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Facharbeit (Schule), 2021
38 Seiten, Note: 5.5
Germanistik - Komparatistik, Vergleichende Literaturwissenschaft
1 Einleitung
2 Das Leben von Alexander von Humboldt und Thaddäus Haenke
3 Die Ankunft in der neuen Welt
3.1 Alexander von Humboldts erste Impressionen aus der neuen Welt
3.2 Der unglückliche Beginn des Thaddäus Haenke in Amerika
4 Die Flussschifffahrt
4.1 Alexander von Humboldt über die Flussschifffahrt
4.2 Die südamerikanischen Flusssysteme aus den Augen von Haenke
5 Die Menschen in der neuen Welt
5.1 Alexander von Humboldt im Dienste der Gerechtigkeit
5.2 Thaddäus Haenke über die Menschen in Südamerika
6 Das Ende der Reise
6.1 Der Kreis schliesst sich bei der Reise von Alexander von Humboldt
6.2 Die endlose Reise des Thaddäus Haenke
7 Schlussfolgerung
8 Literaturverzeichnis
8.1 Sigel
8.2 Primärliteratur
8.3 Sekundärliteratur
Der Augenblick, wo man zum erstenmal von Europa scheidet, hat etwas Ergreifendes. Wenn man sich noch so bestimmt vergegenwärtigt, wie stark der Verkehr zwischen den beiden Welten ist, wie leicht man bei den grossen Fortschritten der Schifffahrt über den Atlantischen Ocean gelangt, der, der Südsee gegenüber, ein nicht sehr breiter Meeresarm ist, das Gefühl, mit dem man zum ersten Mal eine weite Seereise antritt, hat immer etwas tief Aufregendes.1
Mit diesen Worten beschreibt Alexander von Humboldt das Gefühl, welches ihn bei seiner Abreise aus Europa ins ferne Amerika überkam. Sie bezeugen die Erfüllung einer jugendlichen Sehnsucht eines preussischen Adeligen – die Sehnsucht nach der Erforschung der Tropen, für die er sich geboren fühlt.2 Als Humboldt dieses Zitat niederschrieb, stand noch in den Sternen, dass der Drang in die Ferne, hinaus aus dem schwermütigen und monotonen adeligen Leben, hinein in grosse Expeditionen, zu einer der wichtigsten und präzisesten Forschungsreisen der damaligen Zeit führen sollte, von der Alexander von Humboldt als Held zurückkommen wird. Der Aufbruch aus dem Schloss in Berlin, weit weg in eine andere, fast gänzlich unbekannte Welt, markiert den Ausgangspunkt von Alexander von Humboldts Suche nach, ganz in Manier von Goethes Faust formuliert, «dem Grossen und Ganzen, was die Welt im Innersten zusammenhält»3. Sie sollte ihn schlussendlich bis in den Kosmos, so sein gleichnamiges Spätwerk, führen.
Das einleitende Zitat hat noch aus einem anderen Grund diesen Ehrenplatze zurecht verdient – es beschreibt den Moment der Abreise vom angestammten europäischen Kontinent in Spanien und stellt damit auch den Beginn von Humboldts Amerikanischen Reisetagebüchern dar, auf welchen die vorliegende Arbeit zu einem grossen Teil basiert. Dementsprechend haben sie auch Einzug in den Titel dieser Arbeit gefunden. Humboldts Amerikanische Reisetagebücher lassen sich gemäss der Staatsbibliothek Berlin zu den wissenschaftsgeschichtlich und reiseliterarisch wichtigsten sowie politisch und gesellschaftlich wirkungsvollsten Dokumenten des ausgehenden 18. und des gesamten 19. Jahrhunderts zählen.4 Sie wurden von Alexander von Humboldt auf seiner Reise durch grösstenteils unerforschte, tropische Gebiete Amerikas in den Jahren 1799 bis 1804 angefertigt und in insgesamt neun Bände gegliedert. Die Reisetagebücher stellen keineswegs ein zur Veröffentlichung vorgesehenes Werk dar, sondern sind eher als eine mit Notizen versehene Sammlung von verschiedensten Beobachtungen anzusehen, so vor allem von naturwissenschaftlicher und kulturwissenschaftlicher Art. Aufbauend auf diesen Reisetagebüchern stellte Humboldt im Anschluss an die Reise weitergehende wissenschaftliche Studien jeglicher Art an, die anschliessend als separate Werke der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.
