Diese Hausarbeit stellt die Konzepte Marte Meo und Ich schaffs! gegenüber und setzt sich kritisch mit diesen auseinander, indem sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeitet. Dafür werden in einem ersten Schritt das Marte Meo-Modell und die Marte Meo-Methode vorgestellt. Im zweiten Schritt wird das Programm Ich schaffs! beschrieben. Im dritten Schritt folgt schließlich der kritische Vergleich der Ansätze unter Berücksichtigung von ausgewählten Kriterien. Die Ziele der Ansätze werden herausarbeitet, die Definition und Bedeutung von Problemen gegenübergestellt und die Adressat*innen der Ansätze verglichen.
Anschließend wird die Normativität von Marte Meo und Ich schaffs! aus einer systemischen Perspektive hinterfragt und schließlich der Frage nachgegangen, inwieweit sich die beiden Konzepte selbst dem systemischen Ansatz zuordnen lassen. Im Bereich der psychosozialen Hilfen für Familien war es lange Zeit üblich, „Verhaltensauffälligkeiten“ von Kindern zu pathologisieren und so den Fokus auf die Schwächen zu legen. Familien wurde geraten, die vermeintliche Störung therapieren zu lassen. Was damit einherging, war eine große Verunsicherung und Hilflosigkeit seitens der Eltern und ein fehlendes Vertrauen in die eigenen Bewältigungsfähigkeiten. Es entwickelte sich die Vorstellung, dass die Probleme ausschließlich durch Expert*innen zu lösen seien und dass der Umgang mit dem eigenen Kind unmöglich sei – Eltern gaben die Verantwortung an Fachkräfte ab.
Mittlerweile rückt dieser problem- und defizitorientierte Blick im Kontext von Therapie und Beratung immer mehr in den Hintergrund und wird durch ressourcen- und lösungsorientierte Ansätze erweitert. So sind im Beratungs- und pädagogischen Kontext zwei Ansätze populär vertreten, die einen positiven Blick auf Probleme und „Verhaltensauffälligkeiten“ richten. Kinder stärken und gelingende Kommunikation ermöglichen − „aus eigener Kraft“ und mit einem „Fähigkeitsdenken“: das nehmen die Ansätze Marte Meo von Maria Aarts und Ich schaffs! von Ben Furman auf unterschiedliche Weise für sich in Anspruch. Marte Meo als entwicklungsorientierte videobasierte Beratungsmethode für Eltern und pädagogische Fachkräfte und Ich schaffs! als lösungsorientiertes 15-schrittiges pädagogisches Programm für Kinder und ihr Umfeld.
Inhalt
Einleitung
1 Marte Meo - Maria Aarts
1.1 Das Marte Meo-Modell: Entwicklung unterstutzen
1.2 Die Marte Meo-Methode: Unterstutzung entwickeln
2 Ich schaffs! - Ben Furman
2.1 Das 15-Schritte-Programm
3 Diskussion
Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
Im Bereich der psychosozialen Hilfen fur Familien war es lange Zeit ublich, „Verhaltensauffal- ligkeiten“ von Kindem zu pathologisieren und so den Fokus auf die Schwachen zu legen. Familien wurde geraten, die vermeintliche Storung therapieren zu lassen. Was damit einherging, war eine groBe Verunsicherung und Hilflosigkeit seitens der Eltern und ein fehlendes Ver- trauen in die eigenen Bewaltigungsfahigkeiten. Es entwickelte sich die Vorstellung, dass die Probleme ausschlieBlich durch Expert*innen zu losen seien und dass der Umgang mit dem eigenen Kind unmoglich sei - Eltern gaben die Verantwortung an Fachkrafte ab (vgl. von Schlippe/Schweitzer 2011, S.17 ff.). Mittlerweile ruckt dieser problem- und defizitorientierte Blick im Kontext von Therapie und Beratung immer mehr in den Hintergrund und wird durch ressourcen- und losungsorientierte Ansatze erweitert.
So sind im Beratungs- und padagogischen Kontext zwei Ansatze popular vertreten, die einen positiven Blick auf Probleme und „Verhaltensauffalligkeiten“ richten. Kinder starken und gelin- gende Kommunikation ermoglichen - „aus eigener Kraft“ und mit einem „Fahigkeitsdenken“: das nehmen die Ansatze Marte Meo von Maria Aarts und Ich schaffs! von Ben Furman auf unterschiedliche Weise fur sich in Anspruch. Marte Meo als entwicklungsorientierte videoba- sierte Beratungsmethode fur Eltern und padagogische Fachkrafte und Ich schaffs! als losungs- orientiertes 15-schrittiges padagogisches Programm fur Kinder und ihr Umfeld.
