Es ist wirklich saukomisch. Da gibt es doch einige blitzgescheite Personen, die einen mordsmäßigen Riesenkrach und Heidenlärm um eine Gruppe von Wortbildungsphänomenen veranstalten, die sie selbst als problembetonte Affixoide bezeichnen. Dem Streit zwischen Komposition und Derivation sind bereits das stinknormale Werk und das arme -arm zum Opfer gefallen. Zwischen all dem Wasser-, Stahl-, Blatt-, Ast-, Bau- und Wurzelwerk weiß selbiges gar nicht mehr, wo ihm der Kopf steht. Sehnsuchtsvoll oder vielleicht auch sehnsüchtig wird zudem die Entscheidung um das gefühls-, kalorien-, baum-, bügel- und pflegearme -arm erwartet. Brauchen wir also tatsächlich einen wortbildungskategoriefähigen Zwischenbegriff von Komposition und Derivation oder sind einige Experten nur besonders ideenreich und affixoidhungrig?
Auch wenn der geschilderte Sachverhalt zunächst einmal recht amüsant erscheint, so beschäftigt sein Inhalt seit den 80er Jahren immer wieder die Wortbildungsforschung. Schnell kristallisierte sich dabei der Arbeitsbegriff des Affixoids heraus, der seitdem die Wortbildungsphänomene einschließt, die weder der Komposition noch der Derivation eindeutig zuzuordnen sind. Um an diesem Phänomen die Grammatikalisierung in der Wortbildung beschreiben zu können, wurden sowohl Begriffsbestimmungen als auch Kriterien der Affixoidbezeichnung zur eindeutigen Einordnung bemüht. Sowohl auf diachroner als auch synchroner Ebene liegen die Forschungsmeinungen zu zahlreichem Wortmaterial jedoch sehr weit auseinander. Mit dieser Arbeit soll deshalb eine Systematisierung des aktuellen Forschungsstandpunktes erfolgen und an ausgewähltem Wortmaterial überprüft werden.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Grammatikalisierung in der Wortbildung anhand der Entwicklung des Affixoidbegriffs
1. Grammatikalisierungsmodell nach Munske
2. Begriffsbestimmung des Affixoids
2.1 Das Affixoid als eigene Wortbildungskategorie
2.2 Das Affixoid als Randbereich von Komposition und Derivation
2.3 Fazit
3. Kriterienkatalog der Affixoidbestimmung nach Stevens
III. Schwierigkeiten in der Affixoidbestimmung anhand ausgewählten Wortmaterials
1. Das Affixoid -arm
2. Das Affixoid -werk
3. Fazit
IV. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Es ist wirklich saukomisch. Da gibt es doch einige blitzgescheite Personen, die einen mordsmäßigen Riesenkrach und Heidenlärm um eine Gruppe von Wortbildungsphänomenen veranstalten, die sie selbst als problembetonte Affixoide bezeichnen. Dem Streit zwischen Komposition und Derivation sind bereits das stinknormale Werk und das arme -arm zum Opfer gefallen. Zwischen all dem Wasser-, Stahl-, Blatt-, Ast-, Bau- und Wurzelwerk weiß selbiges gar nicht mehr, wo ihm der Kopf steht. Sehnsuchtsvoll oder vielleicht auch sehnsüchtig wird zudem die Entscheidung um das gefühls-, kalorien-, baum-, bügel- und pflegearme -arm erwartet. Brauchen wir also tatsächlich einen wortbildungskategoriefähigen Zwischenbegriff von Komposition und Derivation oder sind einige Experten nur besonders ideenreich und affixoidhungrig?
Auch wenn der geschilderte Sachverhalt zunächst einmal recht amüsant erscheint, so beschäftigt sein Inhalt seit den 80er Jahren immer wieder die Wortbildungsforschung. Schnell kristallisierte sich dabei der Arbeitsbegriff des Affixoids heraus, der seitdem die Wortbildungsphänomene einschließt, die weder der Komposition noch der Derivation eindeutig zuzuordnen sind. Um an diesem Phänomen die Grammatikalisierung in der Wortbildung beschreiben zu können, wurden sowohl Begriffsbestimmungen als auch Kriterien der Affixoidbezeichnung zur eindeutigen Einordnung bemüht. Sowohl auf diachroner als auch synchroner Ebene liegen die Forschungsmeinungen zu zahlreichem Wortmaterial jedoch sehr weit auseinander. Mit dieser Arbeit soll deshalb eine Systematisierung des aktuellen Forschungsstandpunktes erfolgen und an ausgewähltem Wortmaterial überprüft werden.
Im ersten Teil der Arbeit erfolgt eine allgemeine Betrachtung zur Grammatikalisierung in der Wortbildung im Zusammenhang mit der Entwicklung des Affixoidbegriffs. Dazu wird auf ein aktuelles Modell der Grammatikalisierung nach Munske zurückgegriffen, an welchem gleichzeitig der Entwicklungsweg von Affixoiden skizziert werden soll. Zudem wird der Begriff des Affixoids selbst im Fokus der Betrachtung stehen, an dessen Klärung sich ein Kriterienkatalog zur Bestimmung des Affixoidstatusses nach Stevens anschließt. Im zweiten Teil der Arbeit wird dann der Versuch unternommen diesen Kriterienkatalog anhand der zwei häufig diskutierten Beispiele -werk und -arm anzuwenden und die Einordnung dieser als Affixoide zu überprüfen und gegebenenfalls zu revidieren. In einer Schlussbetrachtung werden dann noch einmal alle gewonnenen Ergebnisse abschließend zusammengetragen.
