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Studienarbeit, 2020
25 Seiten, Note: 1,3
1 Einleitung
2 Theoretischer Rahmen
2.1 Thema Judentum und interreligiöse Kompetenz
2.2 Ganzschriften
2.2.1 Einordnung des Jugendromans “Damals war es Friedrich”
3 Forschungsdesign
3.1 Stichprobenauswahl
3.2 Erhebungsverfahren
3.3 Erhebungsinstrument
3.4 Durchführung
3.5 Auswertungsverfahren
4 Ergebnisse
5 Diskussion und Reflexion
6 Fazit
7 Literaturverzeichnis
8 Anhang
Die gemeinsame Erklärung zur Vermittlung jüdischer Geschichte, Religion und Kultur in der Schule des Zentralrats der Juden in Deutschland und der Kultusministerkonferenz aus dem Jahr 2016 stellt fest:
“Das Judentum ist seit vielen Jahrhunderten integraler Bestandteil der deutschen und europäischen Kultur, Geschichte und Gesellschaft. Jüdisches Leben ist indes in vielen gesellschaftlichen Bereichen kaum sichtbar und wird, beispielsweise in Schulbüchern und anderen Bildungsmedien, vielfach nur auf einzelne Elemente oder auf einige wenige Epochen der Geschichte verkürzt, zum Teil verzerrt und undifferenziert dargestellt.
Eine Schulbuchstudie kommt zu dem Ergebnis, dass u.a. liberales Judentum und jüdisches Leben mit seinen Synagogen, Kindergärten und Gemeindezentren in Schulbüchern nicht stattfindet. Stattdessen wird das Judentum immer wieder nur auf die Vergangenheit, auf Opferdasein und Verfolgung reduziert.1 2 Die gemeinsame Erklärung formuliert daher den klaren Auftrag einer Balance zwischen Vergangenheit und Gegenwart und vereinbart “Schritte zu einer zukunftsorientierten und authentischen Thematisierung des Judentums in der Schule”.3 Bei all den besorgniserregenden Meldungen über judenfeindliche Einstellungen, Übergriffe und religiöses Mobbing an Schulen, sehe ich mich als angehender Religionslehrer besonders in der Verantwortung, diesen Auftrag umzusetzen und meinen Unterricht danach auszurichten und zu gestalten.
In den Religionsstunden der siebten Klasse meiner Praxisschule hatte ich die Möglichkeit eine Unterrichtsreihe zum Thema Judentum zu beobachten und zu begleiten. In meine Hospitation der Unterrichtsreihe nahm ich die Frage mit: Wie kann bei der Thematisierung des Judentums im Unterrichtsgeschehen eine Balance zwischen Vergangenheit und Gegenwart gelingen, sodass die Schüler* innen ein möglichst authentisches Bild von der Vielfalt und Komplexität des Judentums erhalten und ohne jüdisches Leben auf die Schoah zu reduzieren? Sensibilisiert durch die mir im vorhinein bekannte Kritik ein Schulbüchern und anderen Medien im Bezug auf die mangelnde Authentizität der Darstellung, legte ich meinen Beobachtungsschwerpunkt auf den Medieneinsatz. Die verantwortliche Religionslehrkraft wählte neben dem Schulbuch die Lektüre einer Ganzschrift als Hauptmedium und Quelle für die Unterrichtsreihe. Wie schon in einigen vorangegangen Jahrgängen zuvor, diente die Ganzschrift als roter Faden beim Entdecken der jüdischen Religion. Bei der Ganzschrift handelte es sich um den Jugendroman Damals war es Friedrich von Hans Peter Richter.4 Der Roman schildert die Zeit des Nationalsozialismus und des Holocausts aus der Sicht eines Kindes. Eine solche vergangenheitsorientierte Quelle fokussiert sich besonders auf das Verbrechen des Holocausts und spiegelt somit einen Kritikpunkt der genannten Erklärung wieder. Der Einsatz der Ganzschrift stellt dabei erst einmal eine Bereicherung für den Unterricht dar und eröffnet den Schülerinnen und Schülern vielfältige Lemchancen. Jedoch legt ihr Einsatz ein großes Gewicht auf die Vergangenheit. Ein angestrebter Unterricht in der Balance zwischen Vergangenheit und Gegenwart erfordert dann gegenwarts- und zukunftsorientierte Medien und Methoden als Ausgleich. Das beschriebene Szenario gab mir den Anlass dazu, die Auswirkungen des Unterrichts mit den gewählten Medien zu überprüfen. Inwieweit gelingt eine authentische Auseinandersetzung mit dem Judentum in einer Unterrichtsreihe, die auf einer vergangenheitsorientierten Ganzschrift als Hauptmedium basiert? Meine Hypothese: Durch den Einsatz der Ganzschrift könnten die Schülerinnen ein undifferenziertes Bild des Judentums entwickeln, welches das im Jugendroman kennengelemte Judentum mit dem gegenwärtigen Judentum gleichsetzt.
