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Hausarbeit, 2022
12 Seiten, Note: 2,3
Philosophie - Theoretische (Erkenntnis, Wissenschaft, Logik, Sprache)
1. Einleitung
2. Schleiermachers Hermeneutikbegriff
2.1 Sprache als Fundament
2.2 Die Arten der Interpretationen
3. Übersetzungsmethoden nach Schleiermacher
3.1 Das hermeneutische Problem der Übersetzungsmethode
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
Hermeneutik wird weitverbreitet als die Kunst der Auslegung, der Interpretation und als Theorie dieser Auslegung, also die Reflexion der Bedingungen des Verstehens und dieser sprachlichen Wiedergabe, verstanden (Hufnagel, 2000, 9).
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher hat sich als Theologe, Philosoph, Pädagoge und als Übersetzer der Texte Platons im 19. Jahrhundert etablieren können (Nowak, 2001, 80). Nach seinem Theologie- und Philosophiestudium in Halle arbeitete er als Prediger und war später als Professor in Halle und Berlin tätig (Nowak, 2001, 80). Bereits Ende des 18. Jahrhunderts begann er mit seinen ersten Übersetzungen von Predigten englischer Geistlicher und erst Friedrich Schlegel soll ihn beeinflusst haben gegeben haben, an einer Platon-Übersetzung teilzunehmen (Nowak, 133).
Schleiermachers Hermeneutik beschränkt sich nicht nur auf geschriebene Worte, sondern auf Reden1 jeglicher Art und hat somit nicht nur einen klassisch-theologischen, sondern auch einen alltäglichen soziokulturellen Charakter.
Da das Verstehen fremdsprachlicher Texte als eine Kunst interpretiert werden kann, sollen im Folgenden besonders Schleiermachers Übersetzungsarbeiten im Zusammenhang mit seiner hermeneutischen Auffassung untersucht werden. Wie bedienen sich seine Übersetzungsmethoden eines hermeneutischen Hintergrunds und wieso werden sie diesem nur bedingt gerecht? Dazu soll Schleiermachers Hermeneutikbegriff komprimiert dargestellt werden, um die Wichtigkeit der Sprache und ihrer Interpretation zu unterstreichen. Daraufhin werden die Übersetzungsmethoden wiedergegeben und ihre Schwierigkeiten für den Übersetzer verdeutlicht. So soll die Verbindung zwischen Schleiermachers Hermeneutik und seiner Übersetzungstheorie deutlich werden.
Um den Hermeneutikbegriff von Friedrich D. E. Schleiermacher (1768–1834) verstehen zu können, wird zunächst sein pädagogischer Ansatz betrachtet. Schleiermacher sah sich nach eigenen Aussagen durch seine exegetischen Vorlesungen über das Neue Testament dazu bewogen, eine hermeneutische Theorie zu entwickeln (Scholtz, 1995, 194). Als studierter Theologe beruht sein Verständnis des Lebens auf dem Resultat der Interaktionen zweier „Urkräfte“2, die ein beständiges Aneignen und Abstoßen sind (Schleiermacher, Reden, 3). Unter Aneignen versteht Schleiermacher ein Bestreben, sich allem anzunehmen, was sich einem hinneigt (Schleiermacher, Reden, 4), während das Abstoßen die Sehnsucht nach einer Expression des Selbst beschreibt (Schleiermacher, Reden, 4). Beide Kräfte unterliegen einem Spannungsverhältnis und spiegeln sich in verschiedenen Interpretationen auf unterschiedliche Lebensbereiche eines Individuums wieder: als „Abhängigkeit und Freiheit, als Passivität und Aktivität, als Sichselbstnichtsogesetzthaben und Sichselbstsetzen“ (Hristea, 2019, 71). Eine solche Wechselwirkung findet im Individuum Platz, indem die Religion als eine Erfahrung des Anschauenden auf das Angeschaute wirkt, das die Wirkung des Universums auf das Individuum unterstreicht. So formuliert Schleiermacher:
Alles Anschauen gehet aus von einem Einfluss des Angeschaueten auf den Anschauenden, von einem ursprünglichen und unabhängigen Handeln des ersteren, welches dann von dem letzteren seiner Natur gemäß aufgenommen, zusammengefasst und begriffen wird. (Schleiermacher, Reden, 31)
Auch die Religion ist es, die die Menschen verbindet und sie zur Kommunikation miteinander bringt (Hristea, 2019, 74). In seiner Ethik greift Schleiermacher den Aspekt der Kommunikation und das Wechselspiel zwischen Eigentümlichen und Gemeinschaft erneut auf3. So spiegelt sie eine umfassende Theorie der Kultur wider, in der Wechselbeziehungen einen hohen Stellenwert genießen.
