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Seminararbeit, 2006
14 Seiten, Note: 2,0
Germanistik - Komparatistik, Vergleichende Literaturwissenschaft
1 Einleitung
2 Die Problematik
3 Elemente und Strukturen der Detektivgeschichte – Das Fräulein von Scuderi als Detektivgeschichte?
3.1 Das rätselhafte Verbrechen – Die Gift- und Juwelenmorde und der Mord an René Cardillac
3.2 Der Detektiv – Die Detektivin Scuderi und die Aufklärung des Verbrechens
3.3 Die Verdächtigen und ihre Tatmotive – Der verdächtige Unschuldige Olivier Brusson und der unverdächtige Schuldige René Cardillac
4 Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
In dieser Geschichte [E.T.A. Hoffmanns Das Fräulein von Scuderi; Anm. d. Verf.] finden wir, neben einigen untergeordneten Motiven, die […] Elemente zusammen, die den Detektivroman konstituieren.1
Mit diesen Worten kennzeichnet Richard Alewyn bereits 1974 Hoffmanns Erzählung Das Fräulein von Scuderi als Anfang der Detektivgeschichte und Ernst Bloch fügt drei Jahre später hinzu: „Hoffmanns ´Fräulein von Scudéry`, öffnet 1819 die Bahn, mit der edlen Dame fast schon detektivhaft, den Goldschmied entlarvend, seinen Gesellen rettend.“2
Mit der These, Das Fräulein von Scuderi sei ein Modellfall für die idealtypische Detektivgeschichte, beschäftigt sich zahlreiche Forschungsliteratur. Auch die vorliegende Arbeit stellt diese These in den Mittelpunkt ihres Interesses.
So soll untersucht werden, welche Elemente und Strukturen Hoffmanns Erzählung als Detektivgeschichte ausweisen und welche dieser Einordnung widersprechen. Dazu ist es nötig, dem Schema einer klassischen Detektivgeschichte nachzugehen: Dabei soll zuerst auf das rätselhafte Verbrechen - die Gift- und Juwelenmorde - eingegangen werden, um anschließend der Rolle des Detektivs und seiner Detektion nachzugehen. Darüber hinaus müssen die Verdächtigen - Olivier Brusson und René Cardillac - und ihre Tatmotive näher betrachtet werden.
Aus dieser Analyse der Einzelelemente soll schließlich ein Gesamtbild von Hoffmanns Erzählung entstehen, das es ermöglicht, die Frage zu beantworten, ob Das Fräulein von Scuderi eine Detektivgeschichte ist.
Seit Richard Alewyn 1974 Hoffmanns Erzählung als Detektivgeschichte bezeichnet hat, gibt es eine rege Diskussion um diese These. Er begründet seine Entscheidung mit „drei Elementen“3, die im Fräulein von Scuderi zu finden seien:
Erstens den Mord, beziehungsweise die Mordserie, am Anfang und dessen Aufklärung am Ende, zweitens den verdächtigen Unschuldigen und den unverdächtigen Schuldigen, und drittens die Detektion, nicht durch die Polizei sondern durch den Außenseiter, ein altes Fräulein und eine Dichterin.4
Gleichzeitig verankert Alewyn damit den Ursprung des Detektivromans in der Romantik.5
Auch Marianne Thalmann kennzeichnet Hoffmanns Erzählung als „eine richtige Kriminalgeschichte in ihren Grundzügen“6 mit einem mysteriösen Vorfall um Mitternacht, den Raub- und Mordtaten und schließlich den Mordverdächtigen.
Dietrich Naumann dagegen sieht Richard Alewyns Argumente als „nicht stichhaltig“7 an: Der Mord werde schon in der Mitte aufgeklärt, der Verdächtige sei nur unschuldig, da das Fräulein von Scuderi ihn für unschuldig halte und schließlich erfolge die Lösung des Falls durch das Geständnis Olivier Brussons.8
In dieser gattungstheoretischen Auseinandersetzung erweist es sich als besonders problematisch, dass eine eindeutige Definition der Detektivgeschichte trotz zahlreicher Versuche bis heute nicht gelungen ist; der Grund hierfür dürfte vor allem in der Vielschichtigkeit des Genres zu suchen sein.
Anhand dieser Vielzahl unterschiedlicher Forschermeinungen lässt sich erkennen, wie differenziert Das Fräulein von Scuderi betrachtet werden muss, um zu einem Ergebnis zu kommen. Im deutschen Forschungsbereich hat man sich in dieser Diskussion außerdem auf die Unterscheidung von Kriminal- und Detektivgeschichten konzentriert. So definiert Richard Alewyn: „Der Kriminalroman erzählt die Geschichte eines Verbrechens, der Detektivroman die der Aufdeckung eines Verbrechens“9, wogegen Helmut Heißenbüttel feststellt, dass der Kriminalroman immer ein Detektivroman sei.10
Der Frage nach den Unterschieden von Kriminal- und Detektivgeschichte soll in dieser Arbeit nicht weiter nachgegangen werden, stellt sie doch Das Fräulein von Scuderi in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung. Der Einfachheit halber sollen daher die Begriffe ‚Kriminalgeschichte‘ und ‚Detektivgeschichte‘ synonym verwendet werden.
