Was gilt als richtig und was gilt als falsch? Dies ist unter anderem eine Frage, die die Ethik in verschiedenen Kontexten versucht zu klären. Solche ethischen Fragestellungen gehören heute zur gesellschaftlichen Konjunktur. Die Gesellschaft zu ethischen Hinterfragungen anzuregen und so die Menschenwürde und Menschenrechte eines jeden Menschen sicherzustellen, ist u. a. Aufgabe der Heilpädagogik. Einen immer größeren Diskurs in Bezug auf die Würde eines Menschen, stellen bioethische Fragestellungen zu Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik dar. Dies sind Untersuchungen, die Aussagen über bestimmte Krankheiten und Behinderungen eines ungeborenen Kindes zulassen. So können sich werdende Eltern entscheiden, ob sie bei Vorliegen einer Erkrankung ihres Kindes die Schwangerschaft abbrechen oder fortsetzen möchten. Besondere Aufmerksamkeit erlangte die Thematik Ende letzten Jahres. Am 09. November 2021 wurde der Beschluss verabschiedet, dass nicht invasive Bluttest, die zur frühen Entdeckung einer Trisomie, wie Trisomie 21 (Down-Syndrom) eingesetzt werden, als Kassenleistung abgerechnet werden sollen.
Die folgende Ausarbeitung wird die dafür verwendeten Bluttests näher beleuchten. Da die Thematik nicht nur viele ethische, sondern auch rechtliche Fragen aufwirft, wird sie im Rahmen dieser Arbeit aus verschiedenen Blickwinkeln näher betrachtet. Dazu werden zu Beginn einige ethische Grundlagen dargestellt und daran anschließend allgemeine ethische Spannungsfelder in der Heilpädagogik erläutert. Im Anschluss daran wird sich die Hausarbeit mit der spezifischen Frage, "In welchem Fall ist eine Abtreibung nach einem positiven pränatalen Bluttest auf Trisomien ethisch vertretbar?", auseinandersetzen. Die sich daraus ergebenen Aspekte sollen abschließend aus der Sicht von Menschen, die mit einer Trisomie leben und werdenden Eltern, die solche Bluttests zur Feststellung von Trisomien durchführen lassen, betrachtet werden. Aus den gewonnen Erkenntnissen wird abschließend ein Fazit für die heilpädagogische Praxis gezogen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Ethische Grundlagen
2.1 Definition Ethik
2.2 Ausgewählte Ethiktheorien
2.3 Bioethik und Biomedizin
3. Aktuelle ethische Herausforderungen in der heilpädagogischen Praxis
4. Rahmenbedingungen pränataler Bluttests auf Trisomie
4.1 Aktuelle Möglichkeiten
4.2 Pränataler Bluttest auf Trisomien
4.3 Gesetzliche Grundlagen
5. Diskussion über pränatale Bluttests auf Trisomien
5.1 Perspektive von Menschen, die mit Trisomie 21 leben
5.2 Perspektive von werdenden Eltern
5.3 Fazit für die Heilpädagogik
6. Fazit
7. Reflexion
Literaturverzeichnis
In welchem Fall ist eine Abtreibung nach einem positiven Bluttest auf Trisomien ethisch vertretbar?
Eine ethische und rechtliche Betrachtung.
1. Einleitung
‚ Was gilt als richtig und was gilt als falsch? ‘ Dies ist unter anderem eine Frage, die die Ethik in verschiedenen Kontexten versucht zu klären. Solche ethischen Fragestellungen gehören heute zur gesellschaftlichen Konjunktur. Die Gesellschaft zu ethischen Hinterfragungen anzuregen und so die Menschenwürde und Menschenrechte eines jeden Menschen sicherzustellen, ist u. a. Aufgabe der Heilpädagogik. Einen immer größeren Diskurs in Bezug auf die Würde eines Menschen, stellen bioethische Fragestellungen zu Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik dar. Dies sind Untersuchungen, die Aussagen über bestimmte Krankheiten und Behinderungen eines ungeborenen Kindes zulassen. So können sich werdende Eltern entscheiden, ob sie bei Vorliegen einer Erkrankung ihres Kindes die Schwangerschaft abbrechen oder fortsetzen möchten. Besondere Aufmerksamkeit erlangte die Thematik Ende letzten Jahres. Am 09. November 2021 wurde der Beschluss verabschiedet, dass nicht invasive Bluttest, die zur frühen Entdeckung einer Trisomie, wie Trisomie 21 (Down-Syndrom) eingesetzt werden, als Kassenleistung abgerechnet werden sollen (Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V., 2021). Die folgende Ausarbeitung wird die dafür verwendeten Bluttests näher beleuchten. Da die Thematik nicht nur viele ethische, sondern auch rechtliche Fragen aufwirft, wird sie im Rahmen dieser Arbeit aus verschiedenen Blickwinkeln näher betrachtet. Dazu werden zu Beginn einige ethische Grundlagen dargestellt und daran anschließend allgemeine ethische Spannungsfelder in der Heilpädagogik erläutert. Im Anschluss daran wird sich die Hausarbeit mit der spezifischen Frage, „In welchem Fall ist eine Abtreibung nach einem positiven pränatalen Bluttest auf Trisomien ethisch vertretbar?“, auseinandersetzen. Die sich daraus ergebenen Aspekte sollen abschließend aus der Sicht von Menschen, die mit einer Trisomie leben und werdenden Eltern, die solche Bluttests zur Feststellung von Trisomien durchführen lassen, betrachtet werden. Aus den gewonnen Erkenntnissen wird abschließend ein Fazit für die heilpädagogische Praxis gezogen.