Friedrich D. E. Schleiermacher hielt zum ersten Mal im Sommer 1805 in Halle eine Vorlesung zur Hermeneutik, die geprägt ist durch ihre allgemeinen Prinzipien, trotz ihrer vorwiegend in der theologischen Fakultät beheimateten Konzeption, da Schleiermacher sie in Anwendung auf das Neue Testament vorgetragen hat (Arndt, 2013, 300). Dadurch verliert die Hermeneutik Schleiermachers ihren philosophischen Charakter und wird eine technische Disziplin4.
Fundamental für Schleiermachers Hermeneutikbegriff ist die Sprache, die auf eigentümliche Weise durch das Individuum gestaltet wird und ein sich stetig entwickelnder Prozess ist5. Erst durch die Sprache ist es Individuen möglich, ihre Gedanken für die Gemeinschaft zugänglich zu machen, wodurch eine Interpretation dieser Gedanken nötig wird, sobald die Komposition, also der formulierte Gedanke, abhängig von der Auslegungskunst ist und sie sogar voraussetzt (Schleiermacher, Hermeneutik, 76). An dieser Stelle wird das notwendige Zusammenspiel zwischen Rhetorik und Hermeneutik deutlich, da „jeder Akt des Verstehens die Umkehrung eines Aktes des Redens ist, indem in das Bewußtsein kommen muß, welches Denken der Rede zum Grunde gelegen“ (Schleiermacher, Hermeneutik, 76). Da durch das innere Reden ein Gedanke gefasst wird, ist umgekehrt die Rede erst nur ein formulierter Gedanke in sich und erst durch die Kunst der Rede des Gedankenfassers wird für den Gedankenempfänger eine Interpretation nötig (Schleiermacher, Hermeneutik, 76). Zudem betont Schleiermacher die Unabdingbarkeit von Sprache, denn „[d]ie glückliche Ausübung der Kunst beruht auf dem Sprachtalent und dem Talent der einzelnen Menschenkenntnis“ (Schleiermacher, Hermeneutik, 81). Sprachtalent beschreibt hier nicht die Empfänglichkeit zum Erlernen neuer Sprachinhalte, wie einer Fremdsprache, sondern den „Sinn für die Analogie und die Differenz“ von Sprache (Schleiermacher, Hermeneutik, 81). Hermeneutik und Rhetorik erfordern unterschiedliche Sprachtalente und müssen daher nicht immer gemeinsam gebraucht werden, so Schleiermacher weiter. Die Duplizität des Sprachtalents liegt in der Eigenschaft des Menschen, von der eigenen Muttersprache ausgehendes Sprachwissen auf andere Sprachen zu übertragen (Schleiermacher, Hermeneutik, 82). Das zweite Talent, die Menschenkenntnis, beinhaltet das Verstehen des Individuums an sich, beispielsweise seinen Bildungsgrad oder seiner Mundart, und das Verstehen „seiner Eigentümlichkeiten im Verhältnis zum Begriff des Menschen“ (Schleiermacher, Hermeneutik, 82).
Die Hermeneutik bleibt sprachgebunden und bedient sich keiner weiteren Lebensäußerungen wie der Gestik (Ohst, 2017, 304). Dennoch unterscheidet Schleiermacher die Hermeneutik von der Dialektik. Als notwendige Technik komplementiert sie die Dialektik insofern, als sie sich das Verstehen zum Thema macht und das Sprechen als Instrument ihrer Selbst nutzt (Rieger, 1988, 222).
Nicht jede Art des Redens ist laut Schleiermacher gleichwertiger Gegenstand der Hermeneutik, obwohl alles Sprachliche eine Rede ist (Schleiermacher, Hermeneutik, 82). So unterteilt er Reden und Äußerungen in drei Wertkategorien. Gespräche über das Wetter haben einen Nullwert, da sie nur bereits vorhanden Gewesenes wiederholen und keine Bedeutung für die Sprache an sich haben, da ihre Kontinuität ausschließlich in der Wiederholung zu finden ist (Schleiermacher, Hermeneutik, 82). Ein Minimum sind Reden „im Geschäftlichen und in dem gewöhnlichen Gespräch im gemeinen Leben“ (Schleiermacher, Hermeneutik, 83). Bei dem Maximalwert eines Gesprächs unterscheidet Schleiermacher zwischen dem Klassischen, dem Originellen und dem Genialischen in Abhängigkeit von ihrer Ausrichtung der beiden Momente: des grammatischen und psychologischen (Schleiermacher, Hermeneutik, 83).