An dieser Stelle soll der Inhalt der Reisetagebücher in möglichst kurzer Form umrissen werden, woraufhin im Hauptteil eine ausführliche Beschreibung der biographischen und historischen Hintergründe folgen wird.
Humboldts Reise startete im Sommer 1799 in Spanien, von wo aus er über die Kanarischen Inseln nach Neu-Granada überschiffte. In Südamerika angekommen, konnte er bei seinen Flussbeschiffungen eine natürliche Verbindung zweier Stromgebiete, eine Bifurkation, zwischen dem Amazonenfluss Rio Negro und dem Strom Orinoco nachweisen.5
Nach einem Zwischenaufenthalt auf Kuba reiste Humboldts Expedition durch die Anden und Humboldt konnte den Vulkan Chimborazo besteigen, nicht bis ganz zum Gipfel hinauf – er kapitulierte laut eigener Messung auf 5881 Metern.6 Trotzdem stellte er damit einen neuen Höhenweltrekord für Bergsteiger auf, der mehr als ein halbes Jahrhundert Bestand haben sollte.7 Auf seiner weiteren Reise besuchte Humboldt die Stätten der Inka. Zudem erforschte er mittels Temperaturmessungen die später nach ihm benannte Meeresströmung, den Humboldt-Strom.8 Nach diesem Meilenstein wurde die Reise ins heutige Neu-Spanien fortgesetzt, wo er Studien über das damalige Vizekönigreich betrieb.9 Über Kuba bewegte sich die Reise ihrem Ende entgegen – es ging nach Philadelphia und von dort aus weiter nach Washington, wo Humboldt vom damaligen Präsidenten Jefferson empfangen wurde.10 Die anschliessende Rückreise brachte Humboldts Expedition im Sommer 1804 zurück auf das europäische Festland nach Frankreich, womit seine Südamerikareise beendet war und die langjährige Aufarbeitung der Reise bevorstand.11
Humboldt hatte schon im Laufe seiner Reise zunehmend an Berühmtheit gewonnen und war nach seiner Rückkehr in Europa hoch angesehen. Dies ist er bis heute, sowohl in Europa als auch auf der anderen Seite des atlantischen Ozeans.
Es könnte nun fälschlicherweise der voreilige Schluss gezogen werden, dass Alexander von Humboldt der erste und einzige Südamerikaforscher seiner Zeit war, was jedoch nicht der Wahrheit entsprechen würde. Im grossen Schatten von Alexander von Humboldt verbirgt sich noch ein anderer Forscher, der ebenfalls aus dem deutschsprachigen Raume stammt, und auch im selben Jahrzehnt die neue Welt durchkämmt hat, aber nicht einmal einen Bruchteil des Ruhms von Alexander von Humboldt ernten konnte: Dieser Jemand heisst mit vollem Namen Thaddäus Xaverius Peregrinus Haenke,12 stammend aus dem böhmischen Dorfe Kreibitz im heutigen Tschechien.
An dieser Stelle soll ein Zitat aus dem Jahre 1937 von Prof. Dr. Otto Quelle, vom Ibero-Amerikanischen Institut zu Berlin, die Bedeutung von Thaddäus Haenke für die Erforschung Amerikas nahebringen.
Ich habe mich jetzt wieder in die wissenschaftliche Eroberung Spanisch-Amerikas im 18. Jahrhundert vertiefen müssen. Da begegnen uns ja eine ganze Reihe deutschstämmiger Gelehrter. Aber nur einer unter ihnen steht in der Zeit vor Alexander von Humboldt allen voran, es ist Thaddäus Haenke. Er hat von den Ländern um den Grossen Ozean herum die längste Zeit geforscht, das Meiste gesehen; er ist wohl der wissenschaftlich am besten Geschulte vor Alexander von Humboldt. Von erstaunlicher Vielseitigkeit und Gründlichkeit liegen von ihm eine grosse Zahl wertvoller Publikationen vor, die es verdienen, dass man sie zusammenfassend herausgeben sollte.13
Dem Zitat gelingt es, die Bedeutung von Haenkes Reise hervorzuheben und gleichzeitig auch auf das unerforschte Potential hinzuweisen, welches in Haenkes Texten schlummert. An dieser Stelle könnte eingeworfen werden, dass das Zitat aus dem Jahre 1937 stamme, doch in den vergangenen 80 Jahren hat sich an der Situation um Haenke kaum etwas verändert – die meisten Werke über ihn wurden in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts verfasst. Schon an der Situation um die literarische Quellenlage zeigt sich die grundsätzliche Verschiedenheit der Gesamtsituation zweier Forscher, Haenke und Humboldt, die sich im selben Zeitraum mit mehrheitlich denselben Wissenschaften auf demselben Erdteil beschäftigt haben, aber einen vollkommen unterschiedlichen Bekanntheitsgrad besitzen.
