Unter der Leitthese, dass „die germanischen und römischen Religionen eine Wesensverwandtheit besitzen und die Germanen die religiösen Vorstellungen der Römer in ihre eigene integrierten“, werden zunächst die beiden Religionen gesondert voneinander vorgestellt und miteinander verglichen. Dabei nehmen die Kulthandlungen und die damit verbundenen Opferrituale eine besondere Stellung ein. Anhand des Matronenkultes, der besonders in den germanischen Provinzen gehuldigt wurde, soll gezeigt werden, dass die römischen und germanischen Religionen kompatibel miteinander gewesen sind. Zum Ende wird ein Fazit gezogen.
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Die romische Religion
2.1. Entstehung und Funktion der romischen Gotter
2.2. Die romischen Opferbrauche
2.3. Sacra Publica
3. Die germanischen Religionen
3.1. Die germanischen Opferbrauche
3.2. Gotterpantheon der Germanen? Entstehung und Ursprung germanischer Gottheiten
4. Matronenkult
5. Fazit
6. Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Einleitung:
Es erscheint als ein gewagter Versuch, eine einheitliche Gottesvorstellung der Romer und Germanen aufgrund des begrenzten Umfangs der Arbeit zu prasentieren. Fur unsere heutige demokratische Gesellschaftsform erscheint es als selbstverstandlich, dass Staat und Religion voneinander getrennt sind. Diese Vorstellung ware den Menschen in der Antike wohl befremdlich erschienen. Denn die Religion besaB in der Antike einen omniprasenten Gultigkeitsanspruch und wurde als hohere Macht betrachtet, die die Geschicke des Staates maBgeblich mit beeinflusste. Um einen Uberblick uber die romische und germanische Religion zu geben, muss zunachst der Begriff „Religion“ in den passenden Kontext gestellt und auf Religion in der Antike angewandt werden: die meisten Menschen denken, Religion beinhalte immer den Glauben an etwas Numinoses. Diese Vorstellung verdeutlicht gleichzeitig aber, dass diese Menschen „Religion“ in der Beziehung zu ihrem kulturellen Background definieren. die christlich gepragten Europaer bewerten beispielsweise Religion im Kontext der Kultur des Abendlandes. Wir betrachten andere Religionen immer unbewusst im Vergleich zum Christentum. Um die religiosen Vorstellungen der Romer und Germanen zu verstehen, schauen wir also, ob diese Religionen vergleichbare Formen und Funktionen zu unserer eigenen aufweist, eine Vergleichbare Einheit bildet oder selbst ganz andere Grenzen als unsere besitzt. „Religion“ ist jedoch nichts empirisch Feststellbares, „sondern ein Begriff, dessen Verwendung selbst Teil der Religionsgeschichte ist“.1 Die romische und germanische Religion ist im Gegensatz zu den in Europa heute dominierenden Religionen polytheistisch veranlagt. Das heiBt, dassdie Menschen damalsan viele verschiedene Gottheiten glaubten, die jeweils ihre eigenen Wirkungsspharen besaBen. Aber nicht nur die verschiedenen Gotterkulte waren fur das Selbstverstandnis der Menschen wichtig, sondern auch die damit verbundenen Opferzeremonien. Diese und andere sakrale Hand lungen bestimmten den Alltag der Menschen, aber auch in politischer Hinsicht darf die Bedeutung dessen nicht unterschatzt werden. Bei beiden Volkern (Romern und Germanen) wurde nahezu jedes private und staatliche Ereignis mit festgesetzten sakralen Zeremonien und Ritualen begangen.2 Aus historischer Arbeitsperspektive finden wir bei den Romern einen Vorteil: da die Romer vieles schriftlich festhielten und uns noch heute viele Gottertempel (die uns Beispielsweise durch Inschriften die dort verehrte Gottheit uberliefern) der