Der wissenschaftliche Aufsatz fokussiert die Stabilität der Demokratie als das zentrale Leitmotiv (polizei-)organisationaler Diversifikation. Es wird akzentuiert, warum pluralen Personalkörpern eine demokratiestärkende, diskriminierungsvorbeugende und repräsentative Funktion innewohnt, weshalb die Verwirklichung von ethnisch-kultureller Heterogenität innerhalb der Polizei angezeigt ist.
Die polizeiliche Multikulturalität beziehungsweise Multiethnizität wird nicht als einsatzpraktisch im Kontakt mit dem „Außen“, vielmehr bei Einnahme einer innerbetrieblich-rechtsstaatlichen Perspektive als fundamental-demokratisch diskutiert. Als Ansatzpunkt fungiert die Annahme, dass die Kategorien Ethnie und Kultur in ihrer Vielfalt die Demokratie stabilisieren und die Demokratiekompetenz festigen. Es wird versucht, ausgewählte Vorurteile und stigmatisierende Stereotype zu dekonstruieren, um in Projektion auf die Polizei die demokratische Notwendigkeit des polizeiinternen Umgangs mit Minderheiten und das Erfordernis einer (echten) Integration von Minoritäten hervorzuheben.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Pluralität der Gegenwart: eine persönliche Einordnung
3. Demokratie, Pluralität und Polizei
3.1. Kulturell-religiöse Vielfalt und Dogmatismus
3.2. Die Polizei als Repräsentant multiethnischer Vielfalt
3.3. Diskriminierungsprävention – ein neues identitäres Selbstverständnis
4. Die polizeiliche Wertefundation: ein Platz für Vielfalt?
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Kategorien und Facetten von Vielfalt sind allgegenwärtig. Zeitgenössisch rückt der Vielfaltsbegriff unter dem Synonym „Diversity“ verstärkt in den Mittelpunkt gesellschaftlicher Diskurse und begründet Veränderungs- sowie Transformationserfordernisse für Gesellschaft, Wirtschaft und staatliche Instanzen. Gerade die deutsche Migrationsgeschichte und die Tatsache, dass Deutschland heute als Einwanderungsland wahrzunehmen ist, verlangt nach einerstrukturellen Metamorphoseauf vielerlei Ebenen. „Durch die Einwanderung hat die Bevölkerung in Deutschland nach Herkunft, Staatsangehörigkeit, Muttersprache, kultureller Prägung und Religionszugehörigkeit unumkehrbar an Vielfalt gewonnen“(Rütten und Santel 2011: 17). Im öffentlichen Sektor, nicht zuletzt auch innerhalb der Polizei, mehren sich Ansätze eines „Diversity-Managements“, weil die zunehmende Heterogenität der Bevölkerung und der Beschäftigten den Einrichtungentranskulturelle Kompetenzenabverlangen. Allerdings sind diese forcierten Bestrebungen, mit Blick auf die nahe Vergangenheit, mitunter auch das Ergebnis öffentlicher Kritik, Vorwürfen des Racial-Profiling oder (medialen) Befürchtungen polizeiinterner Rassismustendenzen.
Der wirtschaftsökonomische Ansatz des „Diversity-Management“ betrachtet individuelle Vielfalt als Ressource, die bei konstruktiver Nutzung den Unternehmenserfolg steigern kann(vgl. Stuber 2004). Nach Auffassung von Behr(vgl. 2016: 2)erfasst dieses Diversity-Verständnis die Rolle der Polizei nur unzureichend, weil das staatliche Gewaltmonopol nicht an Prosperität und Profit ausgerichtet ist. Die Diversität in den Reihen der Polizei konzentriert sich weniger auf das Produkt bzw. das Arbeitsergebnis, sondern vielmehr auf die organisationalen Rahmenbedingungen(vgl. ebd.: 9). Die Polizei als Institution des Staates versucht mithilfe interner Diversitätsbemühungen und einer „interkulturellen Öffnung“(Hunold 2010a: 201)ihrem Auftrag als vielfältige, vorurteilsfreie und gleichbehandelnde Organisation gerecht zu werden. Trotzdem scheint die Polizei auch wirtschaftlich geprägte, ressourcen- sowie erfolgsbetonte Motive zu verfolgen. Sie avisiert bspw. die organisationale Transkulturalität, weil diese im unmittelbaren Kontakt mit dem nichtdeutschen bzw. kulturell vielfältigen „Gegenüber“ einsatztaktische Vorteile bereithält, insofern dem polizeilichen Artefakt dienlich ist.
