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Seminararbeit, 2022
33 Seiten, Note: 1,0
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Wie wirkte das Misstrauensvotum Helmut Schmidts auf die Öffentlichkeit?
2. Der Weg zum Misstrauensvotum
2.1. Ein politischer Dreh- und Angelpunkt
2.2. Der Kanzler
3. Destruktiver Machtmissbrauch mündet in konstruktive Direktheit
4. Eine Frage des Vertrauens
4.1. Der NATO-Doppelbeschluss und seine innenpolitische Importanz
4.2. Die Arbeitsmarktpolitik
4.3. Die Vertrauensfrage
5. Das Ende der sozialliberalen Koalition
5.1. Helmut Schmidts Regierungserklärung
5.1.1. Die Pressereaktionen zum Koalitionsbruch
5.2. Die erste sozialdemokratische Alleinregierung
5.2.1. Das Eklat um die Hessen-Wahl
5.3. Sympathie-Welle für Schmidt
6. Aller Abschied fällt schwer
6.1. Die Abschiedsrede vor dem Bundestag
6.1.1. Pressereaktionen zum Ende der Kanzlerschaft
6.2. Tatsächlich die letzte Sitzung
6.3. Abschied vor der SPD-Fraktion
7. Resümee
Anhang
Literaturverzeichnis
1. KSZE: Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
2. z.B.: zum Beispiel
3. NS-Regime: Machtführung der nationalsozialistischen Arbeiterpartei
Helmut Heinrich Waldemar Schmidt. Oder einfach nur Helmut Schmidt. Bundestagsabgeordneter der SPD, Senator und Retter während der Sturmflut 1962 in Hamburg, Fraktionsvorsitzender der SPD, Bundeskanzler und schließlich Redakteur bei der Wochenzeitung „Die Zeit“. Auch renommierter Elder Statesmen während seiner postpolitischen Lebensperiode war er. Helmut Schmidts Leben ist von den verschiedensten Höhen und Tiefen politischer, gesellschaftlicher, sozialer und philosophischer Erfolge und Probleme geprägt gewesen.
Die ikonische Elblotsen-Mütze aus dem kleinen Mützenladen in der Hamburger Innenstadt und die charakteristischen Menthol-Zigaretten der Marke Reyno hatten sich zu den Marotten Helmut Schmidts entwickelt. Der ehemalige Bundeskanzler prädestinierte wahrlich eine Reform der politischen Arbeitsweise. Als Retter während der Hamburger Sturmflut 1962 bewies er Mut und politisches Handeln außerhalb des rechtlich-erlaubten Rahmens.
Ganz nach dem Prinzip: Für die Großeltern ein Held, für den Neffen ein Unbekannter richtet sich die Wichtigkeit des Aufgreifens von Helmut Schmidts Misstrauensvotum durch die vorliegende Seminararbeit. Das Misstrauensvotum als politische Neuheit, die Diskrepanzen in der Gesellschaft und die Meinungsverschiedenheiten der sozialliberalen Koalition sind heute noch Faktoren, aus denen eine Lehre für die moderne Politikführung gezogen wird, in der jungen Gesellschaft aber eher auf Desinteresse trifft. Damit einhergehend bestimmte Schmidts Auftreten in wichtigen Reden, vor allem in Abschiedsreden gegenüber der Fraktion oder dem Bundestag, seine Positionierung als Held der damaligen Zeit.
Natürlich war Schmidts politisches Leben nicht nur mit Glanzstunden und aus Erfolgen geprägt. Ernstzunehmende Kritik durch die Presse und öffentliche Empörung verpackt in unvorstellbaren Demonstrationen und Friedensmärschen dominierten die Kanzlerschaft. Vor allem das Misstrauensvotum und die damit verbundenen medialen Reaktionen und politischen Konflikte machten Schmidt nicht nur zum Kanzler der Bundesrepublik, sondern zum aktivem Handeln gezwungenen Krisenpolitiker.
Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau. Hannelore „Loki“ Schmidt, die Lebensgefährtin Helmut Schmidts, ist solch eine starke Frau gewesen. Zusammen aufgewachsen mit Helmut Schmidt und später als Botanikerin weit über Helmut Schmidt hinaus öffentlich bekannt gewesen, war sie ein absolut wichtiger Bestandteil im Leben des Altkanzlers. Die intensive Beziehung, vor allem durch die zwei Kinder des verheirateten Paares, war Helmut Schmidts Rückzugsmöglichkeit, vor allem wenn die politische Arbeit sich außerordentlich intensivierte. Je näher das Ende seiner Arbeitszeit als Kanzler der Bundesrepublik kam, desto enger wurde der Kontakt und die Beziehung zu seiner Frau Loki. In Zeiten des Misstrauensvotums war diese Nähe besonders wichtig, Loki hauptsächlich und die Sachlichkeit der politischen Arbeit nebensächlich.
In dieser Seminararbeit soll es nicht nur um die Diversität an Erfolgen und Misserfolgen in der politischen Laufbahn Helmut Schmidts gehen. Viel mehr geht es um die Öffentlichkeitsarbeit durch und mithilfe seiner Person, um die Reaktionen der Gesellschaft auf die Konstellation aus CDU, FDP und SPD und darüber hinaus um die Nutzung der Presse als Meinungsvermittler für die Entscheidungen des Altkanzlers.
Aktuelle innenpolitische und außenpolitische Diskrepanzen und Krisen, wie die Corona-Krise oder der Ukraine-Krieg, beweisen wiederholt, welche Relevanz eine gewisse politische Stabilität innerhalb eines kontinuierlich funktionierenden Staates hat und haben sollte. Die Politik Schmidts war seiner Zeit voraus, der Gegenwind dadurch intensiv, die Prämissen der Kontinuität und Konzentration maßgebend und bis zum bitteren Ende seiner Machtperiode die Vorsätze seiner politischen Ideologie und Staatsführung.
Ein Zeitalter dominiert von den Quantensprüngen der Wissenschaft, kultureller Revolutionen in Musik und Kunst, außenpolitischen Ereignisse und von Gewalt und Kontrollverlust. Vor allem die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, das politisch-gesellschaftliche Wirkungsgebiet von Helmut Schmidt, intensivierte die oben genannten Charakteristika des Lebens der Bürger1 und der Gesellschaft. Dass die Zeit als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland die schwerste war, liegt im Zuge des Misstrauensvotums in der Hand. Dennoch soll, vor allem durch die vorliegende Seminararbeit deutlich werden, dass dieses konstruktive Misstrauensvotum neben den offensichtlichen politischen Einflüssen, enorm differenzierte Eindrücke aus Gesellschaft und Presse mit sich trägt, die weit über Jahrzehnte mitgenommen wurden und werden.
Das politische Leben des Altkanzlers, der Weg zum Misstrauensvotum, ist mindestens genauso wichtig wie der politische Rahmen um das Misstrauensvotum selbst. Helmut Schmidt entwickelte seine Leidenschaft für die Sozialdemokratie in der Kriegsgefangenschaft in Belgien kurz vor Ende des 2. Weltkriegs, die er zusammen mit Hans Bohnenkamp, einem weiteren Mitgefangenen der nationalsozialistischen Bewegung, gemeinsam durchstand ( vgl. Woyke 2018: 29). Bohnenkamp war ein Sozialdemokrat durch und durch, der einerseits diesen Schein des national-sozialistischen Dieners über die Jahre aufgebaut hatte, um sich vor der Macht des NS-Regimes zu schützen und andererseits den jungen Schmidt während der Gefangenschaft von den sozialdemokratischen Werten und der Gedankenwelt der Arbeiterbewegung zu überzeugen wusste (vgl. Woyke 2018: 29). Vor allem die Vorstellungen von der Konstellation aus „Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Sozialismus“ (Woyke 2018: 30) waren Aspekte der Politologie, mit denen sich der ehemalige Soldat Helmut Schmidt