Die Vermittlung jüdischer Geschichte, Religion und Kultur in der Schule ist ein klarer Auftrag des Kultusministeriums an das Schulwesen der Bundesrepublik. Auch wenn die Organisationsformen der Fächer, insbesondere des Religionsunterrichts, aufgrund der föderalen Ordnung der Bundesrepublik in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich ausgestaltet sind, ist die fächerübergreifende Thematisierung des Judentums in allen Lehrplänen fest verankert.5 Das Judentum stellt als eine der großen Weltreligionen nur eine von vielen religiösen Anschauungen und Praktiken dar, denen man heute in Deutschland begegnet. In dieser Vielfalt brauchen gerade junge Menschen Orientierung. In der Schule werden die Fragen und Phänomene, die sich aus der Begegnung der Schüler* innen mit religiöser Vielfalt ergeben durch interreligiöses Lernen im Religionsunterricht aufgenommen. Unabhängig von der jeweiligen Form des Religionsunterrichts wird die Absicht verfolgt, die Verständigung und die Dialogfähigkeit zwischen Menschen unterschiedlichen Glaubens zu fördern. Von Seiten der Religionsdidaktik gibt es verschiedene konzeptionelle Ansätze, die angestrebten interreligiösen Kompetenzen zu beschreiben.6 Dazu ist zu erwähnen, dass es sich bei diesen Ansätzen um christliche Perspektiven katholischer und evangelischer Theolog*innen zu interreligiösem Lernen handelt. Aus anderen Religionen, wie z.B. dem Judentum und dem Islam gibt es bisher keine größeren Darstellungen zu diesem Thema. Eine Konkretisierung für den evangelischen Religionsunterricht findet sich im Orientierungsrahmen der EKD Kompetenzen und Standards für den evangelischen Religionsunterricht in der Sekundarstufe 1 von 2011, der sich als Weiterentwicklung des Kompetenzmodells des Comenius-Institut versteht. Dieser nennt acht Teilkompetenzen von denen drei das interreligiöse Lernen und somit auch die Thematisierung des Judentums im evangelischen Religionsunterricht betreffen:
6. Sich mit anderen religiösen Glaubensweisen und nicht-religiösen Weltanschauungen begründet auseinandersetzen, mit Kritik an Religion umgehen sowie die Berechtigung von Glaube aufzeigen.
7. Mit Angehörigen anderer Religionen sowie mit Menschen mit anderen Weltanschauungen respektvoll kommunizieren und kooperieren.