Die nachfolgende Abhandlung begegnet der Thematik auf einer Abstraktionsebene. Dieser Beitrag fokussiert dieStabilität der Demokratieals das zentrale Leitmotiv (polizei-)organisationaler Diversifikation. Es wird akzentuiert, warum pluralen Personalkörpern einedemokratiestärkende,diskriminierungsvorbeugende und repräsentative Funktioninnewohnt, weshalb die Verwirklichung von ethnisch-kultureller Heterogenität innerhalb der Polizei, fernab „funktionalistisch-polizeitaktischer oder personell-kompensatorischer Perspektiven“(Behr 2016: 9), angezeigt ist. Die polizeiliche Multikulturalität bzw. Multiethnizität wird nicht als einsatzpraktisch im Kontakt mit dem „Außen“, vielmehr bei Einnahme einer innerbetrieblich-rechtsstaatlichen Perspektive alsfundamental-demokratischdiskutiert. Als Ansatzpunkt fungiert die Annahme, dass die Kategorien Ethnie und Kultur in ihrer Vielfalt dieDemokratie stabilisieren und die Demokratiekompetenz festigen. Es wird versucht, ausgewählte Vorurteile und stigmatisierende Stereotype zu dekonstruieren, um in Projektion auf die Polizei diedemokratische Notwendigkeit des polizeiinternen Umgangs mit Minderheitenund das Erfordernis einer (echten) Integration von Minoritätenhervorzuheben.
2. Die Pluralität der Gegenwart: eine persönliche Einordnung
Die deutsche Geschichte und deren dunkle Kapitel sind unvergessen, zumindest sollten sie das sein, weil sie uns nachhaltig lehren können. Die Schrecken des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen sind das Fundament und der Maßstab der heutigen Demokratie. In der Nachkriegszeit wurden jene Grundrechte formuliert, „die Freiheit und Gleichheit vor dem Gesetz garantieren“(Pickel 2019: 7). Die Vielfältigkeit und die Maßgabe, dass niemand „wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, [seiner Behinderung], seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“ (Art. 3 Abs. 3 GG) darf, wurde gesetzlich normiert. Während zuvor die totalitäre Uniformität der NS-Zeit die Deutschen zur Einheitlichkeit im Denken gezwungen und die pseudowissenschaftliche Rassenlehre in der wohl drastischsten Form einer unterdrückten Vielfalt geendet hatten, wurde fortan versucht, die menschliche Diversität zu schützen und zu achten. Zweifelsohne ist die Aufzählung des Artikel 3 GG nicht abschließend, richtet man bspw. den Blick auf die Initiative „artikeldrei“, die sich für die Ergänzung des vorgenannten Gleichbehandlungskataloges um die Kategorie dersexuellen Identitäteinsetzt(vgl. Lesben- und Schwulenverband in Deutschland e.V. 2021). Dennoch ist jener Katalog elementarer Bestandteil des demokratischen Gefüges.
Betrachtet man die jüngere Geschichte Deutschlands, so lässt sich die „radikale Pluralität“(Welsch 1988: 2)postmoderner Gesellschaften beobachten. Sicherlich hatte die gesellschaftliche Vielfalt auch schon zuvor Bestand, sie war fortan aber mit neuer Legitimität ausgestattet. Die Pluralität der postmodernen Ordnung hob die bis dato gesellschaftsbestimmende Homogenität, Klassenstruktur und klassische Rollenverteilung auf und etablierte eine gesellschaftliche Vielfältigkeit, in der individuelle, selbstbestimmte und freizügige Lebensentwürfe sowie Weltanschauungen Akzeptanz erfahren(vgl. Welsch 1988: 2; Preglau 1997: 281-287). Die Freiheit und Vielgestalt des Einzelnen verlangt allerdings sozio-perspektivisch eine größere Anpassungsleistung des Gegenübers(vgl. Frerichs 2014: 30-32), damit niemandes Freizügigkeit eine Einschränkung erfährt. Dies ist nur einer der Gründe, warum Vielfalt nicht konstant und allseits als etwas Positives wahrgenommen wird. Oftmals stößt sie sogar auf Ablehnung, die in ihrer Vehemenz variiert. Besonders häufig lässt sich dies beobachten, wenn die ethnische und damit konnotierte kulturelle Varianz zur Diskussion steht. Wenn sich Herkunft, Abstammung, Glauben oder politische Überzeugung unterscheiden, verlangt das Miteinander nach Toleranz und Konvergenz, die scheinbar nicht jeder aufbringen kann oder aufzubringen bereit ist.
