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Hausarbeit, 2022
16 Seiten, Note: 1,7
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einführung
2 Global Governance der Vereinten Nationen
2.1 Die Vereinten Nationen
2.2 Struktur des Sicherheitsrates
3 Blockierter Friedenssicherer, neuer Qualität?
4 Fazit
Literaturverzeichnis
VN Vereinte Nationen
Wenn ein globaler Friedensicherer zur Bedrohung der internationalen Friedensordnung wird, trifft dies trefflich die biblische Redensart: Wolf im Schafspelz.
Die am 24. Februar 2022 begonnene russische Invasion der Ukraine stellt eine Zeitenwende in der europäischen und internationalen Sicherheitsarchitektur nach dem Zweiten Weltkrieg und ebenso im politikwissenschaftlichen Forschungsgegenstand der Global Governance dar. Die Doomsday Clock , auch Weltuntergangsuhr genannt, steht bereits seit Januar 2020 bei 100 Sekunden vor Mitternacht und symbolisiert damit, wie nahe die Menschheit der Zerstörung ihrer Lebensgrundlage und Existenz ist – nie war die Menschheit diesem Ereignis näher (Bulletin of the Atomic Scientists, 2022). Sergej Lawrow, Außenminister der Russischen Föderation hält, eine Eskalation zum dritten Weltkrieg für möglich: „Die Gefahr ist ernst, sie ist real, sie darf nicht unterschätzt werden“ (Süddeutsche Zeitung, 2022). Die russische Drohung wies der lettische Außenminister Edgars Rinkēvičs umgehend über den Kurznachrichtendienst Twitter zurück und betonte, dass: „Only firm and consistent approach can restore international law and order“ (Rinkēvičs, 2022). Rinkēvičs verweist damit auch auf die Verantwortung der internationalen Staatengemeinschaft zu Bewahrung und Wiederherstellung von Frieden und Sicherheit.
Sowohl die raue Rhetorik, als auch die tägliche mediale Berichterstattung aus den umkämpften Gebieten verdeutlichen, dass das globale öffentliche Gut Frieden und Sicherheit maßgeblich in Gefahr ist. Der Global Peace Index führt für 2021 das: “the average level of global peacefulness deteriorated by 0.07 per cent. This is the ninth deterioration in peacefulness in the last thirteen years” (Institute for Economics &Peace, 2021). Der völkerrechtswidrige Krieg Russlands lässt mutmaßen, dass sich das Ergebnis der diesjährigen Erhebung erneut verschlechtern wird. Ebenso steht das gegenseitige Versprechen der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen (VN) von territorialer Unversehrtheit und politischer Unabhängigkeit der Staaten (Art. 2, Abs. 2 UN-Charta) durch den russischen Angriffskrieg massiv unter Druck. Denn Russland ist eben nicht ein einfacher Mitgliedstaat der VN, sondern nimmt durch seine permanente Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der VN eine hervorgehobene Stellung zur Bewahrung und Sicherung des globalen öffentlichen Gutes Frieden und Sicherheit ein. Die russische Invasion in den Nachbarstaat Ukraine ist daher ein beispielloser Fall seit Gründung der Vereinten Nationen vor knapp 77 Jahren. Die Thematik besitzt damit nicht nur eine politikwissenschaftliche, sondern ebenso eine realpolitische Relevanz und motiviert dazu, den Gegenstand einer intensiveren Betrachtung zu unterziehen.
Nach dem Leid und der Zerstörung zweier Weltkriege im vorhergehenden Jahrhundert und in Nachfolge des Völkerbundes, etablierte die Staatengemeinschaft mit der VN und dem Sicherheitsrat internationale Organisationen zur Bewahrung des globalen Friedens und der Sicherheit . Diese Arbeit setzt sich vorwiegend mit dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, als dem zentralen Instrument zur globalen Friedenssicherung auseinander. Und wird sich hierbei von der Frage leiten lassen, ob dieser den ihm von der Staatengemeinschaft übertragenen Aufgaben wirkungsvoll nachkommt. Hierbei wird auf die Struktur, den Charakter und das Aufgabenspektrum des Gremiums eingegangen. Ebenso betrachtet werden die Legitimität und Autorität, mit denen der Sicherheitsrat ausgestattet wurde, und zu welchem Global Governance-Bereich sich dieser zuordnen lässt. Im Anschluss an diese grundlegenden Ausführungen erfolgt eine Bewertung, wie erfolgreich der Sicherheitsrat die ihm übertragenen Aufgaben erreicht. Herangezogen wird hierfür der seit 24. Februar 2022 andauernde russische militärische Invasion in der Ukraine.