Für Peter Nusser beginnt die Detektivgeschichte mit einem rätselhaften Verbrechen, dem Mord, dann folgt die Fahndung nach dem Verbrecher und schließlich wird der Fall aufgelöst.11
Doch bei der Übertragung dieser Reihenfolge auf Hoffmanns Erzählung treten Schwierigkeiten auf: Es wird nicht nur ein ‚rätselhaftes Verbrechen‘ geschildert, sondern auf der einen Seite gibt es die Gift- und Juwelenmorde in Paris und auf der anderen Seite die Ermordung des Goldschmieds René Cardillac, durch die erst das Fräulein von Scuderi seine Nachforschungen beginnt.
Am Beginn der Erzählung steht somit nicht direkt der Mord, sondern zunächst der sonderbare Vorfall „spät um Mitternacht“12: Ein Fremder stürzt in das Haus der Magdaleine von Scuderi und möchte der Hausherrin ein Kästchen überreichen.
Ernst Bloch stellt in seiner Philosophische[n] Ansicht des Detektivromans fest: „Etwas ist nicht geheuer, damit fängt das an. Aber zugleich muss nach dem Weiteren, das hier das Nähere ist, gesucht werden. Nach einem versteckten Wer ist gefragt“13. Das „versteckte Wer“14 und sein Motiv bleiben für das nächtliche Ereignis zunächst ungeklärt.
Der Anfang der Erzählung wirkt auf den Leser unheimlich, sonderbar und wirft Fragen auf: die Erzählung scheint wie eine klassische Detektivgeschichte zu beginnen. Doch statt der Schilderung einer ´Fahndung` nach dem mysteriösen Fremden folgt ein Exkurs über die Giftmorde in Paris.
Dieser Exkurs hat zwei Funktionen: Zum einen schafft er eine Atmosphäre des Unheimlichen und Bedrohlichen, zum anderen bereitet er indirekt auf die spätere Aufklärungsarbeit des Fräuleins von Scuderi vor: Es wird geschildert, wie „blinder Eifer den Präsidenten la Regnie zu Gewaltstreichen und Grausamkeiten“15 verleitet, so dass auch unzählige Unschuldige hingerichtet werden und sich eine Angsthysterie in der Stadt ausbreitet.
Mit dieser Darstellung einer „entarteten Polizeiorganisation“16, die von Willkür geleitet, das Prinzip freiheitlicher Rechtsprechung völlig missachtet, wird beim Leser das Misstrauen gegenüber dieser Art von Verbrechensaufklärung geweckt, der das ruhige und besonnene Vorgehen des Fräuleins von Scuderi später kontrastierend gegenübergestellt wird.
Nach der Giftmordserie beginnen die Juwelenmorde, die zunächst in keiner Verbindung mit dem Fräulein von Scuderi zu stehen scheinen. Der aufmerksame Leser vermutet erst bei der Schilderung der kostbaren Armbänder und des Halsschmucks, die das mysteriöse Kästchen enthält, dass es einen Zusammenhang geben muss. Hier sei auf eine Feststellung Lothar Pikuliks zu Hoffmanns Erzählweise verwiesen:
Das Fortschreiten der Erzählung besteht einesteils zwar in einer Vertiefung des Geheimnisses, andernteils aber in einer allmählichen Aufhellung des Rätsels. Es zeigt sich dabei, dass die Chronologie der Ereignisse […] auf der Ebene des Erzählens umgedreht ist.17
Hoffmanns Bericht vom Fortgang der Ereignisse erreicht seinen ersten Höhepunkt ungefähr in der Mitte der Erzählung (in der erzählten Zeit „mehrere Monate“18 später): René Cardillac wird durch einen Dolchstich ermordet in seinem Haus gefunden.
Peter Nusser bemerkt zum ´Mord` in der Detektivgeschichte:
Der Mord [Hervorhebung im Original] wirkt […] als Rätsel. Er ist das zentrale Ereignis und hat doch nur auslösende Funktion. Nicht als Verbrechen ist er von Bedeutung, sondern als Anlaß für die Tätigkeit der Detektion; nicht die sich in ihm ausdrückende Inhumanität wird Thema, sondern die Außergewöhnlichkeit seiner Begleitumstände.19
Für Leutnant Desgrais scheint allerdings am Tatort schon der Mörder gefunden worden zu sein: „Sein [Cardillacs; Anm. d. Verf.] Geselle Olivier Brusson ist der Mörder“20, erklärt er und damit ist für ihn der Mord ´enträtselt`.
Die Nachforschungen über die Tatnacht und die Aussagen der Hausbewohner belasten Olivier Brusson stark und der Tathergang wird vom Präsidenten des Gerichtshofes, la Regnie, zurückverfolgt.