2. Ethische Grundlagen
Um die Fragestellung der Hausarbeit umfassend beantworten zu können, werden im ersten Schritt zunächst einige ethische Grundlagen dargestellt. Zusätzlich wird spezifisch auf die Bioethik eingegangen, da diese eine wichtige Rolle in Bezug auf ethische Fragestellungen im Bereich der Pränataldiagnostik spielt.
2.1 Definition des Ethikbegriffs
Der bereits seit der Antike verwendete Begriff Ethik geht auf das griechische Wort ‚ Ethos ‘ zurück (Dederich & Schnell, 2009, S.69). Eng mit dem Ethikbegriff verbunden, ist der Begriff Moral. Daher werden die beiden Begriffe „manchmal als Synonyme“ verwendet (ebd., S. 69). Moral stellt den Nachfolgebegriff von Ethik dar und geht auf das lateinische Wort ‚mos/ mores‘ zurück, was so viel bedeutet wie „Brauch, Sitte (oder) Gewohnheit“ (ebd., S. 69). Es gibt verschiedene Traditionsstränge, die den beiden Begriffen unterschiedliche Bedeutungen zukommen lassen. Nach Dederich und Schnell (2009) versteht ein Traditionsstrang die Ethik als Theorie der Moral (S. 69). Als Moral werden hier alle alltäglichen Wertüberzeugungen im Denken und Handeln bezeichnet (ebd.). Ethik stellt dementsprechend „die Thematisierung, Reflexion und Wertanalyse dieser Wertvorstellungen (dar), die sich als durchaus problematisch erweisen können und daher der ethischen Reflexion bedürfen“ (ebd.). Nach Schmid Noerr (2018) zielt die Ethik zum einen auf das persönliche Wohlergehen sowie auf das Verhalten gegenüber anderen ab (ebd.). Nach Schmid Noerr (2018) ist „Ethik … demnach die Theorie einerseits des personell Zuträglichen und Zweckmäßigen, andererseits des sozial Verpflichtenden und Notwendigen“ (S. 39).
2.2 Ausgewählte Ethiktheorien
Eine der frühsten Ethiktheorien ist die Tugendethik nach Aristoteles. Eines seiner berühmtesten Werke ist sein Buch Nikomachische Ethik, welches ca. 330 v. Chr. entstanden ist (Schmid Noerr, 2018, S. 65). Dort stellte er fest, dass „alle Menschen nach Glück streben, dass aber die Auffassungen, worin das Glück inhaltlich besteht, weit auseinandergehen“ (ebd., S. 65). Aristoteles zu Grunde, täuschen sich viele Menschen darüber, was das wahre Glück ist, daher sei es Aufgabe der Ethik, darüber aufzuklären und ein gelingendes Leben zu befördern (ebd.). Seit Aristoteles hatte die Ethik damit eine zentrale Fragestellung: „Was ist ein gelingendes Leben?“ Zur Zeit der griechischen Antike leitete Aristoteles die Reflexion der praktischen Philosophie auf Grundlage der Metaphysik ein (Dederich & Schnell, 2009, S. 69). Die Metaphysik nimmt an, dass der Mensch im Grunde von Natur aus nach dem Guten strebt. Entscheidend ist hierbei jedoch, dass das Gute nicht vom Menschen selbst als gut bewertet wird, sondern es „vielmehr an und in sich selbst ein Gutes“ ist, welches vom Menschen selbst entdeckt werden muss (ebd.). Erst durch das „Streben selbst konkretisiert sich für den Menschen, was das Gute inhaltlich ist und welche Art des Lebens es ermöglicht“ (ebd.). Nach Aristoteles erfüllt sich das Streben nach dem Guten v. a. „in der politischen Freundschaft der Tugendhaften, in der die Freunde einander wechselseitig jeweils um des Anderen ( sic ) willen das Gute wünschen“ (ebd., S.70). Ein gelungenes Leben äußert sich nach Aristoteles „in einer Betätigung der menschlichen Seele, die den besonderen, dem Menschen eigentümlichen Fähigkeiten gemäß ist und den best ( sic ) möglichen Zustand … der menschlichen Seele repräsentiert“ (Düwell et. al., 2011, S. 69). Er beschreibt weiter, dass sich die menschliche Seele durch ‚Tugenden‘ auszeichnet, deren Erwerb und Ausübung für ein gutes Leben unerlässlich sind. Aristoteles führte daher ein System von Tugenden ein, an denen der Mensch sich orientieren kann und nach denen er streben sollte (ebd.).
