Im Rahmen der vorliegenden Hausarbeit soll die Frage diskutiert werden, ob der Fortbestand des Michif zum aktuellen Zeitpunkt stärker gefährdet ist als in der Literatur bislang angenommen und inwieweit das Michif dem Sprachtod ausgesetzt ist. Dabei soll auch der Sprachenrückgang vieler Sprachen indigenen Ursprungs, welcher die Anglisierung der kanadischen Bevölkerung bedingt, zum Untersuchungsgegenstand werden.
Im Folgenden soll daher die Herausbildung der Kontaktsprache Michif dargestellt werden, indem auch die Bedeutung des Michif als Mischsprache thematisiert wird. Im Anschluss daran sollen die Sprachkontaktphänomene der Phonologie, Morphologie und Syntax des Michif analysiert werden, um zu verstehen, wie sich die sprachliche Struktur der Sprache zusammensetzt und inwiefern diese Auswirkungen auf die aktuelle Situation der Sprache hat. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse sollen im Vergleich zum Chiac, eine Varietät des arkadischen Französisch, soziohistorische, soziolinguistische und sprachliche Merkmale umfangreich thematisiert und voneinander abgegrenzt werden. Dabei soll begründet werden, inwiefern es sich beim Michif um eine autonome Sprache handelt und warum diese Autonomie auch negative Auswirkungen haben kann. Im weiteren Sinne beschäftigt sich die Hausarbeit auch mit der Problematik des Sprachsterbens und mit der Frage, inwieweit das Michif einem Sprachtod ausgesetzt ist und damit eine zunehmende Anglisierung der kanadischen Bevölkerung nicht mehr einzudämmen ist. Im Anschluss daran werden Faktoren wie Identitätsverlust, Autonomie und Sprachkontakt diskutiert, da diese Einflüsse für den Sprachrückgang und drohenden Sprachtod des Michif darstellen. Abschließend soll die Situation des Michif im heutigen Kanada analysiert werden, sodass auf der Basis dieser Bedingungen für den Fortbestand der Sprache entwickelt werden können.
INHALT
1. EINLEITUNG UND ERKENNTNISINTERESSE
2. HERAUSBILDUNG UND SPRACHRÜCKGANG DES MICHIF
3. DAS MICHIF ALS MISCHSPRACHE
4. SPRACHLICHE BESONDERHEITEN
4.1. Das phonologische System
4.2. Die Nominalstruktur des Michif
4.3. Die Verbalgrammatik des Michif
4.4. Syntaktische Anmerkungen
5. ABGRENZUNG ZUM CHIAC
5.1. Der Vergleich auf sprachlicher Ebene
5.2. Die soziohistorische und soziolinguistische Perspektive
6. DER SPRACHTOD ALS GEFAHR FÜR DIE KANADISCHE SPRACHENVIELFALT
6.1. Theoretische Grundlagen zum Sprachtod
6.2. Hintergründe für das Sprachsterben desMichif
7. FAZIT UND AKTUELLE ENTWICKLUNGEN
8. BIBLIOGRAPHIE
8.1. Papierquellen
8.2. Internetquellen
1. EINLEITUNG UND ERKENNTNISINTERESSE
Die Soziolinguistik versteht unter einer bedrohten oder gefährdeten Sprache, eine Sprache, die immer seltener als Muttersprache erlernt wird und welcher dadurch droht nach wenigen Generationen nicht weiter zu existieren. Der Prozess des Sprachster- bens ist in der Soziolinguistik als Sprachtod bekannt und beschreibt den Zustand, bei dem keine Muttersprachler*innen mehr existieren (vgl. Austin/Sallabank 2011: 1). Schätzungen zufolge stellt der Sprachtod im Laufe des 21. Jahrhunderts eine Gefahr für mindestens die Hälfte aller Sprachen weltweit dar (vgl. Crystal 2000: 3).