Die Situation um Haenke und Humboldt versteht der Humboldt-Biograph Hanno Beck in seiner Biographie «Alexander von Humboldt» aus dem Jahre 1959 treffend in wenigen Sätzen zu schildern.
Humboldt und Haenke sind beide grosse Forscher, nur hat ihre Grösse einen verschiedenen Charakter. Humboldt war gewiss der Erfolgreichere, der Bekanntere und ist heute noch der Anerkanntere, weil er es verstand, seine Pläne in die Tat umzusetzen. Er war gewiss der Glücklichere, aber er selbst war seines Glückes Schmied. Man darf ihm Haenkes Schicksal und den glücklichen Stern, der über seinem eigenen Forscherleben stand, nicht – mehr oder weniger stillschweigend – vorwerfen. Der Reichtum an geographischen Ergebnissen Humboldts in knapp fünf Jahren beruht auf einem vollendeten Zusammenspiel von Vorbereitung und Ausführung bei seiner Forschungsreise. Ebenso verschieden wie eigenständig ist die Lebensarbeit Haenkes, dem das Schicksal 24 Jahre in Südamerika gewährte und auferlegte.14
Um das vorangehende Zitat verstehen zu können, ist an dieser Stelle, genau wie bei Humboldts Südamerikareise, auch eine kurze Schilderung der Amerikareise von Thaddäus Haenke angebracht.
Die Reise von Haenke begann ebenfalls in Spanien, im Sommer 1789 legte das Schiff in Richtung Südamerika ab, wo es an der argentinischen Küste kurz vor der Landung kenterte.
Nach der unglücklichen Landung schloss er sich der spanischen Malaspina-Expedition an, die ihn von Argentinien nach Peru führte, wo er verschiedene Studien durchführte. Die Reise wurde ins Inkareich fortgesetzt, wo Haenke Städte und Berge besichtigte und untersuchte. Nach unbedeutenden Abstechern nach Panama und Mexiko wurde in Nordamerika eine Insel als Würdigung seiner wertvollen Mitarbeit an der Expedition nach ihm benannt. Nach einer beschwerlichen Reise durch Mexiko führte die Malaspina-Expedition Haenke auf die Philippinen und weiter nach Neuseeland und Australien. Zurück in Südamerika trennte sich Haenke von der Expedition und bereiste auf eigene Faust den südamerikanischen Kontinent, wobei er Flüsse befuhr und Vulkane erforschte. Nach den Expeditionen setzte er sich in Bolivien zur Ruhe, heiratete und bekam einen Sohn. Mit fortschreitendem Alter sehnte er sich immer stärker nach Europa zurück. Eine Rückkehr blieb ihm aufgrund der revolutionären Wirren und Unruhen verunmöglicht und so starb Haenke aus ungeklärten Gründen im Jahre 1817 in Bolivien.15
Schon an dieser Stelle kristallisieren sich sowohl Ähnlichkeiten als auch Differenzen im Vergleich der Reisen von Haenke und Humboldt deutlich heraus, die im folgenden Hauptteil eine wichtige Rolle spielen werden. Die Forschungsfrage der Arbeit lässt sich folgendermassen formulieren: Wie lassen sich die niedergeschriebenen Reiseerlebnisse von Alexander von Humboldt und Thaddäus Haenke analysieren und vergleichen? Der direkte Vergleich zwischen Textstellen der beiden Forscher Haenke und Humboldt ist dabei naturgemäss durch die Anzahl vergleichbarer Quellen beider Forscher beschränkt, denn bei der Quellenlage zeichnet sich ein ähnliches Bild wie beim Bekanntheitsgrad ab.