beschäftigte. Die Kriegsgefangenschaft war die Geburtsstunde des im Altkanzler schlummernden sozialdemokratischen Geistes. Nach seiner Befreiung beteiligte sich Schmidt aufgrund den von Bohnenkamp überzeugend dargelegten sozialdemokratischen Werten erstmals in der Politik. Mit Loki Schmidt, trat er gemeinsam in die SPD ein, sprach öffentlich in Debatten der Partei und studierte an der Universität Hamburg Volkswissenschaften mit Schwerpunkt auf die Instrumentierung der Konjunkturpolitik und der Gestaltung des Sozialproduktes (vgl. Woyke 2018: 31 ff.). Die Antriebskraft für die rege Beteiligung Schmidts war vor allem eines: Die Fehler und Schwächen des Nationalsozialismus und des 2. Weltkrieges nicht zu wiederholen und dabei die ökonomischen und sozialen Irregularitäten der vorherigen Politikperiode aufzuarbeiten. Typisch für die Nachkriegszeit. „Das Gefühl, verführt und ausgenutzt worden zu sein“ (Woyke 2018: 1) war es, das Schmidt zu seinem Engagement in der SPD motivierte und generell zum Aufbau des demokratischen Staatswesens der Bundesrepublik Deutschland führte (vgl. Woyke 2018: 37). Die Zwangsjacke des NS-Regimes galt es mit einem passenden und gegensätzlichen Systems zu neutralisieren, in dem vor allem Schmidt gefallen fand, um differenzierte demokratische Diskurse führen zu können. Diese Diskussionsfähigkeit blieb in dem gesamten Leben des Altkanzlers eine Charakteristik, die sich bis in die Zeit des Misstrauensvotums verfolgen ließ. Die erste Bundestagsperiode ab 1953 als Sprungbrett für Schmidts erstmalige relevante Beteiligung in der Politik in der SPD, bot dem jungen Abgeordneten eine Partizipation an der Seite Willy Brandts. Zudem kam Schmidt mit Brandts Ost-, Sicherheits- und Rüstungspolitik in Berührung (vgl. Woyke 2018: 41), dessen Prämissen Schmidt über die Jahre in Form der „Deutschlandpolitik“ (Sommer 2010: 110) mitgetragen und mitunter ausgeführt hat. Die Ablehnung vom Stereotyp des Politikers waren eine der Lebensmaximen des Altkanzlers. Schmidt war einer der ersten aktiven Politiker, die Imagefilme gezielt nutzte, um das eigene Image in der breiten Masse aufzupolieren. In den S- und U-Bahnen verstärkte Schmidt seine Person und verbreitet diese Filme gestreut in der Gesellschaft. Auch seine Tendenz zum Pionier und der Mut Neues zu probieren, verstärkten seine Anerkennung als Politiker, bedeuteten aber auch massiven Gegenwind, wenn z.B. die Propagierung seiner Person in den Filmen kritisiert wurde. Ein differenziert aufgenommener Politiker, der sich hinsichtlich des Misstrauensvotums in dieser frühen Phase seiner politischen Laufbahn auch in verschiedene Komplikationen brachte.
Durch die ersten Erfahrungen im Bundestag entwickelte Schmidt ein politisches Netzwerk, verbündete sich mit Freunden und wichtigen Partnern; lehnte jedoch eine erneute Partizipation im Bundestag 1961 ab (vgl. Woyke 2018: 43). Einen neuen Platz fand der Altkanzler in der Exekutive: Als neuer Polizeisenator der Stadt Hamburg fungierte Helmut Schmidt als bereits breit wertgeschätzter Politiker auf einem versierten Nährboden der politischen Aktivität. Für Schmidt bedeutete diese Stellung nicht nur mehr Aktivität und Tätigkeiten, sondern auch ein sich vom Bundestag differenzierendes Gebiet politischer und sozialer Vereinigung von Entscheidungen. Mehr als zuvor mussten Schmidts Devisen gezielt funktionieren, die Entscheidungen bedacht getroffen und das „Ausmaß [der] politischen Verantwortung“ (Woyke 2018: 43) gezielt aufgenommen und genutzt werden. Die Sturmflut im Jahr 1962 ging mit diesen politisch-sozial zu erfüllenden Geboten des Altkanzlers absolut tadellos mit ein, vor allem wenn man dies aus der