Von diesen Schätzungen betroffen, ist auch dasMichif, eine Mischsprache, die auf den Sprachkontakt der französischen Sprache und dem Cree, einer Algonkin-Spra- che, zurückgeht. In der Varietätenlinguistik ist die Erforschung desMichifvon großer Bedeutung, da die sprachliche Struktur und die außersprachlichen Faktoren der Spra- che nicht in angemessenem Umfang analysiert wurde. Aufgrund dessen soll im Rah- men der vorliegenden Hausarbeit, die Frage diskutiert werden, ob der Fortbestand desMichifzum aktuellen Zeitpunkt stärker gefährdet ist als in der Literatur bislang angenommen und inwieweit dasMichifdem Sprachtod ausgesetzt ist. Dabei soll auch der Sprachenrückgang vieler Sprachen indigenen Ursprungs, welcher die Anglisie- rung der kanadischen Bevölkerung bedingt, zum Untersuchungsgegenstand werden.
Im Folgenden soll daher die Herausbildung der KontaktspracheMichifdargestellt wer- den, indem auch die Bedeutung desMichifals Mischsprache thematisiert wird. Im Anschluss daran sollen die Sprachkontaktphänomene der Phonologie, Morphologie und Syntax desMichifanalysiert werden, um zu verstehen, wie sich die sprachliche Struktur der Sprache zusammensetzt und inwiefern diese Auswirkungen auf die ak- tuelle Situation der Sprache hat. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse sollen im Vergleich zumChiac, eine Varietät des arkadischen Französisch, soziohistorische, soziolinguistische und sprachliche Merkmale umfangreich thematisiert und voneinan- der abgegrenzt werden. Dabei soll begründet werden, inwiefern es sich beimMichifum eine autonome Sprache handelt und warum diese Autonomie auch negative Aus- wirkungen haben kann. Im weiteren Sinne beschäftigt sich die Hausarbeit auch mit der Problematik des Sprachsterbens und mit der Frage, inwieweit dasMichifeinem Sprachtod ausgesetzt ist und damit eine zunehmende Anglisierung der kanadischen Bevölkerung nicht mehr einzudämmen ist. Im Anschluss daran werden Faktoren wie Identitätsverlust, Autonomie und Sprachkontakt diskutiert, da diese Einflüsse für den Sprachrückgang und drohenden Sprachtod desMichifdarstellen. Abschließend soll die Situation desMichifim heutigen Kanada analysiert werden, sodass auf der Basis dieser Bedingungen für den Fortbestand der Sprache entwickelt werden können.
2. HERAUSBILDUNG UND SPRACHRÜCKGANG DES MICHIF
Die französische Sprache des Westen Kanadas unterliegt einer großen regionalen Variation, da sie sich von demfrançais québécois, acadienundontariendurch den linguistischen Einfluss einer indigenen Sprache abgrenzt, sodass dieser geographi- sche Raum durch eine Vielfalt an Kontaktsprachen geprägt ist (vgl. Rodriguez 2017: 355ff). Auch dasMichif, eine Sprache, die eine mündliche Tradition und Vergangen- heit aufweist, bildet eine solche Kontaktsprache. Der Sprachkontakt zwischen dem Französischen und der Algonkin-Sprache Cree bedingte die Herausbildung desMi- chif, welches seinen geographischen Ursprung ebenfalls im westlichen Kanada hat (vgl. Papen 2005: 332).
Die Herausbildung der Sprache geht auf die von Québec ausgehende Expansion des Französischen in Westkanada zurück. Französische Pelzhändler, die sogenanntencoureurs de bois, lebten und jagten gemeinsam mit indigenen Völkern in der heutigen Provinz Ontario (vgl. ebd.: 330). Der Kontakt indigener Frauen mit französischen Männern bewirkte den langen Sprachkontakt zwischen dem Cree, der Sprache der indigenen Völker, und der französischen Sprache (vgl. Pöll 2017: 101). Nachkommen derer, die Métis, die beide Sprachen als Muttersprachen beherrschten, mischten diese. Die Mischung der zwei Sprachen bildet die Basis für die Herausbildung desMichif, welches als Symbol ihrer Identität gilt (vgl. Winford 2003: 172). Auf Grund der schwindenden Fauna im Jagdgebiet wurde die Bisonjagd wurde immer weiter in den Westen Kanadas verlegt, wo dann im Jahr 1870 die heutige Provinz Manitoba durch Louis Riel gegründet wurde. Die Emigration vieler Métis in die heutigen Provinzen Saskatchewan, Alberta und in die Nordwest-Territorien löste die Verbreitung desMi- chifüber die Grenzen der Provinz Manitoba hinaus aus (vgl. Papen 2005: 329). DasMichifstabilisierte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert als Sprache und wurde über das 19. und 20. Jahrhundert zur Sprache der Métis (vgl. Pöll 2017: 101).