8. Religiöse Motive und Elemente in der Kultur identifizieren, kritisch reflektieren sowie ihre Herkunft und Bedeutung erklären.7
Diese zu erwerbenden interreligiösen Kompetenzen finden sich auch in den Rahmenrichtlinien und Lehrplänen des Religionsunterrichts wieder. Die Inhaltsfelder fünf Religionen und Weltanschauungen im Dialog und sechs Religiöse Phänomene in Alltag und Kultur betreffen interreligiöse Kompetenzen und präzisieren die anzustrebenden Kompetenzen in Sach-, Urteils- und Handlungskompetenzen für die Jahrgangsstufen sieben bis zehn.8
Das Lesen einer Ganzschrift im Unterricht bietet eine Reihe von Herausforderungen. Vorbehalte und Befürchtungen, wie unsachgemäßes Vorgehen oder ein hoher Zeitaufwand halten Lehrkräfte davon ab, in ihrem Unterricht Ganzschriften zu lesen. Besonders in Fächern mit niedriger Gewichtung im Bezug auf ihre Versetzungsrelevanz, wie dem Religionsunterricht und den damit einhergehenden wenigen Unterrichtsstunden, scheint der Leseaufwand zu groß. Die beiden Religionspädagoginnen Otten und Steinkühler sprechen sich trotzdem mit Nachdruck für den Einsatz von Ganzschriften aus. Jugendbücher seien inhaltlich wie sprachlich nahe an der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen.9 Vielfältige Unterrichtserfahrungen zeigten, dass das Lesen von Ganzschriften für die Schüler* innen einen geschützten Raum eröffnet, in dem sie über einen langen Zeitraum in langsamer Geschwindigkeit ihre eigenen Haltungen, Vorstellungen und ihr eigenes Verhalten reflektieren können. Dies schaffe Identifikationsmöglichkeiten, ermögliche Perspektivenübemahmen und eröffne Begegnungen mit anderen Welten. Dieser immer wieder zu beobachtende hohe Ertrag rechtfertige auch den damit verbundenen hohen Zeitaufwand.10
Für den Religionsunterricht ist Jugendliteratur dabei in zwei Kategorien mit jeweils zwei Intensitäten zu unterteilen. Beide Kategorien können auf je eigene Weise für den Religionsunterricht genutzt werden. Ihre Unterschiede haben didaktisch-methodische Konsequenzen. Zum einen gibt es Literatur über Religion. Damit gemeint sind explizit religiöse Bücher, welche sich entweder auf ein eindeutig religiöses Thema konzentrieren oder verschiedene religiöse Aspekte ansprechen. Sie können informierend-zeigend eingesetzt werden und initiieren Schritte des Orientierens und Kennenlemens. Die zweite Kategorie bilden Bücher mit Religion. Dies sind Werke, die Religion implizit thematisieren indem sie sich entweder auf ein Thema konzentrieren, das sowohl säkular als auch religiös betrachtet werden kann, oder Schlüsselszenen enthalten, die auf Religion hin befragt und gedeutet werden können. Sie haben einen andeutend-anstoßenden Charakter und initiieren Schritte des Entdeckens, Fragens und Suchens.11
Im folgenden wird der Versuch unternommen, den Jugendroman Damals war es Friedrich von Hans Peter Richter im Bezug auf das Konzept von Steinkühler hin zu kategorisieren. Der Roman erzählt die Geschichte zweier befreundeter Jungen zur Zeit des Nationalsozialismus und der Schoah in Deutschland. Aus der Perspektive des christlichen Jungen schildert der Erzähler das Erlebte. Der jüdische Nachbarsjunge Friedrich Schneider wird mit der Zeit sein Freund. Dabei lernt der Erzähler mehr und mehr den jüdischen Glauben der Familie Schneider kennen und erlebt die zunehmende Diskriminierung und Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Die jüdische Religion mit ihren Glaubensvorstellungen und Ritualen wird dabei implizit thematisiert. Deshalb ist das Werk unter die Kategorie Literatur mit Religion einzuordnen. Immer wieder taucht der jüdische Glauben auf und stößt damit Schritte des Entdeckens, Fragens und Suchens an.
Die vorliegende Untersuchung basiert auf Daten von insgesamt 15 rückläufigen Hausaufgaben, was einer Rücklaufquote von 75% entspricht. Die Rekrutierung der Stichprobe gründet auf folgende Auswahlkriterien:
1. Für die Erhebung der Daten sollten ausschließlich alle Schüler* innen des Religionsunterrichts der siebten Klasse befragt werden, da sich die Befragten im Zuge der Unterrichtsreihe “Judentum” mit dem relevanten Themengebiet beschäftigten.
2. Für die Auswahl der Stichprobe war das Lebensalter und Geschlecht der Schülerinnen ohne Bedeutung.
Die von mir ausgewählte Stichprobe erfüllte alle aufgeführten Kriterien. Insgesamt konnten somit 20 Schüler* innen befragt werden, von denen 15 ihre schriftliche Hausaufgabe abgaben.