Als ‚Revolutionär‘ der Ethik gilt bis heute Immanuel Kant. Seit Kant ist Glück das, was jeder Einzelne für Glück hält. Er konnte aufzeigen, dass sich das „moralische Sollen nicht aus dem individuellen Glücksstreben ableiten lässt“ (Schmid Noerr, 2018, S. 66). Im Kern seiner Ausführungen steht dabei der kategorische Imperativ (Dederich & Jantzen, 2009,S. 70). Dieser stellt nach Kants Behauptungen den fundamentalsten und einzigen moralischen Grundsatz dar (Schmid Noerr, 2018, S. 78). Geht man nach diesem Grundsatz, handelt derjenige moralisch gut, der seine moralischen Pflichten erfüllt. Eine moralische Pflicht, wird dabei am Merkmal ihrer Verallgemeinerbarkeit gemessen (ebd.). Der Kategorische Imperativ wird auf die übergeordneten Grundsätze einer Person, die s. g. Maximen, angewandt. Dabei misst Kant die Moralität „an der Konsistenz von individueller Absicht und sozialer Erwartung“ (ebd., S. 78). Er betont jedoch auch, dass eine Verallgemeinerbarkeit zur Bestimmung von Moralität nicht ausreicht. Denn nicht jede Maxime, die sich verallgemeinern lässt, kann allein aufgrund dessen ein moralischer Imperativ sein (ebd.). Man könnte beispielsweise für sich die Maxime formulieren, in einer Grundschulklasse eine regelmäßige Spielstunde durchzuführen. Diese Maxime wäre zwar verallgemeinerbar, jedoch nicht moralisch qualifiziert, denn auch das Gegenteil (es wird keine regelmäßigen Spielstunden geben) wäre verallgemeinerbar. Da sowohl die Maxime als auch die Verneinung der Maxime verallgemeinerungsfähig sind, bedeutet das, „dass Moralität gar nicht in Frage kommt“ (ebd.). Die Maxime selbst wäre somit moralisch neutral. Eine Handlung kann nach Kant also nur dann moralisch sein, „wenn sich ihre Maxime verallgemeinern lässt, während zugleich die Maxime ihrer Unterlassung sich nicht verallgemeinern lässt“ (ebd.).
Die letzte ausgewählte Ethiktheorie, die in dieser Hausarbeit beschrieben werden soll, ist die des Utilitarismus. Der Utilitarismus ist bis heute eine der Hauptströmungen der Ethik. Handlungsziel des Utilitarismus ist das verallgemeinerte Wohlergehen, wodurch er über ein starkes Fundament verfügt, welches keiner weiteren Erklärung zu bedürfen scheint (Schmid Noerr, 2018, S. 76). Nach dem Utilitarismus ist diejenige Handlung moralisch am besten, „die für alle Betroffenen am nützlichsten … zu sein verspricht (ebd., S. 75). Mit ‚nützlich‘ ist hier ein „außermoralisch Gutes zu verstehen, an dem alle möglichen Betroffenen teilhaben“ (ebd.). Als fundamentaler Grundsatz im Utilitarismus gilt, dass alle moralischen und ethischen Bewertungen unparteilich sein müssen. Das bedeutet, dass die Interessen der Betroffenen berücksichtigt werden sollen, jedoch unabhängig von persönlichen Sympathien und/ oder Antipathien (ebd.).