Mittels der grammatikalischen Auslegung wird der Sinn der redensgestaltenden sprachlichen Mittel untersucht, während die psychologische Deutung den individuellen Sinn der Rede fokussiert (Schleiermacher, Hermeneutik, 79). So konzentriert sich die grammatische Interpretation auf das objektive Element der Rede, also die Grammatik der Sprache, und erfasst so die Bedeutungen, die aus dem Gegenstand hervorgehen. Um dieses objektiv-sprachliche Element der Rede zu verstehen, ist ein umfassendes Wissen über historisch-literarische Konventionen erforderlich. Die psychologische, oder technische, Interpretation fokussiert die Subjektivität der Rede, also die spezifische Art und Weise des Sprechens (Schleiermacher, Hermeneutik, 79). Das Verstehen beschränkt sich nicht ausschließlich auf diese beiden interpretationstechnischen Verfahren, sondern muss als Kunst gewürdigt werden und beiden Verfahren den gleichen Stellenwert zuschreiben, da sie nur in ihrer Wechselbeziehung zielführend sind (Ohst, 2017, 304). Schleiermacher selbst unterstreicht die Unabdingbarkeit der Betrachtung beider Verfahren, da zum ausschließlichen Nutzen der grammatischen Seite eine vollständige Kenntnis der Sprache und des Menschen vorausgesetzt und zur einseitigen Reflexion des psychologischen Moments eine umfängliche Kenntnis des sozialen Hintergrunds und der Intention des Sprechers erlangt werden muss (Schleiermacher, Hermeneutik, 81). Dennoch muss das Verstehen fortwährend bewusst stattfinden und Interpreten sollten nicht erst aktiv verstehen, wenn ein erstes Unverständnis aufkommt (Lange, 1985, 51).
Schleiermacher sieht bereits eine Notwendigkeit einer Übersetzung der Muttersprache im weiteren Sinne, da sich diese aufgrund verschiedener Dialekte, sozialer Klassen oder „Sinnes - und Gemüthsart“ der Sprecher verändert6. Die in Schleiermachers Abhandlung U eber die Verschiedenen Methoden des Übersetzens fokussierte Übersetzung bezieht sich auf das „Uebertragen aus einer fremden Sprache in die unsrige“ (Schleiermacher, Methoden, 39).
Das Schleiermacherische „Dolmetschen“ beschreibt die mündliche Überlieferung, wie sie vor allem im Geschäftswesen vorzufinden ist, da das mündliche Verhandeln ihm zugrunde liegt und das Schriftliche nur als ihre Aufzeichnung zu verstehen ist (Schleiermacher, Methoden, 40). Ebenfalls fallen „Schriften rein erzählender oder beschreibender Art“ in den Aufgabenbereich des Dolmetschers, da der charakteristische Tatsachenbezug dieser Überlieferungen eine Abwesenheit der „eigenthümlichen Art“ des Verfassers voraussetzt, der somit als „auffassendes Organ“ fungiert (Schleiermacher, Methoden, 40.) Die Zweckmäßigkeit des Dolmetschens unterstreicht Schleiermacher durch die Verhandlungsmethoden im Geschäftsleben. Diese zeichnen sich durch „einen arithmetischen oder geometrischen Charakter“ aus und „Zahl und Maaß kommen überall zu Hülfe“ (Schleiermacher, Methoden, 41). Durch den mathematischen Charakter des Dolmetschens entsteht eine Gesetzmäßigkeit und „ein fester Gebrauch der einzelnen Wörter“, der die Abwesenheit der individuellen Interpretation und die damit verbundene mögliche Verfälschung der Überlieferung stützt (Schleiermacher, Methoden, 41).
„Übersetzung“, definiert als eine höherwertige Tätigkeit, bezieht sich auf Texte und Reden aus Wissenschaft und Kunst, wessen „Gegenstand auf keine Weise mehr herrscht, sondern von dem Gedanken und Gemüth beherrscht wird, ja oft erst durch Rede geworden und nur mit ihr zugleich da ist“ (Schleiermacher, Methoden, 41). So ist die Übersetzung komplexer, da sie sich mit Reden befasst, die grammatische Zeichen mit Ideen verbindet. Schleiermacher unterstreicht die Untrennbarkeit von Rede und Gedanke eines Autors und fordert eine Übersetzung „überall, wo mehr Gedanke herrscht, der mit der Rede Eins ist, nicht die Sache, als deren willkührliches vielleicht aber fest bestimmtes Zeichen das Wort nur dasteht“ (Schleiermacher, Methoden, 43).