Ein wichtiges Element der Detektivgeschichte findet sich in der Konstruktion der räumlichen Gegebenheiten beim Tatort: der so genannte ‚locked room‘. Es handelt sich dabei um einen ‚geschlossenen‘, von innen verriegelten Ort, „an den der Mörder eigentlich nicht gelangen kann und an dem die Leiche trotzdem gefunden wird“21.
In Hoffmanns Erzählung ist dies einerseits die Mauer, durch die man unbemerkt auf die Straße gelangen kann, und andererseits das Haus René Cardillacs, das durch die Haustüre verschlossen ist, wodurch nur die anwesenden Personen als Täter in Frage kommen: René Cardillacs Tochter Madelon und der Geselle Olivier Brusson. Ein überzeugendes Tatmotiv für Olivier Brusson fehlt zwar, aber dass die Juwelenmorde seit seiner Verhaftung aufgehört haben, lässt la Regnie eine Verbindung mit der Räuber- und Mörderbande vermuten. Außerdem sei die Wunde des Ermordeten „denen ganz ähnlich, die alle auf der Straße, in den Häusern Ermordete und Beraubte“22 getragen haben, so der Präsident des Gerichtshofes, und in seiner Kammer habe man die Tatwaffe, den Dolch, gefunden.23
Das ´rätselhafte Verbrechen` scheint daher auf den ersten Blick gar nicht rätselhaft, sondern leicht erklärbar. Doch das Fräulein von Scuderi ist von Olivier Brussons Unschuld überzeugt und entscheidet sich, „den unschuldigen Jüngling zu retten, koste es, was es wolle“24. Im Folgenden wird deshalb ihre Rolle in der Erzählung zu untersuchen sein.
Der Detektiv als zentrale Figur der Detektivgeschichte tritt von außen an den zu lösenden Fall heran und muss über besondere Fähigkeiten verfügen, um seine ´Funktion` in der Handlung erfüllen zu können. Seine wichtigsten Aufgaben bestehen darin, zu beobachten, zu verhören und zu kombinieren25, denn ein „Detektiv ist nur derjenige, der etwas aufdeckt“26, wie es S.S. van Dine nennt.
[...]
1 Richard Alewyn: Die Anfänge des Detektivromans. In: Viktor Žmegač (Hg.). Der wohltemperierte Mord - Zur Theorie und Geschichte des Detektivromans. Frankfurt am Main: Athenäum 1971, S. 197.
2 Ernst Bloch: Literarische Aufsätze. Gesamtausgabe in 16 Bänden. Band 9. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1977, S. 245.
3 Alewyn: Die Anfänge des Detektivromans. In: Viktor Žmegač (Hg.). 1971, S. 197
4 Ebd., S. 197
5 Vgl. Ebd., S.202
6 Marianne Thalmann: E.T.A. Hoffmanns ´Fräulein von Scuderi`. In: Hans Ulrich Lindken (Hg.). Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart: Reclam 2001, S. 106
7 Dietrich Naumann: Zur Typologie des Kriminalromans. In: Viktor Žmegač (Hg.). Der wohltemperierte Mord - Zur Theorie und Geschichte des Detektivromans. Frankfurt am Main: Athenäum 1971, S. 258
8 Vgl. Ebd., S. 258.
9 Alewyn: Die Anfänge des Detektivromans. In: Viktor Žmegač (Hg.). 1971, S. 187.
10 Vgl. Helmut Heißenbüttel: Spielregeln des Kriminalromans. In: Jochen Vogt (Hg.). Der Kriminalroman - Poetik, Theorie, Geschichte. München: Fink 1998, S. 113.
11 Vgl. Peter Nusser: Der Kriminalroman. Stuttgart: Metzler 2003, S.22.
12 E.T.A. Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi. Stuttgart: Reclam 2002, S.6.
13 Bloch: Literarische Aufsätze. 1977, S.242.
14 Ebd., S.242.
15 Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi. 2002, S. 12.
16 Horst Conrad: Die literarische Angst - Das Schreckliche in Schauerromantik und Detektivgeschichte. Hrsg. von Klaus Günther Just, Leo Kreutzer u. Jochen Vogt. Düsseldorf: Bertelsmann Universitätsverlag 1974, S. 107.
17 Lothar Pikulik: E.T.A. Hoffmann als Erzähler - Ein Kommentar zu den ´Serapions-Brüdern`. Göttingen: Vandenhoeck u. Ruprecht 1987, S. 34.
18 Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi. 2002, S. 29.
19 Nusser: Der Kriminalroman. 2003, S. 23.
20 Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi. 2002, S. 32.
21 Nusser: Der Kriminalroman. 2003, S. 45.
22 Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi. 2002, S. 39.
23 Vgl. Ebd., S. 37.
24 Ebd., S. 36.
25 Vgl. Nusser: Der Kriminalroman. 2003, S. 39.
26 S.S. van Dine: Zwanzig Regeln für das Schreiben von Detektivgeschichten. In: Jochen Vogt (Hg.). Der Kriminalroman I. München: Fink 1971, S. 143 (Regel 6).