Im Rahmen dieser Hausarbeit werde ich die Konzepte Marte Meo und Ich schaffs! gegenuber- stellen und mich kritisch mit diesen auseinandersetzen, indem ich Gemeinsamkeiten und Un- terschiede herausarbeite. Dafur stelle ich in einem ersten Schritt das Marte Meo-Modell und die Marte Meo-Methode vor. Im zweiten Schritt beschreibe ich das Programm Ich schaffs! . Im dritten Schritt folgt schlieBlich der kritische Vergleich der Ansatze unter Berucksichtigung von ausgewahlten Kriterien. Ich werde die Ziele der Ansatze herausarbeiten, die Definition und Bedeutung von Problemen gegenuberstellen und die Adressat*innen der Ansatze vergleichen. AnschlieBend hinterfrage ich die Normativitat von Marte Meo und Ich schaffs! aus einer syste- mischen Perspektive und gehe schlieBlich der Frage nach, inwieweit sich die beiden Konzepte selbst dem systemischen Ansatz zuordnen lassen.
1 Marte Meo - Maria Aarts
Der Marte Meo- Ansatz wurde von der Niederlanderin Maria Aarts entwickelt und hat mittler- weile eine fast 25-jahrige Geschichte. Der Begriff Marte Meo bedeutet so viel wie etwas „aus eigener Kraft“ zu erreichen. Die Marte Meo-Methode soll Adressat*innen, hauptsachlich Eltern und erzieherische Fachkrafte darin unterstutzen, die Entwicklungsprozesse von Kindem aus eigener Kraft zu begunstigen - mit Hilfe von praktischen und konkreten Informationen. Mittler- weile wird Marte Meo als Form des Coaching in mehr als 20 Landern in den verschiedensten psychosozialen Handlungsfeldern angewendet. Der Ursprung und Fokus liegt in der Arbeit mit Kindern; beraten werden hauptsachlich Eltern von Sauglingen und Kleinkindern (vgl. Hawel- lek/Meyer zu Gellenbeck 2011, S. 75 f.). Mit Hilfe des Marte Meo -Ansatzes kann es Eltern gelingen, ihr intuitives Elternverhalten zu (re-)aktivieren und dabei die altersentsprechenden Bedurfnisse und Fahigkeiten ihrer Kinder zu erfassen. Die Besonderheit von Marte Meo ist die Nutzung von Videoaufnahmen von alltaglichen Interaktionsmomenten. Den Marte Meo -Ansatz kann man auf zwei Ebenen betrachten, die miteinander zusammenhangen - Marte Meo als Modell und als Methode.
1.1 Das Marte Meo-Modell: Entwicklung unterstutzen
Das Marte Meo-Modell bildet die Grundlage fur die Arbeit mit den Eltern. Beim Marte Meo- Modell geht es um die Leitfrage, wie kindliche Entwicklungsprozesse gezielt unterstutzt wer- den konnen. Dabei beruft sich Marte Meo auf Studien aus der Babyforschung zur „naturlichen entwicklungsunterstutzenden Kommunikation“ (vgl. z.B. Papousek 1996), die nachweisen, „dass die Fahigkeit, sich auf die besonderen Entwicklungsbedurfnisse von Babys einzustellen, intuitiven, biologisch verankerten Programmen folgt“ (Hawellek 2017, S. 17). Diese elterlichen Kompetenzen einer entwicklungsfordernden Kommunikation verstehen sich hier also als na- turliche Ressourcen, mit denen grundsatzlich alle Eltern ausgestattet sind. Das bedeutet, dass Eltern naturlicherweise stets der kindlichen Initiative folgen. Gelingende Kommunikation im Alltag beruht auf einem passenden Wechselspiel zwischen Momenten des Folgens (Anschluss finden) und Momenten des (positiven) Leitens/Lenkens, was dem Kind hilft, Handlungskom- petenz zu entwickeln. In diesem Zusammenhang spricht man auch von einer folgenden elter- lichen Prasenz und einer leitenden elterlichen Prasenz. Prasenz in Folgemomenten zeigen die Eltern durch das Beachten, Bestatigen und Benennen der kindlichen Initiativen bzw. des Auf- merksamkeitsfokus und durch das Warten auf die (Re-)Aktionen, sowie durch einen „guten Ton“ und ein „freundliches Gesicht“. Im Vordergrund steht hier das