In den letzten Jahren häufen sich migrationskritische Debatten. Bereits vor der verstärkten Zuwanderung Geflüchteter in den Jahren 2015 und 2016 kamen in Europa rechtspopulistische und rechtsextreme Strömungen auf, die eine „herkunftsübergreifende Solidarität“ zu stören versuchen und in Parteiform mit fragwürdigen Migrationsdebatten politischen Zuspruch erfahren(vgl. Schmidt 2020: 7-9). Das Fremdsein mündet allzu oft in Zuschreibungen, obskuren, gleichermaßen haltlosen Pauschalisierungen oder Erwartungen, die das Grundgesetz abermals auf die Probe stellen. In der Ungewissheit und sozialen Verunsicherung des gesellschaftlichen Wandels keimen fremdenfeindliche Ressentiments, weil sich die autochthone Bevölkerung von Fremdgruppen materiell-ökonomisch bedroht fühlt, sie den Verlust eigener Privilegien befürchtet oder in sozialen Sphären das „neue Gegenüber“ als Konkurrenz wahrnimmt(vgl. Hirtenlehner et al. 2016). Muslimen wird unterstellt, „ihre Religion sei mit dem säkularen Rechtsstaat nicht kompatibel“(Pickel 2019: 7)oder Eingewanderte werden für die allenfalls subjektiv steigende Kriminalitätsbelastung verantwortlich gemacht, weil mit dieser Projektionsleistung die „diffusen“, spätmodernen Ängste greifbar und bearbeitbar werden(vgl. Hirtenlehner et al. 2016: 23-24).
Die vorgenannte Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie vermittelt lediglich einen Einblick in die Vielzahl von Attribuierungen und Entstehungsursachen ablehnender Haltungen, die mit ethnisch-kultureller Diversität einhergehen. Obgleich der funktionalen oder kompensatorischen Aspekte existieren auch im Arbeitskontext Animositäten und Vorurteile. Es findet wenig Beachtung, dass die demokratiestabilisierende Wirkung heterogener Gemeinschaften, wie sie nachfolgend thematisiert wird, denselben Effekt bei der Zusammensetzung eines Personalkörpers bewirken könnte.
Im nun folgenden Kapitel werden ausgewählte Eckpfeiler der freiheitlich demokratischen Grundordnung und der sie charakterisierenden Grundwerte skizziert. Der Fokus liegt dabei auf der ethnizitären und kulturellen Pluralität und dem Erfordernis, diese für die Stabilität des demokratischen Systems zu etablieren, zu wahren und zu schützen. In einer Verknüpfung mit der Polizei wird zu erklären versucht,warum jenes plural-demokratische Erfordernis auch auf die Zusammensetzung des polizeilichen Personalkörpers zutrifft.
3. Demokratie, Pluralität und Polizei
Das demokratische System stützt sich auf ein anspruchsvolles und vielseitiges Fundament, in der die Polizei als Akteur der Exekutive eine bedeutende Rolle einnimmt. „Eine funktionierende Demokratie benötigt liberale Grundrechte und menschenrechtliche Prinzipien“(Dhouib 2014; 9). Der Pluralismus der in ihr Lebenden ist konstitutiv, grundgesetzlich verankert und die Menschenrechte normieren den Rahmen der Vielfalt. Die Polizei fungiert als demokratische Instanz, deren Aufgabengebiet die Wahrung der Menschenrechte und die Sorge um Einhaltung vorherrschender Prinzipien umfasst.