Perspektive der Aktivität betrachtet, die Helmut Schmidt, der Polizeisenator der bedrohten Stadt, im Rahmen dieses Ereignisses an den Tag legen musste. Am Morgen des 17. Februar erfährt der Polizeisenator erstmals von der dramatisch voranschreitenden Gefahr: „Ich habe die alle einfach selbst angerufen oder mit Funksprüchen oder Fernschreiben in Bewegung gesetzt“ (NDR-Redaktion 2022). Helmut Schmidt sah sich in diesen Stunden jenen politischen Mammutaufgaben vor, die er jedoch mit Abgeklärtheit und Zielstrebigkeit zu lösen wusste. In den nächsten Stunden hatte der Polizeisenator Schmidt 1500 Streitkräfte mobilisiert, einen Krisenstab für die beteiligten Parteien an den Geschehnissen erstellt, die NATO entgegen der Verfassungslage um massive Luftunterstützung geboten und zum Mittag bereits tausende Menschen aus ihren vom Wasser bedrohten Wohnsitzen gerettet (NDR-Redaktion 2022). Zudem war die Anforderung des Altkanzlers Schmidt an der Beteiligung des Militärs zu diesem Zeitpunkt verfassungswidrig: Laut der Verordnung des Grundgesetzes in Artikel 87a Absatz 2 war der Einsatz des Militärs im Inland zu dem Zeitpunkt untersagt (vgl. Bräutigam 2021). Trotz dessen war Schmidt die Bedrohung deutlich, weshalb er das Militär außerhalb dieses rechtlich-erlaubten Rahmens ebenfalls mobilisierte. Das ikonische Bild Schmidts im Hubschrauber (vgl. Abbildung 2) symbolisierte ein Zeichen der Hoffnung zu Zeiten der Krise in Hamburg. Schmidts Prämisse des politischen Pragmatismus wurde rein rechtlich gesehen zwar nicht eingehalten, jedoch wusste sich der Polizeisenator im prägnanten Utilitarismus der richtigen Ressourcen zu helfen. Nicht nur „systematisch denkend und gewohnt schneidig“ (Woyke 2018: 43) übernahm der Altkanzler diese Aufgabe für sich, sondern auch Kühnheit und absolute Durchsetzungsfähigkeit kristallisierten sich als ungemein wichtige Lebensdevisen des Politikers heraus. Nationales und internationales Aufsehen war die Folge. Seine Affinität und dieser inspirierende Aktionismus im Zuge der Sturmflut verbreitete sich wie ein politisches Lauffeuer, das auch die Gesellschaft erreichte und durch Zuspruch intensiviert wurde. Einfach auch mal nach Gefühl zu agieren und zu reagieren; das war jenes, was das Volk begeisterte: „Wir haben sicherlich am Grundgesetz vorbei operiert“ (NDR-Redaktion 2022). Zwar bildete diese Facette seiner politischen Laufbahn keinen absolut politischen Erfolg, vor allem im Konsens des Bundestages ab, jedoch ist er ein Markstein sozialen Gewinns und der Sympathie seiner Persönlichkeit. Natürlich hätte sich im Falle eines Scheiterns des Agierens im Rahmen der Sturmflut ein unvorstellbares Problem ergeben, dass sich trotz dessen in dem knappen Ergebnis der Oktoberwahl 1966 Schmidts zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD widerspiegelte (vgl. Woyke 2018: 53), jedoch ist das Ereignis der Sturmflut ein zu erinnernder Tag im Leben des Hanseaten. Im Zuge dieser Aufmerksamkeit und der Wahl im Oktober wurde Schmidt im Dezember 1966 zum SPDFraktionsvorsitzenden gewählt (vgl. Woyke 2018: 54). Im Rahmen der ersten Großen Koalition und der von Außenminister Willy Brandt angepriesenen Ostpolitik, stellte Fraktionsvorsitzender Schmidt den Kurs der Partei vor: Stabilität und Wachstum nach innen, Handlungsfähigkeit nach außen‘“ (Woyke 2018: 54) ist die zu erfüllende politische Prämisse der Partei gewesen. In einem Fünf-Punkte-Plan, der die Konsolidierung der Staatsfinanzen, die langfristige Finanzplanung, die Reform des Staatsrechts, die Debatte über das Wahlrecht und die Verabschiedung der Notstandverfassung befasste, sollte dieses Ziel ausgeführt werden (vgl. Woyke 2018: 54). Vor