„Die Bildung wird täglich geringer, weil die Hast größer wird.“ Angesichts der Reformwut der vergangenen Jahre im Bildungssektor scheint dieser Ausspruch von Friedrich Nietzsche eine bisher unerreichte Brisanz für den europäischen Hochschulraum zu bekommen. Die Reformbemühungen, welche ihren vorläufigen Gipfel im Bolognaprozess fanden, bedeuten für viele Verantwortungsträger an den Universitäten eine immer weiter voranschreitende Aufgabe des Bildungsideals, welches Wilhelm von Humboldt bereits im frühen 19. Jahrhundert für die deutsche Bildungslandschaft formuliert hatte und welches seitdem weltweit als angesehenes Modell von diversen Bildungsträgern adaptiert wurde. Es gilt also zu prüfen, ob dieser Prozess zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraumes tatsächlich das Ende der klassischen Universität in Europa bedeutet.
Humboldts Universitätsidee
Wilhelm von Humboldt postulierte seinerzeit ein Bildungsideal, nach dem der Mensch keine ausschließliche, berufs- oder tätigkeitsspezifische Ausbildung erhalten solle, sondern vielmehr als Grundlage derselben zuerst eine breit gegliederte, allgemeine Bildung, welche stark interdisziplinär ausgerichtet und an den humanistischen Bildungsgrundlagen der klassischen Antike orientiert sein müsse[1]. Dies erst mache den Menschen zum mündigen Bürger seines Staates und zum produktiven Mitglied seiner Gesellschaft. Vermittlerin dieser Allgemeinbildung sei, nach den Grundlagen setzenden Elementarschulen und Gymnasien, die Universität[2]. Weiter sei diese die wichtigste Trägerin staatlicher Forschung. Hierbei müsse der Staat durch Finanzierung lediglich die nötigen Rahmenbedingungen schaffen, welche Forschung und einen fruchtbaren Austausch zwischen den Universitäten und anderen wissenschaftlichen Institutionen, wie etwa Akademien und Archiven, ermöglichen. Darüber hinaus jedoch dürfe der Staat keinen Einfluss auf Forschung und Lehre nehmen, um so eine vollkommen freie Wissenschaft zu garantieren[3]. Dies bedeutet im Besonderen eine Unabhängigkeit der Wissenschaft von privaten Interessen und ermöglicht eine zweckungebundene allgemeine Wissenschaft, welche losgelöst ist von religiösen, politischen und ökonomischen Bindungen und Verpflichtungen.
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[1] Vgl. Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Referat für Öffentlichkeitsarbeit (Hrsg.): Humboldt und die Universität heute. Symposium des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft am 17. April 1995 im Wissenschaftszentrum Bonn, Bonn 1985, S.31.
[2] Vgl. ebd., S.6f.
[3] Vgl. Liessman, Konrad Paul: Theorie der Unbildung, Wien 2006, S.120.