Was lässt sich unter Global Governance verstehen? Hierüber existiert keine Einigkeit. Daher ist nicht trennscharf definiert „ob Governance […] einen umfassenden Prozess oder eine strukturelle Form darstellt, ob es um Regieren jenseits des Staates geht oder gerade um einen Mix an verschiedenen Steuerungsmodi, an denen auch Staaten beteiligt sind, und schließlich, ob Governance ein normatives Element hat oder auch nicht“ (Brühl &Rosert, 2013, S. 45). Auf eine umfassende Herleitung und Darstellung der Begrifflichkeit soll zugunsten der praktischen Beschäftigung mit dem Schwerpunkt Sicherheitsrat verzichtet werden. Als Global Governance soll im Folgenden das „Welt regieren ohne Weltregierung“ (Kohler-Koch, 1993, S. 109) verstanden werden. Mit diesem Satz überschrieb Beate Kohler-Koch bereits 1993 ihre Ausführungen zu den grundlegend veränderten internationalen Beziehungen nach dem Zerfall der Sowjetunion.
Die politikwissenschaftlichen Großtheorien des Realismus und Institutionalismus gehen davon aus, dass das internationale System keine zentrale Autorität besitzt (Kahl &Rinke, 2019, S. 67; 70). Aufgrund der Abwesenheit dieser Autorität herrscht Anarchie (Herrschaftslosigkeit) im internationalen System. Die Nationalstaaten sind daher die entscheidenden Akteure, da keine ihnen übergeordnet Instanz über ausreichend Autorität, verbunden mit abschreckendem Sanktionspotenzial, verfügt. Der liberale Realismus hingegen postuliert, dass die vorherrschende Anarchie durch gemeinsame Werte, Normen und Institutionen überwunden werden kann. Staaten entwickelt daher zur Bearbeitung von Politikbereichen, die über nationale Grenzen hinausgehen, etwa Klimaschutz, Menschenrechte und Friedenssicherung, sekundäre internationale Institutionen in vielfältiger Ausgestaltung, Kompetenz und zur Bearbeitung unterschiedlicher Politikbereiche (Brühl, 2019, S. 428). Damit nehmen Sie „anderen Akteuren die Angst vor Kooperation, indem sie über Überwachungsmechanismen die Erwartungsverlässlichkeit erhöhen“ (ebd.). Eine jener Formen der internationalen Institutionen sind internationale Organisationen. Auf diese sowie internationale Institutionen soll nicht näher im Allgemeinen eingegangen werden, vielmehr wird sich im Speziellen der globalen internationalen Organisation der Vereinten Nationen und einem ihrer Hauptorgane, dem Sicherheitsrat, zugewandt.
„Die Gründung der Vereinten Nationen 1945 stellte einen Meilenstein der internationalen Normentwicklung dar“ (Brühl, 2019, S. 430). Am 24. Oktober 1945 trat die Charta der Vereinten Nationen in Kraft und gründete damit formal die Organisation durch 51 Mitgliedstaaten. Mittlerweile sind 193 Staaten in ihr organisiert. Damit kann sie „als einzige Internationale Organisation […] universale Gültigkeit ihrer Normen und Verfahren beanspruchen“ (Gareis, 2019, S. 742). Weitergehend sind die VN eine Organisation des offenen Multilateralismus und programmatisch uneingeschränkt (Scheuermann, 2021, S. 10).
Aufgrund jener Universalität verfügen die VN sowohl über politische, technokratische als auch epistemische Autorität , wenngleich in unterschiedlicher Ausprägung. Die am stärksten vorherrschende Autorität bezieht die Organisation aus politischer Autorität gegeben von ihren Prinzipalen. Diese Form der internationalen Autorität wird anhand der definierten Merkmale von Zürn näher betrachtet. Folgende Merkmale sind festzuhalten: Mandat, Autonomie, Politische Kontrolle, Handlungsfähigkeit, Verantwortungsbereich, Rechenschaftspflicht, Sichtbarkeit und Legitimität.