Während bei Humboldt eine fast endlose Zahl an Quellen aus seinen Reisetagebüchern, Briefwechseln und späteren Niederschriften existiert, findet sich bei Haenke nur eine überschaubare Anzahl an erhaltenen Briefdokumenten, die unter seiner Hand entstanden und den Verkehr mit seiner Familie und Wissenschaftlern in Europa dokumentieren. An dieser Stelle muss noch darauf hingewiesen werden, dass Haenkes Briefe nur in einer nicht überarbeiteten Form vorliegen und die in dieser Arbeit abgedruckten Zitate folglich Fehler beinhalten. Die Quellen von Humboldt wurden hingegen von den Herausgebern seiner Niederschriften überarbeitet.
Der Forschungsstand präsentiert sich ähnlich wie der Bekanntheitsgrad und die Quellenlage. Über Alexander von Humboldt existiert eine Vielzahl an Werken. So gibt es einerseits Primärliteratur, welche meist von Humboldt veröffentlichte Werke in geordneter, gekürzter und überarbeiteter Form wiedergibt. Ein wichtiger Herausgeber solcher primärliterarischen Werke ist Ottomar Ette, aus dessen Quellensammlungen ein Grossteil der in dieser Arbeit zitierten Texte aus Humboldts Werken entnommen wurde. Andererseits existiert zu Humboldt auch sehr viel Sekundärliteratur, welche sich meist mit seinem Leben und Wirken auseinandersetzt. Bei der Betrachtung seines Lebens spielt selbstverständlich die Südamerikareise eine wichtige Rolle. In der Sekundärliteratur wird meist das Leben von Alexander von Humboldt nacherzählt und an passenden Stellen durch Originaltexte wie Auszüge aus Briefen, Studien, Tagebüchern und nicht zuletzt aus seinen Werken ergänzt, um dem Leser ein möglichst genaues Bild von Humboldt darzubieten. Solchen sekundärliterarischen Werken wurden die Biographie und die Hintergrundinformationen für diese Arbeit entnommen, zusätzlich wurden auch Einzelquellen wie Briefe oder Tagebucheinträge für eine Analyse in dieser Arbeit herangezogen.
Über Thaddäus Haenke existieren, im Gegensatz zu Humboldt, nur sehr wenige Werke. Die Mehrheit dieser Werke wurde in den 1930er-Jahren veröffentlicht. Diese Arbeit beruht auf einem Buch von Josef Kühnel, welches erstmals im Jahre 1939 veröffentlicht und im Jahre 1960 stark überarbeitet herausgegeben wurde. Es ist jeweils hälftig in Biografie und unbearbeitete Originalquellen, grösstenteils in Briefform, aufgeteilt.
Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, die vorhandenen Quellen der beiden Forscher einer direkten Analyse zu unterziehen. Dabei werden Textstellen, in der die beiden ähnliche Ereignisse oder Beobachtungen beschreiben, miteinander verglichen. Die Quellen werden dabei in Bezug auf verwendete Sprache und Inhalt untersucht. Damit unterscheidet sich diese Arbeit von der Mehrheit der über Humboldt und Haenke veröffentlichten Werke, welche sich nicht einer solchen direkten Textanalyse der Originalquellen widmen, sondern die Originalquellen meist lediglich im Zusammenhang mit biografischen Hintergründen wiedergeben.
Bevor mit besagter Quellenarbeit, welche im Hauptteil in chronologischer Ordnung erfolgt, begonnen werden kann, müssen zuerst die dafür benötigten Hintergrundinformationen biographischer und geschichtlicher Art vorgestellt werden.