Eine immerwährende Universalität des menschenrechtlichen Rahmens ist nicht existent, weil dieser gesellschaftlich ausgehandelt und rege diskutiert wird(vgl. ebd.: 10-11). Auch „die Frage nach der Handlungsfähigkeit und Legitimation“(Schwan 1978: 8)der demokratischen Institutionen steht hinsichtlich dieses Rahmens zur Diskussion. Die gegenwärtige Demokratie erscheint im historischen Vergleich von höchster Qualität, jedoch ist deren Stabilität nach Auffassung von Kneip et al.(vgl. 2020: 4)womöglich bedrohter als in den vorherigen Jahrzehnten. Rechtspopulistische Parteien, deren liberal-demokratische Loyalität zumindest zweifelhaft ist, fanden gesellschaftlichen Zuspruch und politische Krisen, zu jenen die „Flüchtlingswelle“ und deren Aufarbeitung zählt, offenbaren partielle Legitimitätsprobleme der politischen Eliten und Institutionen(vgl. ebd.: 4-10). Das Vermögen des politischen Systems, den „normativen Grundsatz des Pluralismus“ in diesem Spannungsfeld umzusetzen, ist nach Wintermantel(2020: 255)ein „relevanter Maßstab“ für die demokratische Legitimität. Die Demokratie hat „im Geiste des Pluralismus […] allen Gliedern und Kräften der Gesellschaft ein grundsätzlich gleiches Recht der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“(Schwan 1978: 15-16), der Partizipation am politischen Prozess und seiner Institution sowie die Freiheit zur individuellen Entfaltung einzuräumen. Auch die Polizei ist als staatlich legitimierter Vertreter und demokratische Instanz zur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Pluralität angehalten, was Anforderungen an ihren Umgang mit organisationaler und in der Bevölkerung existierender Vielfalt in den Fokus rückt.
Tritt man einen Schritt zurück, so ist festzustellen, dass die ethnisch-kulturelle Varianz der Bevölkerung die vorgenannte (polizeiliche) Aufgabenerfüllung begünstigt, da sich multikulturelle und multiethnische Gemeinschaften durch ihrestabilisierende Demokratiekompetenzauszeichnen. Diese Kompetenz und anderweitig stützende, repräsentative und integrative Mechanismen sind auch bei plural-organisationalen Gemeinschaften zu vermuten, weshalb sich eine Projektion auf die Polizei anbietet.
3.1. Kulturell-religiöse Vielfalt und Dogmatismus
Religion ist ein bedeutsamer Bestandteil kultureller Identitäten und „fungiert vielfach als Kulturen inhärentes Symbolsystem und damit als Bestandteil der Kultur“(Stosch et al. 2016: 7). Auf der Gesellschaftsebene sind seit vielen Jahren polemische Debatten um eine deutsche „Leitkultur“ zu beobachten, in denen wenig begründete, gesellschaftliche Ideale stilisiert werden(vgl. de Néve 2015: 47-48). Diskurse mit dem diskutablen Gegenstand einer Gemeinwohlorientierung sind präsent, die Minoritäten und Akteuren mit Partikularinteressen, gerade auch in Hinblick auf deren Kulturalität und Religiosität, einen „Akt der Unterwerfung [abverlangen]“(ebd.: 47). Hingegen existieren empirische Befunde und rationale Überlegungen, die auf eine demokratiestabilisierende Wirkung pluraler Gesellschaften hindeuten.
Die Bertelsmann Stiftung untersuchte 2019 mit einer empirischen Studie, wie sich die zunehmende religiöse Pluralität auf die politische Kultur auswirkt(vgl. Pickel 2019). Das in Deutschland dominierende Christentum verlor spätestens mit den neuerlichen Zuwanderungsbewegungen ihr geistliches Monopol. Dieser Umstand stellt zweifelsohne eine integrative Herausforderung, dementgegen in geringerem Maße eine Bedrohung dar. Die Ergebnisse der Studie konfrontieren die propagierte Unvereinbarkeit nicht-westlicher Religiosität und liberaler Demokratien, deren gedankliche Wurzeln in der bedrohlich wirkenden Desintegration der sozio-strukturellen Umwälzung vermutet werden(vgl. de Néve 2015: 47). Die Befunde belegen, trotz vielfältiger Weltanschauungen in multiethnischen und -kulturellen Gemeinschaften, eine Akzeptanz der „Demokratie quer durch die religiöse Landschaft“(Vopel 2019: 8). Die Bertelsmann Stiftung kam zu dem Ergebnis, dass die Zugehörigkeit zu einer Religion nur einen geringfügigen Einfluss auf die Haltung zur Demokratie nimmt. Alle religiösen Gruppen, unabhängig von ihrer gelebten Religiosität, bekennen sich „ähnlich stark“ zur Demokratie.
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