2.3 Bioethik und Biomedizin
Der Begriff Bioethik bezeichnet zum einen ein Forschungsgebiet der angewandten Ethik, welches sich mit ethischen Fragen der Biomedizin auseinandersetzt. Zum anderen versteht man unter der Bioethik ein kontrovers diskutiertes Feld in der Politik. Hier wird u. a. über die Unterzeichnung der ‚Biomedizin Konvention‘, die Zulässigkeit von Sterbehilfe, Präimplantationsdiagnostik und embryonale Stammzellenforschung diskutiert. Nachhaltige gesellschaftliche Auswirkungen auf das Leben von Menschen mit Behinderung, hat v. a. aber die Biomedizin (Graumann, 2009, S. 346). Durch den medizinischen Fortschritt haben sich die Lebens und Überlebenschancen von vielen Menschen mit Behinderung deutlich verbessert. Jedoch äußern kritische Stimmen den Verdacht, dass die Anerkennung sowie das Lebensrecht von Menschen mit Behinderung durch die Biomedizin untergraben wird (ebd., S.346 - 347). Dieser Verdacht ist darin begründet, dass es in der Biomedizin eben nicht nur um hilfreiche oder neue Therapieformen geht. Es geht auch „um die Beendigung von ‚Leiden‘ durch Behandlungsabbruch und Sterbehilfe oder um die Vermeidung des ‚Leidens‘ von Paaren infolge der Geburt eines behinderten Kindes durch Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik“ (ebd., S. 347). Ziel und Aufgabe der Bioethik ist es in diesem Zusammenhang, eine Lösung für solche ethischen Konflikte zu entwickeln (ebd.).
3. Aktuelle ethische Herausforderungen in der heilpädagogischen Praxis
Die Heilpädagogik ist aufgrund ihres vulnerablen Adressatenkreises auf ein gutes und ethisches Handeln angewiesen. Wie Lob-Hüdepohl und Lesch (2007) sagen: „Nur wenige Sozialberufe sind in einer solchen Weise moralisch aufgeladen wie das Handlungsfeld der Heilpädagogik“ (S. 226). Um professionell Handeln zu können, wird daher ein ethischer Rahmen benötigt, an dem sich heilpädagogisches Handeln ausrichten kann. Daher ist eine Berufsethik im gesamten Sozialen Bereich unverzichtbar. Die oben dargestellten ethischen Grundsätze bilden dabei den Orientierungsrahmen, der professionelles Handeln erst möglich macht (Begemann et. al., 2016, S.48). Der Ethikkodex der Sozialen Arbeit, welcher auch die Grundlage für heilpädagogisches Arbeiten darstellt, ist dem Hippokratischen Eid der Ärzteschaft ähnlich. Wichtig für den gesamten Sozialen Bereich sind u. a. die Ausführungen „zur Schweigepflicht und zur Behandlung von Patienten unabhängig von Status, Rasse, Geschlecht und Herkunft“ (ebd., S. 47). Wie gelingt nun aber ethisch gutes Handeln? Nach Begemann et. al. (2016) ist v. a. die Orientierung an einem humanistischen Menschenbild, ein Ethikkodex und die Idee von einem gelingenden Leben dafür ausschlaggebend (S. 48). Des Weiteren soll sich professionelles Handeln an der Menschenwürde, sozialer Gerechtigkeit, Teilhabe und an universellen Menschenrechten orientieren (ebd.). Für die heilpädagogischen Fachkräfte gilt daher aus ethischer Sicht, die Menschenrechte der Klienten zu wahren, soziale Verantwortung zu tragen und das Recht auf Selbstbestimmung und Eigenständigkeit der Klienten zu unterstützen. Man spricht daher auch von einer Verantwortungsethik (Schmid Noerr, 2018, S. 89f.).
Trotz der ethischen Grundsätze entstehen in der heilpädagogischen Praxis häufig ethische Dilemmata. Die verschiedenen ethischen Herausforderungen gehen dabei über die bloße Unterscheidung zwischen etwas ethisch Richtigem und Falschem hinaus. Der Gegenstandsbereich des sozialen Sektors ist hauptsächlich psychosozialer Natur und damit hoch komplex, da „noch mehr Ambivalenzen zu berücksichtigen und beim Helfen noch mehr mögliche Selbstmissverständnisse auszuräumen“ sind (Schmid Noerr, 2018, S. 89).
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