Romer erhalten geblieben sind, ist die romische Religion deutlich besser nachzuvollziehen als bei den Germanen. Da die Germanen keine schriftlichen Quellen hinterlassen haben und wir auf archaologische Entdeckungen angewiesen sind3, konnen teilweise nur Vermutungen uber die genauen religiosen Handlungen angestellt werden. Beiden Religionen ist jedoch gemein, dass private und offentliche Opferhandlungen einen wesentlichen Aspekt der Religionen ausmachen. Bei der Rekonstruktion der Germanen entsteht zusatzlich das Problem, dass wir eine Religionsgeschichte von uber 1000 Jahren haben, die in ihren Ausformungen geographischen und zeitlichen Schwankungen unterlagen. 4 Bei den Germanen finden wir in den Anfangen ihrer Religionsgeschichte lediglich holzerne Pfahlidole5, die wahrend der Volkerwanderungszeit wahrscheinlich zunehmend in Vergessenheit gerieten und durch die uns noch heute bekannten Hauptgotter, Wodan, Donar und Freija ersetzt wurden.6Genau wie bei den Romern entstanden auch bei den Germanen Stammen Gotter, die jeweils eine eigene Wirkungssphare besaBen. Unter der Leitthese, dass „die germanische und romische Religionen eine Wesensverwandtheit besitzen und die Germanen die religiosen Vorstellungen der Romer in ihre eigene integrierten“, werden zunachst die beiden Religionen gesondert voneinander vorgestellt und miteinander verglichen. Dabei nehmen die Kulthandlungen und die damit verbundenen Opferrituale eine besondere Stellung ein. Anhand des Matronenkultes, der besonders in den germanischen Provinzen gehuldigt wurde, soll gezeigt werden, dass die romischen und germanischen Religionen kompatibel miteinander gewesen sind. Zum Ende wird ein Fazit gezogen.
2. Die romische Religion:
Die romische Religion kannte durchaus das, was auch heute noch viele Religionen im Alltagsverstandnis ausmacht; Gotter und Tempel. Bemerkenswert dabei ist, dass im Unterschied zu anderen Religionen sich die Heiligtumer bzw. Tempel von mehreren Gottern gleichzeitig geteilt wurden, wie es bei dem groBen Tempel auf dem Capitol (geweiht der Trias Iupiter, Iuno und Minerva) der Fall war.7 In der Antike lasst sich Religion aber nicht so leicht auf Orte, Zeiten und Personen beschranken. Damit sind nicht die alltaglichen Kulte in den Wohnhausern gemeint. Jede groBere Aktivitat wurde durch ein Opfer und durch Anfragen an die Gotter begonnen und auch wieder beendet.8 Sie diente aber auch als Legitimationsbasis fur die Machtigen und Reichen und vor allem fur den Staat. Es war jedoch nicht alles durchweg religios gepragt.9 So zeigen archaologische Ausgrabungen beispielsweise Wohnhauser ohne einen Hausaltar und schriftliche Uberlieferungen lassen auch die Vermutung von Atheisten und Skeptikern zu. Trotz dessen betont der Historiker Jorg Rupke, dass Religion bzw. religiose Handlungen in der klassischen Antike mit dem Leben in der Familie und dem Staat eng verwoben war10. Auch wenn wir in dieser Arbeit von DER romischen Religion sprechen, ist diese Bezeichnung doch nicht ganz richtig, denn die „romische Religion“ ist lediglich die Summe aller Religionen, die in der Antike auf dem Territorium der Stadt Rom ausgeubt wurden: von den Latinern, Etruskern, Griechen, Agyptern und vielen mehr. Unter dem Einfluss der Okonomie, Politik und Demographie konvergierten die Religionen zu der Religionsgeschichte der Stadt Rom. Erst die personelle Ausfuhrung bestimmt diese zu der Summe aller religiosen Handlungen und Vorstellungen, welche von den Burgern und Freigelassenen Roms privat und offentlich und legitim mit den von ihnen