Die Charta der Vereinten Nationen stellt das Mandat der Organisation dar. Sie ist ein multinationales Vertragswesen und gründete mit ihrer Inkraftsetzung das internationale Völkerrechtssubjekt der Vereinten Nationen. Die „vielfältigen Aufgabenbereiche und Handlungsfelder [sind] fundamental auf die Schaffung und Bewahrung des Friedens in der Welt ausgerichtet“ (Gareis, 2019, S. 741). Sie zielen unter anderem darauf ab „gewaltsame Konflikte [zu] verhindern (Prävention), die Austragung gewaltsamer Konflikte [zu] beenden (Peacemaking und Peace Enforcement) und […] für einen stabilen Frieden [zu] sorgen (Peacebuilding)“ (Brühl, 2019, S. 431). Die Zielstellung ist in der Charta deutlich benannt:
Den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen […] (Art. 1, Abs. 1 UN-Charta)
Darüber hinaus dient die Organisation als „entscheidendes Interaktionsforum für Global Governance-Prozesse“ (Gareis, 2019, S. 744). Mit diesem Aufgabengebiet sind die Vereinten Nationen und noch wesentlich stärker ihr Sicherheitsrat dem Governance-Bereich der Vulnerabilität, d.h. Bewahrung von Frieden und Sicherheit zuzuordnen. Bis dato einzigartig ist das Gewaltverbot und damit der Ausschluss von Krieg als legitimes Mittel zur Interessensdurchsetzung. „Alle Mitglieder unterlassen [die] Androhung oder Anwendung von Gewalt“ (Art. 2, Abs. 4 UN-Charta).
Auch wenn die VN durch die Staatengemeinschaft als zentraler Akteur der globalen Friedens- und Sicherheitsarchitektur auserwählt sind, so leitet sich hieraus nicht die Ausstattung mit umfassender Autorität zur Erfüllung dieser Zielstellung ab. Über die beschriebene Autorität verfügen weiterhin die Staaten. Die Autonomie der Organisation ist daher gering. „Mangels eigener Entscheidungskompetenzen und Machtinstrumente sind die VN in ihren Bemühungen um den Frieden mithin so stark oder schwach, effektiv oder handlungsunfähig wie es die Staaten zulassen“ (Gareis, 2019, S. 742). Im Friedens- und Sicherheitskontext liegt die Autorität bei den Mitgliedern des Sicherheitsrates und allen voran bei den fünf permanenten Mitgliedern. Diese verfügen über eine „doppelte Privilegierung […] durch permanente Mitgliedschaft und Veto-Recht im Sicherheitsrat“ (Gareis &Varwick, 2014, S. 26) und nehmen hiermit die bestimmende Rolle über die Handlungsfähigkeit des Organs ein. An dem Verhalten dieser Staaten im Sicherheitsrat entscheidet sich, ob die internationale Gemeinschaft ihrem herausgehobenen Ziel „den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren“ (Art. 1, Abs. 1 UN-Charta) nachkommen kann oder nicht. Die Historie belegt, dass der Sicherheitsrat mehrmals durch Vetos eines oder mehrerer permanenten Mitglieder blockiert wurde. Sven Bernhard Gareis führt hierzu aus: „Der ‚Frieden‘ [ist] immer wieder (macht)politischen Aushandlungsprozessen im Sicherheitsrat mit seinen veto-berechtigten fünf Ständigen Mitgliedern […] unterworfen“ (Gareis, 2019, S. 742).
Die Vereinten Nationen unterliegen der ständigen politischen Kontrolle seitens der Mitgliedsstaaten. Wie bereits im Abschnitt zur Autonomie verdeutlicht, ist die Organisation wesentlich von den Bemühungen ihrer Mitglieder abhängig, wenngleich die Organisation immer wieder versucht, aus sich heraus mehr Eigenständigkeit zu entwickeln. Die Vetomächte des Sicherheitsrates und herausgehoben die Hegemonialmacht USA nehmen Sonderrollen in der politischen Kontrolle der Vereinten Nationen ein.