Heute jedoch zeichnet sich deren Gemeinschaft durch eine breite Sprachenvielfalt, die weit über dasMichifhinaus geht, aus (vgl. Papen 2005: 329). Seit 1982 werden die Métis von der kanadischen Verfassung als eines drei autochthonen Völker aner- kannt, während dasMichiferst im Jahr 2000 als Amtssprache der Métis in Kanada anerkannt wurde (vgl. ebd.: 331). Durch die Dominanz des Englischen und Französi- schen spricht die Mehrheit der Métis keinMichif. Eine weitere Ursache dafür ist, dass viele Kinder und Jugendliche im schulischen Kontext dazu gezwungen wurden ihre indigene Sprache oder Mischsprachen aufzugeben. Heutzutage setzen sich Organi- sationen wie dieManitoba Métis Federationund dasMétis Ressoucre Centrefür die Förderung von Wörterbüchern und Sprachprogrammen, die sich zum Ziel gesetzt ha- ben dasMichifweiterzugeben, ein. Darüber hinaus bietet dieUniversity of ManitobaKurse zum Erwerb desMichifan, sodass der Kontakt mit der Sprache auch im Bil- dungssystem möglich ist (vgl. Brown/Filice 2018). Mit Blick auf die Sprecher*innen desMichifgilt als besonders interessant, dass diese bilingual mit Englisch aufwach- sen und in den meisten Fällen weder Französisch noch reines Cree beherrschen (vgl. Papen 2005: 330). DasMichifselbst birgt eine Vielfalt von sprachlichen Varietäten wie zum Beispiel dasmichif français, welches insbesondere in Saint-Laurent in Ma- nitoba gesprochen wird oder dasmichif cri, das auf Sprecher*innen in Saint-Lazare in Manitoba sowie Turtle Mountain in North-Dakota zurückgeht. Außerdem verwen- den dieMichif-Sprecher*innen des indigenen Stamms der Ojibwa dasojibwa michif(vgl. ebd.: 329). Dementsprechend sind dieMichif-Sprecher*innen lokal in Britisch- Kolumbien, in den kanadischen Prärieprovinzen sowie in vereinzelten Bundesstaaten der Vereinigten Staaten zu verorten (vgl. ebd.: 327). Genaue Zahlen der Spre- cher*innen sind schwer zu bestimmen, lautStatistique Canadawird dasMichifin den kanadischen Provinzen im Jahr 2016 nur noch von rund 465 Sprecher*innen gespro- chen. Im 20. Jahrhundert werden jedoch noch rund tausend Sprecher*innen in Ka- nada und den Vereinigten Staaten vermutet, sodass deutlich wird, dass die Zahlen der Sprecher*innen stetig sinken und dasMichifals Sprache stärker gefährdet ist als von der Literatur bislang angenommen (vgl. Winford 2003: 183).