allem letzteres ist heute noch ein relevantes Thema in Sachen Notstands- und Rechtsverordnungspolitik. Die Große Koalition und auch die enge Zusammenarbeit mit Willy Brandt sind wichtige Faktoren für die darauffolgende Kanzlerschaft Schmidt gewesen, der die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik in seinem Plan für die Bundesrepublik mitnahm. Die Kritik zu Fallex 66 von IG Chemie und IG Metall (vgl. Woyke 2018: 53) zu Beginn seiner Legislaturperiode als Fraktionsvorsitzender, die zu bekämpfende Arbeitslosigkeit und finanzielle Schwäche der Bundesrepublik (vgl. SPD 2016) und der anschließende Zusammenbruch von Bretton-Woods und die Ölkrise (vgl. Wolf 2021) waren einzelne zu bewältigende Krisen, die sich vor allem im Hinblick auf das Misstrauensvotum auch in die Kanzlerschaft hineinzogen. 1969 initiierte Willy Brandt, zu dem Zeitpunkt noch als Außenminister der Bundesrepublik tätig, die sozialliberale Koalition (vgl. Woyke 2018: 58), die noch zu Schmidts Kanzlerzeiten umfassende Konflikte hervorbrachte. Vor allem die aus dem Unmut der vorherigen Großen Koalition führenden Diskussionen um die Notstandsgesetzgebung sind für Schmidt eine prägnante Motivation hinsichtlich der Verbesserung der politischen Lage in der Bundesrepublik gewesen (vgl. Grau 2003). Polizeisenator und Fraktionsvorsitzender. Lediglich Synonyme für einen Helden und den Krisenpolitiker Helmut Schmidt. In diesem Abschnitt seiner politischen Laufbahn war der Hanseat gewiss ein Dreh- und Angelpunkt, ein in der Kritik stehender und kompletter Politiker, der breit gefächert sein Wissen und sein Durchsetzungsvermögen in Form von Plänen und Strukturen an den Tag zu legen wusste.
Kontinuität und Konzentration. Mit diesen Leitworten führte der neu gewählte Bundeskanzler Helmut Schmidt den Beginn seiner Legislaturperiode ein (vgl. Woyke 2018: 68). Der von der sozialdemokratischen Idee und Politologie überzeugte Hanseat wollte vor allem den Übergang zu derselben Politik, nur unter einer anderen Staatsmacht, herstellen, wobei er vor allem die Außen-, Sicherheits- und Entspannungspolitik seines Vorgängers Brandt fortsetzen (vgl. Bundesstiftung Aufarbeitung o.D.) wollte. Die sozialliberale Koalition und die politische Ideologie der Parteien führte der Bundeskanzler gemeinsam mit dem neuen Fraktionsvorsitzenden der FDP weiterhin aus. Das Doppel aus Hans-Dietrich Genscher und Helmut Schmidt sollte dabei für die gemeinsame Stabilisierung der kriselnden Bundesrepublik sorgen, jedoch verband die beiden Politiker nie eine absolut persönliche Beziehung (vgl. Perger 2016). Schon zu Beginn der kooperierenden Zusammenarbeit durch die koalierende Politik der SPD und FDP war zu erkennen, dass das Doppel Genscher und Schmidt zu ernsthaften Problem führen würde, die nicht nur rein formal und politisch bedingt seien, sondern auch in die persönliche Hemisphäre führen würden. Unter den zuvor aufgeführten Leitworten und nach dem Rahmen der sozialliberalen Koalition sollten grundlegende Ziele in der Innenpolitik angestrebt werden: Eine sozial gerechte Wirtschaftsund Steuerpolitik und die Sicherung der Energieversorgung standen mitunter ganz oben auf Schmidts Agenda (vgl. Woyke 2018: 68). Mit dem Erfolg der Helsinki-Schlussakte, durchgeführt in der KSZE (vgl. Sommer 2010: 81), führte der Bundeskanzler auch außenpolitisch gesehen die Devisen des Altkanzlers Willy Brandt aus. Zudem beschäftigte sich die sozialliberale Partei, allen voran Schmidt, um die Kommunikation und den Aufbau einer freien Gesellschaft und einer sich ergänzenden Politik in der DDR: „Der Begriff ,Wiedervereinigung‘“ (Sommer 2010: 83) wurde vom Bundeskanzler gewollt