Als rechtliches Instrument steht den Vereinten Nationen der Internationale Gerichtshof mit Sitz in Den Haag zur Verfügung. 15 Richterinnen und Richter urteilen über Rechtsstreitigkeiten zwischen Staaten. Jedoch kann das Gericht nur bei solchen Staaten tätig werden, welche die Zuständigkeit der Gerichtsbarkeit als obligatorisch anerkennen oder Einigkeit zwischen den Konfliktparteien besteht, den Sachverhalt vor diesem Gericht beurteilen zu lassen. Die obligatorische Erklärung und damit die bedingungslose Anerkennung der Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs liegt derzeit bei 73 von 193 Mitgliedsstaaten vor (International Court of Justice, o. D.). Neben diesem rechtlichen Instrument ist der Sicherheitsrat befähigt, für die Mitgliedsstaaten verbindliche Resolutionen (Art. 25 UN-Charta) zu verabschieden. Dies können etwa ökonomische und politische Maßnahmen gegenüber Mitgliedstaaten, welche den Frieden gefährden, beinhalten. Artikel 41 der UN-Charta führt hierzu aus: Die Maßnahmen „können die vollständige oder teilweise Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen, des Eisenbahn-, See- und Luftverkehrs, der Post-, Telegraphen- und Funkverbindungen sowie sonstiger Verkehrsmöglichkeiten und den Abbruch der diplomatischen Beziehungen einschließen“ (Art. 41 UN-Charta). Darüberhinausgehend verfügt alleinig der Sicherheitsrat über das Recht zur Autorisierung von Gewalt und Gewaltanwendung (Zickenheiner, 2020, S. 6). Hierzu zählen etwa „Demonstrationen, Blockaden und sonstige Einsätze der Luft-, See- oder Landstreitkräfte von Mitgliedern der Vereinten Nationen“ (Art. 42 UN-Charta) zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit.
Die Vereinten Nationen weisen einen umfangreichen Verantwortlichkeitsbereich, wenn nicht den umfangreichsten aller internationalen Organisationen auf. Im weiteren Sinne wurde das System der Vereinten Nationen im Laufe der Zeit strukturell und inhaltlich um etliche Nebenorgane und Sonderorganisationen erweitert. Im engeren Sinne betrachtet sind die Vereinten Nationen die globale Organisation prioritär zur Bewahrung von Frieden und Sicherheit sowie Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Staaten und nachrangig zur Bearbeitung internationaler wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Probleme (Art.1 UN-Charta).
Eine Rechenschaftspflicht existiert gegenüber der Generalversammlung und damit allen Prinzipalen der Vereinten Nationen. Ebenso erhält die Generalversammlung jährliche Berichte und Sonderberichte von den anderen fünf respektive vier aktiven Hauptorganen der VN . Die öffentliche Sichtbarkeit und Wahrnehmung der VN insbesondere der Generalversammlung und des Sicherheitsrates sind hoch einzuschätzen. Dieser Umstand erzeugt aus sich heraus einen hohen Rechenschaftsdruck und -anspruch gegenüber der globalen Zivilgesellschaft.
Die Vereinten Nationen umfassen nahezu alle Staaten dieser Welt und besitzen aufgrund dieser Universalität ein hohes Maß an Legitimität. Ein Beitritt zu den VN bedarf zusätzlich der Ratifizierung innerhalb des jeweiligen Beitrittsmitgliedes, in der Bundesrepublik beispielsweise beschloss der Bundestag den Beitritt und legitimierte ihn damit. Staatsseitig weist keine andere Internationale Organisation eine quantitativ höhere Zustimmung auf. Dieser Umstand bestätigt ebenso die qualitative Zustimmung der Staaten, wenngleich eine Reformunfähigkeit attestiert werden kann (Scheuermann, 2021, S. 42). Gerade die doppelte Privilegierung der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates und die fehlende systematische Anpassung an globale Veränderungen seit Bestehen der VN geben Anstoß für Kritik. Dies spiegelt sich vermindert seitens der Zivilbevölkerung wider. Hinzu kommt fehlende Transparenz hinsichtlich der Entscheidungsprozesse in den Organen, allen voran dem Sicherheitsrat, und das Unverständnis gegenüber getroffenen Entscheidungen.
Die Vereinten Nationen operieren mit einer komplexen, vielschichtigen und vielgesichtigen Struktur (Scheuermann, 2021, S. 69) und gliedern sich im Wesentlichen in sechs Hauptorganen sowie eine Vielzahl von Nebenorganen und verbundenen Sonderorganisationen . Fokussiert wird sich nachfolgend, nach einer kurzen Ausführung zur Generalversammlung, auf den für Friedens- und Sicherheitspolitik zuständigen Sicherheitsrat.
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