Um der Forschungsffage auf den Grund zu gehen wurde die Forschungsmethode der Dokumentenanalyse mittels einer Hausaufgabe eingesetzt. Für die Erhebung der ausgebildeten Vorstellungen der Schüler* innen über das Judentum und nach der Lektüre einer Ganzschrift mit Religion, erschien mir diese Methode geeignet. Mittels der schriftlichen Hausaufgabe können Interviewleitfehler vermieden und ehrlichere und überlegtem Antworten gegeben werden, da die befragten Schülerinnen mehr Zeit zur Verfügung haben. Ein Vorteil der Dokumentenanalyse liegt außerdem darin, dass Schülerprodukte analysiert werden, die ohnehin im Zuge der Unterrichtsreihe entstehen und dies für Schüler*innen keinen Mehraufwand bedeutet. Ein Nachteil der schriftlichen Dokumentenanalyse liegt darin, dass das Nachfragen durch die fehlende Interaktion zwischen Forschendem und Befragten nicht möglich ist. Zum anderen ist es in einer leistungstechnisch sehr heterogenen Klasse nicht allen Schülerinnen möglich sich schriftlich so auszudrücken wie z.B. bei einer mündlichen Befragung. Die Qualität der Antworten hängt daher stark von der Artikulationsfähigkeit sowie -bereitschaft der befragten Schülerinnen ab. Bei einer schriftlichen Hausaufgabe in einem Religionsunterricht, der ansonsten ohne regelmäßige Hausaufgaben auskommt, ist mit einer niedrigen Rücklaufquote zu rechnen.
Die Erhebung der Daten sollte mit einer selbst entwickelten, offenen Hausaufgabe erfolgen.12 Die Hausaufgabe wurde in Form eines Arbeitsblattes mit Instruktionen und ausreichend Leerzeilen zur Beantwortung ausgegeben. Der eigentliche Hintergrund der Hausaufgabe wurde den Schülerinnen bewusst nicht mitgeteilt, um eine Lenkung der Antworten zu vermeiden. Um die Abgabe der Hausaufgabe zu kontrollieren wurden die Namen der Schüler*innen abgefragt. Diese wurden im Nachhinein geschwärzt, um den Datenschutz zu gewährleisten. Die ausführlich gestellte Aufgabe versucht an das Unterrichtsgeschehen anzuknüpfen, die Schüler*innen abzuholen und zu inspirieren und gleichzeitig eine große Freiheit bei der Lösung der Aufgabe zu geben.
Im Vorfeld der Befragung wurde die unterrichtende Lehrkraft des Religionsunterrichts über das Vorhaben informiert. Gemeinsam wurde die Befragung mit Hilfe der schriftlichen Hausaufgabe präzisiert und geplant. Das Einverständnis zur Befragung musste aufgrund der Form der anonymisierten Hausaufgabe nicht von jedem Einzelnen eingeholt werden. Die Erhebung an sich erfolgte durch die Austeilung der Hausaufgabe “Brief an eine Freundin/ einen Freund” am Ende der Religionsstunde im Klassenzimmer. Die Aufgabenstellung wurde mit der Klasse zusammen durchgegangen, um mögliche Verständnisfragen zu klären. Die Befragten wurden dazu angehalten die Hausaufgabe binnen einer Woche bei der Lehrkraft abzugeben.
[...]
1 https://www.kmk-zentralratderjuden.de/gemeinsame-erklaerung/ - Aufgerufen am 20.5.2020
2 Vgl. “Gemeinsame Erklärung”, Seite 2.
3 Vgl. Ebd.
4 Siehe Richter, Hans Peter: Damals war es Friedrich, dtv Verlagsgesellschaft, 36. Auflage, München, 1979.
5 Vgl. Meyer-Blanck, Formen des Religionsunterricht in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland, 163.
6 Siehe u.a. Schweitzer; Lähnemann; Meyer; Tautz; Sajak; Halbfas; Leimgruber. Vgl. Meyer; Tautz, Art. Interreligiöses Lernen, in: Wissenschaftlich Religionspädagogisches Lexikon im Internet (www.wirelex.de), 2015. - Aufgerufen am 20.5.2020.
7 https://www.ekd.de/4-Kompetenzen-fur-den-Evangelischen-Religionsunterricht-1301 .htm - Aufgerufen am 03.03.2020.
8 www.schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/lehrplan/67/KLP_GE_Ev_Religionslehre.pdf- Aufgerufen am 03.03.2020, 33-35.
9 Vgl. Steinkühler, Martina: Religion + Jugendliteratur = Unterricht, in: RelliS, 2014, 3(13), Ganzschriften 5-7.
10 Vgl. Otten, Gabriele: Mit Schülerinnen und Schülern lesen, in: RelliS, 2014, 3(13), Ganzschriften 8-9.
11 Vgl. Steinkühler, Martina: Religion + Jugendliteratur = Unterricht, in: RelliS, 2014, 3(13), Ganzschriften 5-7.