Am 14. September 1769 erblickte Alexander von Humboldt als Sohn des Kammerherrn der preussischen Prinzessin in Berlin das Licht der Welt.16 Der Vater kümmerte sich schon früh um die Erziehung seiner beiden Söhne Wilhelm und Alexander. So bemühten sich die Hauslehrer im elterlichen Schloss um die beste Erziehung des Nachwuchses, gemäss den Idealen der Aufklärung.17
Die Humboldtbrüder wurden ähnlich wie an einer Universität von Spezialisten unterrichtet, wobei Alexander von Humboldt immer im Schatten seines zwei Jahre älteren Bruders Wilhelm stand, da er als weniger befähigt und lernunwillig angesehen wurde, und dem Lernen die Erforschung der Natur in der Umgebung des Schlosses vorzog.18
Mit 18 Jahren verliess Humboldt das elterliche Schloss und studierte Kameralistik, woraufhin er aber wegen Unterforderung zu Botaniker Wildenow nach Berlin wechselte.19 Im weiteren Verlauf setzte sich Humboldt an der Universität Göttingen mit Anatomie und Zoologie auseinander und lernte Naturforscher Georg Forster kennen, den er als Vorbild nahm.20 Nach seinem Studium bildete sich Humboldt in Freiberg zum Bergassessor aus,21 woraufhin er als solcher den Bergbau analysierte und weiterentwickelte.
Als Humboldt durch den Tod seiner Mutter im Jahre 1796 zu einem grossen Vermögen kam, machte er sich als Wissenschaftler selbstständig.22 Dank des Erbes konnte Humboldt seinen Wunsch, die bereits beschriebene Amerikareise, umsetzen, und sich auf der gesamten Expedition und bei der jahrelangen Nacharbeit vollkommen unabhängig den Wissenschaften widmen.
Thaddäus Haenke hingegen kam nicht in den Genuss einer solchen Familiensituation. Er wurde am 6. Dezember 1761, also knapp acht Jahre vor Humboldt, im nordböhmischen Dorf Kreibitz geboren. Auf dem elterlichen Hof lernte Haenke schon früh mitanzupacken, was ihm auf seiner Südamerikareise mit Sicherheit von Vorteil war. Auch auf die musikalische Erziehung wurde geachtet, Haenke lernte das Orgelspiel, was ihm später einen Nebenverdienst während den ersten Studienjahren einbrachte. In Prag konnte Haenke das Gymnasium besuchen und wurde Mitglied des Kreuzherrenordens. Mit 19 Jahren begann Haenke unter bitterer Bedürftigkeit sein Studium der Philosophie, Mathematik und Astronomie, woraufhin er bereits nach zwei Jahren zum Doktor der Philosophie promoviert wurde. Nun liess er sich in das Studium der Medizin einschreiben und beschäftigte sich mit Botanik.23
Haenke bekam 1786 ein Stipendium für Wien zugesichert, um dort seine Medizin- und Botanikerausbildung abzuschliessen, wo er unter noch stärkerer Armut litt. Seine Lage veranschaulicht der Brief an seine Eltern: «…glauben Sie mir, wenn man mir jetzt nicht helfen will, einst, die Zeit wird gewiss kommen, wird es nicht mehr nötig sein, so Gott will!»24 Mit der Zeit wurden Mitglieder der Wiener Gelehrtenkreise auf Haenke, der als Kind der Aufklärung galt, aufmerksam und seine finanzielle Lage verbesserte sich. Nach mehreren Alpenreisen teilte er mit, dass er nach Beendigung seines Studiums nicht eine sichere Stellung als Landarzt anzutreten gedenke, sondern sein Wissen ausweiten wolle, Forschen und Sammeln bevorzuge.25
Im Jahre 1789 bekam Haenke endlich die Möglichkeit seinem Forscherdrang nachzugehen, als ihn sein Lehrer Jacquin für die spanische Forschungsreise in die Südsee empfahl, weil es den Spaniern an Botanikern fehlte. Der damalige Kaiser Joseph II konnte von Haenkes Lehrern um eine Erlaubnis überzeugt werden, und Haenke handelte bei der Audienz mit dem Monarchen aus, dass er mit Forschungsergebnissen wieder in die Heimat zurückkehren werde, woraufhin der Machthaber zustimmte. Dank finanzieller Unterstützung seiner Wiener Lehrer konnte Haenke die Reise nach Spanien antreten, wo er dann die Expedition nach der neuen Welt knapp verpasste und alleine den europäischen Boden verlassen musste, auf welchen er nie wieder zurückkehren sollte.26
In den vorgestellten Biografien zeigen sich viele Gemeinsamkeiten. Die beiden Forscher waren einander auch bekannt, Humboldt besuchte Haenke in Südamerika. Trotzdem springen sofort grundlegende Unterschiede ins Auge, auf die kurz eingegangen werden soll.