II. Grammatikalisierung in der Wortbildung anhand der Entwicklung des Affixoidbegriffs
Niemand bestreitet, dass das System der Wortbildung einem Wandel unterliegt. Dennoch wird in der Fachliteratur kaum bzw. nur am Rande der Versuch unternommen diese Wandlungsprozesse zu beschreiben und zu systematisieren. Daraus resultiert auch die für die Sprachwissenschaft verhältnismäßig geringe Untersuchung vorhandener Grammatikalisierungsprozesse in der Wortbildung. Einen möglichen Grund dafür nennt Munske in seinen Aufsatz zum Wortbildungswandel:
Es ist die Unmerkbarkeit dieses Phänomens in der jüngeren Sprachgeschichte […] [und] die erstaunliche Kontinuität des Wortbildungssystems, die den Wandel so wenig sichtbar werden läßt .[1]
Es gibt jedoch vereinzelt Wortbildungsphänomene, die diesen Wandel auch auf einer jüngeren Sprachstufe erkennen lassen: so zum Beispiel die Affixoidbildung. Der geringe sprachgeschichtlich zu untersuchende Zeitraum führt dabei allerdings zu konträren Meinungen hinsichtlich der Begriffsbestimmung und Einordnung in vorhandene Wortbildungsmuster von Komposition und Derivation.
Im ersten Kapitel dieser Arbeit ist der aktuelle Forschungsstand zu Grammatikalisierungsprozessen in der Wortbildung anhand der Affixoidbildung darzulegen. Dazu werden zunächst im nun folgenden Punkt das Grammatikalisierungsmodell nach Munske und die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen für die Bildung der Affixoide vorgestellt.
1. Grammatikalisierungsmodell nach Munske
Um Grammatikalisierungsprozesse in der Wortbildung beschreiben und erklären zu können, stellte Munske 2002 ein Grammatikalisierungsmodell für die Wortbildung auf in Anlehnung an die Stufen der Grammatikalisierung in der Flexionsmorphologie.[2] Für Munske ergaben sich dabei die sechs in Abbildung 1 aufgelisteten Stufen[3] :
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Grammatikalisierungsmodell nach Munske Entwurf: Grünert
Als Ausgangspunkt sieht Munske eine syntaktische Konstruktion wie zum Beispiel in Folge , des Hundes Bellen, niedriges Wasser und hinab steigen . Diesem folgt auf einer zweiten Stufe die Univerbierung bzw. Inkorporation eines syntaktisch abhängigen Elements in den Kopf der Konstruktion, die allerdings noch nicht eigenständig, sondern meist neben dem Syntagma existiert, wie der Fall in Folge und infolge zeigt. Zunehmend kommt es dann auf einer dritten Stufe zur Verfestigung der Inkorporation hin zu einem reihenbildenden Kompositionsmodell. So entsteht aus hinab steigen das Komposita hinabsteigen/ Hinabsteigen , aus des Hundes Bellen ein mögliches Genitivkomposita mit Schwund des Genitiv -s zu das Hunde(s)bellen und das niedrige Wasser wird zu dem Determinativkomposita Niedrigwasser . Durch die zunehmende Reihenbildung begünstigt, bleicht auf Stufe vier die lexikalische Bedeutung eines der Kompositionsglieder aus und es entstehen allgemeine Wortbildungsbedeutungen in einer Ableitung. Hierzu zählen unter anderem das heutige Suffix -zeug ( Schuhzeug, Schlagzeug, Werkzeug, Spielzeug, Schreibzeug ) und das in Kapitel III.1 und III.2 zu besprechende Wortmaterial -arm ( pflegearm, abgasarm, bügelarm ) und -werk ( Blattwerk, Astwerk, Bauwerk, Kunstwerk ). Auf der fünften Stufe erfolgt eine phonologische Reduktion des Affixes bis hin zum Schwund, welche über mehrere Sprachstufen hinweg am besten zu beobachten ist: So existiert die ahd. Endung -o im Neuhochdeutschen nicht mehr bzw. nur noch als ø-Ableitung. Einem ähnlichen Phänomen könnte die nhd. Endung -er , die bereits selbst eine phonologische Reduktion darstellt, wie bei schwanger unterliegen, wenn sich dialektale Einflüsse ( *schwanga ) durchsetzen. So wäre hypothetisch eine Entwicklung des nhd. -er zu -a möglich. Ist diese Reduktion bis zum Schwund erfolgt, geht Munske von einer sechsten Stufe aus, bei der die nun entstandene funktionale Lücke durch ein neues Syntagma mit freien Lexemen ausgefüllt wird.
Munske selbst räumt ein, dass sich in der bisherigen Sprachbetrachtung der Sprachwissenschaftler kein Wortmaterial findet, das alle Stufen einmal linear durchlaufen hat und dieses Modell somit bestätigen könnte. Jedoch merkt er an, dass sich jede Stufe einzeln seit dem Althochdeutschen belegen lässt. Das Problem dieses Modell anhand eines Beispiels zu belegen, ergibt sich aus dem stetigen Sprachwandel. So geschieht es, dass der Prozess einmal auf Stufe zwei, drei oder sogar noch vier stehen bleibt oder durch Reanalyse von Lehnwörtern[4] ein Quereinstieg auf Stufe drei oder vier erfolgt.[5]
[...]
[1] Munske, 2002, S. 24.
[2] vgl. Munske, 2002, S. 36.
[3] vgl. ebd., S. 37.
[4] Zu nennen ist hier das Wortbildungsmuster der Augmentativbildungen.
[5] vgl. Munske, 2002, S. 37.
- Arbeit zitieren
- Kathleen Grünert (Autor:in), 2008, Entwicklung und Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Affixoids in der Wortbildung, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/125784