gemieden und in weiteren Reden noch „illusionsloser“ (Sommer 2010: 83) unterdrückt. Die Verbindung zur DDR sollte gehalten, die gemeinsame Arbeit gestärkt und möglicherweise ein übergreifendes, europäisches Verwaltungskonzept für eine koexistierende Politik der beiden Staaten hergestellt werden. Im Zuge dieser Problematik verschlechterte sich ebenfalls die innenpolitische Lage der Bundesrepublik. Die fortlaufende Rezession und die in der Krise stehende Wirtschaft des Staates versetzte Schmidt zunehmend unter politischen Druck und Tatendrang (vgl. Hempel 2020). Die Finanzrücklage in der Rentenkasse und die andauernde Ölkrise intensivierten den Wirtschaftsbruch, den die Unionspartei in einem regen Machtkampf gegen die SPD nutzte, um aus ihrer oppositionellen Position herauszukommen und die Probleme unter Schmidt hervorzuheben (vgl. Woyke 2018: 69). Im Herbst 1977 ergibt sich wohl die schlimmste zu bewältigende Krise des Bundeskanzlers: Der Terror durch die Rote-Armee-Fraktion (RAF) hält die Bundesrepublik in Atem. Terroristen der RAF entführen am 05. September 1977 den Präsidenten der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) Hanns Martin Schleyer (vgl. Heetlage 2022). Die Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut, die darauffolgende Ermordung Schleyers und die Rettung der Insassen einen Monat nach der Entführung des Präsidenten der BDA sorgt für unglaubliche Furore und eine dermaßen ausgeprägte politische Gefühlsachterbahn für den angeschlagenen Bundeskanzler Schmidt (vgl. Heetlage 2022). Die „ ,Offensive '77‘ “ (Breucker 2011) und das Ausmaß der Gewalt im Rahmen der beiden Terrorakte im Herbst 1977 sorgten nach der Erfahrung 1975 mit Peter Lorenz (vgl. Heetlage 2022) für eine von der Koalition ausgehende, widerspruchslose Resistenz der Politik und des Kanzlers: „Der Staat muss darauf mit aller Härte antworten“ (Hempel 2020). Dieser nicht erpressbare Staat, die Bundesrepublik als souveräne und starke Macht, sollte durch dieses politische Mantra unterstrichen werden. Die Unterschlagung eines Handelns mit den Terroristen und die ignorierende Einstellung des Bundestages als auch der Politik führte letztendlich zu der Ermordung Schleyers, da die Forderung zur Freilassung von 26 „Gleichgesinnten“ (Heetlage 2022) der Terroristen nicht befürwortet oder durchgesetzt worden war. Nebst der Krise um den Terror fügte sich die Kritik der Politikführung ausgehend von der Opposition ein. Zunehmend geriet Schmidts Vorgehen auch in der FDP in Verruf, vor allem im Hinblick zu der Beziehung mit Genscher. Das Agenda-Setting und die Initiative schob sich auf die Seite der Opposition (vgl. Klausing/ Wiczlinski 2018: 18), wurde jedoch durch die Initiation Schmidts zum kollektiven Beistand gegen diese Bedrohung wieder einigermaßen auf das normale Niveau zurückgebracht. „Demokratie und Streit gehören zusammen. Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine Demokratie“ (Lueg 1969). Zwar war dies nicht der Tenor Schmidts im Zusammenhang mit dem RAF-Terror, jedoch beschreibt er grundsätzlich, dass es diese Diskrepanzen zwischen Opposition und Regierung geben muss, um eine effektive Politikführung, auch zu Krisenzeiten, gewähren zu können. Der Terror hinterließ einen tiefen Krater in der politischen Laufbahn des Hanseaten und ist auch eines der prinzipiellen Krisen für die Diskrepanz zwischen FDP und SPD gewesen. Die Komplikationen außen- und außerordentlich innenpolitisch gesehen spitzten sich zu, Schmidt als zu kritisierende Person geriet in den Mittelpunkt der Medien und die Geschehnisse rund um das Misstrauensvotum waren von einer unglaublichen Menge öffentlicher Kritik verstärkt.