Haenke musste sich in Eigeninitiative um seine Bildung kümmern und diese auch durch gute Leistungen vorantreiben, damit er zu etwas Essbaren kam, während Humboldt von Kindestagen an nach preussischen Idealen grossgezogen wurde, und ihm die umfassendste und beste Bildung, nur mit den besten Lehrenden seiner Zeit, aufgedrängt wurde.
In der Vorbereitung der Reise finden sich weitere tiefgreifende Unterschiede: Humboldt konnte sich eine eigene Südamerikareise, ganz nach eigenen Wünschen gestaltet, inklusive jahrelanger Nachbereitungen problemlos leisten. Es war für ihn keine finanzielle Hürde, sich mit den besten Instrumenten der Zeit einzudecken, und die besten Wissenschaftler für sich zu gewinnen. Haenke konnte hingegen mit etwas Glück an einer organisierten Reise teilhaben, die ihm wenig Entscheidungsfreiraum zur Verfügung stellte und ihn somit von der spanischen Regierung abhängig machte. Zudem war er auf Gönner angewiesen, um sich eine Grundausstattung an Instrumenten zuzulegen, welcher er überdies bedauerlicherweise bereits bei der Ankunft in Südamerika durch das Schiffsunglück entledigt wurde. Auch in den Unglücken heben sich die Reisen deutlich voneinander ab; während Humboldt, abgesehen von kleineren Missgeschicken, eine glückliche Reise geniessen konnte, stand die Reise von Haenke schon von Anfang an unter einem unglücklichen Stern und sollte auf diese Weise mit der ausbleibenden Rückkehr und dem Tod auch enden.
Die beschriebene Situation spielt in den nachfolgenden Quellenanalysen eine wichtige Rolle, weswegen auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Forschern und ihren Reisen mehrmals zurückgekommen wird.
[...]
1 Von Humboldt, Alexander, Reise in die Äquinoctial-Gegenden, Band 1 (1799-1804), Bremen 2009, S. 16.
2 Kulke, Ulli, Alexander von Humboldt – Reise nach Südamerika, München 2010, S. 28.
3 Ebd., S. 25.
4 Staatsbibliothek zu Berlin, Werk – Alexander von Humboldts Amerikanische Reisetagebücher, https://humboldt.staatsbibliothek-berlin.de/werk/ (10.08.2021).
5 Kulke, Ulli, Alexander von Humboldt – Reise nach Südamerika, München 2010, S. 79.
6 Ebd., S. 101.
7 Ebd., S. 105.
8 Ebd., S. 114.
9 Ebd., S. 115.
10 Ebd., S. 119.
11 Ebd., S. 121.
12 Kühnel, Josef, Thaddäus Haenke – Leben und Wirken eines Forschers, München 1960, S. 7.
13 Ebd., S. 5.
14 Ebd., S. 6.
15 Kühnel, Josef, Thaddäus Haenke – Leben und Wirken eines Forschers, München 1960, S. 36-70.
16 Von Humboldt, Alexander, Mein vielbewegtes Leben – Der Forscher über sich und seine Werke, Frank Holl (Hrsg.), Frankfurt am Main 2009, S. 15.
17 Ebd., S. 16.
18 Kehlmann, Daniel, Die Vermessung der Welt, Reinbek bei Hamburg 52. Auflage 2020, S. 20.
19 Von Humboldt, Alexander, Mein vielbewegtes Leben – Der Forscher über sich und seine Werke, Frank Holl (Hrsg.), Frankfurt am Main 2009, S. 18.
20 Kulke, Ulli, Alexander von Humboldt – Reise nach Südamerika, München 2010, S. 29.
21 Ebd., S. 29.
22 Von Humboldt, Alexander, Mein vielbewegtes Leben – Der Forscher über sich und seine Werke, Frank Holl (Hrsg.), Frankfurt am Main 2009, S. 44.
23 Kühnel, Josef, Thaddäus Haenke – Leben und Wirken eines Forschers, München 1960, S. 9-20.
24 Ebd., S. 30.
25 Ebd., S. 28-32.
26 Ebd., S. 33-34.