aufgabe dient nicht zur Wissensabfrage. Vielmehr geht es darum, dass die SuS sich auf das Thema einzulassen, kognitiv angeregt werden und erstmals Gegenwärtiges mit Historischem vergleichen. Im weiteren Verlauf des Längsschnitts werden sie dann immer mehr inhaltlich dazulernen.
Sachanalyse
In den Hugenottenkriegen der frühen Neuzeit bekämpften sich die französischen Protestanten und Katholiken gegenseitig. 36 Jahre lang gab es keine Einigung, bis das Toleranzedikt von Nantes 1598 ihre staatbürgerliche Gleichstellung festlegte und diesen Bürgerkrieg vorübergehend beendete. 1685 wurde dies aber von König Ludwig XIV aufgehoben, da er die Hugenotten und deren Religion nicht mehr tolerierte und zum endgültigen Schlag ausholte.27 Von den 800.000 Hugenotten traten viele dann als Neukonvertierte in die katholische Kirche ein, einige aber nahmen die Flucht aus dem Land auf sich, um ihrem Glauben treu bleiben zu können. Auswanderungsverbote hatte es schon vor der Aufhebung des Toleranzedikts gegeben, da die Emigration schon vor dem Widerrufsedikt eingesetzt hatte. Durch den Druck der Katholiken konnten viele Protestanten seit den sechziger Jahren ihre Berufe nicht mehr ausüben, was zur existenziellen Bedrohung führte.28 Die Hugenotten hatten, im Vergleich zu anderen und gerade der Mehrzahl der modernen Flüchtlinge, die Möglichkeit, die Bedingung ihrer Ansiedlung mitzubestimmen. Zum einen wurde ihnen, gerade in der Anfangszeit und insbesondere in reformierten Ländern Europas, als Glaubensflüchtlinge Mitleid und Unterstützung entgegengebracht. Die Hugenotten galten als „attraktive“ Einwanderer. Ihre handwerklichen Fähigkeiten, beispielsweise in der Textilverarbeitung, waren gesuchte Fertigkeiten, und die europäischen Obrigkeiten erhofften sich von hugenottischen Unternehmern die Errichtung von Manufakturen.29
[...]
1 Im Nachfolgenden abgekürzt mit SuS, um den Lesefluss zu vereinfachen.
2 Vgl. Barricelli, Michele, Lücke Martin (Hrsg): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts. Wochenschau Geschichte, 2012, S. 202.
3 Vgl. ebd., S.202-203.
4 Vgl. Barricelli, Michele: Thematische Strukturierungskonzepte, in: Geschichtsmethodik, Handbuch für die Sekundarstufe I und II, hrsg. v. Hilke Günther-Arndt, Berlin 2010, S.46.
5 Zu den thematischen Strukturierungskonzepten siehe auch Günther-Arndts, Hilke: „Geschichtsmethodik, Handbuch für die Sekundarstufe I und II“, 2010, S.47-59.
6 Vgl. Barricelli, Michele, Lücke Martin (Hrsg): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts. Wochenschau Geschichte, 2012, S. 208-209.
7 Vgl. Barricelli, Michele: Thematische Strukturierungskonzepte, S.50-51.
8 Vgl. Erdmann, Elisabeth: Thematische Längsschnitte, in: Thematische Längsschnitte für den Geschichtsunterricht in der gymnasialen Oberstufe, hrsg. v. Elisabeth Erdmann, Neuried 2002, S.15-16.
9 Vgl. Michler, Andreas: Längsschnitte im Geschichtsunterricht - Versuch einer Typologie, in: Thematische Längsschnitte für den Geschichtsunterricht in der gymnasialen Oberstufe, hrsg. v. Elisabeth Erdmann, Neuried 2002, S.30-31.
10 von Borries, Bodo: Historische Denken Lernen - Welterschließung statt Epochenüberblick. Geschichte als Unterrichtsfach und Bildungsaufgabe, in: Studien zur Bildungsgangforschung, Band 21, hrsg. v. Arno Combe;Meinert A. Meyer; Barbara Schenk, Warschau 2008, S. 139.
11 Vgl. Bade, Klaus: Migration und Integration als Herausforderung an Gesellschafts- und Bildungspolitik, in: Interkulturelles Geschichtslernen, hrsg. v. Andreas Körber, Münster 2001, S.40.
12 Vgl. von Borries, Bodo: Historische Denken Lernen - Welterschließung statt Epochenüberblick. Geschichte als Unterrichtsfach und Bildungsaufgabe, S.138-141.
13 Vgl. Bade, Klaus: Migration und Integration als Herausforderung an Gesellschafts- und Bildungspolitik, S.4546.
14 Vgl. Alavi, Bettina: Von der Theorie zur Praxis interkulturellen Lernens. Problembereiche bei der Planung und Durchführung von Unterricht, in: Interkulturelles Geschichtslernen, hrsg. v. Andreas Körber, Münster 2001, S.103.
15 Vgl. Hilke, Günther-Arndt: Fremdverstehen, Schülervorstellungen und qualitative Forschung, in: Migration und Fremdverstehen. Geschichtsunterricht und Geschichtskultur in der multiethnischen Gesellschaft, hrsg. v. Bettina Alavi und Gerhard Henke-Bockschatz, Idstein 2004, S.215-216.
16 https://kultusministerium.hessen.de/sites/default/files/media/g9-geschichte.pdf, S.37 und https://kultusministerium.hessen.de/sites/default/files/media/kcgo-ge.pdf, S.42, letzter Zugriff am 13.09.2018.
17 Die Arbeitsaufträge und die Materialien befinden sich im Anhang dieser Arbeit.
18 Vgl. https://kultusministerium.hessen.de/sites/default/files/media/kcgo-ge.pdf, S.15, letzter Zugriff am 13.09.2018.
19 Vgl. ebd., letzter Zugriff am 16.09.2018.
20 Vgl. ebd., S.11-12., letzter Zugriff am 16.09.2018.
21 http://www.bpb.de/apuz/207998/editorial, letzter Zugriff am 22.09.2018.
22 Vgl. Oltmer, Jochen: https://www.bpb.de/apuz/229817/kleine-globalgeschichte-der-flucht-im-20- jahrhundert?p=all, S.3, letzter Zugriff 22.09.2018.
23 Vgl.http://www.bamf.de/DE/Fluechtlingsschutz/AblaufAsylv/Schutzformen/Asylberechtigung/asylberechtigu ng-node.html, letzter Zugriff am 26.09.2017.
24 Vgl. Alavi, Bettina: Migration und Fremdverstehen - eine geschichtsdidaktische Einführung, in: Migration und Fremdverstehen. Geschichtsunterricht und Geschichtskultur in der multiethnischen Gesellschaft, hrsg. v. Bettina Alavi und Gerhard Henke-Bockschatz, Idstein 2004, S.25-27.
25 Zitiert nach: Rau, Johannes: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes- Rau/Reden/2002/09/20020910 Rede2.html, letzter Zugriff am 22.09.2018
26 Vgl. Hilke, Günther-Arndt: Fremdverstehen, Schülervorstellungen und qualitative Forschung, S217.
27 Vgl. Hildegarf, Cronjaeger: Verfolgung, Flucht und Vertreibung der Hugenotten, in: 300 Jahre Hugenotten in Hessen. Herkunft und Flucht. Aufnahme und Assimilation. Wirkung und Ausstrahlung, hrsg. v. Wegner, Karl- Hermann, Kassel 1985, S.35.
28 Vgl. Dölemeyer, Barbara: Die Hugenotten, Stuttgart 2006, S.23-26.
29 Vgl. ebd., S. 40-43.