Das Misstrauensvotum des Altkanzlers Helmut Schmidt im Jahre 1982 ist erst das Zweite seiner Art gewesen. Es ist das sogenannte konstruktive Misstrauensvotum (vgl. Abbildung 3), das nach den historischen Problemen der destruktiven Durchführungsweise in Zeiten des Nationalsozialismus, eingeführt wurde: „Der Bundestag kann dem Bundeskanzler das Mißtrauen nur dadurch aussprechen, daß er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt und den Bundespräsidenten ersucht, den Bundeskanzler zu entlassen. Der Bundespräsident muß dem Ersuchen entsprechen und den Gewählten ernennen. Zwischen dem Antrag und der Wahl müssen 48 Stunden liegen“ (§ 67 Abs. 1-2 GG).
Nach Brandts Misstrauensvotum 1972 (vgl. Schmid 2010) ist der Versuch Schmidt noch ein Novum, dass im Hinblick auf einen klaren Kritikpunkt von der Opposition und hinsichtlich der Vertrauensfrage auch öffentlich von Gegner Kohl begründet werden musste.
Am 12. September 1979 versetzen die Staatsmänner Deutschlands, der USA, Frankreichs und Großbritanniens dem Beschluss zur gemeinsamen Sicherheitspolitik gegen die durch die fortlaufende Aufrüstung bedrohliche Sowjetunion ihre Unterschriften (vgl. Woyke 2018: 84). Die massenhafte Stationierung sowjetischer SS-20-Langstreckenraketen beunruhigt Bundeskanzler Helmut Schmidt, der außenpolitisch immer auf den beschwichtigenden Kurs der Sicherheits- und Rüstungspolitik gesetzt und diese Werte auch pragmatisch in den innenpolitischen Wahlkämpfen vertreten hatte. Die Reaktion der Verbündeten sollte die Aufrüstung mittels der Stationierung amerikanischer Pershing-11-Raketen sein, die vor allem im westeuropäischen Raum ihren Platz finden sollten (vgl. Woyke 2018: 84). Der Bundeskanzler fungierte in diesem Zusammenfinden der politischen und wirtschaftlichen Weltmächte als Initiator und Konsulent der Idee, die er schon seit über einem Jahrzehnt mittels eines prägnanten Problems der bisherigen Verteidigungsstrategie der NATO festgemacht hatte: „Ein deutscher Beitrag zum strategischen Problem der NATO“ (Schmidt 1961: 2) ist die Unterschrift seines Buches Verteidigung oder Vergeltung, in dem er diesen Missstand aufgriff. Schmidts Devise und Strategie zur Bekämpfung der Sowjetunion mit zusammenhängender Aufrüstung der Bundesrepublik trifft in der Innenpolitik auf großen Widerspruch (vgl. Schmid 2012). Die Kritik, unter anderem in der Opposition und in der Koalition ausgehend von der FDP, ist außerordentlich harsch. Die Bundesregierung argumentierte hinsichtlich des NATO-Doppelbeschlusses mit der Suche nach einer „beiderseitige[n] Nulloption“ (Schmid 2009), währenddessen auch Mitglieder der SPD - vor allem aus der linken Politikausprägung - sich auf die Seite der FDP und Opposition schlugen und öffentlich gegen die Position des Bundeskanzlers standen. Ein außenpolitischer Beschluss wird im Zuge der darauffolgenden Anti-Atomkraft- und Umweltbewegungen (vgl. Strunk 2021) zu einem innenpolitischen Konflikt, der für den einer der ersten politischen Brüchen unter den Koalitionären sorgte. Im Zusammenhang mit den Friedensbewegungen 1983 unter dem Motto „NATO-Soldaten sagen ,NO!‘ zu Cruise-Missiles und Pershing zwo!“ (Siepmann 2008) formulierte die Gesellschaft im Nachhinein vor allem eines: Den sich fortsetzenden Unmut gegenüber dem Aufrüstungsverfahren des Bundeskanzlers Helmut Schmidt, welcher vor allem auf die Unverständlichkeit im Zuge der anderen „Nulloptionen“ (Schmid 2009) basierte. „,Das Recht, sich ungehindert [...] zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers“‘ (Strunk 2021): Schmidt wusste zwar richtig auf die Welle der Kritik aus dem Volk zu antworten und war sich dieser Reaktion der Gesellschaft, typisch für jede strittige politische