beauftragten Kultfunktionaren ausgeubt wurden.11 Je nach der Personlichkeit (und Geschlecht) des Menschen variierte der personlich favorisierte Kult. Ein weiteres typisches Merkmal der romischen Religion ist die Tatsache, dass die Verehrung der Gotter je nach Stadt oder Provinz variieren konnte. Die Romer waren in der Hinsicht ein sehr frommes Volk, da sie an die standigen Eingriffe der Gotter in ihr Leben glaubten. So glaubten sie beispielsweise, dass sich die Forderungen der Gotter in Zeichen auBerten und eine Missstimmung der Gotter sich in Naturereignissen zeigte. Ein typisches Merkmal der romischen Religion ist das do-ut- des-Prinzip. 12 Obwohl die Romer als fromm galten, stand nicht der personliche Glauben im Fokus bei der Praktizierung von Kulten, sondern,dass der Kult korrekt ausgefuhrt wurde.13 Diesen Ausdruck von Frommigkeit bezeichneten die Romer als Pietas. Denn die verschiedenen Kulte waren im allgemeinen an „das Herkommen ( mos ), im Besonderen an die jeweiligen Kultgesetze ( leges sacrae) gebunden, sowie an die besond eren Bestimmungen des Senats als der obersten Kultusbehorde und der verschiedenen Priesterschaften fur die einzelnen Kulte.“14 Dabei konnte die falsche Aussprache bei einem Weiheritual die ganze religiose Zeremonie zunichtemachen. Daher spricht die Wissenschaft von der Religion der Romer nicht nur von einer Opferreligion,15 sondern auch von einer Orthopraxen Religion („es richtig machen“). Charakteristisch fur sie ist ihr Polytheismus. Den Glauben im eigenen Bewusstsein schenkten die Romer nach dem Historiker Bernhard Linke „besonders intensive und sorgfaltige Aufmerksamkeit“, der „ein entscheidender Pfeiler der romischen Selbstsicht und des kollektiven Lebensgefuhls16“ ausmachte.
2.1. Entstehung und Funktion der romischen Gotter:
Die Ursprunge der romischen Religion konnen bis in das fruhe erste Jahrtausend v. Chr. zuruckverfolgt werden. Jedoch bekamen erst unter etruskischen und griechischen Einfluss im 5. Jahrhundert v. Chr. die Gotter eine Gestalt, und verschmolzen nach und nach mit dem alten Gotterglauben. Die Latiner ubernahmen dazu den Gotterhimmel der Griechen und passten sie ihrer Umwelt und ihren Normen und Werten an17 Dabei stand nicht die kosmologische Dimension im Vordergrund, sondern die religiose Reflexion auf die soziale Welt ihrer Burgerschaft.18 Es darf nicht der Fehler gemacht werden anzunehmen, dass die Gottheiten allmachtig waren, wie es exemplarisch fur die monotheistischen Religion ist. Die Romer glaubten nicht daran, dass ihre Gotter den Kosmos geschaffen und ihm seine Ordnung gaben. Sie waren zwar prinzipiell die Herren der Welt, aber jede Gottheit hatte seine eigene Wirkungssphare. 19 In Rahmen von Kulten wurden die Gottheiten verehrt, wobei die Ausfuhrung der Kulte mit den Charaktereigenschaften der jeweiligen Gottheiten in Verbindung stand.
Um einen kurzen Vergleich zwischen den beiden Gotterhimmeln zu ziehen: bei den Romern gibt es keine Mythen uber die Entstehung der Gotter und sie kannten im Vergleich zu den Griechen zunachst keine verwandtschaftlichen Beziehungen unter den Gottern.
[...]
1 Rupke, Jorg: Die Religion der Romer. Eine Einfuhrung, Erfurt 2006. S. 12.
2 Pohanka, Reinhard: Die Romer. Kultur und Geschichte, Wiesbaden 2014 2. S. 29. Dazu auch: Simek, Rudolf: Die Germanen, Stuttgart 20112.: S. 215f.
3 Sie dazu Beispielsweise die uberlieferten Weihesteine des zweiten - vierten Jahrhundert aus den germanischen Provinzen in Friesland und Koln, in: Simek, Rudolf: Religion und Mythologie der Germanen. Darmstadt 20142.: S. 222.