3. DAS MICHIF ALS MISCHSPRACHE
Die Etymologie des Begriffs„Michif“geht auf das französische Wortmétis, genauer auf die ältere Parallelformmétif, zurück, was einen Menschen gemischter Herkunft beschreibt. Durch die Palatalisierung der arkadischen Aussprache wurde daraus „Mit- chif“, was auf FranzösischMichifausgesprochen wird (vgl. Pöll 2017: 101). Neben Pidgin- und Kreolsprachen, welche auf einen Sprachkontakt von mehr als zwei Spra- chen zurückgehen, zählen auch die bilingualen Mischsprachen, welche in bilingualen Gemeinschaften entstehen, zu den Mischsprachen. Da dasMichifeiner Entstehung in einer bilingualen Gemeinschaft unterliegt, gilt die Sprache als eine der bekanntes- ten bilingualen Mischsprachen. Mischsprachen zeichnen sich durch eine Verbindung der grammatischen Struktur einer Sprache und dem Vokabular der anderen Sprache aus. Dieser Prozess wird auch als Relexifizierung bezeichnet, darunter wird der Vor- gang bei der Genese einer neuen Sprache verstanden, bei dem die Lexik der beste- henden Sprache durch die Lexik der importierten Sprache ausgetauscht wird, wäh- rend die Grammatik der bestehenden Sprache übernommen wird (vgl. Papen 2005: 346). Die sprachliche Struktur desMichifbasiert hingegen auf einer Verbindung der französischen Nominalgrammatik und der Verbalgrammatik der indigenen Sprache Cree, sodass die grammatische Struktur desMichifaus beiden Sprachen, die an der Entstehung dieser Mischsprache beteiligt waren, besteht (vgl. Auer 2013: 398). Infol- gedessen wird deutlich, dass die Relexifizierung die Entstehung der grammatikali- schen Struktur desMichifnicht lückenlos begründen kann, da die sprachliche Struktur desMichifnicht einer Spaltung der lexikalischen und grammatischen Komponente zu Grunde liegt (vgl. Papen 2005: 346).
4. SPRACHLICHE BESONDERHEITEN
Die sprachliche Struktur desMichifist noch nicht „entièrement connu“ (Papen 2005: 333) und weist eine symbiotische Struktur auf, was bedeutet, dass die Sprache über zwei phonologische und morphologische Systeme gleichzeitig verfügt (vgl. ebd.: 346). Wie bereits erwähnt ist die grammatikalische Struktur desMichifgemischt, da Ele- mente der Grammatik aus beiden Sprachen nachweisbar sind, was in den folgenden Abschnitten näher analysiert werden soll. Da der Ursprung desMichifin der Münd- lichkeit liegt, existiert kein standardisiertes Rechtschreibsystem für dasMichif, sodass die Sprache keinen einheitlichen orthographischen oder grammatikalischen Normen unterliegt (vgl. ebd.: 332). Daraus resultiert, dass die Sprecher*innen die Wörter so sprechen wie diese in ihren regionalen Dialekten ausgesprochen werden. Darüber hinaus entscheidet der*die Sprecher*in auch welche Wörter er*sie in welcher Sprache benutzt und schreibt diese Wörter nach seiner*ihrer eigenen Fantasie. Dies bewirkt eine große Variation in der Rechtschreibung und Aussprache desMichifund verdeut- licht, dass die Sprache der Individualität der Sprecher*innen unterliegt. Daraus resul- tiert die Entwicklung vieler Schriftsysteme, die nicht systematisch strukturiert sind (vgl. ebd.: 331f). Diese Erkenntnisse bedingen die Problematisierung des Fortbestands dieser Sprache, da das Sprach- und Schriftsystem desMichiffür dessen Erhaltung zu instabil und intransparent ist, sodass eine Weitergabe an jüngere Generationen immer herausfordernder wird.
4.1. Das phonologische System
DasMichifkombiniert zwei phonologische Systeme, welche jedoch einer getrennten Verwendung unterliegen und daher nicht zu einem einzigen System zusammenge- fasst werden (vgl. Papen 2005: 334). Darüber hinaus unterliegt das Vokalsystem desMichifeiner quantitativen Differenzierung zwischen kurz und lang gesprochen, welche aus dem Cree übernommen wurde. Auf Grund dieser quantitativen Differenzierung entstehen imMichifso genannte Doppelvokale wie zum Beispiel ein /ii/, das lang ge- sprochen) wird, während das /i/ kurz gesprochen wird (vgl. ebd.: 333).
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