Entscheidung, bewusst, jedoch war der irreparable Schaden in der eigenen Partei und in der Koalition mit der FDP nicht mehr zu fixieren. Der Historiker Manfred Görtemaker sah in dem eine Bewegung der Gesellschaft zur Veränderung der außenpolitischen Lage und die Verhinderung „ein[es] weiteren Wettrüsten[s] zwischen Ost und West, möglicherweise den Ausbruch eines Krieges“ (Bosen 2009). Schmidt bekräftigte seine Position geschickt und sollte auch in Sachen des politischen Zusammenbringens der Weltmächte und der seinem Pragmatismus bezüglich der Friedenspolitik recht behalten: „Ich werde mir das Wort Friedenspolitik und den Inhalt unserer Friedenspolitik von niemandem abhandeln lassen“ (Schmid 2009). Am 9. Oktober 1981 setzt sich der Bundesrat im Rahmen der 57. Bundesratssitzung auf die Behandlung der Friedens- und Sicherheitspolitik fest. Der CDU-Abgeordnete Dr. Zimmermann fasste nach der zuvorkommenden Kritik an Schmidts Zitat zur Stetigkeit und Berechenbarkeit der Außenpolitik (vgl. Deutscher Bundestag 1981: 3312) die grundlegende Abneigung der deutschen Innenpolitik, vor allem seitens der Opposition zusammen: „Denn sowohl im Westen wie im Osten weiß man natürlich, daß die Haltung der Bundesregierung nur die eine Seite der Medaille ist, daß auch die Seite der die Bundesregierung bildenden Parteien dazugehört.“ (Deutscher Bundestag 1981: 3312D). Es ging nun mehr um die Einstellung von Opposition und möglicherweise auch schon um die des Koalitionspartners FDP, da die innenpolitische Konsolidierung Schmidts durch die auf ihn ausgeübte Kritik im Rahmen der Außenpolitik entwertet wurde.
Innenpolitisch bedingt war der Koalitionsstreit um die Arbeitsmarktpolitik und das damit zusammenhängende Handeln mit der Finanz- und Wirtschaftskrise der Bundesrepublik einer der Ursachen für den sich intensivierenden Vertrauensbruch zwischen der FDP und SPD. Eine Reihe von Wirtschaftsprüfern, zitiert in der BILD-Zeitung (vgl. BILD-Redaktion 1981: 1), vermerkten einen Rückgang der Investitionsquote und der Haltung von Index- und Aktienanteilen. Die Hauswirtschaft der Bundesrepublik, die Explosion der Ölpreise und die immens steigende Arbeitslosenrate (vgl. Jungblut 1982: 2) hielt den Bundeskanzler in Schach, da die FDP durch ihre wirtschaftlich geprägten Werte auf Veränderung drängte, die sich außerhalb der sozialdemokratischen Vorstellungen befanden. Die Arbeitsmarktpolitik Schmidts bewegte sich weit weg von jener der FDP. Im Zuge des bipolaren Deutschlands und der steigenden Staatsverschuldung um ein Drittel hatten sich desaströse ökonomische Faktoren ergeben, die vor allem schon mit der Abkehr der FDP von der keynesianischen Wirtschaftspolitik und der dazu kontrastierenden Durchsetzung Schmidt von der Staatskasse und dem Steuersystem, erkennbar hätten sein können (vgl. Frölich 2019). Das Programm zum Abbau der Arbeitslosigkeit (vgl. Sulzer 2022) der Koalitionäre sollte dabei vor allem Entlastungen in der Wirtschaft erzeugen, um Arbeitsplätze zu mobilisieren und damit den Stellenmarkt lukrativer zu gestalten. Die Probleme bedingten sich dabei jedoch auf die Finanzierung von höheren Investitionszulagen, der erhöhten Mehrwertsteuer, der höheren Mineralölsteuer, der Umgestaltung des Mietrechts oder sogar von der Schmälerung der Apothekerzuschüsse (vgl. Sulzer 2022). Zudem gab es schon über die vergangenen Monate und Jahre von der FDP durch Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff bedingte Forderungen zur ständigen Änderung des sozialwirtschaftlichen Netzwerksystems der Bundesregierung.
[...]
1 In dieser Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet. Weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich mitgemeint, soweit es für die Aussage erforderlich ist.