In seiner Abhandlung Ueber die verschiedenen Methoden des Übersetzens beschreibt Schleiermacher selbst die hermeneutischen Probleme des Übersetzens:
Wenn nun das Verstehen auf diesem Gebiet selbst in der gleichen Sprache schon schwierig ist, und ein genaues und tiefes Eindringen in den Geist der Sprache und in die Eigenthümlichkeit des Schriftstellers in sich schließt: wie vielmehr nicht wird es eine hohe Kunst sein, wenn von den Erzeugnissen einer fremden und fernen Sprache die Rede ist (Schleiermacher, Methoden, 44).
Die Schwierigkeit für den Übersetzer besteht also darin den Geist der fremden Sprache und die Denkweise des Verfassers zu verstehen und zu reproduzieren, während er sich der Fremdheit einer Sprache aussetzt, die mit seiner eigenen „nirgends recht übereinstimmt“ (Schleiermacher, Methoden, 45). Schleiermacher stellt zwei Methoden des Verstehens fremdsprachlicher Texte und Reden, auch ohne Vertrautheit und Kenntnis der fremden Sprache, bereit. Die „Paraphrase“ soll „den Inhalt vielleicht mit einer beschränkten Genauigkeit wiedergeben, aber auf den Eindrukk leistet sie gänzlich Verzicht“ (Schleiermacher, Methoden, 46). Somit soll der Inhalt durch Umschreibungen der Ausdrücke des Originalwerks mit Elementen der Zielsprache vermittelt werden, ohne den Geist der Ursprache zu interpretieren, was ebenfalls eine Analogie zur Mathematik darstellt, in der Zeichen „durch Vermehrung und Verminderung auf gleichen Werth“ zurückgeführt werden (Schleiermacher, Methoden, 46). Die Nachbildung hingegen beugt sich der Irrationalität der Sprache und unterstreicht die Unmöglichkeit einer Kopie der Sprache in eine andere. Mehrere Elemente der Ausgangssprache werden genutzt, um diese für den Leser verständlicher zu gestalten, kann aber kein Nachbild des Geistes der Ursprache rekonstruieren (Schleiermacher, Methoden, 46). Für den Übersetzer ergeben sich somit zwei Handlungsmöglichkeiten:
[...]
1 Zur Vereinfachung des Leseflusses wird Rede im Folgenden als Synonym für gesprochenes und geschriebenes Wort gewählt.
2 F. D. E. SCHLEIERMACHER, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, Hrsg. v. H-J. ROTHERT, F. Meiner Verlag: Hamburg, 1958/79, 33. (Künftig: Schleiermacher, Reden).
3 F. D. E. SCHLEIERMACHER, Ethik (1812/13) mit späteren Auffassungen der Einleitung, Güterlehre und Pflichtenlehre, auf der Grundlage der Ausgabe von O. Braun, herausgegeben und eingeleitet von H.-J. BIRKNER, F. Meiner Verlag: Hamburg, 1990, 47. (Künftig: Schleiermacher, Ethik).
4 Vgl. Schleiermacher: Sittenlehre, 356, § 189 (Ethik 1812/13): “Von Seiten der Sprache angesehen entsteht aber die technische Disciplin der Hermeneutik daraus, daß jede Rede nur als objective Darstellung gelten kann, inwiefern sie aus der Sprache genommen und aus ihr zu begreifen ist, daß sie aber auf der anderen Seite nur entstehen kann als Action eines Einzelnen, und als solche, wenn sie auch ihrem Gehalte nach analytisch ist, doch von ihren minder wesentlichen Elementen aus freie Synthesis in sich trägt. Die Ausgleichung beider Momente macht das Verstehen und Auslegen der Kunst.”
5 F. D. E. SCHLEIERMACHER, Hermeneutik und Kritik, Hrsg. v. M. FRANK, Suhrkamp: Frankfurt am Main, 1977, 78 (Künftig: Schleiermacher, Hermeneutik).
6 F. D.E. SCHLEIERMACHER, Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersetzens, in: Das Problem des Übersetzens, Hrsg. v. H.J. STÖRIG, Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Stuttgart, 1963, 38. (Künftig: Schleiermacher, Methoden).