Benennen , wodurch die Eltern das Kind bei der Entwicklung von Personlichkeit und Sprache (Selbstkompetenz) unter- stutzen. Prasenz in (An-)Leitungsmomenten zeigen die Eltern durch das Ansagen der eigener Initiativen und das Benennen von passenden Losungen fur das Kind, durch Kooperationstone und klare Anfangs- und Endsignale. Im Vordergrund steht hier das (An-)Sagen , wodurch die Eltern dem Kind helfen konnen, soziale Fahigkeiten und Fertigkeiten (Sozialkompetenz) zu entwickeln (vgl. Hawellek 2012, S. 54-60 und Hawellek 2017, S. 25-28). Sobald das Kind hingegen die jeweilige kommunikative Kompetenz bereits selbst entwickelt hat und somit nicht mehr auf die auBere Unterstutzung angewiesen ist, stoppen die Eltern ihre Unterstutzungs- leistung in Form von Benennen und Ansagen (vgl. Hawellek 2012, S. 60). Maria Aarts bezeich- net diese Elemente, die durch alltagliche Wiederholungen eine positive Kommunikation und Entwicklung unterstutzen als Marte Meo -Elemente (vgl. ebd., S. 61). Grundsatzlich geht es jedoch nicht darum, dass sich Eltern in jedem Interaktionsmoment entwicklungsfordernd ver- halten. Unterstutzende Kommunikation sollte zwar im Alltag uberwiegen, ein vollig fehlerfreies Verhalten der Eltern wurde hingegen dazu fuhren, dass „Kinder nur erschwert lernen [konn- ten], mit Unterschiedlichkeiten in den Auffassungen und Vorstellungen und den daraus er- wachsenen Konflikten konstruktiv umzugehen“ (Hawellek 2017, S. 29). Belastung oder Beein- trachtigungen in der Biografie oder in der aktuellen Lebenssituation fuhren jedoch haufig dazu, dass Eltern die Initiativen ihres Kindes grundsatzlich ubersehen und somit nicht intuitiv auf die Entwicklungsbedurfnisse eingehen konnen. Hier setzt die Marte Meo -Methode an, die auf dem Wissen zu den naturlichen entwicklungsunterstutzenden Dialogen im Alltag beruht und diese als Vorbilder fur eine entwicklungsfordernde Beziehungsgestaltung nutzt.
1.2 Die Marte Meo-Methode: Unterstutzung entwickeln
Die Marte Meo -Methode ist ein videobasiertes Beratungsangebot mit dem Ziel der konkreten und praxisorientierten Informationsvermittlung an Eltern. Am Anfang jeder Marte Meo -Bera- tung steht die Absprache zwischen Eltern und Marte Meo-Fachkraft uber Ziele, Ablauf, Ort und Dauer des Beratungsprozesses, was in einem individuellen Kontrakt verschriftlicht wird. Auch die Rahmenbedingungen bezuglich des Umgangs mit den Videoaufnahmen und der Schwei- gepflicht werden dort festgehalten. Essenziell fur die Marte Meo -Beratung ist auBerdem die Auftragsorientierung, also die Frage, was die Eltern wollen. Die Eltern erteilen der Fachkraft den Auftrag und entscheidet so selbst, welches Anliegen „bearbeitet“ werden soll (vgl. Hawel- lek/von Schlippe 2011, S. 41 f.). Es folgen (mehrere) Zyklen aus einer Videobeobachtung, einer Videointeraktionsanalyse und einer Videoberatung (vgl. Hawellek/Meyer zu Gellenbeck 2011, S. 76). Diese werden im Anschluss genauer erlautert.
Videobeobachtung
Die Videobeobachtung findet im Normalfall im alltaglichen Umfeld der Familie statt. Zunachst wird abgesprochen, welche Alltagssituationen im Zentrum der Beobachtung stehen sollen. Eine spezifische Beobachtungssituation, die sich am Anliegen der Eltern orientiert, wird dann zur Grundlage der Beratung erklart. Grundsatzlich lassen sich drei Arten von Beobachtungs- situationen unterscheiden (vgl. Hawellek 2012, S. 85 f.):
Tabelle 1: Arten von Beobachtungssituationen in der Marte Meo Videobeobachtung nach Hawellek
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
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