4 Rubel, Alexander: Religion und Kult der Germanen, Stuttgart 2016.: S. 9.
5 Wie Beispielsweise das „Gotterpaar von Braak bei Eutin“, in: Bleckmann, Bruno: Die Germanen. Von Ariovist bis zu den Wikingern, Munchen 2009. S. 28. Vgl.: Simek, Rudolf: Religion und Mythologie der Germanen, Darmstadt 2014. S. 102-103.
6 Simek, Rudolf: Religion und Mythologie der Germanen, S. 105ff.
7 Linke, Bernhard: Antike Religion, in: Winterling, Aloys, Brodersen, Kai, Jehne, Martin, Schmitz, Winfried (Hgg.): Enzyklopadie der Antike, Band 13, Munchen 2014. S. 12.
8 Pohanka, Reinhard: Die Religion der Romer, S. 29. Vgl.: Rupke, Jorg: Die Religion der Romer. Eine Einfuhrung, Erfurt 2006. S. 35.: Herr Rupke fuhrt ein Zitat von Cato „Uber die Landwirfschaft" an, in dem er ausfuhrlich uber eine Opferhandlung berichtet und welchen Stellenwert diese einnimmt: Spreche mit Weihrauch und Wein dem Ianus, dem Iuppiter und der Iuno die Einleitung, bevor Du das weibliche Schwein opferst. Dem Ianus setze ein Kuchen so vor: „Vater Ianus, ich bitte Dich durch diesen Dir vorzusetzenden Kuchen mit guten Bitten, dass Du wohlgesonnen, gnadigst seiest mit, meinen Kindern. Dem Haus und meiner Sklavenschaft“. Setze dem Iuppter einen (anderen Typ von Opfer- )Kuchen vor und opfere so: „Iuppiter, ich bitte Dich, durch diesen Dir vorzusetzenden Opferkuchen mit guten Bitten, dass Du wohlgesonnen, gnadigst seiest mir, meinen Kindern, dem Haus, Meiner Sklavenschaft[...]"
9 Rupke, Jorg: Die Religion der Romer, S. 13.
10 Ebd. S. 13.
11 Nach der Argumentationsstruktur von: Cancik, Hubert: Romische Religion. Eine Skizze, in: Cancik- Lindemaier, Hildegard (Hg.): Romische Religion im Kontext. Kulturelle Bedingungen religioser Diskurse, Tubingen 2008. R. 3. Bd. 11. S. 3.
12 Auf die genaue Erlauterung wird an spaterer Stelle eingegangen.
13 Pohanka, Reinhard: Die Romer. Kultur und Geschichte, Wiesbaden 2014 2. S. 29.
14 Cancik, Hubert: Die Religion der Romer: S. 3.
15 Zelle, Michael: Colonia Ulpia Traiana. Gotter und Kulte, Xanten 2000. S. 23.
16 Linke, Bernhard: Antike Religion: S. 11.
17 Damit sind zum Beispiel die menschlichen Eigenschaften der Gotter gemeint. So kommt Ehebruch, Eifersucht und andere menschliche Charakterzuge bei den Gottern haufig vor. So betrugt der Gottervater Zeus seine Gemahlin Hera zum Beispiel mit Leto, woraus die Gotterzwillinge Apollon und Artemis entstanden sind. Siehe dazu: Kleines Lexikon mythologischer Figuren der Antike, hrsg. von Kai Brodersen / Bernahrd Zimmermann, Stuttgart 201, S. 181. Auch finden sich andere Beispiele fur menschliche Charakterzuge bei Gottern in Homers Ilias und Odyssee: „Allein Poseidon, der Erdbeweger, zurnt ihm unbeugsam immer um des Kyklopen willen [...]" Siehe dazu: Homer. Die Odyssee, hrsg. von Wolfgang Schadewaldt, Hamburg 1958, S. 9.
18 Linke, Bernhard: Antike Religion: S. 12.
19Veyne, Paul: Die griechisch-romische Religion. Kult, Frommigkeit und Moral, Stuttgart 2008. S. 16.